
Review: Ein Jahr mit der Suzuki V-Strom 800
Dieser Text erschien zuerst in Kradblatt 03/2025 Die komplette Online-Ausgabe gibt es HIER. Lest das Kradblatt, es ist sehr gut!
“Darauf habe ich also sieben Jahre lang gewartet?”, frage ich mich, als ich die V-Strom 800 über die Bergstraßen der Abruzzen treibe. Nein, stelle für mich fest: Die neue Straßenversion von Suzukis Reiseenduroreihe ist nicht das, was ich erwartet habe.
Sieben Jahre sind eine lange Zeit.
Vor sieben Jahren, im Februar 2017, kaufte ich eine gebrauchte Suzuki V-Strom DL 650. Ich war sofort begeistert: Eine große, ergonomische Maschine, für lange Reisen genauso geeignet wir für den täglichen Weg zur Arbeit. Ein unkaputtbares und sparsames Arbeitstier. Eine unauffällige, uneitele und zuverlässige Begleiterin.
Als ich sie kaufte ging ich davon aus, dass ich die 650er ungefähr fünf Jahre fahren würde. Bis dahin, so mein Kalkül, würde Suzuki eine neue Version der V-Strom rausgebracht haben. Im einfachsten Fall mit moderner Technik, denn so ausgereift und zuverlässig die 650er auch war: Sie wurde Anfang der 2000er Jahre konstruiert und seitdem kaum verändert, und das war zu merken. Ich war gerne mit ihr unterwegs, für eine Nachfolgerin wünschte ich mir aber dringend eine ordentliche Federung, eine moderne Beleuchtung und griffigere Bremsen. Im allerbesten Fall, so stellte ich mir vor, würde Suzuki eine V-Strom mit ein wenig mehr Hubraum rausbringen. Eine 800er wäre meine Traum – die perfekte Größe zwischen der handlichen und wendigen 650er und der durchzugsstarken, aber behäbigen 1.000er.
Die Jahre zogen vorüber. Von Suzuki kam: Nichts.
Die Japaner polierten im Rahmen der Modellfplege die 650er ein wenig auf, unter dem neuen Plastikkleid blieb die Technik aber weiterhin unverändert. So behielt ich meine alte 650er und reiste mit ihr kreuz und quer durch Europa.
Erst 2023 und damit geschlagene sechs Jahre, nachdem ich die V-Strom zu schätzen gelernt hatte, kam die Meldung: Es gibt eine Neue! Die V-Strom 800 DE war eine von Grund auf neu entwickelte V-Strom, mit 800 Kubikzentimeter, einem Parallel- statt einem V-Twin-Motor und getrimmt auf Geländetauglichkeit. Daher auch das Kürzel: “DE” für “Dual Explorer”, gleichermaßen tauglich für Straße und Gelände. Ich stand an Tag eins bei der Händlerin und fuhr die V-Strom 800 DE Probe. Mit dem Ergebnis: Feines Motorrad, aber nicht MEIN Motorrad. Die “Geländeversion” war nichts für mich. Zu hoch, dabei zu schwer und mit einer Ausstattung, die nicht zu meinen Bedarfen passte.
Zum Glück wurde im Herbst 2023 dann die Straßenversion vorgestellt, die V-Strom 800. In Deutschland trägt sie kein weiteres Kürzel, in anderen Ländern wird sie als 800 RE oder SE bezeichnet. Durch Glückes Geschick war ich einer der ersten, der in Deutschland eine der neue 800er bekam. Das bedeutete auch: Abschied von der 650er, die zu dem Zeitpunkt satte 108.000 Kilometern auf der Uhr hatte.
Seit Februar 2024 bin ich nun mit der V-Strom 800 unterwegs und habe mittlerweile fast 10.000 Kilometer auf europäischen Straßen abgerissen. Zeit für einen kleinen Erfahrungsbericht – und einen Vergleich mit der Vorgängerin, denn die Frage ist ja: Konnte Suzuki mit der komplett neu konstruierten V-Strom 800 an die Tugenden der alten V-Stroms anknüpfen? Hat die neue 800er trotz der zahlreichen Änderungen und modernerer Technik noch V-Strom DNA?
