Reisetagebuch Japan (19): Besuch bei Totoro

Reisetagebuch Japan (19): Besuch bei Totoro

Das Reisetagebuch. Heute besuche ich Totoro, Marnie, das Schloss im Himmel, Kikis kleinen Lieferservice und viele andere mehr. Außerdem treffe ich auf eine Ente, einen Käfer und eine Isetta. Unter anderem.

Donnerstag, 24. Oktober, Nagoya
Auf Sakurajima habe ich löslichen Kaffee gekauft. Schnell was von dem in heißes Wasser gerührt, dazu eine Apfeltasche mit Custard aus dem Conbini – das geht als Frühstück durch, das reicht für den Start in den Tag.

In Conbinis gibt es echt so geile Fertigsachen – aber leider ist das meiste kalorienbehaftet wie die Hölle. Na egal, ich werde mir das Zuckergebäck heute sicherlich heute noch ablaufen.

Ich werfe mir das Daypack über die Schulter und marschiere um kurz vor acht los zur U-Bahn-Station um die Ecke. Die ist zwar blitzsauber, bekommt aber definitiv nicht viel Liebe oder Instandhaltung ab. Dafür gibt es alternativ aussehende Geschäfte und Cafés. Das wirkt, als ob hier echte Menschen leben – ein Eindruck, der sonst in japanischen Metropolen an vielen Stellen fehlt, weil häufig alles so makellos perfekt und gleichzeitig unpersönlich ist.

Die Bahn braucht rund eine halbe Stunde bis zur Haltestelle Fujigaoka. Vor dem dortigen Bahnhof ist der Zugang zu einem unterirdische Privatbahnhof. Hier betreibt ein Unternehmen die Linimo-Line.


Die fährt ein gutes Stück unter der Stadt hindurch nach Westen, dann stößt sie an die Oberfläche und wird wenig später zu einer Hochbahn. Von meinem Platz aus kann ich sehen, wie die großen Gebäude langsam weniger werden, dann wird die Landschaft ländlich, mit kleinen Feldern und großen Wäldern.

An der Haltestelle mit dem einfach zu merkenden Namen Ai-Chikyuhaku-Kinen-Koen steige ich aus.

Hihi. Der Bahnhofsvorsteher ist ein Golden Retriever, behauptet ein Schild. “Persönlichkeit: Anhänglich. Mag: Gestreichelt werden.” ChrChr.

Der Eingangsbereich zum Gelände vor dem Bahnhof ist erkennbar großzügig und weitläufig angelegt, um sehr viele Menschen gleichzeitig auf das Gelände zu lassen. Hoffentlich kommen die erst nach mir.

Vor dem Bahnhof steht ein Schild. “Welcome to Expo 2005” – na, das ist nun schon ein wenig her.

Am Ende des Eingangsbereich steht ein seltsames Haus mit einem kleinen Uhrenturm. Darin sind Aufzüge, die einige Etagen hinabfahren.

Das ehemalige Expo-Gelände ist heute ein “Commemorative Park” in Erinnerung an die Expo und steht der Allgemeinheit offen. Ohne Eintritt zu zahlen kann man zwischen den weitläufigen Rasenflächen und durch die umgebenden Wälder flanieren.

Vermutlich kommt aber kaum jemand zum Spazierengehen in den Parkanlagen hier her. Die eigentliche Attraktionen sind über das ganze Gelände verteilt und fügen sich harmonisch darin ein. Aus der Ferne kann ich das Dach eines roten Hauses sehen, das dazugehört.

Es sind schon eine Menge Leute unterwegs, und es ist klar zu sehen, weswegen die hier sind.

Das hier ist der Ghibli-Park! Studio Ghibli ist mittlerweile auch im Westen ein Begriff. Das Animationsstudio hat sich einen legendären Ruf erarbeitet. Es wurde von Leuten gegründet, die zuvor an Auftragsarbeiten wie “Die Biene Maja” oder “Heidi” gesessen hatten. Nach “Das letzte Einhorn” bekamen sie Lust, eigene Geschichten zu erzählen und gründeten Studio Ghibli. Seit Mitte der 80er macht Ghibli Filme wie “Das Schloss im Himmel”, das sehr ernsthafte “Die letzten Glühwürmchen”, “Prinzessin Mononoke”, “Chihiros Reise ins Zauberland”, “Das wandelnde Schloss”, “Mein Nachbar Totoro” oder zuletzt “Der Junge und der Reiher”. All diese Filme haben eines gemeinsam: Sie sind mit unfassbarem Detailgrad gezeichnet, liebevoll animiert und erzählen berührende Geschichten.

