Kein Reisetagebuch (8): Nicht Vergnügungssteuerpflichtig

Kein Reisetagebuch (8): Nicht Vergnügungssteuerpflichtig

Kein Reisetagebuch. Heute mit saudummen Strecken und einem Wurstopus. Außerdem: Kurz vor dem Ziel ist immer der Punkt, an dem man den Boden unter den Füßen verliert – und das Motorrad bekommt einen Namen.

Samstag, 20. Juli 2024, Villa Maria Luigia, Veneto
Sara hatte recht. So sonnig und heiß das Wetter gestern war, in der Nacht hat es heftig gewittert und geregnet. Jetzt ist die Luft erträglicher. Die V-Strom steht trocken und behütet unter ihrem Pavillon auf der Terrasse.

Nach einem kurzen Frühstück verabschiede ich mich von der Familie und mache ich mich auf die Socken. Heute ist Samstag, es ist Hauptferienzeit und ich will möglichst tief in den Alpen sein, bevor die Urlauber aus ihren Betten gekrochen kommen und die Straßen verstopfen.

Durch den Vorgarten der Villa geht es hinaus auf die Strada Statale, die noch feucht ist vom Regen.

Der Plan geht leider nicht auf. Schon bei Belluno, das am Eingang zu den Alpen liegt, ist die Straße gesperrt und auf der Umleitung schon gefühlt JEDER Urlauber unterwegs. Ich mogele mich so gut es geht am Stau vorbei.


Aber auch als der Verkehr wieder läuft macht das alles keinen Spaß. Dicht an dicht schieben sich die Fahrzeuge durch die Berge, und da ein Ort auf den nächsten folgt ist Überholen nicht sinnvoll und meistens auch gar nicht möglich.

Erst Stunden später, kurz vor der Grenze vom Veneto nach Südtirol, wird es etwas ruhiger, und jetzt kann man auch Landschaft sehen.

Wenige Kilometer weiter quere ich schon die Grenze nach Österreich, und bin leicht erstaunt über die Spritpreise hier. 1,89 Euro für einen Liter Benzin, das ist wie in Italien und wie in Deutschland gerade.

Mit vollem Tank nimmt die V-Strom die letzte Etappe in Angriff. Die startet mit einer Verblüffung. Ich wollte die Tauernautobahn nicht fahren und dachte, auf der Landstraße gibt es einen Pass oder so. Tastächlich führt auch die Landstraße durch einen mautpflichtigen Tunnel bei Felbertauern. “Sag mal, was verstehst Du eigentlich unter “Keine Mautstraßen nutzen”? Frage ich Anna, bekomme aber keine Antwort.

Im Gegenteil, meine virtuelle Copilotin scheint heute mit dem falschen Fuß aufgestanden zu sein. Als sie einen Stau auf der Landstraße bemerkt, lotst sie uns hier lang und da lang und plötzlich finden wir uns auf der Autobahn A10 kurz vor Salzburg wieder. Ich beantrage die Neukalkulation der Route, was aber mit einem lapidaren “Auf dieser Strecke kann eine Vignette nicht vermieden werden” beschieden wird. Ja, doof. Wir haben nämlich keine. Noch dööfer: Weil jeder und seine Mudder hier lang fährt, ist jetzt auch auf der Autobahn Stau.

Ich lasse Anna nochmal neu rechnen, dieses Mal ohne Autobahnen und ohne Mautstraßen, aber das Ergebnis ist dasselbe. Laut Navi gibt es keinen anderen Weg hier raus als die Autobahn. Frustriert blicke ich mich um und entdecke dann weiter hinten im Tal eine Burg auf einem steilen Berg.

Archivbild 2021

Moment mal… die kenne ich doch! Das ist doch die Burg Werfen! Da habe ich vor drei Jahren auf dem Berg gegenüber übernachtet! Und NATÜRLICH gibt es von Werfen aus einen Weg hier raus, sogar einen sehr schönen, durch eine Felsklamm!

Kurzentschlossen gebe ich Gas und fahre über den Seitenstreifen bis zur nächsten Ausfahrt, und dann aus dem Gedächtnis über die Dörfer bis nach Werfen und von dort aus weiter. Anna protestiert und fordert mit immer neuen Warnungen zum Wenden auf, bis ich die Audioverbindung zum Helm kappe.