Die ersten eintausend Kilometer mit der Neuen waren eine Qual. Der Grund: Tatsächlich müssen auch in 2024 neue Motorräder noch eingefahren werden. Heißt: Die ersten tausend Kilometer sollte der Motor nicht über 4.500 Touren gedreht werden, was im sechsten Gang knapp Tempo 100 entspricht. Das war eine Qual, denn dem Motor ist ab dem ersten Kilometer anzumerken, dass er was kann – man darf es bloß nicht ausprobieren. Zum Glück war die Einfahrphase schnell vorbei, und ich war wirklich überrascht von dem neuen Motor.
Parallel- statt V-Twin
Der Lauf und die Geräusche des Parallel-Twins imitieren gekonnt die Ruppigkeit eines V-Motors. Ich behaupte mal, dass im Doppelblindtest die allerwenigsten den Unterschied bemerken würden. Ein großer Unterschied ist aber in der Agilität des Triebwerks zu bemerken. Der 800er dreht spritzig und beschleunigt die Maschine von unten heraus wesentlich rasant. Dabei hilft neben dem größeren Hubraum auch die Elektronik, und ein Quickshifter trägt ebenfalls seinen Teil dazu bei: Ohne die Kupplung zu betätigen schnell und ohne Rucken durch die Gänge zu schalten, den Motor stets am Zug, das ist ein geschmeidiges und aufregendes Fahrgefühl. Kein Vergleich zur 650er, die beim Dreh am Gasgriff immer erst einmal laut zu rappeln anfing, bevor sie sich eher moderat in Bewegung setzte. Hier ist die V-Strom 800 deutlich anders. Schon im mittleren der drei Fahrmodi hängt sie gut am Gas und überrascht mit druckvoller Beschleunigung. In der schärfsten Motorabstimmung gebärdet sie sich wie eine Sportmaschine, zuckelt ungeduldig am Gas, reagiert auf kleinste Befehle und vermittelt ständig das Gefühl “Ich will los los LOS!!”.
Kleiner Wermutstropfen: Der Euro-5-Motor wird bei Stop-and-Go im Stadtverkehr an der rechten Seite mächtig heiß. So heiß, dass die Hitze durch dicke Stiefel und eine Textilkombi am rechten Bein nicht nur spürbar, sondern unangenehm ist.
Die Digitalisierung ist in der 800er allgegenwärtig, aber mit Bedacht eingesetzt. Auf Spielereien mit eigenen Apps und generell Konnektivität zu Smartphones verzichtet Suzuki. Zum Glück, möchte man sagen, denn das ist nicht die Stärke japanischer Hersteller. Wo es dann aber digital wird, ist die Integration ausnehmend gut gelungen. Das betrifft das Motormapping genauso wie das aufgeräumte Display im Cockpit.
Das die Maschine komplett drive-by-Wire ist merkt man am Jaulen der Drosselklappensteuerung, das sofort erklingt, wenn die Zündung eingeschaltet wird. Läuft der Motor erst einmal, merkt man nicht, dass man zum Gas geben statt an Bowdenzügen an einem Potentiometer dreht. Warum es trotz drive-by-wire keinen Tempomaten gibt, bleibt genauso das Geheimnis der Konstrukteure, ebenso wie die Antwort auf die Frage, warum das, ohnehin sehr früh greifende, ABS keinen Gravelmode für Schotterstrecken hat. Das ist schade, denn ansonsten ist die Bremsanlage der 800er hervorragend – ich habe noch keine V-Strom gefahren, die so knackige und gut zu dosierende Bremsen hatte.
