Kein Reisetagebuch (6): In der Heißluftfriteuse

Kein Reisetagebuch (6): In der Heißluftfriteuse

Kein Reisetagebuch. Heute erfahre ich, dass ich berühmt bin. Es wird viel geflucht. Mein Orientierungssinn begibt sich auf Abwege. Ich sitze unvermittelt in einer Heißluftfriteuse. Habe eine Erkenntnis. Ein faschistischer Berg geht den Bach runter. Ach ja, und Annas Hund fährt Auto. ES WIRD EIN LANGER TAG.

18. Juli 2024
Kurz nach Sieben stehe ich bei Rosanna in der Tür des Frühstücksraums. Bin noch ein wenig verpennt. Die Nacht nicht gut geschlafen. Wie auch? Heute ist Tag des Abschieds. Giorno della partenza, wie Giulietta sagt. Vor der Tür meines Zimmers steht schon die V-Strom und wartet nur darauf, wieder auf die Straße zu kommen.

Ich höre nur mit halbem Ohr zu was Rosanna heute Morgen erzählt, während sie mir ein großes Stück Torta Albicocca (Gesprochen: Albikokka) schneidet, Aprikosenkuchen. Bis ich merke, dass es in ihrer Erzählung um mich geht.

“Ich war gestern in der Osteria im Dorf. Die Wirtin hatte Geburtstag, und weißt Du was? Die haben mich da direkt über Dich ausgefragt, die Belegschaft und die Stammgäste! Du warst eh Gespräch des Abends. Ein Deutscher, hier! Und der will auch noch unbedingt italienisch sprechen! Was ja verrückt ist, weil Elena so gut Englisch spricht. Sie ist Rumänin, weißt Du?”

Ich bin völlig fasziniert. Wie kann man so viel reden ohne Luft zu holen?

“Und dann hast Du neulich Abend auf Insta ein Bild aus dem Ristorante gepostet und jetzt folgen die dir alle!” Ach. Daher die ganzen neuen Follower. In Italien ist jeder auf Insta. Zumindest jede Frau. Und deren Mudder.

“Da haben sie dann in der Story gesehen, dass Du mit dem Motorrad reist und das Du da oben am Berg warst und den Passo delle Radici gefahren bist und…”
-“Bin ich?”
“Jaja, und…”
“Wo ist der Passo delle Radici?”, will ich wissen. Kann mich nicht an den erinnern.
“Na HINTER oben am Berg!”, sagt Rosanna und macht ein „Ts“-Geräusch als ob jedes Kind wissen müsste, dass der Radieschenpass hinter den sieben Bergen ist.

“Und Du warst auf der Big Bench und am Lago Calamone. Das Du bei uns wohnst haben sie auch gesehen und mich dann über Dich ausgefragt. Ich habe erzählt das Du schon ein paar mal hier warst und ein Freund von Giulietta bist und auch die Sara von oben am Berg kennst und…”

Ich vergrabe das Gesicht in den Händen und stöhne. Offensichtlich bin ich das Dorfgespräch. Muss man auch erstmal hinkriegen.
“Sono famoso?”, frage ich mit geschlossenen Augen, bin ich jetzt berühmt?
“Si!”, sagt Rosanna und nickt.

Der letzte Koffer hängt am Motorrad, nichts ist im Zimmer vergessen. Ich trete den schweren Gang den Berg hinauf zur Bar an.

Als sie mich sieht, kommt Giulie hinter dem Tresen der Bar hervor. “Partenza?”, ruft sie.

Ich nicke und sie streckt die Arme aus und zieht mich an sich.
Fünf Tage bin ich hier gewesen, aber es fühlt sich gerade so an, als sei ich erst vor fünf Minuten angekommen.
Ich fühle mich elend. Es ist, als würde mein Körper dagegen rebellieren, diesen Ort zu verlassen.

Sie bemerkt meinen Blick. “Tutto a posto?”, Alles in Ordnung?
“Giulie, ich…”
“Ehi”, unterbricht Sie mich. Das ist italienisch und bedeutet “hey”. Klingt auch fast genauso, nur ohne das “h”.

Sie sieht mich direkt an, mit diesen strahlenden, grauen Augen und sagt dann mit einem Lächeln und so langsam, dass ich es auf Anhieb verstehe “Non dire addio, ma a presto!”. Sag nicht auf Wiedersehen, sondern bis bald.
Ich nicke, und für einen Moment stehen wir uns schweigend gegenüber.

“Un’ultima foto?”, frage ich.
“Certo!! Cinzia! Scatti una foto di noi!” ruft Giulie und winkt eine Freundin heran, die in der Nähe bei einem Caffé sitzt.

Ich bin so überrascht, dass ich die heraneilende Frau mit “Buona Sera” begrüße, guten Abend.
Giulie stöhnt laut auf, als sie das hört und macht “NOOOOOOOOOOO”, und ich klatsche mir ob meiner eigenen Doofheit mit der Hand an die Stirn.
Oh man, ich stelle mich ja bei der Abfahrt genauso bescheuert an wie bei der Ankunft. Irgendwie setzt manchmal mein Sprachzentrum in der Nähe von gewissen Personen aus. Aber Giulietta hat es halt drauf mich aus dem Konzept zu bringen. Die Frau ist in jeder Minute überraschend.

Cinzia macht mit meinem Handy einen Schnappschuss, auf dem wir beide in die Morgensonne blinzeln.

Giulie haucht mir noch einen Abschiedskuss auf die Wange und sagt “A presto”. Dann eilt sie wieder in die Bar, an deren Tresen schon ein paar Straßenarbeiter lautstark auf ihren Caffé warten.

“A Presto”, wiederhole ich, drehe mich um und gehe zum Motorrad.