Alles bei Ghibli ist liebevoll und herzerwärmend gemacht. Ich meine, allein die Website ist doch eine Schau!

Ghibli hat mittlerweile weltweit Erfolg und eine treue Fangemeinde, und auch wenn man noch nie einen Ghibli-Film gesehen hat, wird man Figuren aus deren Filmen schon einmal gesehen haben.

Für Ghibli-Fans gibt es zwei Orte, an die sie unbedingt möchten: Das Ghibli Museum in Tokyo und den Ghibli Park hier, in Nagoya. Die Website warnt ausländische Touristen, das bloß nicht zu verwechseln, denn beide Locations sind 230 Kilometer voneinander entfernt.

Es wäre in der Tat superschade, wenn man eine stark nachgefragten Karten bekäme und dann am Einlasstag am verkehrten Ort wäre. Karten für den Park zu bekommen erfordert gutes Timing und Schnelligkeit, ist aber machbar wenn man an dem Tag und zu genau der Minute, wenn die Karten für den nächsten Reservierungsmonat freigeschaltet werden, am Rechner sitzt und seine Kreditkarteninfos schon in der Zwischenablage hat UND dann die Kreditkarte auch funktioniert.

Aber Karten für das Ghibli Museum zu bekommen? Praktisch unmöglich. Auch da habe ich am Veröffentlichungstag am Rechner gesessen, und noch bevor ich den Bestellprozess starten konnte, waren die Karten weg. Der Kummer darüber hielt sich in Grenzen, ich bin kein großer Ghibli-Fan. Ich mag “Totoro”, habe “Porco Rosso” gesehen und bin neugierig auf den Park hier, aber ich muss nicht den Boden küssen, über den der Kultregisseur Hayao Miyazaki gewandelt ist.

Mit meinem “Ghibli Park O-Sanpo Day Pass Standard”, der rund 3.500 Yen, etwa 20 Euro, gekostet hat, kann ich um 10:00 Uhr in das “Ghibli-Warehouse”, die Lagerhalle. Was mich darin wohl erwartet?

Eine kleine Stadt! In der riesigen Halle stehen mehrere Gebäude, und unter der Decke fliegt ein Schiff aus “Das Schloss im Himmel”.

Die Gebäude lassen sich betreten. Im ersten sind Szenen aus den Filmen nachgestellt, ausgelegt auf maximale Instagramtauglichkeit. Jede Szene ist ein Fotospot und so gebaut, dass man beim Fotografieren keine anderen Menschen auf´s Bild bekommen kann.

Es ist viel los, im Gänsemarsch schiebt sich die Schlange durch die Fotoszenen. Heute ist Wochentag, und es sind entweder Touristen unterwegs oder japanische Großeltern mit sehr kleinen Kindern oder junge Paare. Als die Großeltern vor und hinter mir mitbekommen, dass ich allein bin und niemanden habe, der von mir Bilder in den Szenen macht, übernehmen sie das einfach – Sie fragen mich etwas, das ich nicht verstehe, deuten auf die Szenen und auf mich und machen Knipsgesten. Mei, wie lieb!

Kurze Zeit später gibt es also Bilder von mir, wie ich mit dem Schattenwesen aus “Chihiros Reise” im Zug sitze, von Porco Rosso verpügelt werde, mit Marnie auf die See hinausblicke oder ein aus dem Himmel fallendes Mädchen aus “Das Schloss im Himmel” auffange.

Am Ende sitze ich sogar mit Totoro am Tresen eines Tearooms!

In Nebenräumen sind immer wieder begehbare Dioramen mit Szenen aus den Filmen nachgebaut, natürlich auch mit unfassbarer Detailliebe.

Auch um die Gebäude herum ist die Welt eine wunderbare. Im gigantisch vergrößerten Nachbau eines Gartens fühlt man sich wie ein Winzling…

Fabelwesen stehen an jeder Ecke.

Und natürlich darf auch der legendäre Katzenbus nicht fehlen!

Die Vielfalt und der Detailgrad sind der Wahnsinn.

In einem kleinen Kino wird ein Kurzfilm gezeigt. Der handelt von einem Menschen- und einem Hasenjungen, die sich an einem Sommertag auf einer Wiese um einen Stock balgen, der sich am Ende als Gehstock der Hasenoma herausstellt. Sie macht den beiden Tee und Kuchen, und darüber vertragen sie sich und werden Freunde, bis sie am Abend wieder nach Hause müssen.