Das Freestyling klappt super, und wenige Kilometer hinter der Klamm liegt schon Salzburg. Anna hat sich wieder eingekriegt und führt durch das Stadtgewühl. Das ist heute auch nur Stop&Go und eine Ampel nach der nächsten. Die Ränder einer Straße sind vollgestellt mit edlen Sportwagen und noblen Karossen. Was ist das hier, Millionärstreffen? Egal, es dauert EWIG bis ich durch die Stadt bin.

Kurz hinter Salzburg beginnt Bayern. Jetzt ist es nicht mehr weit bis Deutschland, aber heute Nacht übernachte ich hier, in einem Dorf in der Nähe von Fridolfing.

Der Gasthof ist modern renoviert, lediglich eine Klimaanlage wünsche ich mir in dem völlig überhitzten Dachgeschosszimmer. Dafür ist das Essen hervorragend. Es wird gekrönt von einem Oktopus aus Wurst, nur mit weniger Beinen. Ein Wurstopus.

Topfenknödel esse ich zum ersten Mal in meinem Leben. Die Bedienung freut sich, das ich mit dem Enthusiasmus eines kleinen Kindes Bayerisch-österreischische Geschmackswelten entdecke.

Es ist auch ein versöhnender Abschluss eines ansonsten doofen Tages. Diese Strecke durch die Alpen, in der Hauptferienzeit, das war keine gute Idee. Das war sogar totaler Blödsinn. Aber nun, im Juli nach Italien war auch Blödsinn, aber die einzige Chance dieses Jahr dorthin zu kommen.

Doofe Tour des Tages: Von Treviso zicke-zacke durch die Alpen. 450 km in 9 Stunden.

Sontag, 21. Juli 2024
Die Nacht war unruhig. Es ist viel zu heiß im dem kleinen Dachgeschosszimmer. Ich habe bei offenem Fenster geschlafen, obwohl gegenüber ein Kuhstall ist. Die Dauerlüftung hat aber nichts gebracht, die Nachtluft draußen war auch warm. Gerädert schwinge ich um kurz vor sechs die Beine aus dem Bett, packe meinen Kram zusammen, lese noch ein wenig und trage dann die Koffer zur taunassen V-Strom. Als um Sieben Uhr das Frühstück im Gasthof öffnet, stehe ich direkt auf der Matte. Und bin nicht mal der erste.

Nach dem Wurstopus-Massaker am Vorabend bleibe ich heute morgen bei Obst, und das fällt leicht. Der Gasthof hat ein großartiges Frühstücksbuffet.

Dann schwinge ich mich auf die V-Strom und fahre durch das ländliche Bayern, das im Licht der Morgensonne noch vor sich hinpennt.

Querfeldein geht es über Landstraßen bis Landshut, dann ab Regensburg auf die A3. Ich winke in Gedanken Mobbedzwerch zu, als das Motorrad an Nürnberg vorbeifährt und gen Norden auf die A73 einschwenkt. Die führt an Coburg vorbei nach Thüringen, was sich viel besser fahren lässt als die A7. Die würde zwar direkt vor meine Haustür führen, ist aber eine sechspurige, dichtbefahrene Hölle. Die Autobahnen im Osten dagegen sind leer.

So leer, dass ich mal richtig Gas gebe und gucke, wie schnell die V-Strom kann.

Ich drehe bei 130 am Gas, und die V-Strom macht einen Satz nach vorne und beschleunigt binnen Sekunden auf 190 (laut Tacho, Anna sagt: 176 km/h), aber dann beginnt sie zu pendeln. Bevor sich das aufschaukelt und ich aus dem Sattel fliege, nehme ich sie wieder vom Gas.

Das Pendeln ist kein Wunder, ich habe die Koffer dran – mit denen sollte ich eigentlich eh nicht schneller als 130 fahren. Die Vorgängerin fing übrigens schon bei 140 mit Pendeln an, wenn der rechte Koffer – der durch den Auspuff weiter absteht – nicht genau ein Kilo leichter war als der linke. Das ist der Grund, warum ich eine kleine Kofferwaage dabei habe, und die Koffer vor jeder Fahrt auswiege. Außer in den letzten beiden Tagen. Ich weiß, dass der rechte Koffer gerade sogar schwerer ist als der Linke, weil da zwei Flaschen mit Öl und ein Glas Konfitüre von “La Vecchia Fontana” drin sind. Von daher war Pendeln zu erwarten. Aber trotzdem krass, wie gut der Motor zieht.

Bislang war strahlender Sonnenschein, und das sollte heute auch den ganzen Tag so bleiben. Bis plötzlich, aus heiterem Himmel, Starkregen einsetzt. Von jetzt auf gleich ist es Dunkel, und der Regen steht auf der Straße und ich bin durchnässt.

Fünf Minuten später hört es auf, dann kommt wieder die Sonne raus.
Shit.
Wo kam das her?

Ich mache Annas Wetterradar auf und sehe… eine Katastrophe. Das gerade war nur ein harmloser Schauer gegen das, was da von Westen rüberkommt. Das ist die Mutter aller Regenfronten, was da anrückt. Etwas Ähnliches habe ich bislang nur ein Mal gesehen: Vor einer Woche, auf der Fahrt von Götham nach Sterzing.

Verdammter Mist. So kurz vor dem Ziel! Bis nach Hause sind es wenig mehr als 100 Kilometer. “Einen Schritt vor dem Ziel ist genau der Moment, in dem man den Boden unter den Füßen verliert”, zitiert der Popkulturzausel, der mietfrei in meinem Hinterkopf wohnt, den bekannten Archäologen Henry Jones, Jr. “Halt die Fresse”, herrsche ich den Zausel an und er schaut erschrocken, lässt den erhoben Zeigefinger sinken und zieht sich in seine Höhle zurück.

Gerade scheint noch die Sonne, aber weiter vorne, über Eisenach, kann ich schon dunkle Wolken sehen. Ich fahre direkt den nächsten Rastplatz an. Dort halte ich mich gar nicht erst mit ordentlichem Parken auf, sondern stoppe einfach in der Ausfahrt der Tankstelle, steige aus dem Sattel und öffne mit fliegenden Fingern die Tasche mit den Regensachen. Ein Motorradfahrer mit einer Suzuki 750 GSX sieht mich und schlendert herüber.

“Na, auch Suzuki?”, sagt er.
“Hm”, mache ich und krempele die Beine der Regenhose zusammen.

“Ich bin gerade auf der Heimfahrt. 3.000 Kilometer bin ich die letzte Woche gefahren. Polen und so. Dann Riesengebirge.”
“Hm”, mache ich und steige in die aufgekrempelten Hosenbeine, ziehe die Reissverschlüsse am Beinabschluss zu und sichere sie mit einem Klettriegel. Dann zerre ich die Hose bis zur Hüfte hoch.

“War super. Nette Leute besucht und so und Essen war gut. Heute muss ich noch nach Aachen”.
“Hm”, mache ich, wurschtele die Arme in die Regenjacke und ziehe die Oberarmriemen fest.

An der Tankstelle lässt ein Dutzend Harleyfahrer ihre Maschinen laut aufknattern. Akustischer Terror. Jeder der Bande trägt Jethelm und Sonnenbrille, dazu T-Shirt und maximal Jeans. Die ganz coolen haben nur kurze Hosen und FlipFlops an. Cretins.

“Mit dem Wetter hatte ich die ganze Zeit Glück. War immer schön warm, kein Regen”, sagt der junge Mann aus Aachen.
Ich ziehe den Reißverschluss der Regenjacke bis unters Kinn zu und streiche sorgfältig die Klettlasche mit dem Labyrinthverschluss darüber. Dann schlüpfe in die dicken, wasserdichten Handschuhe und zurre die Handgelenkriegel der Jacke über ihnen fest.

Der GSX-Fahrer schaut mir dabei zu und fragt dann:
“Meinste, es gibt heute noch Regen?”

“Ja”, sage ich, klappe den Helm zu, gebe Gas und fahre mit einem Blitzstart durch die Ausfahrt. Im Rückspiegel kann ich sehen, wie der junge Mann nachdenklich in den Himmel schaut.

Es geht tatsächlich um Minuten. Ich glaube nicht an mein Glück, aber FALLS ich schnell genug bin, schaffe ich es, genau vor der Regenfront aus Südwesten entlang zu fahren. Ich schaue nach links und sehe eine dunkle Front. Die Helmkamera ist nicht wasserdicht und deshalb im Topcase verstaut, aber die VIRB an der Seite des Motorrad hat auch was aufgefangen:

Viel zu schnell kommt das Regengebiet näher. Wie eine massive Wassersäule, die über die Landschaft gleitet. Ich kann schon sehen, wie es da runtermacht.

Vor ein paar Wochen hat Antonetta, die Fotografin aus Castelnuovo nel‘ Monti, so etwas fotografiert:

Das sah genauso aus, war aber kleiner als das dunkle Monster, das sich gerade nähert.

