Momentaufnahme: September 2024
Herr Silencer im September 2024
“Mache ich, wenn die Zeit dafür gekommen ist!”
Wetter: Anfang des Monats sommerlich heiß mit 25 bis 30 Grad, dann stürzen die Temperaturen auf tagsüber 15 und nachts einstellig. Gebietsweise viel Regen – in Osteuropa so viel und so schlimme Überschwemmungen wie noch nie. Monatsende winterlich kühl bei 6 Grad.
Lesen:
Petra Reski: All´Italiana: Wie ich versuchte, Italienerin zu werden
Italienische Staatsbürgerin werden oder nicht? Diese persönliche Frage der venezianischen Journalistin Petra Reski bildet die Rahmung für einen Streifzug durch die Zeit. Der ist manchmal persönlich und erzählt von ihrer Ankunft, Sozialisierung und Arbeit in Italien, begleitet aber auch die die politischen Geschehnisse des Landes von den 1990ern bis heute: Die Mafiamorde an Borsellino und Falcone, erinnerungswürdige Interviews und immer wieder der Würgegriff von Berlusconi sind chronologisch aufbereitet und erlauben tiefe (und zum Glück wertende!) Einblicke in ein Italien, das so in der deutschen Wahrnehmung selten stattfindet.
Hier wird kein “Bella Italia” verklärt oder “Azurro”-vernebelten Wohlfühlanekdoten nachgehangen. Reski findet im Schlimmen immer noch das Schlimmere, resigniert erstaunlicherweise aber nie. Auch dann nicht, als deutsche Gerichte die Zensur ihres Buchs über Mafia in Deutschland anordnen.
Faszinierend, toll geschrieben, kurzweilig und: Zu kurz.
Hören:
Sehen:
Wolfs [2024, Apple TV+]
George Clooney beseitigt Probleme und Hinterlassenschaften anderer Leute. Schnell, diskret, keine Fragen. Niemand tut und kann, was er tut – denkt er. Bis eines Nachts Brad Pitt im Türrahmen steht und den gleichen Auftrag hat wie Clooney: Eine Leiche verschwinden lassen.
Überraschender wie stylisher Thriller, der sich und seine Protagonisten nicht ganz ernst nimmt. Regisseur und Drehbuchautor John Watts weiß ganz genau, was seine Stars können und was er von ihnen will, und Clooney und Pitt liefern. Immer wieder findet hier Kommunikation nur über Blicke oder bedeutungsschwangeres Schweigen statt. Die Verdichtung der Handlung auf eine Nacht in einem winterlichen, Max-Payne-artigen New York ist ein hervorragender Kniff. Spannender und ungemein cooler Film, und der erste, der mich allein durch eine Kameraeinstellung zum Lachen brachte.
John Sugar [2024, Apple TV+]
Colin Farrell ist ein knallharter Privatdetektiv in Los Angeles. Sein Auftrag: Eine entführte Millionenerbin finden.
Neo-Film Noir in modernem Setting, mit einem Colin Farrell, der mal wieder cool sein darf und nicht die ganze Zeit guckt, als hätte er Verstopfung? Count me in, ich LIEBE Film Noir. Von “John Sugar” allerdings fühle ich mich betrogen. Unique Selling Point beim Pitch war wohl ein Genremix, und dass….
SPOILER!
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…die Geschichte kurz vor Schluss darin abgleitet, dass John Sugar und seine Partner allesamt Außerirdische vom Planeten Pups sind und nur nach Hause wollen Das ist eine lustlose wie merkwürdige Auflösung.
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Spoilerende!
In der Summe: Bis Folge sechs verworren erzählte Geschichte, die kurz vor knapp mit einem Deus Ex Machina-Moment aufgelöst wird, der so herbeihalluziniert wirkt als hätte eine KI nicht nur der Vorspann gemacht, sondern auch das Drehbuch geschrieben. Bäh.
Stranger than Fiction [2006, BluRay]
Will Ferell ist kleiner Beamter beim Finanzamt. Er lebt allein, in einem geordneten, sich stets wiederholenden Leben. Das wird durcheinandergebracht, als er eines Tages eine Stimme hört, die jede seiner Handlungen beschreibt und sogar seine Gedanken ausspricht. In seiner Not wendet er sich an Literaturprofesssor Dustin Hoffmann, der zu dem Schluss kommt: Ferrell ist eine literarische Figur. Jetzt muss er nur noch den Autor finden, der seine Geschichte schreibt.
