Reisetagebuch Japan (9): OH LOOK! THAT`S AMAZING!! AND SOOOOO TASTY!!!

Reisetagebuch Japan (9): OH LOOK! THAT`S AMAZING!! AND SOOOOO TASTY!!!

Das Reisetagebuch durch Japan. Heute gibt es eine Fahrt mit dem Excellent Express 3000 und ich treffe den Fächermeister.

Sonntag, 13. Oktober 2024, Hakone
Rundum sind grüne Wälder, ein Fluß plätschert in Hörweite, die Sonne geht gerade auf und vor dem Fenster zwitschern sogar Vögelchen. Ist geradezu kariesverursachend malerisch hier. Kein Wunder, dass Hakone der Sehnsuchtsort für die Großstädter ist.

Das Hotel bietet auch Frühstück an. Ich bekomme ein Tablett serviert, auf dem für jeden Geschmack etwas zu finden ist. Neben einem kleinen Salat liegen Würstchen und Speck, dazu Pudding und Vanillesauce und dazu ein winziges Brötchen und ein Stück dicken Toast. Sieht etwas wild zusammengewürfelt aus, aber zumindest ist für jeden Geschmack etwas dabei. Dazu gibt es Kaffee. Mein erster Kaffee seit elf Tagen!

Ich beeile mich mit dem Frühstück. Zum einen, weil der Tag heute wieder lang wird und ich früh aufbrechen will. Zum anderen will ich von der Gruppe Franzosen weg, die unmittelbar nach mir das Café des Hotels betreten hat. Jetzt sitzen sie an der langen Tafel und plappern in Lautsprecherlautstärke durcheinander. Wirklich, an die Ruhe der Japaner habe ich mich so schnell gewöhnt, dass mir die Lautstärke der Europäer unangenehm und peinlich ist.

Bei strahlendem Sonnenschein und 20 Grad wandere am Fluss entlang und durch die Straßen von Hakone in Richtung Bahnhof. Die Morgensonne hat sich gerade über die Berge geschoben, und der Fluss glitzert im hellen Licht.

Der nächste Zug geht um 08:39 Uhr, aber der fährt mir vor der Nase weg, als ich den Bahnhof von Hakone betrete. Ich sehe auf die Uhr: 8:38 Uhr und 53 Sekunden – selbst schuld, in Japan ist halt selbst die Lokalbahn pünktlich. Macht aber nichts, ich wollte eh´ erst den nächsten Zug nehmen und war lediglich zu früh dran. Nur halt nicht früh genug für den Vorgängerzug.

Mein Zug ist ein EXE – Excellent Express 3000!!!


Nach einer Viertelstunde kommt der Lokalzug in Odawara an. Der Bahnhof ist eigentlich nicht supergroß, allerdings, muss ich jetzt feststellen, groß genug um zwei JR-Gates zu den Fernreisezügen, zu haben und ich stehe natürlich zuerst vor dem verkehrten.

Es dauert ein bisschen, bis ich das richtige gefunden hab. Zum Glück bin ich früh genug da, und ebenfalls zum Glück sind jetzt noch keine Menschenmassen unterwegs. Nachdem ich das richtige Gate gefunden habe, ist das richtige Gleis ein Klacks. Dass hier viele Touris durchkommen, ist auch an den Durchsagen zu merken, die hauptsächlich auf Englisch erfolgen und in erster Linie darauf hinweisen, dass man nicht in jeden x-beliebigen Zug einsteigen soll, sondern nur in den, den man auch gebucht hat. 🤡

Die Warnungen sind durchaus berechtigt, merke ich bald, denn vom Ferngleis fahren die Züge teils im Minutentakt ab. Mein Zug nach Kyoto fährt um 10:07 Uhr, nur zwei Minuten vorher hält am selben Gleis aber ein anderer Shinkansen, der ganz woanders hin fährt. Da muss man schon genau auf die Uhr und die Anzeigen achten, um nicht im verkehrten Zug zu landen. Anscheinend ist das schon öfter passiert. NIcht nur jedes Schild, auch jede Durchsage hat eine Geschichte.

Ich besteige den Zug und finde auf Anhieb meinen reservierten Platz. Vor der Landschaft sehe ich leider nicht allzu viel, der Typ neben mir den Fensterplatz und leider möchte er schlafen und hat die Jalousie runter gemacht. Erst als er aussteigt, kann ich sehen wie die Landschaft vorbeifliegt.

