Reisetagebuch Japan (15): Ich bin im Dschungel, holt mich hier raus!!

Reisetagebuch Japan (15): Ich bin im Dschungel, holt mich hier raus!!

Das Dschungelcamp. Heute mit dem Reisetagebuch, einem Monsun, Regenwald-im-wahrsten-Sinne-des-Wortes und was der Mission “Erreiche den südlichsten Punkt Japans” noch so im Weg stehen kann. Ach, und ich schreie einen Tankwart an.

19. Oktober 2024, Sakurajima
Frühstück gibt´s im Hotel nicht, zumindest nicht für nicht-Japaner, also muss es das komische Brötchen mit Melonengeschmack aus dem Conbini tun. Dazu ein löslicher Kaffee. Also, wenn ich den Wasserkocher zum Laufen bekomme nur: Warum geht dessen Stecker nicht in die Steckdose? Egal wie sehr ich daran rumruckele, der will nicht.

Da muss es einen Trick geben. Muss man hier noch irgendwo drücken, ziehen oder reiben? Ob das Schild daneben Auskunft gibt? Was sagt denn der Übersetzer dazu?

Ach guck an! Die Blende lässt sich verschieben, das ist eine Kindersicherung! Ja cool. Wenn man es weiß, dann funktioniert das auch mit dem Stecker.

Einen heißen Kaffee in der Hand schaue ich über die Bucht. Der Himmel ist bedeckt, und schwere Regenwolken ziehen vom Meer heran. So lauschig die vergangene Nacht auch war: Das hier ist Schietwetter.

Besserung ist nicht in Sicht, im Gegenteil: Die stärksten Niederschläge ziehen alle Richtung Südcap, und das ist dummerweise genau der Ort, wo ich heute hin will.

Noch während ich die Wetterkarte studiere, beginnt es draußen zu regnen. Erst ein wenig, dann immer heftiger. Ich seufze und greife mir den Rucksack. Nützt ja nichts, also los!

Als ich den Yaris gerade vom Parkplatz steuern will, irritiert mich irgend etwas. Ich kann im Nachhinein nicht mal mehr sagen was es war, was mich abgelenkt hat, auf jeden Fall schaue ich nach rechts und lenke nach links und ausgerechnet dort ist ein Bordstein, so hoch wie eine Treppenstufe. Das linke Vorderrad des Yaris schrappt daran entlang, und obwohl ich gleich wieder einschlage, ist der Schaden passiert: Die Abdeckung der Felge hat derbe Kratzer abbekommen. Doof. Sowas ist mir noch NIE passiert in 30 Jahren Führerschein. Das wird Nou-San nicht freuen, wenn ich ihr ihren fast noch fabrikneuen Yaris zerschrammt zurückbringe.


Naja, egal. Konzentration jetzt, damit nicht noch mehr passiert.

Erst einmal passiert: Wetter. Von Sakurajima führt eine Brücke zurück auf Kyushu, und dann die Landstraße 220 Richtung Süden.
Eigentlich ist die 220 total malerisch. Sie führt an der Küste entlang und vorbei an Feldern und durch kleine Orte, die sich zwischen Bergen und Meer ducken. Wenn man sie entlang fährt, hat man wundervolle Ausblicke. Malerische Fischerdörfchen, Flotten von kleinen Booten, aus dem Meer aufragende Felsinseln.

Also, bei GUTEM Wetter hat man wundervolle Ausblicke. Ich sehe: Nüscht. Und das liegt nicht an Wolken und Nebel, sondern an einem Regen, der so stark und so dicht ist, dass kaum noch etwas erkennen ist. Ich bin gerade eine Stunde unterwegs, als es so heftig wird, das die Scheibenwischer es auch auf der schnellsten Stufe nicht mehr schaffen.

Durch die Wasserschleier kann ich die Straße nur erahnen, und es ist so dunkel wie kurz vor Sonnenuntergang. Das ist kein einfacher Regen – das ist ein Monsun!