Als ich genau auf der Höhe der Säule bin, drehe ich den Kopf und sehe direkt hinein. Dort, wo das Wasser aus dem Himmel fällt, gibt es keine Landschaft mehr. Der Regen ist so dicht, dass man nicht mehr hindurchsehen kann. Kennt noch jemand “Die unendliche Geschichte”? Wo DAS NICHTS das Land Fantasién auffrisst? So sieht das hier aus. Wie ein blinder Fleck in der Welt.

Bei Sontra ziehe ich die Maschine von der Autobahn, schwenke auf eine Bundesstraße nach Norden und gebe Gas. Dabei sehe ich immer auf die Regenfront auf dem Wetterradar. Die scheint noch 10 Kilometer entfernt, das KÖNNTE klappen!

Es klappt nicht. Woran ich nicht gedacht habe: Das Wetterradar ist zwar in Echtzeit, aber auch das bedeutet eine Verzögerung von fünf oder zehn Minuten. Und die sind gerade entscheidend.

Vor dem Regen kommt der Sturm, und das wir es nicht geschafft haben, merke ich, als Sturmböen die Blätter von den Bäumen reißen und kleine Äste auf die Straße fallen. Dann wird es schlagrtig dunkel, so dunkel wir kurz vor der Nacht.

“Ich kann das fahren”, sage ich zur V-Strom, die so ein Wetter ja das erste Mal mitmacht, “Aber nur, wenn Du keine Zicken machst. Das wird gleich übel. Also bitte keine Scherze wie Wasser in irgendwelchen Steckern oder sowas, dann bringe ich uns hier durch”.

Dann setzt der Regen ein, und das hier ist keine Dusche. Das ist ein Wasserfall, in dem wir gerade langfahren. Ich sehe nur noch durch eine Schicht Wasser.

Das Wasser steht auf der Straße, und ich beglückwünsche mich dazu, dass ich die nagelneuen OEM-Reifen habe wegwerfen und die Metzler Tourance Next II aufziehen lassen. Die Metzler können solchen Regen handeln, das weiß ich.

“Achtung. Gefährlicher Straßenzustand“, meldet sich Anna. “Was Du nicht sagst”, knurre ich zurück.
Was machen jetzt wohl die T-Shirt-tragenden Harleyfahrer?. Bei dem Gedanken muss ich grimmig lächeln.

Autos fahren zur Vorsicht an den Straßenrand. Würde ich auch gerne, aber dafür brauche ich eine geeignete Stelle. Ich kann mich nicht einfach den Straßenrand stellen, und unter Bäume schon gar nicht.

Ich werde auch so schnell keine finden, denn vor mir fährt ein Milchlaster mit zehn, maximal zwanzig km/h. Sicher gut angepasste Geschwindigkeit, aber so komme ich hier nie weg und in Sicherheit. Ich brauche nicht lang zu überlegen – ich setze zum Überholen an. Bei den Wassergüssen klingt das bescheuert, aber ich weiß in dem Moment ganz genau was ich hier tue und dass das funktionieren wird.

Mit dem rollenden Hindernis aus dem Weg kann ich zumindest 50 fahren. So komme ich schneller in den nächsten Ort. Dort werde ich jetzt IRGEND etwas als Unterstand nehmen, und wenn ich auf ein Privatgrundstück in einen Carport fahre oder mich in das Portal einer Kirche stelle. Hauptsache raus aus dem Regen!

Ich spüre keine einzelnen Tropfen mehr. Wie eine Säule lastet der Regen auf meinen Schultern und spült über den Helm. Die Spitze der V-Strom sieht jetzt aus wie ein Bug, der durchs Wasser pflügt. Kurz muss ich an das Videospiel “Rogue” denken, wo es um Seeschlachten im Nordmeer ging. Bei Unwettern sah man auf dem Bildschirm genauso viel wie hier: Gischt umtostes Schiff in schwererer See. Mit dem Unterschied, dass man während des Spiels trocken auf der Couch saß. Das hier ist NASS.

Rein in den ersten Ort. Ich sehe mich um nach einem Carport oder sowas, und direkt auf den ersten Blick entdecke ich eine stillgelegte Werkstatt, die noch Reste eines Vordachs einer alten Zapfsäule hat, und daneben ist eine offene Garage. Besser geht´s nicht!

Dummerweise stehen in der großen Garage und unter dem Vordach die Kleinwagen eines Pflegedienstes so ungünstig, dass die V-Strom nicht wirklich darunter passt. Aber ich kann sie abstellen und mich in Sicherheit bringen!