Die Suzuki rollt aus dem Tor der Farm, als mir ein Auto entgegenkommt. Der Fahrer hebt die Hand und nickt mir zu. Wer ist denn das? …das ist ja der Hausmeister! Der Grummel! DER GRÜSST! Das ist ja wie ein Ritterschlag!

Ich hupe ein letztes Mal und grüße zur Bar hinüber, dann gebe ich Gas und bin verschwunden.

Und DANN fällt mir ein, dass ich ob dieses verwirrenden Abschieds ganz vergessen habe, mich auch von Annamaria, Giulies Mamma, zu verabschieden. Das ist mal mindestes grob unhöflich und wird beim nächsten Besuch bestimmt noch Ärger geben.
Beim nächsten Besuch.

Oh man.
Ich bin kaum aus der Tür, denke ich schon daran, wann ich wohl wieder hier sein kann.

“Porto un pezzo del tuo cuore nel mio. Così sei sempre con me.”

Den Satz habe ich gestern Abend gelernt.

Ich trage ein Stück von Deinem Herzen in meinem. Damit bist Du immer bei mir.

Ist der Gedanke nicht wunderschön?

Oder anders: Ich trage ein Stück von hier in meinem Herzen. Damit reisen wir jetzt gemeinsam.
Ich schüttele den Kopf um ihn frei zu bekommen, und versuche mich auf die Straße zu konzentrieren.

Der Weg führt wieder über den Pass in der Bergkette, die die Emilia Romagna und die Toskana trennt, dann durch die Täler Richtung Küste.


Die erste Autobahnanschlussstelle ist in Aulla, und kaum bin ich durch die Mautstelle, halte ich es plötzlich für eine total gute Idee, die Auffahrt Richtung Parma zu nehmen. Weil… ja, keine Ahnung. Kurzfristige geistige Umnachtung.
Oder mein grandioser Orientierungssinn, der mir in diesem Moment eingibt, dass Parma im Süden liegen müsste.

Wie auch immer, plötzlich bin ich in die verkehrte Richtung unterwegs, nach Norden. Da es hier in den Bergen nur wenige Abfahrten gibt, auch mal gleich 20 Kilometer. In Saliceto Belvedere fahre ich fluchend ab, bezahle unter lauten Verwünschungen die Maut, wende, und ziehe unter schmutzigsten Beleidigungen des Automaten ein neues Mautticket.

Dann fahre ich die 20 Kilometer wieder zurück – um erst einmal im Stau zu stehen. Ein Unfall. In einer Baustelle.

Zum Glück dauert es nicht lange bis es weitergeht, aber in Summe habe ich mit der Schleife und dem Stau jetzt schon eine Stunde verloren. Ausgerechnet heute, wo ich die längste Etappe überhaupt vorhabe. Zwar sind das “nur” 600 Kilometer Strecke, aber die führt kreuz und quer durch Nord- und Mittelitalien bis in die Berge der Abruzzen, was ungefähr auf halber Höhe des Stiefels liegt. Acht Stunden dauert das schon unter besten Bedingungen und mit reichlich Autobahn, ich habe gerade schon auf neun erhöht.

Warum Autobahn? Zwei Gründe. Zum einen muss ich Strecke machen, zum anderen gibt es Gegenden in Italien, da will man einfach keine Landstraße fahren. Die Küstenregion etwa, an der ich gerade entlangfahre. Von La Spezia über Carrara (das mit dem Marmor) über Forte dei Marmi und Viareggio. Das sind alles Urlaubsorte, die sich eeeeeeeeeeeendlos ziehen. Eine Bar an der nächsten, kilometerlang, und alle paar hundert Meter eine Ampel. Wirste verrückt, wenn´de da langfährst.

Lucca ist auch so ein Ort, wo man froh sein kann schnell vorbei zu sein. Da ist Landstraße immer Stau, in alle Richtungen.

Montecatini Terme – Pistoia – Florenz.

Der Verkehr auf der Autobahn ist dicht, und er wird noch schlimmer werden. Anna meldet einen Stau voraus, empfiehlt aber auf der Autobahn zu bleiben. Auch LED-Anzeigen weisen auf einen Stau hin an einem Ort, von dem ich noch nie gehört habe. Fahre ich da gleich lang? Ist das eine Abfahrt, hinter der es Stau gibt? Ich weiß es nicht, und als der Großraum Florenz im Rückspiegel verschwindet, hoffe ich schon, der Kelch sei an mir vorüber gegangen. Aber Pustekuchen, als es in die Berge hinter Florenz geht, steht plötzlich alles. Baustelle, und dann noch ein Unfall mittendrin.

Die Sonne knallt vom wolkenlosen Himmel. 36 Grad zeigt das Motorradthermometer, und Anna, die sich die Temperatur aus dem Internet holt, zeigt 32 Grad an. Das war schon während der Fahrt warm, aber im Stehen, auf dem heißen Asphalt, ist es unerträglich.

Dazu kommt: Die V-Strom hat ein Hitzeproblem auf der rechten Motorseite. Schon bei langsamer Fahrt oder Stop-and-Go in der Stadt steigt die Motortemperatur von 84 auf 105 Grad, dann erst springt der Lüfter an. Das klingt nicht nach viel Unterschied, aber ohne oder mit nur wenig Fahrtwind wird dadurch die rechte Seite so dermaßen aufgeheizt, dass ich die Hitze durch die Leder/Textilhose und die Stiefel an der Seite nicht nur spüre, sondern als unangenehm wahrnehme. Als würde man seinen Unterschenkel fünf Zentimeter vor eine glühenden Herdplatte halten.

Der Youtuber “Dr. V-Strom” hat mal nachgemessen und kam nur auf 50 Grad am rechten Bein. Aber Fahrer, die nur in Shorts unterwegs waren, haben sich ernsthaft schon Verbrennungen zugezogen.