Der Regen dröhnt so laut auf´s Autodach, dass vom Podcast nichts mehr zu verstehen ist. Sinnvoll und logisch wäre es, nun anzuhalten und abzuwarten. So wie es alle anderen auch tun – die Straße ist leer, Autos stehen mit laufendem Motor am Straßenrand. Aber irgendwie klammere ich mich an den irrsinnigen Gedanken, dass das hier ja ein Unwetter an der Küste ist, und schon hinter der nächsten Kurve Besserung in Sicht sein kann. Hoch konzentriert und sehr langsam fahre ich weiter.

Spoiler: Natürlich ist keine Besserung in Sicht, nicht hinter der nächsten Kurve und auch nicht hinter der übernächsten. Der Regenfall wird sogar noch ein bissi schlimmer, und nun gibt sogar die Straße auf.

Immer häufiger rutscht Erde von den Berghängen ab und auf die Straße, oder Schlammfontänen schießen aus den Wänden links und spülen über die Fahrbahn. Ich muss den Yaris durch Mulden in der Fahrbahn treiben, die sich nun in schlammige Fuhrten verwandelt haben, in denen bis zu 20 Zentimeter hoch das Wasser steht. Das wird Nou nicht gefallen, denke ich. Andererseits: So viel Regen von oben, da wird das Auto ganz schnell wieder sauber. Das ich mir in dieser Situation, wo jeden Moment ein Erdrutsch oder ein umfallender Baum den Yaris erwischen kann, Gedanken über die Sauberkeit des Autos mache ist so absurd, das ich selbst kichern muss.

“Lass den Kram und hör auf mit dem Mist”, schimpfe ich in Gedanken auf das Wetter ein. Als Antwort beginnt es zu stürmen und zu blitzen.

Je weiter südlich ich komme, desto gefährlicher wird das, denn jetzt stehen links und rechts der Straße direkt Felswände. Manchmal hat sich auf der Straße zwischen den Felsen ein halber Meter Wasser gesammelt, an einer Stelle ist sogar ein Stück Fels aus einer Begrenzungsmauer heraus gebrochen und liegt einfach auf der Fahrbahn. Mit maximal Tempo 30 taste ich mich langsam vorwärts. Zwölf Kilometer vor dem Ziel finde ich einen kleinen Parkplatz an einer Hütte mit Toiletten.

Ich parke den Yaris davor und atme erstmal tief durch, dann werde ich schlagartig müde. Die letzten zwei Stunden haben volle Konzentration erfordert, das schlaucht – und mein Körper nutzt Ruhepausen effizient. Ich schlafe ein. Als ich zwanzig Minuten später wieder aufwache, bin ich wieder frisch und munter. Allerdings spült immer noch Regen über die Scheiben.

Ich warte noch eine Dreiviertel Stunde ab, dann scheint das Schlimmste vorbei zu sein. Der Regen lässt langsam nach und hört für einige Minuten sogar ganz auf.

Ich fahre vorsichtig weiter. Einige Kilometer die Landstraße runter nehme ich die Abzweigung zum Cape Sata, dem südlichsten Punkt Japans. Jetzt wird es wirklich wild: Die Straße führt ein Berg hinauf. Die Vegetation sieht hier nicht nur aus wie Urwald – das ist wirklich tropischer Regenwald!

Luftwurzler und Lianen hängen aus den Bäumen bis hin ab auf die Straße.

Mitten im Urwald liegt ein Parkplatz, daran ein Monument: Es würdigt die Sato Linie, die hier durchführt die anzeigt, wo dieser Punkt liegt: Auf der Höhe mit Ägypten oder Mexiko.

Ein paar hundert Meter weiter liegt ein größerer Parkplatz und daran ein Besucherzentrum, gewidmet dem südlichsten Punkt Japans.