Die ganze Elektronik braucht Platz, und die findet sie unter der Sitzbank. Das schränkt den Stauraum deutlich ein. Meine alte 650er hatte unter dem Sattel Platz für Werkzeug, Verbandskasten, Warndreieck, Reifenflickset, Panzerband, Papiere und was man sonst noch so braucht. Bei der 800er bekommt man mit Mühe und Not ein Verbandspäckchen unter, Bordwerkzeug wird – abgesehen von einem Schraubendreher und zwei Inbusschlüsseln – gar nicht mehr mitgeliefert. Immerhin: An den Luftfilter kommt man nun heran, ohne dass der ganze Tank abgebaut werden muss.
Der Tank der V-Strom 800 fällt mit 20 Litern rund zwei Liter kleiner aus als bei der 650er von 2011. Das schlägt sich auch in der Reichweite nieder. Kam die alte mit einer Tankfüllung bei sparsamer Fahrweise über 500 Kilometer weit, sind es bei der 800er ca. 450 Kilometer. Der Verbrauch liegt bei mir im Schnitt bei 4,2 Liter, und damit auf dem Niveau der 650er. Die Streuung ist dabei nicht groß, weder lässt sich durch vorausschauende Fahrweise der Verbrauch deutlich senken, noch steigt er bei sportlicher Fahrweise extrem an. Selbst auf Autobahnetappen (Tempo 130 mit Koffern und Topcase), bei denen die 650er bis zu 6 Litern weggurgelte, ist die 800er in der Spitze mit 4,6 Litern zufrieden.
Funzellicht
Deutlich modernisiert wurde das Design und die Beleuchtung. Die 650er guckte mit zwei großen, plexiglasbedeckten Scheinwerfern in die Welt, die in einer gerundeten Verkleidung steckten. Von den Doppelscheinwerfern hat sich Suzuki verabschiedet. Die Beleuchtung der 800er besteht aus separaten LED-Scheinwerfern für Abblend- und Fernlicht, die aber übereinander angeordnet sind. Sie stecken in eine kantigen und spitz zulaufenden Verkleidung, die sie weniger bullig als die Vorgängerin wirken lässt. Alle Kunststoffteile sind wesentlich wertiger als beim alten Modell – die 650er wirkte immer irgendwie billig, das ist bei der 800er deutlich besser.
Was ich lernen musste: LED bedeutet nicht automatisch besser. Die 650er leuchtete mit ihren riesigen H4-Doppelscheinwerfern die ganze Straße aus. Die LED-Scheinwerfer der 800er projizieren dagegen einen scharf umrissenen Lichtkegel auf die Straße. Streulicht gibt es wenig, was bedeutet: Alles außerhalb des Lichtkegels bleibt im Dunkeln. Bei meiner und anscheinend den meisten 800ern sind die Scheinwerfer ab Werk viel zu niedrig eingestellt, was die erste Nachtfahrt gefühlt zum Blindflug macht und in Foren schnell zur Diagnose “Die Beleuchtung ist schlecht” verkürzt wurde. Ist sie nicht. Mit einer ordentlichen Einstellung wird das besser, dennoch hinkt die moderne Maschine der Vorgängerin in Sachen Leuchtkraft und Sichtbarkeit hinterher.
Immer noch nicht gut: Windschutz und Federung
Kritikwürdig ist auch wieder der Windschutz und die Federung. Das Windschild lässt sich nur mit Werkzeug und nur in drei Stufen verstellen. Jede davon führt bei meiner Körpergröße von 170 Zentimetern zu Verwirbelungen am Helm. Das war bei der Vorgängerin auch schon so und wurde erst durch verstellbare Scheibenhalter besser, die es aber für die 800er noch nicht gibt. Immerhin wurde bei der Gestaltung der Scheibe versucht eine Hinterströmung herzustellen.
Ebenso wie bei der 650er ist die Federung trotz korrekt eingestellter Federvorspannung recht weich. Für eine Person mit Gepäck ist das gerade noch okay – das Fahrwerk schluckt Unebenheiten weg und liegt gut in den Kurven. Für zwei Personen mit Gepäck sollte man sich aber nach einer Feder mit angepasster Federrate oder besser noch, einem kompletten Federbein aus dem Zubehör umsehen.