Zum Glück dürfen Motorräder in Italien alles, und ich schlängele mich zwischen den Autos und Lastwagen hindurch, so gut das mit dem breiten Heck der V-Strom geht. Also, eigentlich ist ihr Heck zierlich, aber das SW-Motech-Trägersystem steht weit ab, und die beiden 45 Liter-Koffer links und rechts pumpen das Fahrzeugende auf die Breite eines Fiat 500 auf. Naja, fast.

Durchschlängeln ist aber immer noch besser als auf der rechten Spur dran vorbeifahren, wie das einige Roller gerade machen. Die Randspur liegt voller Plastik- und Metallteile, Müll und manchmal auch Glas. Fehlt mir noch, das ich mir hier einen Reifen punktiere.

Weiter vorne ist ein Tunnel, und ich freue mich schon auf ein wenig Schatten und Kühle. Als die Suzuki in die Röhre rollt merke ich aber, dass das ein Denkfehler war. Klar, Sonne scheint hier nicht, aber die Hitze ist noch größer. Der Tunnel hat keine Entlüftung, und die Wärme der LKW-Diesel und der PKW-Motoren staut sich darin, zusammen mit den Abgasen. Zum Durchwurschteln ist es zu eng. Ich merke, wie mir im Inneren des Fahreranzugs der Schweiß über den Körper läuft. Ich könnte auch mit dem Merinozeug, das ich unter den Lederklamotten trage, unter einer Dusche stehen, dann wäre das genauso nass.

Hustend und fluchend komme ich eine Viertelstunde später aus dem Tunnel wieder raus, und treffe dann auf den Grund des Staus: Ein liegengebliebener LKW, der von der örtlichen Polizei gesichert wird.

Nach der Engstelle ist auch die Baustelle vorbei, und es gibt endlich freie Fahrt. Die V-Strom 800 tut nun das, was schon ihre Vorgängerin perfekt beherrschte: Kilometer fressen.

Die Toskana bleibt zurück und die Autobahn führt ein kurzes Stück durch Umbrien, bevor sie auf das Latium stößt. Das ist alles plattes Land hier, und die Temperaturen liegen mittlerweile bei 42 Grad (Motorrad)/38 Grad (Anna). Ich bin nur froh, dass das Garmin Zumo für solche Situationen gebaut wurde und auch bei großer Hitze funktioniert, wenn auch etwas langsamer als sonst. Aber das ist ein Grund, weshalb ich noch ein dezidiertes Navigationsgerät verwende. Wie machen das eigentlich die “Ich-navigiere-nur-mit-Handy”-Fraktion? Funktioniert das Android auch unter solchen Bedingungen?

Der Fahrtwind kühlt jetzt nicht mehr. Er ist unangenehm heiß im Gesicht und heizt den Fahreranzug immer weiter auf. Es ist, als würde ich in einer Heißluftfriteuse zu sitzen.

Die Autobahn ist jetzt nahezu leer. Über dem Asphalt flirrt und wabert es in der Distanz, während die V-Strom durch die heiße Luft schneidet. Obwohl ich nichts tue als ruhig im Sattel zu sitzen und das Motorrad geradeaus zu steuern, schwitze ich wie verrückt.

Ich kann spüren, wie mir in den völlig nassen Klamotten Schweißtropfen am Rücken und den Beinen entlanglaufen. Aus den Helmpolstern läuft Schweiß in meine Augen. Ich blinzele die brennenden Tropfen weg.

In solchen Situationen – langweilige Straße, widrige Außenbedingungen – neigt man dazu, sich entweder zu sehr mit sich selbst zu beschäftigen und nur noch Dinge zu denken wie “Mir ist warm! Ich muss mal! Hunger! Durst! Sind wir endlich da?!” oder die Konzentration zu verlieren.

Dagegen mache ich nebenbei häufig Konzentrationsübungen. Ich zähle zum Beispiel seit 2016 alle Fiat 500s, denen ich begegne (Aktuell: 4.278). Ich beleidige jeden Rennradfahrer beim Überholen. Jeder Piaggio Ape wird zugejubelt. Leider gibt es auf der Autobahn keine Apes, wenig Fiat 500s und (zum Glück!) noch weniger Radfahrer. Also mache ich mir einen Spaß draus und versuche anhand der Silhouetten der Orte auf den Bergen zu raten, welche das wohl sind. Montepulciano und Orvieto erkenne ich sofort, beim Rest habe ich weniger Glück.

Für Abwechselung sorgt Anna, die sich plötzlich im Helm meldet und verkündet “Achtung. In zwei Kilometern: Feuer.”
Was? FEUER?

Tatsächlich: Weiter vorne steht eine schwarze Rauchsäule am Himmel. Und dann sehe ich es: Ein LKW brennt.

Ich gebe Gas, und möglichst weit außen und möglichst schnell wischt die V-Strom an dem brennenden Wrack vorbei.

Der Fahrer steht hundert Meter davor und guckt mit den Händen in den Hosentaschen dabei zu, wie die Kiste abfackelt. Was soll er auch anderes machen. Aber wie kriegen die das bloss immer hin? Das ist jetzt schon das dritte Mal, das ich auf italienischen Autobahnen brennende Lastwagen sehe. Immerhin: Dafür, dass sie Maut kosten, bieten die Autobahnen hier Unterhaltungswert.

An einer Autogrill-Raststätte halte ich an und trinke gierig eine der beiden Feldflaschen aus dem Topcase leer. Vermutlich habe ich mehr ausgeschwitzt, als ich mit dem einen Liter jetzt nachfülle. Zumindest muss ich noch nicht auf´s Klo, und dabei bin ich schon vier Stunden unterwegs.