Auf einer Karte sind der nördlichste, südlichste, westlichste und östlichste Punkt eingezeichnet. Tja, bis zu den anderen Dreien hat es bei mir nicht gereicht.
Dieses Mal.

Ich stelle den Yaris ab Und mache mich zu Fuß auf den Weg durch einen Tunnel, der im Urwald verschwindet und durch einen Bergkamm führt. Der ist einige hundert Meter lang, und kommt am Ende wieder in einem Urwald raus.

Steile Treppenstufen und abenteuerliche Konstruktionen führen hinab in den Urwald. Irgendwie sieht das ein wenig aus wie im Dschungelcamp.

Die Treppen sind nass und rutschig. Auf einem Berg weiter vorne sehe ich eine Aussichtsplattform. Um dorthin zu gelangen, muss man aber erst in den Urwald hinabklettern und dann hunderte Treppenstufen wieder hinauf laufen. Ich stöhne gequält auf. Wer denkt sich denn sowas aus? Zumal hier nach wie vor 30 Grad und 100 Prozent Luftfeuchtigkeit herrschen. Ich bin jetzt schon durchgeschwitzt, und zu einem Überfluss beginnt es auch wieder zu regnen. Das Wasser rinnt mir über den Körper, und das Blut pocht in Ohren und Schläfen vor Anstrengung. Das kann hier alles nicht gut sein für den Kreislauf.

Bald bin ich von Innen und von Außen nass bis auf die Knochen. Das hier ist OG Urwalddusche. Regenwald, im wörtlichen Sinn. Jeans und Hemd kleben am Körper, ich dampfe vor Anstrengung und vor Wut über diesen Mist, und kann spüren, wie das Wasser in der Unterhose rumschwappt. Und dabei fängt es jetzt erst richtig an zu regnen. Ich beiße die Zähne zusammen und marschiere weiter den Pfad entlang. Jeder Schritt wird schwerer als der vorhergehende, einfach weil die vollgezogenen Klamotten schwer am Körper hängen und die Luft so feucht und heiß ist, das sich jeder Atemzug anfühlt als würde man Suppe atmen.

Schwer atmend laufe ich die letzte der vielen Treppen hinauf. Oben angekommen kann ich über den Urwald und auf das Meer schauen. Vor mir, auf einem Cliff vor der Küste, steht ein kleiner Leuchtturm.

Das ist er also, der definitiv südlichste Punkt der vier japanischen Hauptinseln. Ich habe es geschafft! Zwar nicht ganz vom nördlichsten bis zum südlichsten Punkt, aber immerhin, äh, fast. Also nur beinahe ein End-to-Ender über 1.800 Kilometer Luftlinie, aber immerhin fühlt sich das Südkap hier hart erkämpft an.

Ich lehne mich an eine Palme und atme durch. Siebzehn Tage bin ich nun schon in Japan, und nun bin ich am Südkap. Für einen kleinen Moment fühle ich Freude aufwallen, es bis hierher geschafft zu haben. Dann muss ich gleich an die nächsten Herausforderungen denken. Ich bin niemand der Erfolge groß feiert, das nächste Problem liegt ja immer gleich um die Ecke. Aber Misserfolge zu Herzen nehmen, das kann ich gut.

Es gibt einen überdachten Aussichtspunkt auf der Klippe gegenüber dem Felsen mit dem Leuchtturm. Ich stelle mich unter und warte, ob der Regen noch mal weniger wird. Aufhören tut er nicht, aber nach 20 Minuten wird es etwas weniger, und wage mich an den Rückweg.

Jetzt bemerke ich erst, wie viele Abzweigungen der Weg durch den Urwald eigentlich hat – und schaffe es prompt mich zu verlaufen. Ich komme mir ein wenig vor wie in einem Abenteuerspiel, Zak McKracken oder Monkey Island oder sowas, wo man immer wieder aus einem Ausgang im Urwald rausläuft und im gleichen Screen durch einen anderen wieder reinkommt. Immer wieder entpuppt sich ein Weg als Sackgasse, weil er einfach aufhört oder gesperrt ist. Der Weg, den ich dachte gekommen zu sein, endet plötzlich an einem Schrein, der vorher noch nicht da war. Der ausgeschilderte Weg zum Parkplatz endet an einem Bauzaun. Man! Was issen das hier? Dschungelcamp? Soll ich jetzt rufen “Holt mich hier raaaaauuuuussssss”?!


