Reisetagebuch Japan (12): Lufthafen

Reisetagebuch Japan (12): Lufthafen

Reisetagebuch Japan. Heute mit beeindruckend vielen Umstiegen und der Erkenntnis: Das ist nicht Genua.

Mittwoch, 16. Oktober 2024, Kyoto
Ich liege schon lange wach und starre die Zimmerdecke an, als ich um 7:15 Uhr endlich aufstehe. Noch kurz eines dieser seltsamen Erdbeerpäckchen über einem Toast ausgewrungen, dann geht es auch schon wieder zum Bahnhof.

Der Zug geht erst in einer Stunde und bis zum Bahnhof sind es nur fünf Minuten zu Fuß, aber da der Bahnhof von Kyoto so riesig ist, möchte ich ausreichend Zeit haben um in Ruhe mein Gleis zu finden. Zeit haben ist schön, zumal der Rest des Tages hektisch werden wird – heute muss ich insgesamt fünf Mal umsteigen. Was auch erklärt, weshalb ich die vergangenen Tage in jeder Stadt und jeden Tag in Reisezentren war und Zugreservierungen geholt habe.

Die erste Fahrt ist nur 17 Minuten lang, und in dieser kurzen Zeit macht der Shinkansen den Sprung von Kyoto nach Osaka. Dann heißt es eine halbe Stunde warten. Die Zeit nutze ich, um mir im Reisezentrum noch mal zwei neue Reservierungen zu holen – auf der Rückfahrt werde ich wieder sechs Mal umsteigen müssen.

Mit dem Shinkansen mit dem schönen Namen Sakura, dem “Kirschblütenexpress”, geht es dann weiter nach Westen. Der Zug ist etwas in die Jahre gekommen, die Sitze haben ein wenig was von Ommas Sofa.

Ach guck, seit 1975 gibt es den Shinkansen (auf der San’yo Line zwischen Osaka und Hakata, Danke, Snoeksen)? War ein guter Jahrgang. Bin ich auch.

Drei Stunden dauert die Fahrt, bis der Zug in Shin-Tosu ankommt, einem Ort, von dem die meisten Menschen außerhalb von Shin-Tosu noch nie etwas gehört haben. Hier beträgt die Umsteigezeit nur kappe sieben Minuten, und in der Zeit muss man einmal quer durch den Bahnhof. Zum Glück ist der nicht besonders groß, und da der Shinkansen (natürlich) bis auf die Minute pünktlich ist, klappt der Umstieg in den Lokalexpress auch.

Die Landschaft, die draußen vorbei zieht, ist nun nicht mehr durch Städte geprägt. Es sind weite Felder, in denen nur ab und an kleine Siedlungen und Dörfer zu sehen sind. Das Wetter ist anders geworden. War es heute morgen noch bedeckt, scheint nun die Sonne aus allen Knopflöchern.

Oh witzig, es gibt einen Ort der “Huis ten Bosch” heißt. Das klingt nicht durch Zufall wie der Sitz der Niederländischen Königsfamilie, sondern ist wohl ein Vergnügungspark, der die Niederlande nachbildet. Warum hier den Niederländer gehuldigt wird? Weil in der Gegend schon 1602 der erste Handelsposten von denen eröffnet wurde, und der Vergnügungspark gilt als Symbol der historischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern.

Nachdem der Park schon einmal Pleite gegangen ist, wurde er 2010 wiedereröffnet und erfuhr fünf Jahre später internationale Beachtung, weil dort das erste Hotel eröffnet wurde, dessen Personal nur aus Robotern bestand. Das macht sich gut in einer Newsmeldung a la “Guck mal wie crazy! Japan lebt in der Zukunft!!!”, Tatsache ist jedoch, dass die Gäste es hassten – wenige Jahre später wurde der Roboterschuppen geschlossen und als “Hotel Rotterdam” wiedereröffnet, dieses Mal wieder mit menschlichem Personal.

Noch einmal umsteigen. Jetzt in einen Zug der “Kyushu Railway Company”. Kyushu ist die südlichste und westlichste der vier japanischen Hauptinseln.


Im Zug liegen Anweisungen aus, wie man sich verhalten soll. Keine Taschen auf freie Sitze stellen. Auf Sitzreservierungen achten. Keine Laute Musik hören, telefonieren oder laut labern. Nicht rummüllen. Lässt sich wieder alles zusammenfassen zu: Geh anderen Menschen nicht auf den Sacque.