Ich nutze die Gelegenheit und schreibe Giulie. “Un grande abbraccio a tua Mamma e le scuse per non aver potuto salutarla di persona. Le torte erano di nuovo fantastiche! 😋🥰” – Sie soll ihre Mamma von mir knuddeln soll und ich bitte um Vergebung, dass ich mich nicht persönlich verabschiedet habe.

Während ich Wasser saufe wie ein Verdurstener und nebenbei mit einer Hand auf dem Handy rumtippe, glotzt mich ein junger und etwas simpel aussehender Mann unentwegt an. Er sitzt in der offenen Tür eines Autos, das neben der V-Strom parkt. Der Motor des Wagens läuft, während alle Fenster und Türen offen sind.

Eine alte Frau mit einem Mops unter dem Arm kommt aus Richtung der Gaststätte gehumpelt und wirft sich auf den Rücksitz. Das Tier röchelt und sieht aus, als ob es jeden Moment kollabiert. Die alte Dame meckert den jungen Mann lautstark an. Der antwortet “Nonna, ich kann nichts dafür das es so heiß ist! Ich habe schon alle Fenster auf UND die Klimaanlage an!”
“Dann taugt die halt nichts, deine Klimaanlage!”, kommt es vom Rücksitz.

Die Autobahn führt jetzt genau durch das Grenzgebiet von Umbrien und Latium. Die Straße ist dabei gerade, die Grenze mändert in einer Schlangenlinie, und so kommt es, das alle paar Kilometer Schilder stehen “Latium Ende”, “Umbrien Anfang”, “Umbrien Ende”, “Latium Anfang”, “Latium Ende”, “Umbrien Anfang”, “Umbrien Ende”, “Latium Anfang”, usw. usf.

Der Schatten der V-Strom fliegt über den Asphalt, mal vor, mal neben dem Motorrad. Mit dem Schnabel über dem Vorderrad und den schwingenartigen Sturzbügeln sieht das wirklich ein wenig nach einem schwarzen Vogel aus. Aber “Raven” als Name ist irgendwie… banal. “Rabe” auf italienisch heißt “Corvo”, das klingt eher nach einem Zauberer als einem Motorrad. Japanisch? “Karasu”. Gesundheit. “Krähe” auf italienisch? Cornacchia. Klingt nach einem Likör.

Mir ist langweilig. Warum verbringe ich nochmal die wertvolle Zeit dieser kurzen Pause von der Arbeit damit, einen ganzen Tag auf öden Straßen herumzufahren? Warum wollte ich unbedingt nach Giulie noch Anna und Mauro besuchen, obwohl das alles endlos weit auseinander liegt? Ach ja, um die V-Strom auf den schlechten Straßen der Abruzzen zu testen. Allerdings… dafür hätte ich auch in den Harz fahren können, das sind die Straßen in einem ähnlichen Zustand.

In diesem Moment trifft mich eine Erkenntnis. Kann es ein, dass es hier und heute gar nicht um das neue Motorrad geht, sondern um mich? Habe mir selbst etwas vorgemacht?

Wo bin ich denn im Pandemiejahr 2020 gewesen? Als ich es nicht mehr ausgehalten habe und raus, nur RAUS wollte, aber an sichere Orte? Welche sicheren Orte sind mir denn da sofort eingefallen? Ich war damals erst bei Giulietta, dann bei Francesca und Lucio auf I Papaveri, dann bei Mauro und Anna auf La Vecchia Fontana und schließlich bei Sara und Francesco in der Villa Maria Luigia.

EXAKT die Personen, die ich auch jetzt besuche, dazu früher im Jahr noch Mobbedzwerch. Ist es möglich, dass die zahlreichen, meist negativen Veränderungen und der ganze Ärger, der in diesem Jahr wie ein Sturm durch mein Leben fegt und alles überlagert, dazu geführt haben, dass ich nun unbewusst Menschen aufsuche, denen ich vertraue und Orte, an denen ich mich sicher fühle?

Und falls das so ist, was sagt das über mich und mein Verhältnis zu diesen Menschen aus? Bei einigen von ihnen war ich mir im Klaren darüber, dass entweder ich mir die als Familie ausgesucht oder die mich einfach in ihre aufgenommen haben. Anscheinend gibt es aber noch einen erweiterten Familienkreis.

Familie erfordert halt nicht immer Verwandtschaft.
Famiglia di cuore, non di sangue.
Familie des Herzens, nicht der Blutsverwandschaft.

Die Straße folgt dem Verlauf des Tiber, bis ich bei Caldare abfahre und in die Berge nach Osten abbiege. Dreißig Euro hat die Autobahn gekostet, dafür habe ich mindestens drei Stunden Zeit eingespart. Lebenszeit mit Geld substituiert, guter Deal.

Die Strada Statale führt durch den Ort Narni und vorbei an Terni, dann nach Süden Richtung Rieti und Citta Ducale. Schon von Weitem sehe ich den Faschistenberg von Antrodoco. Auf dessen westliche Flanke haben Faschos einen Wald in Form der Buchstaben “DUX” gepflanzt, Abkürzung für “Duce” und eine Huldigung an Mussolini.

Angeblich kann man dieses Riesengraffiti an klaren Tagen von Rom aus sehen. Keine Ahnung, ob das stimmt. Erfreut nehme ich aber zur Kenntnis, dass der Faschowald stirbt. Das X ist fast ganz vertrocknet, und ein Teil des “U” scheint sogar den Berg hinabgerutscht zu sein. Hehe, Klimawandel gibt es nicht, was? Dabei macht er den Faschisten um Meloni gerade eine ihrer Kultstätte kaputt.