(Anm.: Das Schild lügt.)

Google Maps bringt hier natürlich auch nichts, und so irre ich im Regen über die verschiedenen Wege. Der lauwarme Regen rinnt mir über den ganzen Körper. “Zum Leuchtturm”, zeigt ein Schild. Aber da will ich nicht hin, also nehme ich den anderen Weg. “Zum Leuchtturmwärterhaus” steht nach wenigen Hundert Metern plötzlich auf einem anderen Schild. Aber da will ich auch nicht hin! Also umdrehen und zurück.

Irgendwann finde ich eine Stelle, an der drei Rohre aus der Erde ragen. Warum auch immer. Aber die kenne ich! Da bin ich vorhin dran vorbeigelaufen! Ich gehe den Weg den ich gekommen bin so gut wie ich mich erinnre in die andere Richtung und komme tatsächlich nach einiger Zeit wieder zu der Treppe, die aus dem Urwald heraus und wieder zu dem Tunnel im Berg führt, der am Parkplatz endet.

Völlig durchnässt und genervt komme ich wieder am Auto an. Ich reiße den Rucksack auf und wühle darin herum, bis ich das leichte AirTowel gefunden habe.

Es gibt ja Leute, die sagen: Ein Handtuch nehme ich nicht mit, gibt es ja in jeder Unterkunft. Das mag auch durchaus stimmen. Aber trotzdem kommt man immer wieder in Situationen, wo man ein Handtuch brauchen kann. Douglas Adams wusste schon, wovon er schrieb. Und ich weiß immer, wo mein Handtuch ist, auch wenn es nur ein sehr kleines und leichtes Mikrofaserhandtuch mit dem Packmaß zweier Tischtennisbälle ist.

Mit dem Handtuch und Ersatzklamotten begebe ich mich auf die Toiletten des Besucherzentrums und verriegele die Tür einer Klokabine hinter mir. Dann ziehe ich mich komplett aus, trockne mich mit dem Air Towel von Kopf bis Fuß ab und ziehe mich um.

Als ich wieder vor das Gebäude trete, geht gerade ein weiterer Wolkenbruch los. Starkregen prasselt auf das Vordach des Besucherzentrums und spült über den Parkplatz. Ich sprinte zum Yaris, werfe mich hinein und ziehe die Tür hinter mir zu, aber es ist zu spät: Die wenigen Meter bis zum Auto haben gereicht, ich bin schon wieder von der Urwalddusche bis auf die Knochen durchnässt. Was habe ich heute eigentlich verbrochen?

Ich drehe die Klimaanlage und die Heizung des Wagens auf. Kein Spaß, bei 30 Grad draußen, aber die warme und trockene Luft braucht es jetzt, damit die Klamotten wieder trocknen – die, die ich am Körper habe und die nassen Sachen, die im Fußraum vor der Rückbank liegen.

Ich fahre den gleichen Weg zurück den ich gekommen bin, und nach dem ich von Cape Sata runter bin, klart das Wetter wieder auf. Jetzt sehe ich auch zumindest ein wenig was von der Landschaft. Die Küste ist sehr schön, Felsen fallen steil ins Meer ab und schroffe Klippen ragen weit ins Wasser hinein.