Es ist schon ein Erlebnis, bei über 300 km/h in einem Pissoir zu stehen, zumal die Tür ein Fenster hat, und jeder sehen kann, wie man darin herum schwankt und wackelt.

Um 12:12 Uhr komme ich in Kyoto an. Der Bahnhof hier ist gigantisch groß, allein die Haupthalle ist zig Etagen hoch. Plattformen und Räume hängen wie Schwalbennester in der riesigen Konstruktion.

Gerne würde ich meinen Rucksack anschließen, aber das ist wieder gar nicht so einfach. Zwar hat der Bahnhof sehr viele Räume mit Münzschließfächern, aber alle sind belegt. Nach einiger Suche warte ich vor einem der Münzräume und folge dann einer Familie, die ohne Taschen hineingeht. Tatsächlich, die räumen ein großes Schließfach, und ich kann es übernehmen. Unter den neidischen Blicken von Leuten, die schon länger suchen und planlos durch die Coin Locker Räume zirkulieren, stecke ich meinen Rucksack in das Fach und verriegle es mit meiner Suica-Karte.

Dann mache ich mich auf den Weg und laufe durch Kyoto herum. Ganz grob in Richtung eines Marktes, von dem ich gehört habe, dass er nett sein soll. In den schmalen Straße gibt es immer mal wieder interessante Geschäfte, z.B. eines für gebrauchte Kimonos.

Oder das hier: Ein Fachgeschäft für Fächer!

Kunstvolle Handfächer sind im Schaufenster ausgestellt. Meine Güte, sind die schön.

Irgendwie zieht es mich in den Laden. In Regalen und Vitrinen sind Hunderte von Fächern ausgestellt, einer schöner als der andere.

Der Ladenbesitzer hält Abstand und nickt freundlich, als ich zu ihm hinübersehe. “Made by hand”, sagt er. Ich schreite langsam durch die endlose Ausstellung und bewundere die Muster, die Farben und die Motive dieser Kleinode. Diese Fächer sind kleine Kunstwerke und wirklich einfach schön.

Meine mangelnde Impulskontrolle will unbedingt einen mitnehmen. Aber was soll ich mit einem Fächer? Dann fällt es mir ein: Der muss ja nicht für mich sein! Ich könnte einen verschenken! Ein kleiner, leichter Fächer findet selbst im Handgepäck Platz, und das wäre doch ein schönes Mitbringsel für einen lieben Menschen.

Kurzentschlossen kaufe einen Fächer und sehe dabei zu, wie der Fächermeister ihn kunstvoll verpackt. Was mir wieder auffällt: In Japan verpackt man praktisch ohne Klebeband, nur durch geschicktes Falten werden Dinge eingepackt. So geht das:

Dann laufe ich weiter durch die Straßen von Kyoto. Der Nishiki-Markt ist ein langer, überdachter Straßenzug. In jedem Reiseführer und Video über Kyoto kommt er vor, und dementsprechend ist er völlig überlaufen.

Es ist wirklich ein ganz schlimmes Gedränge. Vereinzelt rufen Ordnungskräfte auf Englisch, dass man nicht an den Buden stehenbleiben und etwas essen, sondern sich entweder reinsetzen oder weitergehen soll.

An den meisten Buden weisen Schilder daraufhin, dass das Personal nicht fotografiert oder gefilmt werden will. Natürlich fotografieren und filmen die Touristen trotzdem und blockieren damit die enge Passage noch effizienter als durch bloßes Dinge-angucken-und-rumtröten.

Rumtröten tun vor allen Dingen von amerikanischen Touristen, die allein schon durch ihre Lautstärke auffallen und natürlich durch die Sinnlosigkeit ihres Gebrabbels. Manche müssen alles aussprechen, was ihnen durch den Kopf geht, und das scheint bei manchen so viel nicht zu sein.

Am meisten häufigsten posaunen sie in die Welt hinaus, was sie gerade sehen. Als ob die Informationen in die Augen reingehen und direkt aus dem Mund herausfallen, ohne einen Umweg über das Hirn zu machen.
“THAT´S CHICKEN!”
“THERE ARE SO MANY PEOPLE HERE!!”
“WOW!! THEY ARE SELLING APPLES!!”
“LOOK AT THAT! THAT´S SOAP!!”
“UNBELIEVABLE, THIS IS FRIED FISH!!” – nee, ist es nicht. Das sind Garnelen, du Honk.