Hinter Antrodoco geht es in Serpentinen die Berge hinauf, dann in einer langen Gerade wieder hinab bis nach L´Aquila. In der Stadt herrscht schon ordentlicher Nachmittagsverkehr, aber auf die italienische Art: Alles gleitet flüssig aneinander vorbei, auch wenn es manchmal chaotisch aussieht. Ich bin für das Fahren hier gemacht worden und genieße es. Ohne falsche Bescheidenheit: Ich bin mittlerweile on Road ein sehr guter Fahrer. Ausgebildet in Deutschland, spät sozialisiert in Italien. Das beste aus zwei Welten.

Ich höre ja manchmal, dass das Fahren in Italien sehr anstrengend sei, weil alles so chaotisch ist. Das stimmt für Rom, Neapel, Catania und Palermo, der Rest und gerade der Norden des Landes ist aber mostly harmless. Man muss sich nur vor Augen halten, das 1. die Flüssigkeit des Verkehrs oberste Priorität hat, nicht „die Regelz“, und 2. die meisten Italiener sehr gute Fahrer sind. Kein Witz.

Natürlich gibt es Ausnahmen, wie überall, aber in der Regel sind die alle echt gut. Warum? Weil in Fahrschulen gelehrt wird, dass man gucken-gucken-gucken und immer auf die anderen achten soll, und die Führerscheinprüfungen echt richtig schwer sind. Wer nicht guckt und achtet, ist durchgefallen. Weil alle aufeinander achten, kann man auch einfach mal aus einer Kreuzung in den fließenden Verkehr einfahren. Das klappt schon. Man braucht nicht stundenlang auf eine Lücke zu warten.

Wer als Gast in Italien unterwegs ist und beherzigt die Augen aufzuhalten, das Hirn nicht abzuschalten und im Rhythmus des Verkehrs mitzuschwingen, der kommt wunderbar zurecht. Wer natürlich ohnehin schon unsicher ist, und sich dann versucht an Regeln zu klammern und durch fahren nach DIN-Norm durchzukommen… ok, da kann ich mir vorstellen, dass das stressig wird.

Von L´Aquila aus geht es auf das Bergmassiv des Campo Imperatore zu. “Auf Deiner ersten Tour”, sage ich zur Suzuki, “Siehst Du gleich mal eine der schönsten Straßen Europas.”

Die Achthunderter witscht bei Fonte Cerreto die Berstraße hinauf und verbläst in den Kehren ein Wohnmobil nach dem nächsten. Es ist eine echte Freude, dass die neue V-Strom mit einem Dreh des Handgelenks sofort nach vorne geht. Das gibt Sicherheit beim Überholen und ist viel angenehmer als mit der DL650, die beim Dreh am Gasgriff lediglich sofort anfing zu rappeln, um dann moderat schneller zu werden.

Die Straße führt auf die Hochebene am Campo Imperatore. Mit den sanften Grashügeln und den Bergmassiv im Hintergrund sieht hier aus wie eine andere Welt, und das ist der Grund, warum hier häufig SciFi- und Fantasyfilme und -serien gefilmt werden.

Ein Hütehund sitzt auf einem Hügel und beobachtet seine Schafsherde, die weiter unten im Tal entlangzockelt.

Ich liebe diesen Flecken Erde, und damit bin ich nicht allein. Das “Ristoro Mucciante” ist schon wieder gut besucht. Dabei handelt es sich bei der Hütte am Rand der Ebene nicht mal um ein Restaurant, sondern eher um eine Fleischerei. Dort kauft man frisches Fleisch und trägt das zu einer der Blechrinnen, die vor der Hütte auf dem Feld stehen. Die sind mit Kohle gefüllt, und dann kann man da selbst grillen. Großer Spaß für Camper und Mopedfahrern, die hier am Wochenende mittlerweile zu Hunderten einfallen. Fast 40 Blechrinnen zähle ich auf dem Satellitenbild, und jede davon ist drei Meter lang. Das Gegrillte kann man dann rübertragen zu einem der 70 Tische, und es sich dort gemütlich machen.

Im Video von Francesco Badalamenti kann man das gut sehen:

Ich halte mich hier gar nicht auf, sondern quere die Hochebene bis zum Ostende, dann folge ich der Straße, die über den Bergkamm und auf seiner nördlichen Seite wieder hinab führt.

Hier sind sie, die legendär schlechten Straßen der Abruzzen. Schlaglöcher, so tief, dass ein Fußball darin verschwindet. Absenkungen wie Treppenstufen. Risse und Furchen, in die Straßen graviert von Dutzenden heißen Sommern und kalten Wintern. Flicken, die eine handbreit rausstehen und bestenfalls halbherzig über die schlimmsten Stellen geschmiert sind.

All Roads Merge? Dann zeig mal, Suzuki.

Aber auch hier verhält sich die V-Strom 800 absolut vorbildlich. Das Fahrwerk schluckt die meisten Unebenheiten einfach weg. Eine schlimme Absenkung, die ich absichtlich nicht umfahre, führt zu einem schabenden Geräusch vom Unterboden.

Ha! Genau diese Straßen hier und exakt diese Situation hatte ich im Kopf, als ich der V-Strom den zusätzlichen Rahmenunterzug und den Motorschutz habe verpassen lassen. Der Schutz ist stabil und unten geschlossen und kann sogar als Skidplate fungieren, da kann das Motorrad sogar drauf lang rutschen, ohne das was passiert.

Extrem zufrieden mit der V-Strom und mir selbst lege ich die letzten Kilometer zurück. Das hier ist die am dünnsten besiedelte Region Europas, die Orte hier bestehen meist nur aus wenigen Häusern. Die sind umgeben von Feldern und Wiesen, wo das Heu für die Tiere gemacht wird. Aber alles klein, denn meist endet der Hügel mit der Wiese drauf nach wenigen hundert Metern an einem der tiefen und oft hundert Metern breiten Gräben, die das Bergvorland durchziehen. Die Geländekarte der Gegend weist mehr Furchen auf als das Gesicht von Lee Majors. Alles hier ist zerklüftet und zerfrettelt, und dementsprechend abenteuerlich führen auch die “Straßen” durch die Landschaft.