Kaum bin ich von einer Halbinsel runter, geht es mit Regenschauern weiter. Es sind wirklich binäre Wolkenabbrüche: Entweder es regnet gar nicht, oder es macht so runter, dass der Scheibenwischer es nicht mehr schaffen. Es kommt mir übrigens in keiner Sekunde in den Sinn zu klagen oder mich zu bemitleiden. Weil: Normalerweise bin ich in einem solchen Wetter MIT DEM MOTORRAD unterwegs, und DAS ist eine ganz andere Nummer. Das hier ist dagegen ein Stück Kuchen: Ich sitze im Trockenen! Es ist warm!

Der Urwald und die steilen Felsen bleiben zurück, und die Gegend wird wieder ländlicher. Auch die Verkehrsdichte steigt deutlich an. Viele der Autos fahren ohne Licht durch den dichten Regen, das macht das Ganze unangenehm und wirklich sehr, sehr anstrengend.

Ich sehe auf´s Navi: Viereinhalb Stunden Fahrt habe ich noch vor mir, sagt Google Maps. Das nutze ich übrigens, weil außer Google und Apple kein Anbieter ordentliche Karten für Japan hat. Anna wäre eh zu groß und zu schwer für das Handgepäck gewesen, aber da Garmin auf die HERE-Karten baut, hätte sie in Japan gar nicht navigieren können – in dem Kartenmaterial gibt es nur wenig mehr als drei Straßen auf jeder der japanischen Inseln.

Die Straße führt durch belebte und dicht besiedelte Gebiete, dann wieder durch Wälder und durch enge Täler. Manchmal sind die Konstruktionen hier ungewöhnlich – gleich zwei Mal fahre ich über eine Loop-Bridge, wo die Straße wirklich in Schleifen einen Berg hinauf oder hinab führt, um dann über eine Brücke zu einem anderen Berg zu queren.

Jetzt merke ich auch, wozu die Einstellung “B” bei der japanischen Automatik gut ist:

Das ist die Motorbremse! Damit bremst der Yaris bergrunter von allein, zumindest ein wenig.

Fünfzig Kilometer vor dem Ziel stelle ich fest, das ich fast wieder trocken bin und der Yaris Benzin brauchen könnte. Ich suche eine Tanke und lerne etwas Neues: Manchmal sind Tankstellen gar nicht an der Straße, sondern stehen in der zweiten Reihe, umgeben von Wohnhäusern. Nur ganz kleine Schilder weisen darauf hin, dass die verschämte Einfahrt zwischen zwei Häuschen zu einer Tankstelle führt.

Ich finde auf diese Weise eine Jazz-Tankstelle. Dort halte ich und der Tankwart kommt auf mich zu. “Gasoline?” fragt er. Ich nicke, er nickt, dann angelt er eine blaue Zapfpistole von der Decke. Gasoline, das ist doch Benzin sein, oder? Aber… Benzin hat rote Zapfpistolen!

“Stop!!! Stop!!!!” schreie ich und als er nicht hört, schreie ich noch lauter und haue mit der Hand aufs Dach und reiße die Tür auf, was der Yaris, mit schrillen Warntönen quittiert, weil das Smartkey-System es nicht mag, wenn man bei laufender Zündung mit dem Schlüssel in der Tasche aussteigt.

“Stop!”, schreie ich noch einmal und jetzt sehen mich gleich drei Tankwarte , zwei Männer und eine junge Frau, verwirrt an. “Ist das der richtige Kraftstoff für das Auto?”, frage ich auf englisch und ernte nur verwirrte Blicke. Ich deute auf den Aufkleber auf der Innenseite des Tankdeckels und dann auf die Zapfpistole und sage “Gasoline?”

Anstatt zu nicken oder den Kopf zu schütteln sagt der ältere Tankwart etwas auf japanisch und zeigt an die Decke der Tankstelle. Man! So kommen wir nicht weiter!

Ich angle mir die Infomappe des Mietwagenverleihs vom Beifahrersitz und blättere darin herum, als ein anderer Tankwart mit einem Übersetzungsgerät ankommt und es mir unter die Nase hält. Aber auf was auch immer das eingestellt ist, es versteht überhaupt kein Wort von dem was ich sage, und meine englische Sprache Aussprache ist so schlecht nun nicht.

Dann habe ich die entsprechende Seite in der Imfomappe gefunden und deutete auf die dort abgebildete rote Zapfsäule unter der “Benzin” auf japanisch steht und sage: “THIS! Good?” Jetzt nicken alle drei unisono und ich verdrehe erleichtert die Augen und lache albern, als die Anspannung in sich zusammenfällt.

Auch die drei amüsieren sich köstlich, und einer fragt: “You America?”
Ich erwidere auf japanisch “Nein, ich bin Deutscher”, woraufhin er kurz überlegt und dann plötzlich strahlt. Er räuspert sich und proklamiert dann mit großem Ernst “GUTEN. TAG.”
Dann überlegt er noch einen Moment und fügt hinzu “DANKE. UND. AUF WIEDERSEHEN!”.
Jetzt lachen wir alle vier.

Nachdem ich die Rechnung abgezeichnet habe, fahre ich weiter. Im Rückspiegel winken mir die drei von der Tankstelle hinterher.

Ich will mal hoffen, dass sie wirklich das richtige getankt haben, ansonsten wird der Yaris bald verrecken. Als er nach einem Kilometer immer noch fährt, bin ich erleichtert.

Jetzt ist es aber wirklich ein Rennen gegen die Zeit, geplante Ankunftszeit ist 17:30 Uhr. Später darf es nun nicht mehr werden, sonst wird es dunkel. Und da meine heutige Unterkunft sehr abgelegen ist, wird es dann schwierig.

Eine Stunde später und fünf Kilometer vor dem Ziel bin ich so nervös, dass ich das Radio ausschalte und extra-intensiv die Augen aufhalte. Die Vorsicht ist nicht unberechtigt. Ich bin in einer weiten Ebene unterwegs. Ab und zu stehen ein paar einzelne Häuser in den Reisfeldern, ansonsten ist hier nichts. Das Navigationsgerät führt von der Hauptstraße ab, auf kleine und immer kleinere Feldwege, bis ich am Ende zu einem geteilten Weg auf einem Damm komme der so schmal ist, dass der Yaris noch gerade so drauf passt. Links und rechts des Weges geht es zwei Meter runter auf Reisfelder. Das kann doch nicht richtig sein! Das sieht aus, als wäre das hier ein Fußweg, da kann doch kein Auto drauf fahren!

Aber dann sehe ich neben dem Fußweg einen kleinen Parkplatz mit sechs Parkbuchten. Das Navigationsgerät sagt, dass ich am Ziel bin. Ich parke den Yaris sorgfältig und quasi meisterlich ein und stelle den Motor aus.

Dann checke ich noch mal die Karte. Verdammt, ich bin am falschen Haus! Dort wo ich hin muss, das ist 200 Meter in eine andere Richtung!

Ich will gerade den Motor wieder starten, als ein Mann ans Auto kommt. “Toyonoakari?”, fragt er.

“Ist das hier?”, frage ich auf japanisch und er nickt. Ah, super, da wollte ich hin! Ich bin doch richtig! Erleichtert grüße ich den Mann auf japanisch und nenne meinen Namen.
“Du sprichst japanisch?”, fragt er.
“Nein, tue ich nicht”, sage ich und er wechselt in ein recht gutes Englisch. “Das ist schade. Aber schön, dass du da bist”, sagt er.
“Sie sprechen Englisch!”, rufe ich erleichtert und wieder nickt er.
Ich freue mich, er freut sich, und gemeinsam gehen wir ins Haus.

Geradezu enthusiastisch zeigt mir Katsushi, so heißt der Mann, das Haus. Im Erdgeschoss ist ein großer Gemeinschaftsraum und eine Küche wie aus der Profi-Gastronomie.

Im ersten Stock sind vier Schlafzimmer mit zwei bis vier Schlafgelegenheiten, sowohl Futons als auch westliche Betten. Ich habe ein großes Zimmer mit zwei Betten für mich allein.