Nochmal umsteigen. Dieses Mal sind nur drei Minuten Zeit, und ich bin sehr nervös, weil ich nicht weiß, wie das klappen soll. Aber natürlich, es funktioniert reibungslos: Mein Zug kommt an, und am gleichen Bahnsteig gegenüber steht schon der nächste Zug – und zwar genau so, dass auch meine Sitzreservierungen passen! Ich muss nur aus einer Tür aussteigen, fünf Schritt gehen, in den nächsten Zug einsteigen und bin schon im richtigen Wagen! Selbst ältere und gehbehinderte Menschen schaffen so den Umstieg binnen drei Minuten. Bei der Deutschen Bahn völlig undenkbar.

Ich bewundere das japanische Bahnsystem. Das funktioniert so hervorragend, weil die Japaner drei Dinge beherzigen:
1. Netztrennung: Güter- und Personenverkehr haben getrennte Gleise.
2. Instandhaltung: Es wird erkennbar investiert, sowohl in die Instandhaltung von Rollmaterial als auch Infrastruktur wie Brücken.
3. Großzügige Zeitpuffer. Alleine der Zug, den ich in Osaka bestiegen habe, wurde eine Dreiviertelstunde vor Abfahrt bereitgestellt und die Zwischenzeit genutzt, um ihn ordentlich zu putzen. Hier ist nichts auf Kante genäht, bei der DB wird schon knapp geplant.

Am frühen Nachmittag, nach etwas mehr als sieben Stunden Reisezeit, komme ich an meinem Zielort an – und laufe erstmal gegen eine Wand. Eine Wand aus heißer und feuchter Luft. Das ist wirklich tropisch hier, die Luftfeuchtigkeit ist sehr hoch und es sind fast 30°.

Schwitzend laufe ich an der Hauptstraße entlang. Es ist nicht nur heiß und feucht, die Luft ist auch staubig von den Baustellen, die hier überall sind.

Es stinkt nach Abgasen. Auf sechs Spuren sausen die Autor durch eine Schlucht aus fünf- bis zehnstöckigen Gebäuden. Noch eine Autostadt, offensichtlich.

Die Sonne brennt unerbittlich vom Himmel, und mir fällt etwas ein: wenn das tatsächlich morgen auch so ist, werde ich schlicht und ergreifend verbrennen. Ich sollte dringend Sonnencreme besorgen.

Die heutige Unterkunft ist wieder ein APA-Hotel – die Dinger gibt es überall, und billiger als in diesen Businesshotels kann man kaum übernachten. Ich checke schnell ein, werfe einen Blick ins Zimmer und das Gepäck aufs Bett, dann laufe ich weiter in Richtung Innenstadt.


Palmen stehen am Wegesrand und verstärken den Eindruck, hier in den Tropen zu sein. Ich fühle mich, als hätte mir jemand mit einem Brett vor den Kopf gehauen. Die heiße und feuchte Luft fühlt sich in der Lunge an, als würde ich versuchen Suppe zu atmen. Gleichzeitig bin ich bis auf die Unterhose nassgeschwitzt. Unangenehm.

Nach kurzer Suche finde ich eine überdachte Einkaufspassage und in der eine Drogerie. Nur etwas, das nach Sonnencreme aussieht, finde ich in den vielen Regalmetern voller bunter Verpackungen nicht. Ist auch doof, wenn man nicht mal die Schilder der Abteilungen lesen kann. So müssen sich Analphabeten die ganze Zeit fühlen.

“Speak English?”, spreche ich einen Angestellten an, der daraufhin erschrocken guckt und den Kopf schüttelt. Ich versuche es trotzdem. “Sun Blocker?”, frage ich und begleite das mit einer Pantomime. Er überlegt kurz und deutet dann an die Decke. “Genau, gegen Sonne, von oben”, sage ich. “No”, presst er hervor und lacht jetzt. “Sun Blocker. Second Froor!” Ah, cool.

Fünf Minuten später und ein Stockwerk höher bin ich überzeugt, dass der Angestellte mich nur schnell loswerdenwollte. Der erste Stock ist nämlich lediglich gefüllt mit Putzmittel. Aber dann entdecke ich in einer Ecke doch Sonnencreme. Neben normalen Produkten von Nivea gibt es auch einheimische Marken. Oh! Bärchen! Na, wer kann dazu schon nein sagen! Die “Sun Bears” nehme ich, das sieht niedlich aus und hat Lichtschutzfaktor 50. Dabei fällt mir auf… unter Lichtschutzfaktor 50 gibt es in der Tat auch gar nichts.