Kurz vor dem Verlassen des Warenhauses hat man die Möglichkeit einen Shop aufzusuchen. Dort gibt es so ziemlich alles zu den Ghibli-Filmen: Stofftiere, Bentoboxen, Kuchen, Plastikfiguren, Puzzles, Poster… Die Leute um mich herum kaufen mit großen Körben ein wie die Nekloppten.

Ich selber kann auch nicht widerstehen und nehme einen kleinen Totoro und einen Waldgeist mit und werde dafür locker 30 Euro los. Billig ist das Ganze hier nicht.

Schon das Ticket war nicht billig, aber anscheinend habe ich nicht genug Geld ausgegeben, denn mein Day Pass erlaubt mir nicht überall Zutritt.

Über das Expo-Gelände verteilt sind Stationen wie das “Tal der Hexen”, der “Hügel der Jugend” oder das Dorf von “Mononoke”. Diese Gelände sind nur durch ein Tor zu betreten, an denen der Pass gescannt wird. In den Bereich komme ich also, aber um die Gebäude zu betreten, müsst ich Extratickets gebucht haben. “Premium Only” heißt es immer wieder . Naja, da drin wäre es mir wahrscheinlich ohnehin zu voll.

Also laufe ich ein wenig durch die Gegend und gucke mir alles nur von außen an. Das ist auch beeindruckend genug.

Ein Gang auf dem “Hügel der Jugend”:

Fotomotiv über dem “Tal der Hexen”:

Überraschend Deutsch aussehendes Dorf im “Tal der Hexen”, das inspiriert ist von “Kikis kleiner Lieferservice” und “Das wandelnde Schloss”.

Eine Wildsau bei “Mononoke”.

Katzenbus!

Den Katzenbus könnte ich jetzt nehmen um zum Dondoko-Forrest zu fahren, aber natürlich laufe ich das lieber zu Fuß – wie weit kann das schon sein? Stellt sich raus: GANZ SCHÖN WEIT, und man kann sich auch ganz wunderbar im Wald verlaufen. In der Ferne kann ich Nagoya sehen.

Als ich eine Mutter sehe, die mit ihrer Tochter auf´s niedlichste Cosplayed, folge ich denen einfach und finde so wieder aus dem Wald heraus.

Immerhin, der Waldspaziergang hatte auch etwas Magisches. Immer wieder gibt es wunderbare versteckte Winkel, die ihren ganz eigenen Zauber haben.

Ghibli ist wirklich ein Zauberreich.

Nach drei Stunden bin ich so ungefähr mit allem durch und laufe zurück zum Ausgang.

Ich nehme die Linimo-Bahn, steige allerdings nach zwei Stationen schon wieder aus und laufe ein Stück an einer Straße entlang, bis es einen Hügel hinaufgeht. Dort oben stehen graue Gebäude mit roten Dächern.

Das ist das Toyota Museum für Automobilität. Anders als im gestrigen Museum, wo die Firmengschichte von Toyota erzählt wurde, ist das hier einfach eine große Fahrzeugsammlung. Im Prinzip der PS-Speicher von Toyota. Für beide Museen zusammen gibt es ein günstiges Kombiticket, wie ich hier erfahre – tja, zu spät.

Die Ausstellungshallen haben fast etwas sakrales, ein wenig wie eine Schatzkammer voller Heiligtümer. Das erste Serienauto von Toyota findet sich hier.

Aber darüber hinaus ALLES aus allen Epochen. Uralte Jaguars und General Motors aus den 30ern und 40ern stehen neben modernen Mercedessen.

Eine ganze Reihe widmet sich der amerikanischen “Streamline”-Bewegung und deren Designschule.

Aber nicht nur Nobelkasrossen finden sich hier. Diese Ausstellung ist Autos gewidmet, die die Welt verändert haben – und das sind halt die Massenmodelle. Folgerichtig finden sich hier nagelneu aussehende Enten, Käfer, ein Fiat 500 und sogar ein Messerschmidt-Kabinenroller und eine Isetta!

Auch moderne Fahrzeuge sind ausgestellt. Der Corolla machte ab 1972 Toxota auch international erfolgreich.

Und der Tesla Roadster ist wirklich ein seltenes Fahrzeug.

In einem kleineren Nebenraum stehen Kinkerlitzchen, von Kühlerfiguren über einen Nachbau von Da Vincis selbstangetriebenen Karren bis hin zu Spielzeug gibt es hier alles rund ums Auto – ein wenig arg willkürlich.

Vor einer Vitrine muss ich stehenbleiben und schmunzeln. DAS Auto hatte ich als Kind auch. Das wird in Japan auch immer noch verkauft. Ein Spielzeug, das es seit mindestens 40 Jahren unverändert gibt.

Auch am Ausgang muss ich Schmunzeln. Auch dieses Auto ist berühmt.

Auf der Rückfahrt nach Nagoya fallen mir die Augen zu, und mir geht es nicht alleine so.

Als ich wieder in Nagoya ankomme dämmert es bereits. Ich laufe noch einmal in Richtung des zentralen Parks und kaufe auf dem Weg bei Don Quijote ein leichtes Nackenkissen für den Rückflug. Als ich beim Mirai-Turm ankomme, ist er geschlossen – doof, irgendwie wollte ich da jetzt doch hoch. Ah, ab 19:00 Uhr ist wieder Besuchszeit. Na dann.

Neben dem Park ist eine futuristische Konstruktion. Ein riesiges Dach aus Stahl und Glas wölbt sich über einer unterirdischen Galerie. Keine Ahnung was das sein soll. Aus Strassenhöhe kann man in die offene Konstruktion hineinschauen und sehen, dass darunter offene Stockwerke in den Boden hineingebaut sind. Irgend etwas wird da gerade aufgebaut, und Schilder behaupten, dass sei ein Busterminal. Hä? Was soll das? Was ist das?

Ich entdecke enge Metalltreppen, die nach oben führen. Neugierig klettere ich hinauf, immer höher und höher, und stehe irgendwann auf dem Dach der Konstruktion. Zu meinem großen Erstaunen ist das Dach ein See. Hä?

Ist nett hier, und ich beschließe mich auf eine Bank am Rand des Dachsees zu setzen und hier zu warten, bis der Mirai Tower aufmacht. Die Idee haben auch andere. Immer mehr Menschen kommen auf´s Dach, vor allem ältere Frauen. Sie spazieren allein oder in Gruppen um den See oder setzen sich auf die Bänke und lesen Bücher. Die Atmosphäre ist nett und entspannt und ich nutze die Zeit, um mal nachzuschlagen, wo ich hier bin.

Die Konstruktion, verrät das Internet, ist die “Oasis21”, ein – natürlich – Einkaufszentrum, aber eines mit eingebautem Busterminal, einer “Galaxy-Platform” (Hä?), einem “Spaceship-Aqua” (das ist der Dachsee) und einem Stripclub. Kannste Dir nicht ausdenken, sowas.

Von der Seite https://www.sakaepark.co.jp/en/

De Dämmerung geht in die Dunkelheit über, und jetzt wird der Space-See und der Weg drum herum von unten beleuchtet.

Ich steige die Treppen wieder hinab und gucke noch kurz die “endless Clock” an…

Dann bewundere ich noch die Oasis. Vom Boden sieht sie jetzt wirklich wie ein Raumschiff aus, das bereit zum Abheben ist.

Wenige Schritte entfernt ist der Mirai-Turm. Die uniformierte Angestellte von gestern ist wieder am Eingang und erkennt mich wieder. Wir sind vielleicht beide ein wenig überrascht, dass ich wieder hier bin.

Mit 1.800 ¥, rund 15 Euro, ist der Eintritt wirklich nicht billig, aber der aus die Aussicht ist es wert. Was ich am Besten finde: Hier ist wenig los, und die Atmosphäre ist geradezu cozy. Vereinzelt sitzen Leute zu zweit an hybschen Holz/Kunststofftischen und trinken Tee. Das wirkt hier eher wie ein Wohnzimmer als eine Touristenattraktion.

Noch ruhiger wird es eine Etage weiter oben. Ich entdecke eine kleine Treppe, und mit der kommt man auf das Dach über der Besucherplattform. Die ist vergittert und mit Kunstrasen ausgelegt, gelegentlich stehen Campingsessel herum. Hier bin ich alleine und kann über die Stadt schauen. Es ist wirklich wunderbar ruhig und die Aussicht hervorragend.

Nachdem ich genug der nächtlichen Stadt augesaugt habe, wandere ich langsam heimwärts. Es beginnt zu regnen, und im warmen Sommerregen bleibe ich vor den Schaufenstern von Geschäften mit deutschem Namen stehen.

Okay, das sind die zweitunpraktischsten Brillenmodelle, die ich je gesehen habe. Verletzungsgefahr vorprogrammiert.

Das Abendessen kommt wieder aus einem Family Markt, Nudeln, Wraps, und Joghurt. Dazu ein “Santi Highroller Bier” was mir aber nicht schmeckt, weil offensichtlich Whisky drin ist. Merke: Bier ist kein Mischgetränk!

Tour des Tages: Von Nagoya zum Ghibli Park und zurück. Zu Fuß rund 14 Kilometer.

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