Als er mir alles gezeigt hat, schenkt Katsushi mir eine eine VR-Brille. “Damit kannst Du Japan in 3D erleben”, sagt er stolz. Mei, wie liab!

Ich dusche, so lange ich das Gemeinschaftsbad noch für mich allein habe. Gegen halb acht steige ich dann die Treppe hinunter. Katsushi-San ist in der Küche beschäftigt, und er ist nicht allein. Neben ihm steht eine Frau mit einer Gesichtsmaske und nickt freundlich. “Das ist Takako-San, meine Frau”, stellt er sie vor.
Ich habe keine Ahnung, wie alt die beiden wohl sind. Sechzig? Fünfundsechzig? Siebzig?

Ich nehme am Tisch Platz und bekomme einen Ingwer-Tee serviert. “Wann kommen die anderen Gäste?”, frage ich.
“Oh, keine anderen Gäste. Wir nehmen immer nur eine Fraktion auf. Wenn das eine vierköpfige Familie ist, haben wir für eine Nacht vier Gäste. Wenn das eine Gruppe von 12 Freunden ist, sind es 12 Gäste. Und wenn nur einer bucht, dann ist es nur eine Person, die zu dieser Zeit unser Gast ist.”

Cool! also bin ich alleine hier! Sogar wirklich GANZ allein, denn die beiden wohnen in einem kleinen Häuschen neben dem großen Gästehaus.

“Wie kommt es, dass ihr hier draußen ein so großes Gästehaus betreibt?”, frage ich und Katsushi beginnt zu erzählen, das er früher Vertreter eines Automobilzulieferers war. In dieser Funktion hat er englisch gelernt und war viel in Europa unterwegs, auch in Deutschland. “Meine Frau und ich sind die Romantikstraße gefahren”, sagt er stolz.
Ah. Würzburg bis Neuschwanstein. Natürlich Neuschwanstein.

“Wir hatten das Haus hier für unsere Kinder gebaut, aber die sind lieber in die Stadt gezogen”, erzählt Katsushi. “Als Takako und ich in Rente gingen, war uns langweilig. Sie hat dann angefangen nebenbei bei Air B&B zu arbeiten, und eines Tages hat sie zu mir gesagt: “Ich möchte auch ein B&B betreiben”. Also haben wir das leere Haus hier umgebaut und jetzt freuen wir uns, wenn uns Menschen aus ganz Japan und aus allen Teilen der Welt besuchen und wir mit ihnen sprechen können.”

Cool. So etwas ähnliches hat Herr Shuke in Kanazawa auch gesagt. Er konnte nicht mehr reisen, also hat er die Welt in sein Haus eingeladen, um von den Gästen zu lernen.

Takoko-San unterbricht das Gespräch mit Gesten. Unmissverständlichen “Jetzt wird gegessen”-Gesten, dann fährt sie auf:

Meine Güte. Ein Stück gedünsteter Fisch. Frittiertes Huhn. Frittierte Teigtaschen. Okraschoten.

Und… was auch immer das da ist. “Wildreissalat”, sagt Katsuke-San. “Von unserem eigenen Feld vor dem Haus”.

Wer soll das alles essen?! Aber dann merke ich, wie hungrig ich tatsächlich bin, nach diesem langen und anstrengenden Tag, und schaffe es tatsächlich alles, alles aufzuessen. Das freut meine Gastgeber, die sich nach dem Abwasch zurückziehen.

Jetzt habe ich das ganze Haus für mich allein.
Ich trete noch einmal vor die Tür, blicke über die nächtlichen Felder und atme tief ein. Was für ein Tag.

Tour des Tages: Von Sakurajima nach Cape Sata, dann nach Norden bis zum Toyonoakari B&B. Nur 311 Kilometer, aber dafür habe ich rund neun Stunden benötigt.

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