Im “Ort” Roccafinadamo wird gleich nochmal abenteuerlicher, als ich zwischen einem der sieben Häuser abbiege und einen steilen Bröckelweg hinabfahre, der abwechselnd aus Asphaltbrocken, Sand und Schotter besteht.

Auch hier habe ich in keinem Moment das Gefühl die V-Strom nicht unter Kontrolle zu haben. Ärgerlich ist nur, dass das ABS auf dem losen Untergrund greift. Anders als bei der V-Strom 800 DE, die einen Gravelmode mitbringt, lässt sich bei meiner Straßenversion das ABS nicht abschalten. Das macht das Fahren schwieriger als es sein müsste.

Vorbei an einer Scheune und einer Viehhalle, einem Olivenhain und einem kleinen Weizenfeld geht es bis zu einem alten Steinhaus. Noch einen kleinen Steilhang hoch, und dann bin ich da, angekommen bei La Vecchia Fontana.

Leider bin ich hier ganz allein. Normalerweise bekommen Anna und Mauro mit, wenn jemand den Bröckelweg langfährt, und kommen dann zum Gästehaus. Heute nicht. Ich warte 10 Minuten in der Sonne, dann wähle ich Mauros Telefonnummer, die auf einem Stück Klebeband an der Tür steht. Natürlich nicht ohne beim ersten Versuch wieder zu vergessen, dass man in Italien die führende “0” bei der Ortsvorwahl auch dann wählen muss, wenn man die Landesvorwahl eingibt. Beim zweiten Versuch tutet es, aber niemand geht ran.

Egal. Warte ich noch ein wenig. Im Notfall weiß ich wo der Schlüssel ist und kann mich selbst reinlassen. Aber ein Versuch noch. Ich halte das Handy an der hinteren Hausecke hoch in den Himmel, bis es ein klein wenig Empfang hat, dann schreibe ich auf Instagram: “Sono Arrivato”

Keine zwei Minuten später braust ein Fiat Panda den Bröckelweg entlang, und Anna hält in einer Staubwolke vor dem Haus. Anna muss schon Mitte 70 sein, aber ihren Panda steuert sie über die Wege hier wie eine junge Rallyfahrerin.

Sie begrüßt mich überschwänglich, immerhin haben wir uns schon wieder vier Jahre nicht gesehen, nur ab und an Postkarten ausgetauscht und über Insta Kontakt gehalten.

Das Erdgeschoss von “La Vecchia Fontana” besteht aus einem zentralen Schankraum mit Tischen, an den eine Küche anschließt. In einem Seitengang liegt ein Gästezimmer, das ist meines. Im Stockwerk darüber gibt es weitere zwei oder drei Zimmer für Übernachtungsgäste.
Anna bietet mit nacheinander Wasser, Caffé und Wein zur Begrüßung an, was ich alles dankend ablehne.

“Und, wie ist es?”, frage ich.
“Molto lavoro. Duro”, antwortet Anna, Viel Arbeit und wenn SIE das sagt, will das was heißen. Die Frau führt immerhin ohne zu klagen eine Landwirtschaft, dieses Gästehaus, bewirtschaftet Schulklassen und Gruppen, die hier etwas über Landwirtschaft und Natur lernen und betreibt einen kleinen Farmshop für Produkte, die sie selbst herstellt, vor allen Dingen Konfitüren und Olivenöl.

“Viele Gäste?”, frage ich, und sie nickt. “Jeden Tag volles Haus. Aber die Farm macht uns große Sorgen. Wir haben seit Jahren zu wenig Wasser, und auch in diesem Jahr hat es bislang nicht ordentlich geregnet.”

“Oh”, sage ich, “Das ist interessant, wo doch woanders gerade so viel Regen runterkommt”.
“Hier nicht”, seufzt Anna.

Dann knattert draußen ein Moped vor, und Mauro, Annas Sohn, kommt durch die Tür. Anscheinend war er gerade auf dem Feld zugange. “Heeey ich musst doch zumindest mal guten Tag sagen”, ruft der drahtige Endvierziger. “Und nochmal: Es tut mir leid wegen des Abendessens”.

Auf das hatte ich mich in der Tat total gefreut, denn Anna ist eine unglaubliche Köchin. Vor zwei Tagen kam eine Mail, dass das heute Abend wegen einer großen Feier nicht möglich ist. Schade, aber nicht schlimm. “Hey, kein Ding. Dein Sohn wird nur ein Mal 18. Das ist ein wichtiger Moment im Leben! Das gibt´s nur ein Mal, das muss gefeiert werden! Ich kann immer wieder kommen”, sage ich.

Mauro lacht und knattert wieder davon. Auch Anna macht sich auf den Weg. “Schlüssel weißte ja, und falls Du doch Hunger bekommst, weißt Du, wo die Küche ist.”
Familie.

Mein Zimmer wurde gefühlt seit 50 Jahren nicht verändert. Auch der Lüfter im Bad hat immer noch den Kugellagerschaden, den er schon 2013 hatte. Immerhin: Es gibt jetzt eine Klimaanlage. Die ist neu. Und nötig, gefühlt hat es in dem Raum 40 Grad.

Ich setze mich kurz nach draußen an eine Bank um ein wenig Tagebuch zu schreiben, da donnert wieder Annas Auto heran.

“Hälfte vergessen”, sagt sie und bugsiert einen großen Topf aus der Küchentür und stellt den in den Fußraum der Beifahrerseite. “Wir haben so viel gemacht für die große Feier, ich bin schon vier Mal hin und hergefahren und….”