Ich merke, wie mit jeder Minute in dieser brabbelnden Menge mein Menschenhass steigt. Ich möchte eigentlich nur noch hier weg und am liebsten alle aus dem Weg schubsen, als plötzlich jemand an meinem Arm zieht und dann volle Kanne brüllt:
“OH LOOK! THAT`S AMAZING!! AND SOOOOO TASTY!!!”

Eine mollige Frau Anfang 30 in rosa Leggings stiert eine Auslage mit Snacks an, während sie an frittiertem-Irgendwas-am-Spieß-nagt und gleichzeitig an mit herumzuppelt und vor sich hinbrüllt. Sie verwechselt mich offenbar mit ihrem Begleiter, den sie an ihrer Seite wähnt, der aber irgendwo in der Menge verschütt gegangen sein muss.
“OH REALLY?!”, brülle ich zurück.
Sie sieht mich zum ersten Mal an, lässt schnell meinen Arm los und murmelt “Eh, Sorry”.

“IS IT TASTY??”, will ich lautstark wissen und deute auf ihre frittierte Ratte-am-Spieß oder was das da ist.
Sie sieht mich irritiert an.
“´CAUSE IT LOOKS AMAZING!!!”, brülle ich. “IS IT AMAZING AND TASTY? OR JUST AMAZING?”
Sie sieht mich mit aufgerissenen Augen an, weicht zurück, dreht sich um und flüchtet entgegen der Richtung, in die die Menschenmasse schiebt, was zu ganz eigenen Problemen führt.
“BUT IS IT TASTY???”, rufe ich ihr hinterher und rudere dabei mit den Armen, “AND AMAZING?!?”.

Abseits der Hauptpassage, wo viel zum Essen angeboten wird, von frittiertem Irgendwas bis zu aufgeschnittenen und gekühlten Äpfeln, gibt es kleine Tinnef-Läden. Eine Deutsche betreibt hier einen Laden für Bento-Boxen und Ghibli-Figuren. Überhaupt: Es finden sich hier wieder viele Läden mit deutschen Namen.

Ich finde das ja eh witzig. In Japan mag man deutsche Worte, und in manchen Disziplinen ist deutsch sogar Pflicht. Als Japan nach jahrhundertlanger Isolation im Eiltempo wieder Anschluss an die Welt bekommen wollte, holte man sich Experten aus der ganzen Welt und übernahm ganze Systeme aus anderen Ländern. Von Deutschland übernahm man die Verwaltung (was erklärt, warum Japan bei der Verwaltungsmodernisierung und Digitalisierung ähnlich zurückliegt wie Deutschland) und das Medizinsystem inkl. Ausbildung. Ähnlich wie bei uns Ärzte bis heute Latein lernen müssen, müssen Medizinstudenten in Japan bis heute Deutsch lernen.

Nach einer Stunde im Geschiebe des Nishiki-Marktes trete ich den Rückweg an. Unterwegs finde ich ein Schulmuseum. Hier kann man sich ansehen, wie typische japanische Klassenräume ausgesehen haben und wie sich das Schulessen im Laufe der Zeit verändert hat.

Im Bahnhof entdecke ich den Skyway, ein langer Gang, der unter dem Dach der großen Bahnhofshalle entlangführt und eine tolle Aussicht ermöglicht. An einem Ende ist ein großer Raum mit zahlreichen Restaurants (vor denen schon wieder Schlange gestanden wird), dahinter ist eine Dachterrasse mit einem Garten.

Dort genieße ich ein wenig die untergehende Sonne, bis ich mich auf den Weg mache, um den Rucksack zu befreien.

Das Hotel “Excellence” ist ganz in der Nähe des Bahnhofs und schnell gefunden. Es ist wieder ein kleines Businesshotel – günstig, rund 40 Euro pro Nacht, dafür klein und recht spartanisch. Eigentlich ist mein Zimmer schon bezahlt, ich muss aber tatsächlich nochmal Geld einwerfen: Für drei Übernachtungen will die Stadt Kyoto noch 600 ¥ Übernachtungssteuer haben. Sollen sie. Die Stadt ächzt unter der schieren Anzahl an Touristen, dann soll sie auch was davon haben.