Bei der Bodenfreiheit hätte es gerne etwas mehr sein dürfen. Steht die Geländeversion mit 22 Zentimetern deutlich über dem Boden, ist meine Straßenversion mit 15 Zentimetern deutlich näher an der Erde und sogar niedriger als die 650er mit 16 Zentimetern. Immerhin senkt das auch die Sitzhöhe auf 82,5 Zentimeter, was zusammen mit dem schmalen, aber bequemen Sitz dazu führt, dass ich einen festen Stand habe und die Maschine gut rangieren kann. Die Sitzposition ist dabei besser als bei der 650er. Man sitzt weiter vorn und aufrechter, die Fußrasten sind etwas weiter hinten. Das ist sportlicher und vereinfacht das Handling, durch den größeren Kniewinkel wird dabei die Reisetauglichkeit nicht eingeschränkt.
Interessanterweise wirkt die V-Strom 800 wesentlich kleiner als die 650er. Auf dem Papier ist sie nur 4,5 cm kürzer, weil sie aber gleichzeitig weniger Verkleidung mitbringt und schlanker daherkommt, wirkt sie zierlicher.
Wie schlägt sich nun die V-Strom 800er im direkten Vergleich zu meiner geschätzten 650er in der Praxis? Dafür habe ich mit ihr einen Trip nach Italien gemacht, den ich so schon mit der 650er gefahren bin. “All Roads Merge” sagt die Werbung von Suzuki und meint damit, dass die V-Strom 800 auf Straßen zu Hause ist, und zwar auf jeder Art davon.
Die Tour durch die Abruzzen bringt Straßen in jeder Form mit: Autobahnetappen, kurvigen Bergstraßen, Schotterstrecken und schlaglochübersäte Asphaltreste auf Bröckelwegen, und das sowohl bei heftigem Regen als auch bei Hitze jenseits der 40 Grad.
Darauf habe ich nun sieben Jahre gewartet? Während ich die V-Strom 800 über die Bergstraßen der Abruzzen treibe, stelle für mich fest: Nein, die Neue ist nicht das, was ich erwartet habe. Ich war nämlich sehr skeptisch, und diese Maschine übertrifft meine Erwartungen!
Sie bringt alle Tugenden mit, die ich an der 650er geschätzt habe, wie das einfache Handling und die tolle Kurvenlage. Die 800er ist zudem auch unerwartet sportlich und die Sitzposition bietet mehr Kontrolle, ohne die Reisetauglichkeit zu beeinflussen. Sie ist genauso vielseitig und lässt sich gut an die eigenen Bedürfnisse anpassen wie die Vorgängerin. Damit ist Suzuki ein Kunststück gelungen: Ein Motorrad von Grund auf neu zu konzipieren und mit moderner Technik und einem anderen Motorenkonzept zu bauen, und trotzdem das Gefühl und die Stärken der Vorgängerin zu erhalten.
Ob die 800er freilich so eine Langläuferin ist wie die V-Strom 650 und ob sie deren Zuverlässigkeit das Wasser reichen lassen, wird erst die Zeit zeigen. Für den Moment kann ich nur sagen: Das lange Warten hat sich gelohnt, und die Trennung von der 650er ist mir sehr leicht gefallen.
4 Gedanken zu „Review: Ein Jahr mit der Suzuki V-Strom 800“
Warum denke ich jetzt bei dem Kradblatt-Slogan an “Die Partei”? 😉
Danke für das Lob und gerne wieder 🙂
👍💪
Huch, ich dachte auf dem Bild, seit wann fährt Silencer auf der alten Strom Grobstollen?
Hey, und dann noch mit dem Pickerl vornedrauf nach Transnistrien. Wer sowas mag, darf gerne das mit mir”erleben”. Ich schäme mich nicht zu sagen, daß das meine Fahralte ist.
Dachte mir, dass Du die Kiste erkennst, Ali 🙂