Ich höre aber gerade nicht richtig zu, denn am Steuer von Annas Auto sitzt ein Hund, und das sieht wirklich völlig skurril aus.

“Normal, eh? Der will immer fahren”, lacht Anna, schubst den Hund zur Seite und braust wieder davon.

Während der kurzen Szene haben es irgendwelche Viecher geschafft, mir den rechten Unterarm völlig zu zerstechen. Keine Ahnung was für Killermücken das waren, es bilden sich auf jeden Fall richtig große Blasen, wie Brandblasen, und es juckt wie Hölle. Fluchend marschiere ich zurück ins Haus und krame eine Hydrocortisonsalbe aus der Bordapotheke des Motorrads. Damit hört das Jucken sofort auf, und zehn Minuten später sind die Blasen zu kleinen Stichen geschrumpft, denen der elektrische Stichheiler dann endgültig den Gar aus macht. Dann schmiere ich mich noch dick mit “Bens Repelente contro Zanzare e Zecche” ein, das ich letzten Herbst auf Sardinien gekauft habe.

So, und nun? Hunger.
Laut Google Maps ist in einem der sieben Häuser von Roccafinadamo eine Taverna. Gucken wir mal, ob es da auch was zu essen gibt.

Ich schwinge mich auf die V-Strom und heize den Bröckelweg entlang. Ohne Koffer wage ich es, in den unbefestigten Kurven ein wenig zu sliden, also ordentlich Gas zu geben und das Hinterrad ein wenig ausbrechen zu lassen. Zumindest soweit die runtergeregelte Traktionskontrolle das zulässt. Durch die nach vorne verlagerte Sitzposition habe ich auch beim Rutschen immer das Gefühl, die Maschine im Griff zu haben. Man, was für ein Motorrad!

Die Taverna “Bacco e Tabacco” ist eine richtige Dorfschänke mit einem großen Saal und ein paar Tischen hinter dem Haus.

Es gibt eine Speisekarte, und die irritiert mich total. Die Leute hier verstehe ich normalerweise perfekt. Anders als bei Giulie spricht man hier langsam, deutlich und ohne derben Zungenschlag. Warum kann ich dann das hier nicht lesen? “Tagliatelle met paddenstoelen”? “Varkens-en kipfilet met krudien”? Was ist das denn für ein Dialekt?

Dann fällt es mir endlich auf: ich verstehe das nicht, weil das kein Italienisch ist. Das ist diese lustige Sprache, die man sich in den Niederlanden zusammenfantasiert. Von der ich bis heute glaube, dass die niemand ernsthaft spricht, sondern die lustigen Worterfindungen nur zur allgemeinen Erheiterung eingeführt wurden. Wie ist sonst ist der “Bromfietzer” zu erklären?

“T´Schuldigung”, sage ich der jungen Frau, die hier bedient. “Kann ich die Karte bitte auf italienisch haben?”
“Sind sie kein Niederländer? Ich dachte sie sind vom Campingplatz”.
“Mi dispiace, Signorina, sono tedesco. Dalla Germania”, sage ich.
“Ist das nicht das selbe?”, fragt sie.
“Wie spanisch und italienisch. Klingt ähnlich, ist es aber nicht”, sage ich.
“Ok”, sagt sie und kommt kurz darauf mit einer Karte in einer echten Sprache wieder.

Ich entscheide mich für Mugnaia, eine handgemachte, dicke Pastasorte, die ich vorher noch nirgends gesehen habe, und ein Bistecca di Vitello, Kalbsschnitzel mit Bratkartoffeln. Alles ist hervorragend, wenn natürlich auch nicht so gut wie bei Anna.

Nach dem Essen kommt der Besitzer und Koch persönlich vorbei und fragt ob ich zufrieden war. Ich kann ihm genau beschreiben wie ich alles genossen habe, was ihn erstaunt. “Sie sind aber kein Niederländer, oder? Die verständigen sich nur mit Handzeichen”, sagt er und kredenzt noch ein Dolce, ein – natürlich – selbstgemachtes Zitronensorbet.
Als ich die Taverna verlasse, ist es bereits Dunkel.

Weil es stockdunkel ist, brettere ich auch erst an der Einfahrt zum Bröckelweg vorbei, muss auf der engen Straße wenden und taste mich dann langsam den Hang hinab. Jetzt wünsche ich mir tatsächlich Zusatzscheinwerfer. Sowas wollte ich ja nie, aber das LED-Licht der V-Strom projiziert einen so eng begrenzten Lichtkegel auf die Straße. Etwas mehr Leuchtkraft würde jetzt nicht schaden.

Lange sitze ich an dem Abend noch vor dem Haus, schaue über die schwarzdunkle Landschaft und in den sternengefüllten Himmel. Der Nachtwind ist heiß und trocken und steht genau richtig, um ein klein wenig LTE rüber zu wehen. Ich mache ein Meme aus Annas Hund.

Giulie ist noch online. In dem Moment, als ich den Hund poste, schreibt sie “Ti saluto la mia mamma non è di cattivo e anche lei contraccambia con affetto i tuoi saluti” – Ich habe Mamma gegrüßt, sie ist nicht sauer, sie grüßt zurück und, so fügt Giulie hinzu “… e quando tornerai parleremo di più ne sono sicura! Allora imparerai di più 😊” – Wenn Du zurückkommst, werden wir sicher mehr reden. Dann lernst Du noch mehr.

Noch mehr schöne Sätze. Alles klar. Bin dabei.

Tour des Tages: Einmal durch halb Italien bis in die tiefsten Abruzzen. 640 Kilometer, rund neuneinhalb Stunden.