Im Zimmer steige ich unter die Dusche, denn auch wenn ich nicht viel getan habe außer zu wandern, so bin ich doch schon wieder von oben bis unten durchgeschwitzt. Es ist hier immer noch so heiß wie bei uns im Hochsommer, und in der Stadt hat man quasi sofort das am Körper, was ich “römische Patina” nenne: Staub, Schweiß und Abgase kleben einem auf der Haut.

Nachdem ich sauber bin, lasse ich den Boden der kleinen Sitzbadewanne – die es hier überall statt Duschwannen gibt – voll Wasser laufen und wasche die Klamotten durch, die ich bisher getragen habe.

Businesshotels haben ausziehbare Wäscheleinen im Badezimmer, die an der Wand gegenüber eingehakt werden können. Sehr praktisch! Darüber hänge ich die gewaschenen Sachen und schalte die Lüftung auf volle Pulle.

Dann mache ich mich wieder auf den Weg und strolche weiter durch Kyoto.

Auf dem Weg komme ich an viel Polizei vorbei. Die Polizeipräsenz ist wirklich massiv. Alle paar Meter stehen Polizeiposten in Helm und schutzsicheren Westen. Vor dem Bahnhof findet wohl irgendeine Kundgebung statt. Ruhiger ist es in den kleinen Wohnvierteln, in die ich schnell abbiege. Herrlich, einfach durch die Gegend stromern, in einer, mit 25° immer noch sehr warmen, Sommernacht.

Ha, da ist das Hotel, in dem ich vor fünf Jahren krank herumlag.

Schöne Autos fahren die hier.

Ich wandere immer noch durch die Wohnviertel mit den kleinen Häusern als die Sonne untergeht und es Nacht wird. Ich mag das ja, durch eine Stadt zu laufen und zu spüren, wie ihr Puls langsamer wird, wie sich alles ein wenig entspannt und dann zur Ruhe kommt. Die Tagestouristen verschwinden, die Hektik weicht, die Bürgersteige werden hochgeklappt und irgendwann ist man allein mit sich und der Stadt, die jetzt Zeit zum Durchatmen hat.

Am Straßenrand stehen mit Wasser gefüllte Eimer. Aber warum?

Ah! Brandschutz!

Wieder was gelernt. Und noch etwas fällt mir auf: Zu Beginn der Tour hatte ich immer mal wieder leichte Rückenschmerzen, wenn ich viel gelaufen bin. Wohl das Tribut an die jahrelange Schreibtischhockerei. Aber jetzt ist alles in Ordnung – selbst nachdem ich heute 18 Kilometer gelaufen bin: Nicht das kleinste Bißchen Zwacken, und ich fühle ich mich nicht mal richtig müde.

Tour des Tages: Von Hakone nach Kyoto. Bahnstrecke ungefähr 400 Kilometer in rund drei Stunden, zu Fuß 18 Kilometer.

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8 Gedanken zu „Reisetagebuch Japan (9): OH LOOK! THAT`S AMAZING!! AND SOOOOO TASTY!!!

  1. Klasse Reisebericht, ich fiebere jeder neuen Episode entgegen.
    Was mich ja immer wundert, Japan, das High Tech Land schlechthin … und wenn man dann auf deinen Bildern die Stromkabel sieht… Meine Herren, als ob da jeder seine Strippe zieht, wie er sie gerade braucht.
    Ansonsten ziehe ich meinen Hut, wäre glaube ich nichts für mich, Japan, so auf “eigene Faust”.
    Danke, fürs mitnehmen und, bald beginnt die Saison 😉
    VG Falk

      1. Würde ich unterschreiben. Unser Bild ist geprägt von (alten) Dokus in denen Japan als High Tech-Land mit abgefahrener Architektur und einer großen Technikliebe dargestellt wird, jedenfalls geht mir das so. Als ich als junger Mensch diese Filme (in den 90ern) gesehen habe, waren die aber auch schon alt, stammten eben teilweise aus den 80ern. Damals passierte wirklich viel und die Technikliebe ist schon da – seit den 90ern ist aber nicht mehr viel passiert. Wenn man jetzt Bilder aus Japan sieht, sind das oft Strukturen aus der Zeit, es gibt kaum Neueres (anders als in Süd Korea oder China, die inzwischen die Rolle eingenommen haben wie das Japan meiner Jugend).
        Immerhin würde ich sagen, ist Japan besser gealtert als Deutschland. Die Infrastruktur ist oft alt, aber wirkt zumindest sehr gepflegt und organisiert. Da bröselt nicht so viel, auf Züge ist Verlass.

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