Aus der Sicherheit des Unterstands beobachte ich den Regen. Die Straßen sind mittlerweile leer, kein Auto fährt mehr, alle haben irgendwo geparkt. Nur der Tankwagen, der zuckelt noch vorbei – aber erst Minuten später.

Die V-Strom tut mir leid. Sie steht immer noch unter dem Wasserfall. Ich steige wieder auf und zu meiner großen Freude springt der Motor ohne Zicken an. In der offenen Garage neben dem Vordach steht genau mittig ein Auto. Die V-Strom wird nur daneben passen, wenn ich drauf sitzen bleibe. Zum Abstellen ist kein Platz, links und rechts bleiben vielleicht ein paar Zentimeter. Vorsichtig manövriere ich die Maschine ins Trockene und achte darauf, nirgends mit den Koffern anzustoßen. In der Breite passt das, in der Länge nicht. Die letzten zwanzig Zentimeter des Hecks stehen draußen im Regen. Aber besser als nichts.

Zehn Minuten sitze ich auf der Maschine in der Garage. Dann sehe ich im Rückspiegel, wie es draußen wieder heller wird und der Regen langsam nachlässt. Weitere fünf Minuten später hat es ganz aufgehört, und die Autos, die auch auf das Grundstück der alten Tankstelle gefahren waren, starten die Motoren. Ich lasse die V-Strom rückwärts aus der Garage rollen und lasse ebenfalls den Motor an, dann checke ich das Regenradar. Da ist noch mehr im Anmarsch, eine zweite Regenfront kommt von Westen! Dann mal los jetzt!

“B 400 ist gesperrt. Wechsel zu neuer Route”, meldet sich Anna im Helm und rechnet in Windeseile einen Weg über die Dörfer. Noch 95 Kilometer Bundesstraße bis nach Hause. Ich treibe die V-Strom an und nehme sogar einen Blitzer mit, schaffe es aber erneut nicht, allen Regenfeldern davon zu fahren. Genau an der Stadtgrenze zu Götham regnet es wieder. Kein Starkregen, aber schon heftig.

Vor mir fährt eine Sportmaschine mit einem mörderbreiten Hinterreifen. Der Regenschutz darüber wurde entfernt und der Kennzeichenhalter verändert. Die Folge: Eine Regenfontäne steigt vom Hinterrads ungestört und senkrecht in die Höhe – genau den Rücken der Sozia hinauf, die in Leggings, Chucks und einem Kunstlederjäckchen nicht wirklich motorradtauglich gekleidet ist. Vor allem aber traut sich der Sportfahrer nicht mehr um Kurven herum – aufrecht und in Schrittgeschwindigkeit eiert er um die Kreuzungen.

Ich überhole ihn bei erster Gelegenheit, und zehn Minuten später steht die V-Strom endlich im Trockenen, in ihrer eigenen Garage.

Ich entriegele den Helm, stelle ihn auf die Werkbank und atme erst einmal tief durch.

Ich kann spüren, wie die Anspannung schlagartig abfällt. Das war nicht vergnügungssteuerpflichtig, denke ich, als von draußen ein heftiges Rauschen zu hören ist.

Ich lehne mich in den Rahmen des Garagentors und beobachte, wie ein dichter Wasservorhang dafür sorgt, dass die Dorfstraße zu einem Fluss wird.

Im Cockpit der V-Strom glüht noch Annas Regenradar. Ja, die rote Zone ist jetzt genau über uns.

Nun, für heute ist mir das egal.

Ich bin wieder zu Hause. Ihre erste weite Fahrt, immerhin 4.381 Kilometer, hat die V-Strom 800 grandios bewältigt. Tolles Motorrad, eine würdige Nachfolgerin der legendären Barocca.

In der einen Woche, die wir jetzt unterwegs waren, hat sie das volle Programm abbekommen. Heftiger Regen. Hitze mit über 40 Grad, ohne Fahrtwind. Nachts Kälte in den Bergen. Asphalt. Schotter. Kurz auch mal eine Staubpiste. Stadtverkehr. Autobahn. Immer hatte ich den Eindruck: Fährt sich super, ist zuverlässig, macht einfach Freude. Mit dem martialischen Sturzbügel und dem Zusatzrahmen mit dem Motorschutz scheint sie sogar noch für heftigere Dinge gerüstet zu sein. Ein toughes Maschinchen.

Der Regen pladdert und rauscht. Die Gullis gurgeln nicht mehr, die haben einfach aufgegeben. Das Wasser strömt nur noch darüber hinweg.

Achttausend Kilometer hat die V-Strom jetzt runter. Genug Zeit sie kennen zu lernen. Ich mag sie, und sie hat sich bewährt. Ich glaube, sie hat sich einen einen Namen verdient.

Während der Tour musste ich ja immer wieder an Raben denken. Vorhin, im stärksten Regen, fiel mir das Spiel “Rogue” ein. Das kleine, toughe Schiff, dass man darin befehligte, trug den Namen einer Frauenfigur aus der irischen Mythologie. Den einer schönen wie zähen und gefährlichen Frau, die gelegentlich in Form von schwarzen Vögeln auftauchte. In manchen Geschichten ist sie sogar die Königin der Raben. Ich mochte diese Figur und den Namen schon immer, und ich glaube, es ist der richtige für diese Maschine.

Nass ist sie schon, das reicht als Taufwasser. Ich lege zwei Finger über die Scheinwerfer und murmele feierlich “Ich taufe Dich auf den Namen… Morrigan“.

Eine Sache noch. Ich ziehe das Handy aus der Tasche und schreibe “Ich bin wohlbehalten zu Hause angekommen”.
Die Antwort erfolgt sofort.
“Cosa fai lì? Qui c’è bisogno di te! 🤣🤣” – Was willst Du dort? Du wirst hier gebraucht!
Ich muss grinsen. Buffona. Dann greife ich mir die Koffer und trage sie durch den Regen ins Haus.

Schade, dass die kurze Pause schon vorbei ist. Eine Arbeitswoche war ich weg, morgen geht es einfach nahtlos weiter wie vorher.
Obwohl, nicht ganz.

Auch wenn das hier kein richtiger Urlaub war und keine richtige Reise… die paar Tage unterwegs, mit dem Motorrad, mit Zeit für mich, bei lieben Menschen – das hat mit wieder Energie gegeben.

Vielleicht genug, damit ich den Rest des Jahres durchstehe. Und vielleicht genug, damit ich jetzt endlich mal Dinge in Angriff nehme, die lange überfällig sind – der Umzug des Blogs etwa. Der liegt schon seit einem Jahr, weil ich einfach nicht die Kraft aufgebracht habe, das jetzt mal zu machen.

Ja, vielleicht habe ich in den vergangenen Tagen Energie für all das gesammelt, was 2024 noch so auf Lager hat.

Tour des Tages: Von Bayern nach Deutschland, 627km.

Die gesamte Tour: 4.381 km, insgesamt 10 Tage.

Alle Tage der Motorradpause im Überblick:

8 Gedanken zu „Kein Reisetagebuch (8): Nicht Vergnügungssteuerpflichtig

  1. Mensch, das kommt ja so vor, als wäre es vor 2 Wochen gewesen. 😉
    Ich bin auch durch den Felbertauerntunnel gefahren. Ja, bei der Planung wurde das nicht als mautpflichtig berücksichtigt. Ich hatte aber vorsorglich für den Tag durch Österreich elektronisch eine Vignette gekauft, für den Fall, dass es mich zufällig auf die Autobahn verschlagen hätte, sicher ist sicher.

    Spannend, dass die V-Strom bei höheren Geschwindigkeiten mit Koffern so reagiert. Ich merke da bei meiner Africa Twin nichts, aber die Koffer stehen da auch nicht so raus. Hattr auch mit der Sevenfifty nicht das Problem. Aber ich fahre auch nur selten schneller.

  2. Ich werde mein Samstamorgenlesevergnügenritual vermissen :sad
    Das kommt grundsätzlich noch vor der Tageszeitung!
    Der gute Strart ins WE ist mit dem Ende der Reise leider wieder dahin…

    Ich finde ja, du solltest mehr Urlaub machen 🙂
    …und dann nicht nur im Vorbeifahren gedanklich winken!!!!!!!!!!!

    1. Ich glaube da nicht dran 😊 Ich halte das für ziemlichen Voodoo, zumindest bei der V-Strom. Die Einstellung ist fast bis auf Anschlag hochgekurbelt, weil das Federbein hinten eh zu weich ist. Da mache ich dann auch so gut wie nie was dran. Ich würde da jetzt wegen diesen Falls auch nicht nach anderen Ursachen suchen. Mit Koffern, die ungleichmäßig beladen sind und von denen der rechte einen halben Meter weiter absteht als der linke, fährt man einfach nicht 190 😂

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