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20 Gedanken zu „Kein Reisetagebuch (6): In der Heißluftfriteuse

  1. Wie machen das eigentlich die “Ich-navigiere-nur-mit-Handy”-Fraktion? Ganz einfach: Unterstützung bekommt das Handy (Kurviger) durch Garminnavi, laufen parallel, als Ersatz dabei.
    Mein Outdoorhandy hat bisher jedes Wetter weggesteckt, das Garmin dafür nicht jeden Schlängelweg gefunden, dafür läuft es ohne iNet.
    Ich könnte mir am Phone gut vorstellen: Laden, Navigieren, eingepackt und Sonne drauf daß es dann überhitzt.
    Gut geschriebener Bericht. Macht Spaß zum Lesen.

  2. Ich fahre jetzt schon seit ca. 30.000 km nur mit Android-Handy, davor lief es einige Zeit parallel zum TT Rider 550. Hitzeprobleme hatte ich noch nie, eher Ladeprobleme wegen Feuchtigkeit, Vibrationen, Korrosion. Seitdem ich ein Netzteil mit 12 V-Festanschluss und passenden USB C-Stecker mit Festanschluss habe, gibt es auch keine Ladeprobleme mehr. Ich plane und navigiere mit Calimoto. Beim TT passt mir der Routingalgorithmus nicht.

  3. Ich kann nur nur von iPhone/CarPlay berichten, und das ist lustig: Das Telefon regelt da nämlich das Display runter und wird auch langsamer. Aber: Es bespielt stabil das CarPlay Display weiter. Dann kommt es etwas darauf an, welche Anwendung man nutzt. Apples eigene Karten sind anscheinend so aufwändig, die fallen dann auf wenige FPS runter, was im Stadtverkehr oft nicht reicht. Nach Navigon, dass übrigens auch immer super unter der Hitze lief (weil es alt und genügsam war) nutze ich jetzt TomTom und das spielt auch bei einem runtergetakteten iPhone problemlos weiter auf CarPlay.

  4. Ich hab den Beitrag in Italien gelesen und fühlte mich noch mehr mittendrin als sonst. Jetzt bin ich wieder daheim (leider) und habe gerade mein Garmin zumo versandfertig gemacht. Nach bald 10 Jahren, hat es die Gummierung am Ein/Aus-Knopf erledigt und ich will mal einen Service dafür testen, der auch weitere Verbesserungen vornimmt.

    Ich mag das dedizierte Gerät ebenfalls lieber, auch wenn meines gänzlich ohne Kopplung zum Telefon auskommen muss, ich meine Routen am PC plane und per Kabel übertrage. Es ist eben robust und überstand bisher alle Widrigkeiten, inklusive diverser Stürze.
    Dank Käfig muss ich es auch nicht bei jeder größeren Pause immer abnehmen.

    So richtig ernsthaft hab ich es mal vor 13-14 Jahren mit dem Telefon als Navi probiert, Überhitzungsproblem gabs da natürlich auch. Damals hat mich das Gefummel halt genervt, weil es sich nicht mit Handschuhe bedienen läßt, es nicht immer ablesbar usw.

    Wenn ich einfach so am Tage um die Heimat herumgurke und das Garmin nicht dabei habe, aber schnell nach Hause muss, kommt das Telefon in der Brusttasche eben nur mit Sprachansage zum Einsatz. Das nervt michaber vor allem wenn Karte und Realität nicht passen und die Anweisungen daher unklar sind oder einfach eine neue Route berechnet wird, ohne dass ich intervenieren kann.

    Ein Kumpel von mir nutzt auch so diverse Apps und flucht ständig, wenn dies und jenes nicht funktioniert oder Intercom und Sprachansage nicht gleichzeitig geht.

  5. @max, habe mit Garmin keine guten Erfahrungen, weil ich der Meinung bin, daß ein Phone mit Möppsoftware wesentlich schneller, besser und einfacher zu handhaben ist, vor allem bei Touren, welche nicht “Anna” den Weg entscheidet, sondern “Ali” 3x um den Kreisel vorab routet weil es schön macht.

    1. So unterschiedlich ist es. Da ich Garmin schon nutzte bevor es Smartphones gab, war und bin ich mit der Nutzung vertraut. Da ich, wie schon geschrieben, meine Touren ebenfalls selbst plane, kann ich da genauso problemlos mehrfach im Kreisel fahren, wie vor ein paar Tagen in Niederkaltenkirchen getan, ohne dass das Navi da ein Problem hatte. 😉

      Das Telefon ist aber auch nur schnell, wenn es Internet hat, ohne sieht das bei den meisten Apps mit Abweichung und Neuberechnung dann auch schnell essig aus.

    2. Mal nicht wieder Äpfel und Birnen vergleichen. “Schneller und bessere Software” ist nun kein Wunder, wenn man kein aktuelles ZUMO dagegenhält, sondern dein oder mein Garmin – Deines ist 10 Jahre alt, meines 12.

      Die Handhabung finde ich bei dedizierten Navis besser, weil mit Handschuhen bedienbare, große Schaltflächen.

      Ich plane in der Tat auch meine Routen vorab – keine Ahnung was Dein letzter Satz bedeuten soll 🙂

  6. moin,

    wie du schon schrubst, können die smartphones hitze nicht ab. ich fahre jetzt über 10jahre mit androiden am lenker. erst noch in navi-case , die letzten 2 jahre ohne mit quicklock-halterung. in den case wurden die geräte bei temperaturen über 30grad und direkter sonneneinstrahlung extrem heiss und haben sich auch stellenweise abgeschaltet. im “freien” funktioniert das bei jeder temperatur gut. einmal wollte das gerät nach einem regenschauer nur nicht mehr am usb-c laden, da “fremdkörper” festgestellt wurde. das ging nach einer trocknungsphase wieder. ich nutze kurviger (früher motoplaner) für die planung und osmand zum navigieren.

    grüße aus dem nachbarlandkreis

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