Netter kleiner Film, der nicht überraschend ist, aber zum Ende hin mit einem tollen Dilemma aufwartet. Ich mag Will Ferrell eigentlich nicht, aber hier spielt er ernst und überzeugend. Der Rest des Casts ist großartig: Magie Gyllenhaal ist fantastisch und Dustin Hoffman liebt seinen knarzigen Professor. Nur Emma Thompson overacted ins schwer erträgliche, aber nun.
Spielen:
Thank Goodness you´re here![2024, Switch]
Ein viel zu kleiner Handlungsreisender kommt in eine kleine Stadt und muss für die Bewohner zahlreiche Aufgaben erledigen.
Trailer:
Skurriles, kleines Game mit abwechslungsreichen Minispielchen. Teils sehr lustig, manchmal ärgerlich, weil man stundenlang die Wimmelbilder auf der Suche nach der nächsten Aufgabe absuchen muss.
Star Wars Outlaws [2024, PS5]
Vor “A New Hope”: Kay Vess ist eine junge Hackerin und Diebin. Sie träumt vom Coup und einem eigenen Schiff, um endlich ihren Heimatplaneten verlassen zu können. Tatsächlich bekommt sie die Gelegenheit zu einem großen Bruch, aber der geht schief und sie flüchtet in einem Privatraumschiff des Verbrecherkönigs, den sie ausrauben sollte. Jetzt hat sie zwar ein Schiff, aber dafür Kopfgeldjäger am Hacken und jede Menge anderer Probleme. Bleibt nur: Eine kriminelle Karriere als Outlaw einschlagen und Jobs in den heruntergekommensten Kaschemmen des Outer Rim annehmen.
Auf dem Papier ein interessantes Ding: Ein Star Wars Game mit einer Open World, aber ohne Jedi. Spieltechnisch hat UbiSoft hier ein Assassins Creed im Weltraum gebaut, mit starkem Stealth-Anteil.
Zum Release erschien das Game leider sehr buggy. Figuren glitschen durch Wände, Speicherpunkte sind absurd weit auseinander, Kletterpassagen manchmal Glücksspiel. Ein halbes Jahr Polish hätte dem Spiel gut getan, um zumindest diese Unschönheiten zu beseitigen.
Das hätte freilich nichts an den Gameplay- und Storyschwächen geändert. Der Start ist erzählerisch äußerst schwach und zieht sich ewig hin. Ich kann jeden verstehen, der nicht über den Prolog hinauskommt – das Spiel präsentiert sich zum Einstieg als so langweilig, dass man sich fragt, warum man seine Zeit damit verbringen soll. Zumal es oft nicht hübsch ist: Unbewegliche Holzgesichter und teils steife Animationen lassen einen unweigerlich fragen, warum Ubisoft selbst mit der neuen SnowDrop-Engine überhaupt keinen Wert auf sowas legt.
Wenn die Story losgeht wird es zwar besser, aber dann schlägt auch die Open World mit all ihren Schattenseite zu: Kay wird mit Aufträgen derart vollgeschissen, das es nicht mehr lustig ist. Es gibt drei Verbrechersyndikate, und wenn man für ein Syndikat arbeitet, werden die anderen Fraktionen sauer. Um alle bei Laune zu halten, muss man sich in Such- und Fetch-Quests den Arsch abzuarbeiten.
Dabei ist keine der Aufgaben in “Outlaws” einfach. Selbst für eine simple Aufrüstung des Blasters muss man halb Tatooine absuchen, bis man endlich einen (ständig den Standort wechselnden) Java findet, für den man dann wieder eine halbe Stunde irgendwelchen Blödsinn machen muss, bis man endlich das das benötigte Teil aus ihm rausschütteln kann.
Was das Gefühl des “Ich spiele hier nicht, das ist ARBEIT” angeht, sind die Hauptmissionen allein schon schlimm genug: Die Questketten sind zwar meist nett gemacht und gut geschrieben, aber VIEL zu lang.
Beispiel: Kay braucht einen Mechaniker. Um den zu bekommen, müssen wir:
– auf einen Planeten fliegen,
– eine Stadt erkunden,
– 10 Minuten im Dschungel nach dem richtigen Weg suchen,
– in eine imperiale Basis einbrechen,
– ein Rätsel lösen,
– den Mechaniker brefreien,
– wieder 10 Minuten durch den Wald fahren,
– eine Info suchen und finden,
– 10 Minuten durch den Wald fahren,
– einen Schrotthändler suchen und befreien,
– 10 Minuten über einen See fahren,
– des Schrotthändlers Schrott finden,
– 5 Minuten den Schrott des Schrotthändlers verfolgen, der von fliegenden Schrotthändlerschrottdieben geklaut wurde,
– in ein Syndikatscamp einbrechen,
– 10 Minuten über einen See fahren,
– in eine imperiale Basis einbrechen,
– ein Rätsel lösen,
– ein Feuergefecht überstehen
…und SCHON ist der Mechaniker bei uns. Easy, oder?