Ich wandere aus der Innenstadt wieder raus und stolpere in der “China Town” über kleine Gemüse- und Obstläden. Hier gibt es Äpfel! Frisches Obst! Zwar habe ich in den letzten Tagen die ein oder andere Banane aus einem Conbini gegessen, aber einen Apfel, den will ich jetzt!

Dann marschiere ich nach Norden. Auf einem Berggipfel über der Stadt stehen Antennenanlagen. Ich weiß, dass das ein Aussichtspunkt ist, und dort möchte ich hin.

Nach einer Stunde Wanderung durch die Stadt komme ich am Fuß des Berges an. Der Berggipfel ist über eine Seilbahn angebunden. In der Seilbahnstation ist nicht viel los, lediglich eine kleine Gruppe Niederländer und eine größere Gruppe Chinesen lärmt herum. Überall surren Ventilatoren. Amüsiert nehme ich die Marke zur Kenntnis: “Lufthafen”. Japaner und ihre Affinität zu deutschen Worten.

Mit der Seilbahn geht es hoch auf 1.000 Meter. Das war mir gar nicht so klar. Denn hier oben hat es glatte 10° weniger, und ein starker Wind weht. Eine Jacke oder einen Pulli habe ich natürlich nicht dabei. War es in den Straßen in der Stadt unerträglich warm, ist es hier oben sehr kühl, und da ich komplett nass geschwitzt bin, fange ich im Wind schnell an zu frieren. Das merke ich aber zunächst gar nicht, der Ausblick ist viel zu grandios.

Auf der Bergspitze gibt es einen Aussichtspunkt, der im Wesentlichen eine große, runde Plattform auf einem Turm ist. Hier tummeln sich schon Menschen und warten auf den Sonnenuntergang.

Die Stadt liegt in einer tiefen Bucht, der bergige Inseln vorgelagert sind. Ein wirklich unvergleichliches Panorama.

Moment. Wenn die Inseln nicht wären, dann sähe das hier aus wie… Ich mache ein Foto und schicke es ein Mal um den Erdball, nach Italien. Die Antwort kommt fast sofort: “Sei a Genova!! 🤩🤩🤩 Quando arriverai qui??”.

Ich muss grinsen. Also geht es mir nicht allein so: Das hier sieht WIRKLICH aus wie Genua, zumindest foppt das Bild auch eine, die aus der Region stammt!

“No, cara mia. Purtroppo sono ancora all’altro capo del mondo “, schreibe ich zurück und ernte dafür ein weinendes Emoji. Leider bin ich nicht in Genua, sondern noch auf der anderen Seite der Welt. Ich kann also nicht vorbeikommen. Leider.

Als ich mich das nächste Mal umdrehe, ist die Plattform voller Menschen. Dicht an dicht stehen alle nebeneinander, stille Fotografen mit dicken Spiegelreflexkameras auf Stativen neben lärmendem Partyvolk und tanzenden TikTokerinnen. Mein Fluchtreflex setzt ein, aber ich beiße aber die Zähne zusammen und bleibe.

Es ist gut, dass ich die Kälte und die Menschenmasse aushalte. Als die Sonne im Meer versinkt und die Lichter der Stadt zum Leben erwachen, bietet sich mit ein Ausblick, den es so nicht allzu oft gibt.

Aus dem Urwald an der Flanke des Bergs steigt ein Schwarm Vögel auf und zieht vor dem Panorama der Stadt vorbei, die im Mondlicht in der Bucht liegt. Ein sehr schönes und friedliches Bild. Mit keinem Gedanken käme man darauf, dass das hier ein Ort ist, der wie kaum ein zweiter für Tod und Zerstörung steht, und der bis heute eine Warnung vor der Grausamkeit des Krieges ist.

Das hier ist Nagasaki.

Ich bahne mir meine Weg durch die immer noch anwachsende Menschenmenge und nehme die Seilbahn zurück ins Tal.

Dort angekommen ist es gleich wieder deutlich wärmer. Ich laufe durch die Straßen und lasse die Stadt auf mich wirken.

Oh, neben dem Bett gibt es einen “Good Night”-Schalter. In diesem Sinne: Gute Nacht. 😴

Tour des Tages: Von Kyoto nach Nagasaki, 724 Kilometer Bahnfahrt, 12 Kilometer zu Fuß. Umstiege in Osaka, Shin-Tosu, Relay Kamome, Takeo Onsen und Kamome.

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