Das ist leider ein Muster. Nichts in “Outlaws” ist einfach, immer kommt noch mehr um die Ecke geschissen. Dadurch stellt sich auch kein “Ach, nur noch eine Mission”-Gefühl ein, weil an jedem vermeintlich kleinen Ding ein stundenlanger Rattenschwanz hängt. Keine Quest ist kurz und auf den Punkt, alles ist endlos kompliziert und dauert viel zu lange.
Ja, das fühlt sich so nach Arbeit an, wie es klingt. Oder man ignoriert den ganzen Bumms und die Fertigkeitenbäume und die Schiffs- und Speeder- und Ausrüstungsbäume und konzentriert sich nur auf die Hauptgeschichte. Das geht nämlich. Der Preis dafür: In der Endmission hat man es deutlich schwerer, und ohne eine Syndikatsbindung rutscht man in ein recht generisches oder sogar schlechtes Ende. Das sagt einem das Spiel aber nicht! Wüsste man, WARUM man endlos Zeit in die Aufrüstung von Schiff, Blaster und Syndikatquerelen stecken sollte, wäre das ja OK. So aber begreift man nicht, warum man abseits der Hauptstory überhaupt irgend etwas machen sollte.
Wenn wenigstens das Gameplay knackig wäre und Spaß machen würde! Das tut es aber nicht: Die Fahrzeuge, allen voran der Speeder, steuern sich schrecklich. Kletterpassagen sind unpräzise. Shooterpassagen funktionieren nur mäßig, weil das Deckungssystem schlecht ist und die Medipacks ewig brauchen um auszulösen (was man aufleveln kann, wenn man genug Javas schüttelt, aber auch das muss man sich erarbeiten). Der Controller ist so schlimm belegt, dass die Spielfigur statt zu laufen häufig mitten im Feuergefecht anfängt zu schleichen. Die Levelarchitektur ist so verwirrend, das ich des Öfteren auf Youtube gucken musste, wo der Ausgang aus einem Raum ist. Und die Schleichpassagen sind repetitiv, zu häufig und bei etlichen Missionen muss man ganz von vorn anfangen, wenn kurz vor Levelende ein Alarm ausgelöst wurde. Im Gamedesign aus der Hölle stecken sogar noch Eskortmissionen, was mich laut “Wollt ihr mich hier eigentlich verarschen??” rufen ließ.
Also alles schlimm? Erstaunlicherweise hatte ich doch ein wenig Spaß mit “Outlaws”. Die Umgebungen, Planeten, Städte und Raumschiffe sind toll designed und vermitteln echtes Star Wars-Flair. Endlich mal kein Jedi zu sein ist cool, Kay und die anderen Figuren (übrigens fast allesamt weiblich, egal welcher Spezies) sind interessant gestaltet, auch wenn sie wenig Charakter haben und keine Entwicklung durchmachen.
Nix, das fluffige Haustier, das aussieht wie eine Miniausgabe von Toothless aus “How to tame a Dragon”, ist nicht nur niedlich, das kleine Viech kann Wachen ablenken, Dinge stehlen und Kabel durchbeißen und so Explosionen auslösen. Das ist nett und macht Spaß. Und gegen Ende, auf die letzten zwei von 27 Stunden, wird sogar die Geschichte ganz gut.
In der Summe ist “Outlaws” ein extremer mixed Bag. Manche Systeme sind völlig overengineered, wie die Abendessen mit Haustier Nix, andere liegen in Trümmern, wie das Speederbike-Fahren. Überall blitzen feine Ideen durch, wie die, dass man Dinge von Personen lernt, die man trifft – eine nette, wenn auch mühselige Variante der Skilltrees. Wenn nur die Arbeit in der Open World nicht wäre! Ich behaupte mal: Ohne dieses ganze offene Gedöns und als lineares Spiel a la “Uncharted” hätte “Outlaws” besser funktioniert. So schimmert an vielen Stellen das Potential durch, was dieses Game hätte sein können und sollen – aber alles ist erstickt in Open-World-Beliebigkeit und roh wegen des fehlenden Polishings.
Alles kein gutes Zeichen für “Assassins Creed Shadows”. Aber das wurde auch gerade um vier Monate verschoben, lt. Ubisoft wegen der “Learnings aus dem Start von Outlaws”. Der hatte tatsächlich die Ubisoft-Aktie abstürzen lassen.
Machen:
Arbeiten, lang und schmutzig
ein letztes Mal DAS HAUS betreten
Neues Spielzeug:
Ding des Monats: