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Category: Betrachtung

Heute passiert nichts, und für morgen gibt es keine Hoffnung

Heute passiert nichts, und für morgen gibt es keine Hoffnung

Heute Nacht sind Präsidentschaftswahlen in den USA. Diverse Medien bieten “Wahlnächte” mit Umfragen und Livetickern und -schalten und atemlosen Whatnot. Kann man sich alles sparen, denn: Heute passiert nichts. Das Wahlergebnis wird nicht heute Nacht feststehen und auch nicht morgen früh. Vielleicht dauert es bis Januar, bis eine Entscheidung gefällt ist.

Was heute passieren wird: Gegen Mitternacht US-Zeit (also ca. 8:00 Uhr morgen früh bei uns) wird Trump nach Hochrechnungen und ersten Auszählungen in einigen der wahlentscheidenden Bundesstaaten vorne liegen. Daraufhin wird er seinen Wahlsieg verkünden und ins Bett gehen.

Doof: Zu diesem Zeitpunkt sind noch lange nicht alle Stimmen ausgezählt. Vor allen Dingen nicht alle Stimmen für Harris. Wähler:innen der Demokraten nutzen nämlich gerne die Briefwahl, und in etlichen der Staaten wurde das Wahlrecht durch die Republikanische Partei so geändert, dass Briefwahlstimmen erst nach den Stimmen aus den Wahllokalen gezählt werden.

Was dann am nächsten Morgen passiert: Entweder Trumps Sieg wurden in den Einzelstaaten bestätigt ODER durch die Auszählung der Briefwahlstimmen liegt nun Harris vorne. In letzterem Fall werden die Republikaner “Wahlbetrug” schreien und es wird erneute Auszählungen geben. In einigen Staaten wurden die Prozeduren für Neuauszählungen von den Republikanern dermaßen kompliziert gestaltet, dass sie sich über Wochen hinziehen können. Allein die lange Nachzählzeit eröffnet dann die Möglichkeit, “Irregularities” zu vermuten, Klagen zu starten und letztlich die Entscheidung über die Wahl den Gerichten zu überlassen. In letzter Instanz dem Supreme Court, in dem mehrheitlich Trump-Gefolgsleute sitzen.

Ebenso kann der republikanische Senat die Anerkennung des Wahlergebnisses verweigern und die Entscheidung dem Kongress überlassen. Bei dem dann folgenden Wahlprozedere würden die Republikaner aktuell gewinnen, weil sie die Mehrheit der Einzelstaaten haben. Es wird übrigens vermutet, dass Trump die Vorbereitungen auf dieses Szenario meinte, als er von “Unserem kleinen Geheimnis” zwischen ihm und dem Führer des Kongresses sprach.

Mit anderen Worten: Die Republikaner erringen schon lange (schon seit dem Jahr 2000) nicht mehr die Mehrheit der Wahlstimmen in den USA, aber bislang hat ihnen das Wahlsystem in die Hände gespielt. In den letzten Jahren haben sie daran gearbeitet, dass es nun fast völlig egal ist wie die Bevölkerung abstimmt, sie gewinnen trotzdem.

Die Folgen mag man sich nicht ausmalen. Gewinnt Trump, beginnt der Austausch des Beamtenapparats gegen Trump-Getreue und der Staat wird mit Hilfe von Milizen wir den “Proud Boys” ethnische Säuberungen durchführen. Die USA werden ein faschistischer Staat, der auch seine Funktion als Schutzmacht gegenüber Europa oder Taiwan nicht mehr ausüben wird.

Verliert Trump trotz aller Manipulationen und Klagen, werden seine Anhänger mit Waffengewalt “ihr Land zurückholen”.

So oder so, ich sehe keinen Grund zur Hoffnung. Die Zukunft ist düster, aber heute Nacht wird sie nicht entschieden.
Falls ich mich irre, würde ich mich sehr freuen.

[Nachtrag: Ging doch sehr schnell mit der Entscheidung. Trump ist Präsident. Fast mit einem Erdrutschsieg. Dann haben es die Amerikaner nicht anders gewollt und verdient – Vollgas zurück in die 1950er und in den Faschismus.]

Das war das Jahr, das war (2023)

Das war das Jahr, das war (2023)

Jahresende. Zeit für die Rückschau. Was bleibt von 2023? Plus: Beste Bilder.

Lage der Welt:
Es war das Jahr vier der COVID-Pandemie und Jahr zwei des Russland-Kriegs in der Ukraine. Nur, über Covid redet niemand mehr, das wurde für beendet erklärt, und der Ukraine-Krieg verliert Unterstützung.

Insbesondere rechtsextreme Politiker auf der ganzen Welt reden ihrer Bevölkerung ein, dass man es sich nicht leisten könne, weiter das überfallene Land zu unterstützen. Besonders schlimm ist das wieder in den USA, wo die Republikaner nach wie vor einen faschistischen Kult um Führer Trump bilden. Darüber zerlegen sie sich selbst und den Kongress, der mehrere Wochen nicht handlungsfähig ist.

Dass Trump aktuell in 91 Fällen vor Gericht steht, von Betrug über Unterschlagung bis hin zu Landesverrat und Anzettelung eines Aufstands, ficht die Grand Old Party nicht an. Auch nicht, das Trump ankündigt, im Falle einer Wiederwahl – und seine Partei hat hart daran gearbeitet, dass sie nicht mehr verlieren kann – Diktator werden zu wollen und politische Gegner mit Staatsgewalt zu verfolgen und einzusperren. Es kann niemand sagen, er habe von nichts gewusst – Superschurken wie Trump oder Musk sagen IMMER wortwörtlich, was sie als nächstes tun werden. Da ist kein Raum für “hat er nicht so gemeint” oder “muss man anders interpretieren” oder “Das ist nur Trump, wie er nun mal ist”. Nein, die USA unter Trump II werden eine faschistische Diktatur werden, und darauf sollte sich die neue, multipolare Welt vorbereiten.

DAS Trump gewählt wird, dafür sprechen momentan nahezu alle Umfragen. NIEMAND außer Joe Biden findet Joe Bidens Entscheidung gut, dass Joe Biden in 2024 noch einmal antritt. Zwar macht der greise Politiker sehr gute Arbeit und stellt die Weichen für ein grünes und digitales Amerika, wodurch die Wirtschaft prosperiert und sogar Firmen aus Europa anzieht, aber er ist schlicht unbeliebt und gilt als zu alt.

In Russland sitzt Putin fester im Sattel als je zuvor, obwohl im Juni die Wagner-Söldner gegen ihn zu putschen begannen. Russlands Kriegswirtschaft läuft, China und Indien sind wichtige Partner, Opposition sitzt im Knast oder im Exil, Wiederwahl im nächsten Jahr ist safe. Auf der Weltbühne machen sich Russland und China an Länder des globalen Südens ran und schmieden neue Allianzen. Die eint nur eines: Echten oder vermeintlichen Hass auf den Westen.

Dabei hasst sich der Westen auch selbst, rechtspopulistische und rechtesextreme Parteien sind überall im Aufstieg und werden sogar in Regierungen gewählt. Dort beginnen sie, die Demokratien von innen auszuhöhlen. In Europa ist das Ungarn, das den US Republikanern als Testlabor gilt, in Südamerika Argentinien.

Im Herbst eskaliert dann die Lage im nahen Osten, die Hamas überfällt Israel und massakriert und verschleppt die Zivilbevölkerung. Die israelische Regierung agiert zunächst gar nicht, dann kopflos.

Ansonsten? Winterdürre von Januar bis März, insgesamt heißestes Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Schlimmes Erdbeben in der Türkei, verzweifelte “Klimakleber”-Proteste, Finnland kommt in die Nato, Schweden wegen der Türkei nicht, Polen wählt die PIS aus der Regierung.

Außerdem: ChatGPT und andere LLMs gelangen in den breiten Einsatz und verzeichnen kometenhaft aufsteigende Nutzungszahlen. Binnen eines Jahres durchseucht die KI das Internet – Texte, Bilder, Übersetzungen – dafür braucht es nun keine Menschen mehr.

In Summe: Alles, alles schlimm und in 2024 wird es noch weitaus schlimmer werden. Früher war die Weltordnung bipolar, heute ist sie multipolar und damit noch irrer als vorher.

Lage Europas:
Europa eiert außenpolitisch weiterhin herum, was mit von der Leyen an der Spitze absolut erwartbar war. Nicht mal auf Ukraine-Unterstützung kann man sich noch verständigen. Schuld daran ist Querschläger Ungarn, das blockiert, wo es nur kann. Das Land wurde von Orban und Konsorten zu einer Autokratie umgebaut, die sie nun ausplündern und die ironischerweise dabei von Russland UND der EU abhängig ist. Ebenfalls schwierig: Erdogan zieht die EU weiter am Ring durch die Manege, wie es ihm gefällt.

Die Kommission folgt der Politik ihrer Chefin, bloße Vorhaben, Absichtserklärungen oder minimale Erfolge groß aufzublasen, dann aber wenig umzusetzen. Wiederbelebt und angegangen wird dagegen Zensursulas Lieblingsprojekt der Netzsperren, jetzt mit Bonusprogramm “Chatkontrolle” – die EU will Zugang zu jedem Chatverlauf haben, überall und jederzeit. Man mag sich nicht ausdenken was passiert, wenn diese Überwachungsmaßnahmen in die Hände rechtsextremer Parteien fallen – aber soweit denken ja Politiker:innen offensichtlich nicht, die solchen Mist vorschlagen oder sogar beschließen. Man möchte heulen.


Lage der Nation:
Die Rot-Grün-Gelbe Bundesregierung (kurz “Die Ampel”) gibt nach wie vor kein gutes Bild ab. Und das, obwohl Habeck eine Energiekrise im Winter verhindern konnte und die Grünen kompromissbereit und staatstragend agieren, bis es ihnen richtig weh tut und ihre Basis entsetzt ist. Die SPD strickt an Sozialumbauten. Trotz allen möglichen Krisen, das muss man anerkennen, sitzen hier gute Leute am Werk und machen gute Arbeit.

Nein, neben sauschlechter Kommunikation sind es vor allem zwei Faktoren, die schon im Vorjahr, aber auch in 2023 das Bild völlig verzerren. Das eine sind die Panikreaktionen der FDP, das andere ist der Kanzler Olaf Scholz.

Die FDP hat bei den letzten Bundestagswahlen gerade bei Jungwählern hoch gewonnen, weil sie sich als zukunftsorientierte, aber liberale Partei präsentiert hat und damit attraktiv war für Wählerschichten, die das Klimaproblem ernst nehmen und gleichzeitig das Image der Grünen als sockenstrickende Baumumarmerpartei ablehnen. NACH der Bundestagswahl stellte die FDP aber den Hebel wieder um auf “Weiter so” und bediente wieder die Interessen ihrer alten Klientels aus der Wirtschaft und pfiff auf Klima- und Grundrechtsschutz sowie digitale Transformation, also die Themen, die junge Menschen interessieren. Im Gegenteil, sie gebärdete sich erneut, wie schon in 2022, wie eine Oppositionspartei und verhinderte sinnvolle Maßnahmen, dieses Mal sogar auf europäischer Ebene.

Daraufhin rauschte sie bei den Landtagswahlen völlig in den Keller, zog daraus aber die falschen Schlüsse. Statt sich wieder auf die modernen Themen zu besinnen, wurde als neue Strategie “Quält die Gründen wo ihr könnt” ausgegeben und öffentlich in der Regierung gezankt, woraufhin die Landesergebnisse noch schlechter wurden – nun aber für alle Regierungsparteien.

Der Kanzler war die meiste Zeit einfach nicht sichtbar. Keine Führung, keine öffentliche und sinnvolle Erklärung der Regierungspolitik, nichts. In der Außenwirkung regieren gerade Robert Habeck und Christian Lindner das Land, und letzterer versteigt sich leider in Symbolpolitik.

Die Opposition in Form der CDU/CSU könnte davon profitieren, wenn sie sich wirklich erneuern wollen würde. Stattdessen versammelt sie sich hinter Friedrich Merz, der dieses Jahr wieder etliche Beweise erbracht hat, das er mental immer noch im Jahr 1996 lebt und seitdem nichts dazugelernt hat. Klimaschutz? Zu teuer. Digitale Transformation? Nonsensethema. Stattdessen? Kürzen bei der den Ärmsten und den Rentnern, und: Leitkultur!

Ja, diese Zombiedebatte, die selbst ihr Erfinder 2006 als Unfug begriffen und für beendet erklärt hat. Merz ficht das nicht an, entgegen dem Rat aller Analysten versucht er mit “Das Boot ist voll” und sozialer Kälte am rechten Rand zu fischen. Politikwissenschaftler wissen seit 1990: Das funktioniert nicht. Wenn etablierte Parteien so etwas versuchen, verschieben sie nicht nur moralische, ethische und soziale Normen, sie graben sich auch ihr eigenes Grab, denn dann wählen die Leute IMMER die Original-Rechten.

Es ist wirklich erbärmlich, man würde sich eine Opposition wünschen, die Strategien für die Zukunft entwirft, und keine, deren Lösung für jedwedes Problem in Kürzungen bei denen, die sowieso nichts haben, und Parolen von “weniger Zuwanderung” besteht.

Immerhin wird immer deutlicher erkannt, dass das Land einen riesigen Investitionsstau hat und dringend nicht nur in die Zukunft, sondern ins hier und jetzt investiert werden muss. Dummerweise trickst die Bundesregierung beim Haushalt, was ihnen das Bundesverfassungsgericht untersagt. Viel Spielraum bleibt dann nicht mehr, weil IRGENDWELCHE TROTTEL JA EINE SCHULDENBREMSE INS GRUNDGESETZ SCHREIBEN MUSSTEN. Auf deren Einhaltung pochen Union und FDP auch und machen damit Deutschland international zur Lachnummer. Egal ob unsere europäischen Nachbarn oder die USA: Überall werden Milliarden in die Zukunft investiert. Bei uns nicht, aus ideologisch-konservativem Gründen. Die Times schreibt darüber ein langes Stück und nennt Deutschland bereits den “neuen, kranken Mann Europas”.

Die AFD, die in diesem Jahr in zwei Landesverbänden vom Verfassungsschutz als “gesichert Rechtsextrem” eingestuft wurde, feiert bei den Landtagswahlen große Erfolge und stellt bei Kommunalwahlen jetzt Landräte und Oberbürgermeister. Letzteren natürlich in Pirna, wo sonst.

Der Aufstieg der Rechtesextremen ist übrigens keine Überraschung. Seit mindestens zehn Jahren schreibe ich an dieser Stelle darüber, wie tödlich es für eine Demokratie ist, wenn die verfassungstreuen Parteien demokratische Errungenschaften, wie z.B. Europa, als gegeben hinnehmen und in Wahlkämpfen darauf herumtrampeln. Große Koalitionen fördern nachweislich ebenso die extremen Positionen, und dieses Land wurde viel zu lange von einer GroKo verwaltet. Die Ampel macht zwar vieles besser, hat aber durch ihre schlimme Kommunikation Vertrauen verspielt. All das ist kein Grund Nazis zu wählen – aber so denkt leider nicht jeder.

Am Jahresende haben wir darum eine seltsame Situation: Eine Opposition aus Union und AFD, die beide entweder verhalten oder offen rechtsextrem sind und die die Uhr am liebsten 30 Jahre zurückdrehen wollen – bis in die Zeit, als in Rostock-Lichtenhagen noch Asylbewerberheime brannten.

Währenddessen sitzt die FDP in der Ideologie-Ecke und schlägt den blutigen Kopf immer wieder gegen die gleiche Wand, die SPD sediert vor sich hin und die Grünen sind kaum handlungsfähig, weil sie von allen gehasst und aus ideologischen Gründen blockiert werden. Himmel, hilf.

Immerhin: Die letzten drei deutschen Atomkraftwerke werden abgeschaltet, und der Ausbau der Erneuerbaren kommt voran. Im Herbst liegt der Anteil der Erneuerbaren bei der Stromerzeugung bei 60%, insgesamt deckten die den Stromverbrauch zu 52%. Niemand, außer Friedrich Merz, auch nicht die Stromerzeuger selbst, wollen noch Kernkraftwerke betreiben – umso unverständlicher, dass die CDU das weiter propagiert. Ach, klar – in den 90ern setzte man ja noch auf Atomkraft.

Ich Ich Ich
Ich trage seit Herbst 2022 Magenbeschwerden mit mir rum und entscheide mich im Februar endlich dazu, das mal untersuchen zu lassen. Die Hausärztin rätselt ins Blaue hinein und zögert eine Empfehlung für eine bildgebende Untersuchung bis Mai raus, und bis es dann endlich zur Magenspiegelung kommt, ist es Ende Oktober. Ergebnis: Entzündungen der Magenschleimhaut und der unteren Speiseröhre, vermutlich stressbedingt.

Ja, glaube ich gerne. 2023 war kein Spaziergang.

Die Arbeitslast war weiterhin durchgängig fordernd, wenn auch nicht signifikant höher als in den Vorjahren. Ruhige Zeiten gibt es in der Branche nicht mehr, wohl aber Lastspitzen, die dann so heftig ausfallen können, dass mir für alles andere – Menschen treffen, bloggen, Motorrad – die Energie fehlte. Also wirklich: Gar keine Energie. Nach Hause kommen, umfallen.

Lediglich die Gartenarbeit habe ich hinbekommen, die half dabei nicht irre zu werden. Was nicht geholfen hat, war das Wetter. Bis in den April rein fühlte sich einfach alles, alles wie November an. Bleischwer und grau, so lange, bis es mir wirklich aufs Gemüt schlug.

Zur Arbeit kamen die großen Sorgen um meinen Vater, der in den vergangenen Jahren in Demenz und Verwahrlosung abgerutscht war und der sich auch nicht helfen ließ. Ich stieß ein Betreuungsverfahren an, was de facto im März zu seiner Entmündigung führte. Aber noch bevor die Betreuung etwas ausrichten konnte, löste mein Vater alle Probleme auf seine Art und fiel einfach tot um.

Das brachte mir im Mai einen Besuch der Polizei ein, und die Frage, was nun mit einem völlig maroden, Ungezieferbefallenen und von einem Messie jahrzehntelang vollgemüllten Haus passieren sollte. Schweren Herzens entschied ich, das Erbe und damit mein Elternhaus mit allem darin, auch meinem Jugendzimmer mit meinen Büchern, Filmen und meinem persönlichen Besitz, auszuschlagen. Das war schwer.

Gut waren zwei Wochen Irland im Juni und vier Wochen Italien im Oktober, beides mit dem Motorrad. Vier Wochen klingt lang, aber es dauerte schon satte 14 Tage, bis ich nicht mehr an die Arbeit gedacht habe – die sich dann an Tag 15 prompt meldete und mich wieder zu einem ganz erheblichen Teil beschäftigte.

Später im Jahr dann die Trennung von meinem Legendären Gelben AutoTM, der geliebte Beamer rauchte ab und das Haus, in dem ich lebe, wurde in Teilen geflutet und ist nun baufällig, was sich potentiell zum Verkauf und damit zum Verlust meiner Bleibe auswachsen kann. Ach ja, und nach 18 erfolgreichen Jahren in einem Job, den ich eigentlich gerne mache, muss ich mich jetzt der Frage stellen, ob das noch das richtige ist.

Schon seltsam. Ich habe jahrelang in dem vollen Bewusstsein gelebt, dass mein Leben nahezu perfekt für mich ist. Nun verändert sich alles auf einmal, und besser werden kann es ja nicht – oder?

Bei all diesen persönlichen Fragen bin ich dann im November das erste Mal aus dem Nachrichten-Game ausgestiegen. Ich bin von Haus aus halt Medienmensch und Politikwissenschaftler, aber beim Thema Nahost habe ich kein Wissen, keine Meinung und höre/sehe/lese von mir aus auch keine Nachrichten dazu. DAS ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich so ein wichtiges Thema einfach von mir fernhalte.

Ich bin stressfest und resilient, und ich habe 2023 erstaunlich gut überstanden. Aber in diesem Jahr wurde mehr als eine Grenze erreicht, und ich musste auf mich achten.


Und sonst noch?

Worte des Jahres: Man erfährt nur, wozu man bereit ist.

Worte, die ich nicht mehr lesen oder hören möchte: “…aber dazu später mehr” in Texten und Podcasts. Der Ausdruck allein zeugt von Faulheit und schlechter Planung.

Zugenommen oder abgenommen: Abgenommen.

Die teuerste Anschaffung: Einen Toyota Aygo. Gebraucht, 11 Jahre alt, 46.000 km runter.

Luxus des Jahres: Plötzlich zwei Autos zu besitzen. Wenn auch nicht lange.

Mehr bewegt oder weniger: Mehr.

Die hirnrissigste Unternehmung: “Wir-geben-Dir-Geld-fuer-Dein-Auto.de” zu kontaktieren. Der Terror, der dann auf allen Kanälen losbricht, wünscht man niemandem.

Ort des Jahres: Bari Sardo.

Zufallspromi des Jahres: Katrina Kaif. Wahnsinnig begabte Frau.

Person des Jahres: N.B. Wer hätte das gedacht.

Nervende Person des Jahres: Der Preis geht, wie in 2022, zu gleichen Teilen an Friedrich Merz und Elon Musk. Der eine hatte 1992 einen Unfall mit einer Cryo-Maschine und wurde erst jetzt wieder aufgetaut, der andere hat sich radikalisiert und ruiniert Gesellschaften und den Planeten. In 2023 haben beide nochmal eine Schippe draufgelegt. Dabei habe ich das verhängnisvolle Gefühl, die laufen sich gerade erst warm.

Das beste Essen: Simples, aber fantastisches Salami-Panino, liebe voll zubereitet von Signora M.

Das seltsamste Essen: Full Irish Vegetarian Breakfast.

Das beste Süßkram: Eis aus Ziegenmilch in Baunei.

2023 ENDLICH getan: Den alten Röhrenfernseher entsorgt.

2023 zum ersten Mal getan: Magenspiegelung. Dank Propofol kein Problem. Hicks.

2023 das erste mal seit langer Zeit wieder getan: Gehandwerkt, Dinge geändert und Pflanzen gekauft und Gemüse angebaut. Ach ja, und Waschlappen gekauft und benutzt, um Gas für die Dusche zu sparen. Hat funktioniert und die Haut hat´s gedankt.

Gesundheit: Geht so. Magenprobleme. Aber bin nach wie vor beweglich und agil und wieder fitter als in den Vorjahren. It´s not the years, honey, it´s the mileage.

Ein Ding, auf das ich gut hätte verzichten mögen: Die Überschwemmung, die die Dame in der Nachbarswohnung ausglöst hat. 7.000 Liter Wasser in einem Lehmbau sind halt nicht gut.

Gereist? Jahaa! Eine Motorradtour im Juni durch Irland und das Unvereinigte Königreich und eine im September durch die Schweiz, Sardinien und Festland-Italien. Sechs Wochen on the Road, das war super.

Film des Jahres: War ein gutes Filmjahr für kleinere Produktionen, während die großen Franchises größtenteils untergingen. “Woman King” mit seinem starken, rein schwarzen und fast nur weiblichen Cast ist mein Film des Jahres. Ebenfalls toll: “The Father”, das Drama aus der Sicht eines Demenzkranken Antony Hopkins, sowie “Bullet Train”, einem schillernden, starbesetzten und sehr überraschendem Film. Auch gut: “Kate”, einem Netflix-Film, der einer vergifteten Killerin ins neonfarbene Tokyo folgt und der so gute Actionszenen hat, das man im Sessel zusammenzuckt. Fleissternchen für “Mission Impossible: Dead Reckoning Part I” für handgemachte Action und den unbedingten Willen, in jeder Szene etwas noch nie Gesehenes zu zeigen.

Theaterstück des Jahres: “Frühstück bei Tiffanys” als Ein-Personen-Stück aus Sicht des Nachbarn, der sich am Ende selbst in Holly Golightly verwandelt.

Musical des Jahres: “Der Graf von Monte Christo” bei den Gandersheimer Domfestspielen.

Song des Jahres: “Set the Rain on Fire” als Acoustic Cover von der fantastischen N.B. Wer Spotify hat, kann das hier hören: Klick.

Spiel des Jahres: Ein starkes Spielejahr! “Spider-Man 2” ist handwerklich und erzählerisch super, zudem hatte kein Spiel in diesem Jahr ähnlich gutes Gameplay. Viel Spaß hatte ich auch mit Like a Dragons “The Man who erased his Name”, sowie dem Remake von “Resident Evil 4” und dem “Horizon”-DLC “Burning Shores”. Zum Jahresende tritt überraschend “Alan Wake II” auf den Plan. Das entpuppt sich trotz fantastischer Grafik zunächst als erstaunlich sperrig und hat schlechtes Gameplay, aber wenn man sich daran gewöhnt hat, es mit einem Horror-Walkingsimulator zu tun zu haben, geht´s – und dann folgt man einer unfassbar stark geschriebenen Geschichte in einer fantastischen Atmosphäre und kommt nicht mehr davon los. Alan Wake II wird mir am längsten im Gedächtnis bleiben, folgerichtig muss es das Spiel des Jahres sein.

Scheißspiel des Jahres: “Death Stranding” – ganz übler Mist, der kaum eine Sekunde Spaß macht.

Serie des Jahres: “Picard” Staffel drei war eigentlich TNG Staffel 8 und überraschend gut, “Strange New Worlds”-Staffel 2 ließ mich staunen ob der Liebe, die da drin steckt, und als Videospielverfilmung glänzte “The Last of Us” mit viel Atmosphäre und guten Geschichten. Mein Gewinner war aber “Twin Peaks”, Season 3 von 2017. Hatte immer gehört, die sei so langweilig, und deshalb die hier seit Jahren rumliegenden Scheiben nicht angeguckt. Dann endlich rangetraut und wow, was für ein absolut geiler Shit!

Buch des Jahres: “London Calling” von Annette Dittert. Viel gelernt über die britische Seele.

Ding des Jahres: Der Corsori Airfryer teilt sich den Platz mit dem unersättlichen Baustaubsauger von Kärcher, aber im Herzen: Das Legendäre Gelbe AutoTM, von dem ich mich in diesem Jahr getrennt habe.

Spielzeug des Jahres: Die 12V-Werkzeuge von Bosch blau. Ich liebe die handtellerkleine Flex!

Enttäuschungen des Jahres: “Banshees of Inisherin” – sah so toll aus in den Trailern, entpuppte sich dann aber als planloser Scheiß. Ansonsten, wie schon 2022: Disney, alles davon. Der dritte Ant-Man Film, “Quantum Mania”, ist eine audiovisuelle und intellektuelle Beleidigung, gleiches gilt für alle Marvel-Serien oder die Demontage von Indiana Jones. Alles nur noch rotzegaler Content, die wollen einfach keine Geschichten mehr erzählen.

Die schönste Zeit verbracht mit: Pflanzen zu pflanzen und Dinge zu bauen und Europa aus dem Sattel des Motorrads anzuschauen.

Anzahl Fiat 500s (seit 2016): 3.908. Ja, war ein hervorragendes Fiat-500-Jahr

Vorherrschendes Gefühl 2023: Nichts ist sicher.

Erkenntnis(se) des Jahres: Veganes Essen ist nicht automatisch gesund. Und: “My Fair Lady” ist eine Missbrauchs-Story um häusliche Gewalt und toxische Beziehungen.

In diesem Sinne: Ich wünsche einen guten Start in ein hoffentlich weniger schlimmes 2024. (Spoiler: Wird es natürlich nicht. Aber hoffen darf man ja.)
Sprengt Euch beim Jahreswechsel keine Körperteile weg!

Nekrolog:

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Das war das Jahr, das war (2022)

Das war das Jahr, das war (2022)

Jahresende. Zeit für die Rückschau. Was bleibt von 2022? Plus: Beste Bilder.

Lage der Welt:
Es war das Jahr III der COVID-Pandemie, Jahr I des Russland-Kriegs in der Ukraine sowie ein weiteres und sehr heftiges Dürrejahr.

Krieg in Europa – wer hätte gedacht, dass wir das noch einmal erleben müssen. Im Februar überfiel Russland die Ukraine, laut Propaganda um das Land “in einer Spezialoperation” von “Nazis zu befreien und zu demilitarisieren”. Der schnelle Fall des Landes schien ausgemacht, alle Experten und Politiker nahmen an, dass die Ukraine binnen weniger Tage annektiert sei. Dann die Überraschung: Der Regierungschef, ein ehemaliger TV-Komiker, floh nicht, die Ukrainer wehrten sich und die russischen Truppen erwiesen sich als schlecht ausgerüstet, nicht vorbereitet und unfähig. Es gelang den Angriff zu stoppen und, nach Waffenlieferungen aus dem Westen, im zweiten Halbjahr sogar eine Gegenoffensive zu starten.

Der Preis für die Ukraine ist hoch: Millionen Menschen sind auf der Flucht, die verbliebenen harren oft ohne Strom und Wasser aus. Russland bombt das Land in Grund und Boden, verschleißt dabei aber eigenes Material, verliert viele Soldaten und muss eine Generalmobilmachung ausrufen. Putin verkauft das als Vorwärtsverteidigung gegen die Nato, die angeblich einen Stellvertreter- und Angriffskrieg über die Ukraine führen würde.

In den USA erodiert die Demokratie weiter. Auf Ebene der Einzelstaaten und Countys installieren die Republikaner weiterhin Personen und Mechanismen, die es ihnen erlauben, sich auch dann zu Gewinnern zu erklären, wenn sie nicht die Mehrheit der Stimmen bekommen. Nach wie vor ist die ganze Partei auf faschistischer Linie und Trump hörig, der wie “der Pate” in Florida hockt und Entscheidungen im Hinterzimmer trifft.

Immerhin werden die Midterm-Wahlen keine Vollkatastrophe für die Demokratie. Zwar geht der Kongress an die Republikaner, der Senat ist aber kurz in der Hand der Demokraten – bis eine demokratische Senatorin, die schon zuvor durch Arbeitsverweigerung auffiel, stiften geht. Nun steht es wieder 50:50.

Getrieben von seinem Ego und anhängigen Gerichtsverfahren will Trump 2024 noch einmal Präsident werden. Soll er mal antreten, mit ihm besteht eine reelle Chance, das die Republikaner verlieren. Die Alternative wäre fürchterlich: Ron de Santis, Gouverneur von Florida, ist ein rechtsextremer selbsternannter “Gotteskrieger” und kopiert Trumps Methoden, seine Rhetorik und sogar seine Körpersprache, hat dabei aber ein funktionierendes und sehr bösartiges Hirn.

In Brasilien wird Bolsonaro knapp abgewählt, und protestiert dagegen nur verhalten. Der neue Präsident verspricht, die Abholzung der Regenwälder zu stoppen.

Taiwan fühlt sich von China bedroht, das an den Grenzen und in staatlichen Medien einen Krieg vorbereitet.

Aserbaidschan überfällt Armenien, weil die dort stationierten russischen Friedenstruppen gerade anderes zu tun haben.
Ungarn werden endlich EU-Mittel gekürzt, nachdem Orban die Gemeinschaft monatelang mit einem Veto zu Ukraine-Hilfslieferungen(!) erpresste.

Die Türkei wirft ein Veto gegen die Aufnahme von Finland und Schweden in die Nato, um geflüchtete Dissidenten ausgeliefert zu bekommen. Das ist so unwürdig, kleingeistig und rachsüchtig wie es klingt.

Zum Ausgleich sorgt das Unvereinigte Königreich für Amüsement, das bei mir sämtliche strategische Popcornreserven aufgebraucht hat. Erst mach Boris Johnson ein weiteres halbes Jahr groben Unfug, dann wird er von seiner eigenen Partei abgesägt.

Nachfolgerin wird Liz Truss, die eine so offensichtliche Ausgeburt an Inkompetenz und Unwissenheit darstellt, das Börsen abstürzen und Unternehmen das Land noch schneller verlassen als zuvor. Sie bleibt quälend lange 47 Tage im Amt und hält sich damit kürzer als ein Salatkopf, der von der Zeitung The Sun vor eine Webcam gestellt wurde.

Weil UK so lange mit sich selbst beschäftigt war, blieb keine Zeit, das Land auf den Winter vorzubereiten. Energie- und Lebenshaltungskosten explodieren noch schlimmer als in der EU, eine Armutswelle steht bevor, im Dezember laufen die Tafeln des Landes über.

Die hohen Lebensmittelpreise kommen nicht nur durch den Brexit. Überall gibt es Lieferprobleme und explodierende Kosten. Ganze Lieferketten sanieren sich durch, weil jedes Glied Preisaufschläge nimmt. Bei Lebensmitteln kommt hinzu, das mit Russland und der Ukraine die größten Weizen- und Düngerexporteure wegfallen bzw. weniger liefern. Die Inflation galoppiert.

Außerdem war da natürlich noch die Dürre. Rund um den Globus war es den Großteil des Jahres viel zu trocken und sehr, sehr heiß. In Italien fielen 70% der Reisproduktion aus, Flüsse trockneten weg und Meerwasser floss in das Landesinnere. Ähnlich war es in Deutschland, selbst der Rhein lag stellenweise trocken und den Juli konnte man eigentlich nur im kühlen Keller hockend verbringen. Der Backlash kam später, in Form von Stürmen, Eiseskälte und Flutregen. Das ist mindestens das dritte Dürrejahr in den letzten fünf Jahren. Schon krass, wie schnell sich das Klima ändert.


Lage der Nation:
Russland wird mit Sanktionen belegt, mindestens die dortige Tech- und Automobilindustrie brechen daraufhin zusammen. Im Gegenzug liefert Russland unter fadenscheinigen Gründen (Turbine kaputt, Wetter schlecht) massiv weniger Gas, was insbesondere Deutschland trifft.

Spätestens jetzt rächt sich, das in den vergangenen 10 Jahren der Ausbau erneuerbarer Energien nicht verschlafen, sondern von der Regierung aus CDU und SPD massiv beschnitten wurde und eine starke Abhängigkeit von russischen Rohstoffen bestand. Stellt sich raus: Die krassen Guys von der GroKo haben sogar die Gasspeicher auf deutschem Boden an Russland verscherbelt, und Gasprom hat die in Vorbereitung auf den Ukraineüberfall leer laufen lassen. Dementsprechend schwer tut sich Kanzler Scholz auch klare Kante zu zeigen, und immer wieder fordern konservative Politiker aller Parteien die Inbetriebnahme der neuen Nordstream2-Pipeline. Die Entscheidung treffen letztlich aber andere: Die Pipeline wird unterseeisch gesprengt und ist dauerhaft zerstört. Nächste Idee der Liberal-Konservativen: Atomkraftwerke neu bauen. Aber das will außer den Knallchargen CDU und FDP niemand, am Wenigsten die Energiekonzerne.

Ebenjene Energiekonzerne haben sich in diesem Jahr die Penisse vergolden lassen, weil sie nicht mehr wussten wohin mit ihrem Geld, besonders in Deutschland. Wo es in anderen Ländern eine Übergewinnsteuer gab, faselt die FDP was davon, das man Unternehmen so etwas nicht aufbürden dürfte, weil sonst deren Innovationskraft… blabla, da hört dann schon keiner mehr zu, so lächerlich ist das. Am Ende gibt es eine Übergewinnsteuer, die darf bloß nicht so heißen.

Überhaupt, die FDP. Macht Opposition, obwohl sie an der Regierung ist, demütigt Koalitionspartner und verhindert mit Symbol- und Klientelpolitik echtes Vorankommen. Kalkül der Parteispitze: Sie wollen als “konservative Stimme der Vernunft” wahrgenommen werden. Klappt nur nicht, das ständige Stehen auf der Bremse fällt auch den Wähler:innen auf, was in den Landtagswahlen grottenschlechte Ergebnisse bringt. Vielleicht sollte Parteichef Lindner weniger auf Saufnase Kubicki hören und mehr auf seine Parteibasis. Die wollen nämlich eine moderne Partei, die Veränderungen bringt, die bezahlbare erneuerbare Energie und einen Verkehrswandel und Digitalisierung vorantreibt, und nicht so einen Friedrich-Merz-gefällt-das-90er-Jahre Müll mit “mehr Autobahnen und freie Fahrt für freie Bürger”. Liebe FDP, das Problem eurer schlechten Wahlergebnisse liegt NICHT an den bösen Grünen oder eurer gefühlt zu linken Ampel. Das Problem seid ihr, mit euren erkennbaren Luftnummern und dem destruktiven Verhalten.

In der SPD lief es nicht besser. Kanzler Scholz ist so gut wie unsichtbar in der Tagespolitik, und wenn er dann mal auftaucht, redet er von “Wumms” und “Doppelwumms”. Klingt wie ein Dreijähriger, passt aber zu der farblosen Knallcharge, die er ist.

Nicht mit Ruhm bekleckert hat sich auch Karl Lauterbach. In der Pandemie fiel er durch kluge Analysen und Vorschläge auf Twitter auf, und man dachte immer: Dieser Mann, wenn der doch nur Gesundheitsminister wäre! Nun ist er es, und er agiert… glücklos, bestenfalls. Seine klugen Vorschläge twittert er weiter, aber in der Politik kann er sich nicht gegen die FDP und besonders Justizmurkel Marco Buschmann durchsetzen. am Ende macht der Gesundheitsminister Lauterbach immer das Gegenteil von dem, was der Twitterer Lauterbach für richtig hält. Schizophrenie, dein Vorname sei Karl.

Ist aber eh´ egal, Corona wurde im April von der FDP für beendet erklärt und die Pandemie im Dezember von Christian Drosten. Das Virus ist jetzt endemisch, das werden wir nicht mehr los. Immerhin sind dank Impfung und doppeltem Booster (insgesamt 4 Injektionen) die akuten Folgen meist nicht mehr dramatisch, über die Langzeitschäden im Körper kann aber noch niemand was sagen. Was die Pandemie auf jeden Fall sichtbar gemacht hat, sind die Risse in der Gesellschaft. Ein guter Teil der Bevölkerung wähnt sich in einer unrechten Diktatur, ergeht sich in Umsturzphantasien und ist komplett Wissenschaftsfern. Es sollte unbedingt eine gesamtgesellschaftliche Diskussion angestoßen werden, wie damit umzugehen und wie dem zu begegnen ist (Hint: Investitionen in Bildung wären ein guter Anfang).

In der CDU hat Friedrich Merz das Ruder übernommen. Er wollte ja schon immer Kalif anstelle der Kalifin werden, nun ist er am Ziel seiner Träume – und verwaltet nur noch Ruinen. Merkel hat nicht nur das Land sediert und Politik als Verwaltungsakt dargestellt, auch die Partei ist nicht mehr leistungsfähig und hat kein kluges Personal. Merz versucht das mit markigen Sprüchen zu übertünchen und Kampagnen aus den 90ern wiederzubeleben (“Das Boot ist voll”), erntet dafür aber nur müdes Gähnen von den Wähler:innen und den demokratischen Parteien – und Beifall von der AfD, gegen die er noch im Frühjahr versprach eine Brandmauer errichten zu wollen.

Positiv überrascht haben lediglich Kanzlerin-der-Herzen Annalena Bärbock, die nicht nur die Probleme mit Nordstream und Russland exakt vorhergesagt hat, sonder die auch als Außenministerin weitsichtige und feministische Politik vertritt und selbst schwergewichtigen Außenpolitik-Schlachtrössern wie Sergey Lavrov die Meinung geigt. Ebenfalls gut: Robert Habeck, der als Wirtschaftsminister absolut pragmatisch handelt. Dazu gehört leider, dass er den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken und Braunkohlekraftwerken in seiner Partei durchsetzt, aber auch die recht rabiaten Maßnahmen um Gasfirmen in Deutschland zu verstaatlichen. Mit Erfolg, zu Beginn des Winters sind die Gasspeicher zu über 100% gefüllt und Deutschland erzeugt sogar genug Strom für Frankreich, dessen AKWs zur Hälfte vom Netz sind, weil baufällig. Das die FDP Habeck trotz allem “Ideologiegetriebene Politik” vorwirft, zeigt deutlich den Realitätsverlust des Porschefahrerclubs.

Es ist einfach unfair. Immer, wenn eine progressive Regierung an´s Ruder kommt, fallen alle möglichen Krisen zusammen und die sind gezwungen, gegen ihre Überzeugungen zu agieren. So wie die SPD die Agenda 2010 einführen musste, um das Land wieder aus der Kohl´schen Krise zu bekommen, so müssen die Grünen nun Energie aus AKWs und Kohlekraftwerken zustimmen. Ich hätte ja gerne mal gesehen was mit so einer Ampelregierung möglich ist, wenn nicht gerade die Welt zusammenbricht.

Unter all den schlimmen Meldungen gab es in diesem Jahr noch eine gute Tendenz und eine, deren Richtung noch nicht ganz klar ist. Die gute: Die Welt hat sich auf weitreichende und tiefgreifende Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen verständigt. Es ist noch ein weiter Weg, bis das auch umgesetzt wird, aber erstmal ein guter Start.

Die unklare Tendenz: Künstliche Intelligenz ist da, und verändert sichtbar Dinge. Werkelten vorher nur kleine KIs in Geräten und Services herum, ist die Firma OpenAI nun mit ChatGPT am Start, und das Ding frisst Turing-Tests zum Frühstück und ist kreativer als die meisten Autoren. Prompt nutzen es die ersten Schüler und Studenten, um ihre Hausarbeiten davon schreiben zu lassen. Ob zum Besseren oder schlechteren: Es wird die Menschheit verändern.

Ich Ich Ich
Beruflich weniger Stress. Sommerhitze gut überstanden. Tour durch UK und Wohnen auf Sardinien. Belastend: Familiäre Situation. Älter werden ist manchmal kein Spaß, und wenn eine anverwandte Person schon immer ein sehr schwieriger Mensch war, wird das durch Demenz nicht besser. Immerhin, Dinge sind angestoßen und werden sich im kommenden Jahr klären. Ein wenig irre macht mich, weil ich nicht weiß, was da auf mich zu kommt.


Und sonst noch?

Worte des Jahres: “London wurde vom Geld verwüstet” (Annette Dittert)

Zugenommen oder abgenommen: Gleich geblieben. Aber auf zu hohem Niveau.

Die teuerste Anschaffung: Am meisten Geld ausgegeben für die Wartung der Motorräder, aber nun. Teuerste Einzelanschaffung sicherlich das Notebook für rund 690 Euro.

Luxus des Jahres: Drei Bücher, gekauft für zusammen mehr als 350 Euro. Bildbände, um genau zu sein. Ich liebe den Taschen-Verlag. Außerdem: Spontankauf einer Switch + Games.

Mehr bewegt oder weniger: Mehr.

Die hirnrissigste Unternehmung: Zum Mont-Saint-Michel zu Fuß wandern zu wollen. In Motorradstiefeln. In der Hauptsaison. Im Hochsommer. Das gab Blasen!

Ort des Jahres: La Ciaccia.

Zufallspromi des Jahres: Jenna Ortega.

Nervende Person des Jahres: Den Titel teilen sich Friedrich Merz und Elon Musk. Der eine hatte 1992 einen Unfall mit einer Cryo-Maschine und wurde erst jetzt wieder aufgetaut, der andere hat sich radikalisiert. Beiden gemein ist, das sie vielleicht wissen wie Unternehmen funktionieren, aber keine Ahnung vom Funktionieren einer Gesellschaft haben, überaus miese Kommunikatoren sind und dabei denken, dass sie alles könnten und auf alles eine Antwort hätten. Das sind Anzeichen für Soziopathie. Ernsthaft, das Musk sich rechts radikalisiert, während die Käuferschicht seiner Autos zum mittelinks-Milieu gehören und nun bei jedem Tesla, den sie sehen, denken: “Scheiße, wenn ich den Wagen kaufen würde, unterstütze ich einen rechtsradikalen Verschwörungstheoretiker” – so dumm muss man erstmal sein.

Das beste Essen: Pizza Ogliastrina + Ichnusa im Restaurant von La Pineta, Bari Sardo. Das es das beste Essen war, mag auch an der Gesellschaft gelegen haben.

Das seltsamste Essen: Der Doppel-Steak-Teller, der ohne einen Bissen Fleisch auskam, im “Crown Inn” in Frampton-Mansell.

2022 zum ersten Mal getan: Darmspiegelung. Dank Propofol kein Problem. Hicks.

2022 das erste mal seit langer Zeit wieder getan: Waschlappen gekauft und benutzt, letzteres habe ich seit ca. 1983 nicht mehr getan. Und: Actionfilme aus den 90ern geguckt, weil die sich noch “echt” anfühlen und nicht nur aus schlechtem CGI bestehen oder ein Schnittmassaker sind.

Gesundheit: Geht so. Magenprobleme und, auch das erste mal, Ischias. It´s not the years, honey, it´s the mileage.

Ein Ding, auf das ich gut hätte verzichten mögen: Zu merken, das mein Vater Anzeichen von Demenz aufweist und eine Betreuung durch das Amtsgericht bekommen muss.

Gereist? Jahaa! Motorradtour durch das Unvereinigte Königreich und nach Sardinien.

Film des Jahres: “Everything, everywhere, all at once” ist völlig verquer und überraschend, “Ghostbusters Legacy” ist ein toller wie würdiger Nachfolger der 80er-Jahre-Filme, “Nobody” überrascht mit einem superbrutalen Bob “Better Call Saul”-Odenkirk. “Maverick” kam auch endlich raus und war gut.

Theaterstück des Jahres: “Harry Potter und das verfluchte Kind” in Hamburg – auf Deutsch fast genauso gut wie im Original.

Musical des Jahres: “Monty Pythons Ritter der Kokosnuss” bei den Gandersheimer Domfestspielen.

Spiel des Jahres: War in Summe ein schwaches Spielejahr, es gab aber einige Highlights. Meine persönlichen GOTYs: “Horizon: Forbidden West”, das mit toller Protagonistin, Grafik und einer spannenden Story zu begeistern wusste. Außerdem: Das grafisch wie atmosphärisch überwältigende und sehr traurige “A Plague Tale: Requiem”. 30 Jahre nach Erscheinen von Teil eins kam dann noch “Return to Monkey Island” raus und wäre schon aufgrund des Humors ein heißer Anwärter auf das Spiel des Jahres gewesen, aber das habe ich bis Redaktionsschluss nicht durchgespielt.

Entertainment-Doku des Jahres: “Trainwreck 99” über die Woodstock-Neuauflage auf Netflix.

Serie des Jahres: “The Sandman” auf Netflix. Endlich eine angemessene Umsetzung der Vorlage. “Westworld”, Staffel 4 war auch spitze, “Wednesday” kam überraschend aus dem Nichts und machte die Addams-Family cool.

Buch des Jahres: “Lost Girls” von Alan Moore und Melinda Gebbie. Ist schon von 1992, habe ich aber jetzt erst entdeckt. Kranker Scheiß, ein Buch wie eine Orgie auf Drogen.

Ding des Jahres: Gleich mehre Sachen machten mich sehr glücklich: Das neue Reisenotebook Asus UM425UAZ-KI023T ist der absolute Hammer, blitzkrank schnell und nach Militärstandard robust. Das Ding lässt die meisten MacBooks und Lenovos im Office-Betrieb alt aussehen, kein Witz. Die Patagonia Micropuff-Jacke hat ausgezeichnete Dienste geleistet, und das Anker 735 GaNprime USB-Ladegerät ist ein Powerhouse und taugt auch als Netzteil für das Asus und ist täglich im Einsatz.

Spielzeug des Jahres: Die PS-Vita. Ich besitze die schon länger, aber in diesem Jahr habe ich gemerkt, wie sehr ich die liebe. Die kleine Konsole ist von 2013. In heißen Sommernächten nachts auf dem Balkon sitzen und Persona 4 spielen oder Games von der PS4 streamen – super.

Originellstes Spiel: Die “Ring Fit Adventures” auf der Switch. Wahnsinn, was man aus so einem Plastikring an Übungen rausholen kann.

Enttäuschungen des Jahres: Disney. Egal ob Serien wie “Moon Knight” oder “She-Hulk” oder Filme wie “Eternals”, “Dr. Strange 2” oder “Thor 3” – früher habe ich alles von Marvel gerne geguckt, aber in 2023 war nichts dabei, was ich auch nur ein Bißchen gut fand. “Book of Boba Fett” war im Bereich Star Wars auch ein Totalausfall. Sonderpreise gehen an “The Brits are Coming”, der ein dampfender Haufen Scheiße von ungekanntem Ausmaß ist, und an “Cyberpunk 2077”. Dessen Nextgen-Update ist, 18 Monate nach Release von Version 1.0, immer noch buggy und unbelebt. Damit holt das selbe Spiel diese Auszeichnung das zweite Mal, nach 2020! Ach ja, und der Doppel-Steak-Teller ohne einen Bissen Fleisch im “Crown Inn” in Frampton-Mansell, der war auch eine große Enttäuschung.

Unbeachtetes Event des Jahres: Die Fußballweltmeisterschaft in Katar. Habe ich kein Spiel von geguckt. Aber gut, ich gucke auch sonst keine Spiele von Fußballweltmeisterschaften.

Die schönste Zeit verbracht mit: Auf dem Balkon eines verranzten Appartements auf Sardinien “Westworld” zu gucken und dabei warme Sommernächte zu genießen.

Anzahl Fiat 500s (seit 2016): 2.364

Vorherrschendes Gefühl 2022: Alles zerfällt.

Erkenntnis(se) des Jahres: Die Welt wie sie war, gibt es nicht mehr. Und: WD40 ist gar kein Schmieröl.

In diesem Sinne: Ich wünsche einen guten Start in ein hoffentlich weniger schlimmes 2023. Sprengt Euch beim Jahreswechsel keine Körperteile weg.

Nekrolog:

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Streamingdemenz

Streamingdemenz

Ich bin ein großer Fan des Bewegtbilds. Ich liebe Filme, schon von klein auf. Viele meiner schönsten Kindheitserlebnisse haben etwas mit Kinobesuchen zu tun, und im Studium habe ich mich viel länger als ich gesollt hätte mit Filmanalyse, Kameratechniken und erzählerischem Aufbau beschäftigt – ein Semester allein für “Raiders of the Lost Ark” spricht Bände.

Natürlich war ich über DVDs glücklich – Filme mit Extras wie Making-offs oder Audiokommentaren, da war vorher quasi nicht dran zu kommen. Folgerichtig begann ich DVDs zu sammeln, und die Sammlung wuchs stetig, aber ungerichtet – schlicht auch deshalb, weil die Dinger so teuer waren, dass ich halt auf Flohmärkten und im Sonderschlussverkauf bei Woolworth einfach mitnahm, was da gerade rumlag – auf diese Weise bin ich an das fast komplette Werk von Hitchcock gekommen, von denen ich noch immer nicht alle Scheiben gesehen habe.

Bluray wollte ich dann aber ums verrecken nicht mehr mitmachen, weil ich das für eine Übergangstechnologie hielt. Physische Datenträger nehmen nur Platz in der Wohnung weg, und trotz aller Digitalprobleme in Deutschland hielt ich Streaming für die Zukunft.

Das stimmte natürlich auch, und trotzdem kaufe ich in letzter Zeit wieder häufig gebrauchte BluRays. Mittlerweile brauche ich für die Sammlung ein Verwaltungssystem, und das verzeichnet aktuell gerade 867 Filme und 24 Serien auf insgesamt über 1.100 Scheiben. Die stehen, bewacht von Wieseln, in meiner Bibliothek, in drei deckenhohen Regalen. Warum?

Weil ich bei aller Freude auf das Digitale mit zwei Dingen nicht gerechnet hatte.
1. Den Streaming Wars und
2. Wegen eines Phänomens, das ich einfach mal Streamingdemenz nenne.

Die Streaming Wars bezeichnen die digitale Zersplitterung. Seitdem auch dem letzten Manager eines Medienkonzerns klar geworden ist, das sich mit Streaming Geld verdienen lässt, versucht jede Rumpelbude einen eigenen Service aufzumachen. Konnte man früher alles Mögliche bei Watchever oder später Netflix gucken oder bei Amazon leihen, muss man heute mindestens Netflix, Amazon Video, Disney+, Apple TV und Sky haben, um auf dem Laufenden zu bleiben. Warner, HBO und CBS stehen noch in den Startlöchern.

Als wäre das nicht ärgerlich genug, fluktuiert das Angebot der Streamingdienste. Dinge sind irgendwo verfügbar, dann verschwinden sie von heute auf morgen wieder. Oft aufgrund von Lizensierungsmodellen, die manchmal absurde Situationen hervorbringen – Disney durfte bspw. lange Zeit manche der eigenen Filme sowie die hauseigenen Marvel-Serien nicht anbieten, weil man deren Rechte an Netflix vertickt hatte, und HBO Max kommt nicht nach Deutschland, weil ihr Material auf Jahre bei Sky liegt.

Manchmal verschwinden Dinge auch auf Nimmerwiedersehen. Das fällt nur den Wenigsten auf. Hier beginnt die Streaming-Demenz, denn manchmal ist es so unklar wer nun eigentlich wo die Rechte an der Ausstrahlung hat, das niemand mehr durchsteigt und die Werke einfach gar nicht verfügbar sind.

Bei anderen lohnen sich die Lizenzen nicht, und auch das sorgt dafür, dass es gewisse Filme oder Serien am Markt schlicht nicht mehr gibt.

Dem großen Teil des jungen Publikums bleiben alte Perlen ohnehin verborgen, denn die schiere Masse an Angebot erfordert eine algorithmische Kuratierung, und die Algorithmen empfehlen in der Regel den neuesten, heißen Shyce und nicht Filme, die 20 Jahre alt sind. So geraten Meisterwerke in einen digitalen Limbo und damit in Vergessenheit.

Aber selbst wenn man um diese Werke weiß, ist es oft schwer sie zu bekommen. Es ist erstaunlich, wieviele Filme und Serien bei Streaminganbietern NICHT verfügbar sind, und manchmal sind das auch Werke, die es auf Datenträgern nur in kleiner Auflage gab. Die dann zu halbwegs humanen Preisen zu bekommen ist oft fast unmöglich. Möchte man bspw. den Sean-Connery-Klassiker “Der Name der Rose” von 1986 in guter Qualität schauen, guckt man bei Streaminganbietern in die Röhre. Mit viel Glück findet man im Gebrauchtmarkt eine Bluray für 40 Euro – der Normalpreis für gut erhaltene Exemplare liegt aber aktuell bei rund 90 Euro, zeitweise findet man auch gar kein Angebot. 90 Euro für einen 35 Jahre alten Film!

Diese hohen Hürden der digitalen Demenz sorgen dafür, das große Stücke unseres kulturellen Erbes verloren gehen.

Und deshalb lohnt es sich für Filmliebhaber wie mich, gewisse Filme nach wie vor auf Polycarbonatscheiben zu kaufen wenn sie verfügbar sind, und sich ins Regal zu stellen.

Nicht als Wertanlage. Sondern einfach, um das kulturelle Erbe zu bewahren und später mal feine Filme gucken zu können, wenn mir danach ist. Auf meiner kleinen Insel, mitten im Meer der Streamingdemenz.

Airbag-Schutzkleidung: Stand der Dinge 2022

Airbag-Schutzkleidung: Stand der Dinge 2022

Seit Ende 2017 fahre ich mit einem Airbagsystem am Körper Motorrad. Vor fünf Jahren war diese Technik nicht überall erhältlich, teuer und schwer. Was hat sich in der Zwischenzeit getan, was hat sich geändert? Eine kleine Marktbeschau.

Als ich das 2017 das “Tech Air”-System des italienischen Herstellers Alpine Stars gekauft habe, gab es dazu wenig Konkurrenz. Zur Anschaffung musste ich mich überwinden: Das “Tech Air Street” trägt ordentlich auf, ist relativ schwer (Zusammen mit der Jacke rund 5,5 Kilogramm) und nicht atmungsaktiv.

Vor allem war es vor 5 Jahren eines: Teuer. Rund 1.200 Euro kostete die Airbagweste. Die dazu passende und zwingend notwendige Spezialjacke schlug noch einmal mit 600 Euro zu buche, machte. zusammen also rund 1.800 Euro. Für diese Anschaffung waren mehrere Fahrten nach Hannover nötig, wo eine von bundesweit nur fünf Louis-Filialen war, die diese Sachen verkaufen durften. Weil nur dort ein (also wirklich: Anzahl: 1) Verkäufer arbeitete, der die dafür notwendige Ausbildung vom Hersteller hatte. Onlinekauf war nicht möglich.

Das Chassis, die eigentliche Weste mit Airbag und Computer.

Ich habe es trotz dieser Unannehmlichkeiten und trotz des hohen Preises gekauft. Zum einen, weil ich die Technik faszinierend fand und die Investition in persönliche Schutzausrüstung für sinnvoller erachtete als den Kauf des hundertsten Chromteils oder eines vergoldeten Tankdeckels für das Motorrad. Zum anderen aber auch, weil ich ein Zeichen setzen wollte: Liebe Hersteller, es gibt einen Markt für sowas, forscht bitte in diese Richtung weiter.

Das haben die getan, mit dem Ergebnis, dass es nun leichtere und günstigere Airbagsysteme am Markt gibt, aber auch spookigen Wildwuchs bei den Geschäftsmodellen.

Was sich recht schnell beim Blick auf den Markt im Jahr 2022 feststellen lässt: Es gibt jetzt weitaus mehr Hersteller und Modelle als noch vor einigen Jahren, und die Ausrüstung kann man mittlerweile ganz normal Online oder im Moppedladen nebenan kaufen.

Neben der besseren Verfügbarkeit geht der Trend zu maximaler Flexibilität. Nahezu jedes Modell, das neu rauskommt, funktioniert autonom und unabhängig von der sonstigen Bekleidung oder vom verwendeten Motorrad. Das bedeutet auch ein Nischensterben.

Nischensterben
Zu den besseren Ergebnissen der Marktentwicklung gehört, dass es kaum noch Systeme gibt, die nur mit bestimmter Oberbekleidung funktioniert oder bei denen am Motorrad eine Modifikation vorgenommen werden muss. Es gibt noch vereinzelt Kombinationen aus einem Sensor, der an der Motorradgabel angebracht wird und einer Airbagweste, die dann wirklich nur an dieser einen Maschine funktioniert. Diese Konstruktionsweise ist unflexibel und teuer und stirbt zu recht aus, Motorradsensoren sind jetzt höchstens noch eine zusätzliche Option.

Gefragt sind autonome Systeme, und die gibt es in zwei Ausprägungen: Mit mechanischer oder mit elektronischer Auslösung.

Mechanische Auslösung
Mechanische Systeme verfügen meist über eine Reißleine, die am Motorrad eingehakt wird und den Airbag auslöst, wenn sich die Fahrerin vom Ride trennt.

Diese Airbagwesten sehen aus wie Schwimmwesten und werden über der eigentlichen Motorradbeleidung getragen. Aktuell gibt es sieben Hersteller solcher Westen, neben dem Frühstarter Helite mit seiner beliebten “Turtle” u.a. auch Held, Büse oder Spidi.

Helite Turtle 2. Bild: Helite.

Vorteil der Reißleinensysteme: Sie lassen sich über jeder Bekleidung tragen. Der entscheidende Nachteil: Sie sind langsam.

Laut ADAC dauert es bei einem typischen Unfall, bei dem einem Innerorts bei 50 km/h ein Auto die Vorfahrt nimmt, nur rund 120 Millisekunden, bis der Motorradfahrer in das Auto einschlägt. Die Auslösezeiten der besten Reißleinensysteme liegen mehr als doppelt so hoch, bei rund 240 bis 300 Millisekunden. Die helfen also nur noch beim Sekundäreinschlag, wenn man also vom gegnerischen Auto runterpurzelt und auf die Straße fällt. Oder wenn man in einer Kurve wegrutscht und über den Asphalt schliddert, auch dann funktionieren und schützen diese Art Airbags gut.

Elektronische Systeme
Systeme mit elektronischem Auslöser haben einen kleinen Computer verbaut. An dem hängen Sensoren, die ständig Messwerte zu Beschleunigung und Lage melden. Der Computer vergleicht diese Informationen permanent mit Referenzwerten von Unfallszenarien.

Bild: Alpine Stars.

Findet der Rechner eine ausreichende Übereinstimmung bei den Referenzdaten, nimmt er an, dass es einen Unfall gibt und löst mit einer kleinen Pyroladung den Airbag aus. Das passiert bei den Systemen von Dainese und Alpine Stars binnen 80 Millisekunden und damit in oben beschrieben Szenario noch vor dem Ersteinschlag – ein deutlich anderer und besserer Schutz als ihn die Reißleinensysteme bieten können.

Die Algorithmen, die ermitteln ob ein Unfall vorliegt oder nicht, sind der Kronschatz der Hersteller, entscheiden sie doch darüber, ob ein solches Produkt überhaupt funktioniert. Die Abstimmung muss wirklich fein sein, denn immerhin möchte man ja nicht, dass eine Airbagweste auslöst, wenn man mit ihr eine Treppe hinunterspringt oder jemand einem auf den Rücken schlägt.

Die Algorithmen für Straßennutzung und für die Rennstrecke sind stark unterschiedlich, weil die Unfallszenarien ganz andere sind. Manche Systeme lassen sich per App von Straßen- auf Rennstreckenbenutzung umstellen und haben dann sogar zwei Auslösungen statt nur einer.

Vor einigen Jahren dominierten die italienischen Firmen Dainese und Alpine Stars den Markt der autonomen elektronischen Systeme. Mittlerweile bieten auch Held und Helite solche Systeme an. Die kommen allesamt als Weste daher, die entweder unter der Motorradkleidung (Alpine Stars Tech Air 5, Held eVest), darüber (Helite E-Turtle) oder nach belieben drunter oder drüber (Dainese Smart Jacket, Alpine Stars Tech Air 3) getragen werden können. Manche bieten nette Zusatzfeatures. Die Weste von Held bspw. lässt sich nach eigenem Bedürfnis mit zusätzlichen Brust- und Rippenprotektoren nachrüsten. Trägt man eine Weste unter einer normalen Motorradjacke, sollte die mindestens 4 Zentimeter Platz bieten. Also die Jacke eine Nummer größer kaufen oder die Faustregel anwenden: Kann man zwischen Brustkorb und Jacke seine eigene Faust schieben, ist genug Platz für den Airbag.

Mit rund 1,3 bis 1,9 Kilo sind diese Westen recht leicht, rund ein halbes Kilo leichter als mein altes Tech Air Street. Sie sind auch weniger voluminös und atmungsaktiver, so das man in der Praxis gar nicht mehr bemerkt, was man da am Körper trägt. Zumal man sich bei allen einen separaten Rückenprotektor spart – mindestens ein Level-1-Protektor ist bei allen fest verbaut und schützt so auch ohne Airbag.

Die elektronischen Systeme bekommen gelegentlich Softwareupdates, die per App eingespielt werden können. Diese Updates erhöhen den Bestand an Referenzdaten oder steigern die Schnelligkeit von Kalibrierungen oder verbessern die Kommunikation mit anderen Geräten. Bei den meisten Herstellern gehören diese Updates zum Service. Aber nicht bei allen.

Heiße Preise
Trotz des großen Nachteils der langsamen Auslösung sind die Reißleinensysteme noch beliebt, neben der Flexibilität beim Tragen vor allem aus Kostengründen. Bis vor Kurzem war der Anschaffungspreis von “nur” 500 bis 700 Euro unschlagbar günstig, gerade im Vergleich mit den o.g. 1.800 Euro für ein elektronisches System. Dieser Preisvorteil ist aber mittlerweile dahin. Heute bekommt man die elektronischen und autonomen Systeme bereits für 650 bis 700 Euro.

Unterschiede bei den Kosten gibt es tatsächlich bei der Wiederinbetriebnahme nach einer Auslösung. Bei den Reißleinensysteme oder auch den Westen mit dem In&motion-System (siehe unten) kann nach einer Auslösung die CO2-Gaspatrone vom Besitzer selbst gewechselt werden. Die Ersatzkartusche kostet rund 100 Euro.

Die Westen von Dainese und Alpine Stars müssen nach dem Auslösen beim Hersteller geprüft und wiederbefüllt werden. Das hat zwei Gründe: 1. Haben diese Westen zwei Gaspatronen, die aus Platzgründen stark integriert sind. Für den Wechsel müssen die Systeme geöffnet und zerlegt werden. 2. Nutzen zumindest Alpine Stars und Dainese Argon statt CO2 als Gas um den Airbag zu füllen. Das tun sie, weil Argon im Gegensatz zu CO2 unter stärkerem Druck gelagert werden kann. Bedeutet: Kleinere Kartuschen und im Falle eines Unfalls eine schnellere Befüllung des Airbags, aber dafür dürfen Endanwender halt nicht dran rumfummeln. Die Überholung beim Hersteller kostet rund 300 Euro, beinhaltet aber dann auch eine komplette Prüfung des Systems.*

Abomodell
Einigermaßen erstaunt war ich über ein Abomodell, das sich in der Branche breit gemacht hat. Daraus gestoßen war ich bei Held. Die verkaufen ihre “eVest”-Airbagweste für konkurrenzlos günstige 350 Euro. Mit der allein kann man allerdings nicht viel anfangen, denn der Steuercomputer mit den nötigen Algorithmen fehlt, also genau das Teil, in dem bei den elektronischen Systemen die Magie stattfindet.

Die Algorithmen und die Referenzwerte für Unfallszenarien sind der eigentliche Schatz der Hersteller, und es kostet viel Zeit und Aufwand die Referenzdaten zu generieren und die Software abzustimmen. Das kann also nicht jeder, und stellt sich raus: Held auch nicht.

Die haben stattdessen Rechner und Algorithmen von der französischen Firma “In&motion Airbag” zugekauft. Das ist jetzt per se nicht verwerflich, denn wie geschrieben: Die Technologie beherrscht nicht jeder. Zudem ist Technologiezukauf in fast jeder Branche völlig normal. In der Regel passiert das aber durch entsprechende Lizensierungen der Technik, damit ein Hersteller die Technologie eines anderen in seine Produkte integrieren kann.

Hier wird aber der Weg gegangen, den Kunden der Textilhersteller direkt ein Abomodell eines anderen Unternehmens anzubieten, ohne das dass gekaufte Produkt nicht funktioniert. Das ist mindestens ungewöhnlich.

Für 350 Euro bekommt man von den Textilherstellern eine Stoffweste mit einer Plastiktüte und Gaskartuschen drin. Das Steuerungsteil muss für 120 Euro von inmotion gemietet werden. Bedeutet: Kaufpreis plus Jahresmiete macht im ersten Jahr schon 470 Euro, in Jahr 2 zahlt man noch einmal 120 Euro, in Jahr drei hat man nach weiteren 120 Euro mit insgesamt 710 Euro schon mehr gezahlt als bei den anderen Herstellern, und in Jahr 4 darf man die Box dann für 99 Euro kaufen – macht zusammen über 800 Euro. Alternativ kann man die Box auch gleich für 400 Euro kaufen und liegt damit in Summe bei 750 Euro – und damit rund 100 Euro über den aktuellen Preispunkten der Konkurrenz. Falls man vorhat ins Gelände oder auf die Rennstrecke zu fahren, kostet das übrigens noch einmal extra – das Abo der dafür notwendigen Algorithmen kostet jeweils 8 Euro pro Monat oder 25 Euro im Jahr.

Wo kommen diese Algorithmen eigentlich her? Die Pioniere Dainese und Alpine Stars haben 20 Jahre und viele, viele Moto-GPs und Chrashtests gebraucht, bis sie genügend Daten und trainierte Algorithmen hatten, um ein Produkt für Endanwender auf der Straße rauszubringen.

in&motion dagegen wurde 2014 von drei jungen Ingenieuren als Startup gegründet und ging einen anderen Weg. Basierend auf einem vergleichsweise geringen Datenbestand von Skifahrern gaben sie 2017 500 Testwesten an Motorradfahrer aus und sammelten deren Daten sechs Monate lang. Diese Daten schickten sie in Machine Learning Modelle, die daraus versuchen Unfallzustände zu extrapolieren. Die daraus enstandenen Szenarien steckten die Firma in ein Produkt, dass sie in den Markt schoben – und das weiterhin beständig weiter Daten sammelt und bei jedem Ladevorgang an In&Motion schickt. Damit halten sie auch nicht hinter dem Berg, sondern hauen regelmäßig Mitteilungen dazu raus (“Jetzt sind unsere Anwender schon 40 Millionen Kilometer gefahren! Wir erkennen nur 90 Prozent alle Unfälle! Bald werden es 100 sein!”).

Das hörte sich jetzt vielleicht sehr technisch an. Festzuhalten bleibt: Das Unternehmen hat ein Airbagsystem rausgebracht, das erst noch beständig lernt, was ein Unfall ist – und zwar durch die Nutzung und damit auch der Unfälle der eigenen Kundschaft. Überspitzt gesagt hat das einen Geschmack von “wir schieben ein unfertiges Produkt in den Markt, überwachen unsere Nutzer und werden mit jedem Unfall, den die haben, besser”.

Kann man machen, aus einer Ingenieurssicht. Persönlich finde ich es ein wenig gruselig, das hier ein Startup mit heute 20 Mitarbeitern den Aufwand von umfangreichen Crashtests quasi outsourced. Sicher, auch Dainese oder Alpinestars nutzen echte Unfalldaten zur Verbesserung ihrer Systeme – aber die haben halt mit einem, in der Rennpraxis bewährten, System und mit einem großen Datenbestand aus Tests und Rennen begonnen.

Ich möchte aber über die Datensammelei und auch über dieses Abomodell nicht urteilen. Falls die Technik funktioniert, ist sie das Geld wert – und die leichte Verfügbarkeit und die Integration in Produkte anderer Hersteller sorgen dafür, dass Airbagkleidung eine weitere Verbreitung erfährt, und dagegen kann nun niemand etwas haben. Die Technik und damit auch das Abomodell von In&motion steckt nicht nur in der Airbagweste von Held, sondern auch in den Produkten von Tuscano Urbani, Furygan, RST, Klim und Ixon.

Trends
Airbagsysteme sind günstiger und leichter geworden und besser verfügbar. Dieser Trend setzt sich fort, das fördert die Verbreitung. Trend Nummer zwei versucht Alpine Stars gerade zu setzen: Diversifizierung.

Ja, es ist nett, wenn ich ein Airbagsystem für die Straße auch auf der Rennstrecke nutzen kann, aber die Anforderungen unterscheiden sich dann doch je nach Nutzung des motorisierten Zweirads. Auf der Rennstrecke sind Unterleibsverletzungen wohl nicht ganz selten, während Systeme, die vor allen im Stadtverkehr bei 30-50 km/h auf dem täglichen Weg zu Arbeit getragen werden, vielleicht keinen perfekten Rundumschutz benötigen. Und wer gerne im Gelände unterwegs ist, der hat bis vor kurzem ganz in die Röhre geguckt, denn mehr als Schotterstrecken waren mit keinem System nutzbar (auch nicht mit In&Motions Zusatzverkauf).

Im Januar 2022 stellt der Alpine Stars gleich drei neue Produkte vor. Neben dem Tech Air 5, das seit 2020 als Universalweste und für Tourenfahrer beworben wird, gibt es nun das Tech-Air 10. Das ist für die Rennstrecke gedacht und ein Airbag-Anzug, der auch Unterleib und Oberschenkel schützt. Es ist bereits erhältlich, kostet rund 1.000 Euro und lässt sich unter jeder Lederkombi tragen, die mindestens 4 Zentimeter Luft am Brustkorb und 2 Zentimeter am Unterbauch lässt.

Bild: Alpine Star

Das Tech Air Outdoor wurde als Reaktion auf die schlimmen Unfälle bei Rallyes entwickelt und hat deutlich mehr Körperpanzerung als die anderen Systeme.

Bild: Alpine Star

Das Tech Air 3 schließlich, der letzte Neuzugang für 2022, ist sehr leicht und hat keine Ärmel (wie auch nahezu alle Westen der Mitbewerber). Es soll vor allem urbane Pendler ansprechen, die z.b. mit einem Roller im Berufsverkehr unterwegs sind, und kann sowohl unter als auch über der normalen Kleidung getragen werden. Der Preis ist noch nicht bekannt, er dürfte sich aber unter dem des Tech Air 5 bewegen, das aktuell zum Straßenpreis von 650 Euro erhältlich ist.

Bild: Alpine Star

Zusammengefasst: Im Markt der Airbagschutzkleidung zum Motorradfahren hat sich in den letzten Jahren mächtig was getan. Die Technik ist kleiner, leichter und handhabbarer geworden, die Preise für die vollintegrierten, elektronischen Systeme sind extrem gefallen und die Verfügbarkeit hat sich massiv verbessert. Um neue Zielgruppen anszusprechen, beginnen erste Hersteller spezifisch auf deren Bedürfnisse zugeschnittene Produkte anzubieten. Damit kommt Airbag-Kleidung hoffentlich raus aus der exotischen Nerd-Ecke, in der sie lange steckte.

Heute ist die Anschaffung einer Airbagweste, insbesondere einer autonomen, ein echter No-Brainer – für jedes Bedürfnis gibt es das passende Modell, und die Preise sind bezahlbar. Das ist super – in einigen Jahren werden Airbagklamotten damit hoffentlich so selbstverständlich sein wie das Tragen eines Helms. Wer eh ‘ eine neue Jacke braucht, sollte eine Airbagweste ernsthaft in Erwägung ziehen.


*) Ich bin der Meinung, dass das Einbeziehen dieser Art von “Folgekosten” bei der Überlegung über eine Anschaffung einer Airbagweste keine Rolle spielen sollte. Der Gedanke “Hey, in das System kann ich selbst eine neue Gaspatrone reindrehen, ist so einfach wie der Wechsel einer Glühbirne” halte ich für ein wenig abseitig. So ein Airbag wird nicht jede Woche ausgelöst, sondern im besten Fall nie. Und wenn er ausgelöst wird, dann geht damit eine mechanische Belastung einher, nach der man vielleicht doch das ganze System von Fachleuten geprüft haben möchte.

Bundestagswahl 2021

Bundestagswahl 2021

Herr Silencer über die Bilanz der Ära Merkel und warum die Kanzlerkandidaten allesamt Lappen sind.

Die Bundestagswahl 2021 steht vor der Tür, und einfach wird die nicht. Das liegt aber weniger daran, dass die Kandidat:innen allesamt so gut sind, dass die Wahl zwischen ihnen schwer ist. Nein, diese Wahl ist eine schwere, weil sie die Altlasten der Merkel-Jahre schultern und gleichzeitig die Weichen für die Menschheit stellen muss.

Hört sich jetzt theatralisch an, ist aber wirklich so. Expert:innen sind sich einig, das die kommenden 10 Jahre entscheidend sind für Klima und Umwelt, und wie es danach mit der Menschheit weitergehen wird.

Das Klima ändert sich nicht dadurch, das die Ute sich neuerdings vegan ernährt oder der Manfred sich den dritten SUV kauft. Um unseren Lebensraum zu schützen braucht es klare politische Vorgaben und einen Sack an Veränderungen.

Veränderungen sind aber das, was mittlerweile in der Politik als ganz doll böse und unbedingt zu vermeiden gilt. Und das ist ein Erbe der Merkeljahre.

Zieht man eine Bilanz der Kanzlerinnenschaft, sieht man auch sehr deutlich, woher das kam. Als Angela Merkel als Bundeskanzlerin antrat, beschrieb sie ihr Verständnis dieser Rolle als “Gärtnerin, die aufpasst, dass der Garten gut eingezäunt ist und keine Schädlinge reinkommen” – ansonsten, so Merkel, wollte sie möglichst wenig eingreifen.

Das sagte sie damals auch, um den alten Herren in der Politik ein wenig die Angst zu nehmen. Merkel brauchte Verbündete. Denn eigentlich wollte niemand in der CSU sie, die Frau aus dem Osten, nicht als Parteivorsitzende, und als Kanzlerin schon gar nicht. Sie wurde es letztlich, weil die Partei nach der Schwarzgeldaffäre und Kohls unrühmlichem und verbittertem Abgang in Scherben lag und Edmund Stoiber bereits eine Wahl verstolpert hatte.

Anders als Gestalten wie Schäuble und Merz konnte Merkel innerhalb der CDU nicht auf “Truppen” zurückgreifen, also auf Personen in Schlüsselpositionen, die ihr bedingungslos zur Seite standen. Sie musste sich ihre Mehrheiten durch Konsens beschaffen, sonst hätte sie nicht regieren können. Diese Mehrheitbeschaffung bestand zu Anfang häufig darin stets den kleinsten gemeinsamen Nenner, das Minimum des Machbaren, zu vertreten.

Später und bis zum Ende schuf sie Koalitionen anhand von Umfragewerten. Merkel positionierte sich immer dort, wo der Wind ohnehin hinblies. Das ging so weit, dass sie auch Positionen vertrat, die klassisch von Parteien wie der SPD oder den Grünen eingenommen wurden – wodurch sie diese Parteien marginalisierte und gleichzeitig die Konservativen vor den Kopf stiess.

Eine volatile Politik ohne eigene Ideen, die das frühere Milieu der “Lager” zu einem ununterscheidbarem Brei verkochte, dazu eine SPD, die ihre Rolle als Opposition aufgab und sich Merkel in der Großen Koalition unterordnete, das schuf das politische Klima, in dem wir leben. Der unidentifizierbare Einheitsbrei und das Fehlen einer ernsthaften Opposition beschädigte die Demokratie und führte links wie rechts zu Extremismus.

Nach Außen wirkte die Merkel-Politik geradezu sedierend, nach Innen schuf sie eine politische Kultur ohne Ambitionen und ohne Konsequenzen. Inzwischen kann man als Minister:in maximal unfähig sein oder offen korrupt, Verantwortung übernehmen und zurücktreten muss man dafür unter Merkel aber nicht. Das ist etwas, was man Merkel anlasten muss: Sie hat Politik nach Außen zu etwas uninteressantem gemacht, bei dem es für niemanden mehr Konsequenzen gibt und wo es legitim ist, statt ernsthaft zu arbeiten, sich irgendwie Durchzuwurschteln. Anders sind Gestalten wie Scheuer, Klöckner oder Karlicek wohl kaum erklärbar.

Aus dieser unglücklichen Ursuppe erheben sich nun die drei Kandidat:innen für die Kanzlerschaft, und sie sind Geschöpfe dieses politischen Klimas.

Armin Laschet wurde letztlich nur Kandidat, weil er gefestigte Seilschaften hat. Das dumme an Seilschaften ist, dass die Gefallen einfordern, sobald jemand installiert ist. Wie kaum jemand vor ihm steht Laschet für ein “weiter so” in Kombination mit Hinterzimmerpolitik. Um davon abzulenken, versucht er sich gerade an einem Lagerwahlkampf – dabei gibt es sowas wie Angst vor roten Socken schon lange nicht mehr. Aber Laschet, der clownseke wie dünnhäutige Onkel aus dem Rheinland, ist eben zu sehr in der Vergangenheit verhaftet. Er hat Politik der letzten 30 Jahre schlicht nicht mitbekommen und fordert daher auch schon mal die Einführung der Vorratsdatensspeicherung (längst beschlossen) oder argumentiert mit Positionen aus den 90ern.

Olaf Scholz verkörpert Ideenlosigkeit und den Mangel an Perspektiven wie kaum ein anderer. Wirkten frühere SPD-Kanzlerkandidaten wie Filialleiter der örtlichen Sparkasse, so ist Scholz nur noch der Papp-Aufsteller eines Sparkassenleiters. Das perfekte Symbol für eine SPD in Trümmern, die sich in der Groko zerlegt hat und die keinen Mut zu sozialdemoktratischen Positionen mehr hat, obwohl Parteibasis und -führung(!) genau das wünschen.

Anna-Lena Bärbock leidet unter einer Kombination aus hausgemachten, handwerklichen Fehlern im Wahlkampf und der Tatsache, dass sie Veränderung propagiert – etwas, was halt aktuell, siehe oben, als schlecht wahrgenommen wird.

Nachdem ein geschönter Lebenslauf und falsch zitierte Ghostwriter-Passagen groß diskutiert wurden, hat sie damit den Ruf weg, es wahlweise “nicht zu können” (Erstens weil Frau, zweitens weil Grüne, drittens weil hat sich beim Schummeln erwischen lassen) oder “Genauso Dreck am Stecken zu haben wie alle anderen auch”. Die Bild-Gucker und Boomer unter den Wählern fürchten dazu um ihren Geländewagen und das Schnitzel, das Bärbock ihnen vom Teller klauen wird, sobald sie gewählt ist.

Nein, diese Wahl ist keine leichte. Wer noch unentschlossen ist, guckt bitte mal beim Wahl-O-Mat vorbei. Dort kann man steile Thesen, die direkt aus den Wahlprogrammen der Parteien stammen, zustimmen oder die ablehnen. Am Ende sagt einem das Programm, welche Partei die eigene Position am Besten vertritt.

Falls das die AFD ist, überdenk bitte Dein Leben. Die AFD ist eine in Teilen faschistische und rechtsradikale Partei, die aktiv an der Zerstörung der Demokratie und unserer Gesellschaft arbeitet. In allen anderen Fällen: Geht bitte am 26.09. wählen.

Zum Wahl-O-Mat

Was uns antreibt

Was uns antreibt

Achtung, jetzt kommt geballte Weisheit.

Wir Menschen sind ganz erstaunliche Kreaturen. Die Welt, die wir um uns herum geschaffen haben, überflutet uns jeden Tag mit so vielen Informationen, das den meisten von uns gar nicht bewusst ist, wie wir eigentlich im Inneren ticken. Was uns im Kern nämlich antreibt und bewegt ist ein Erbe, das wir seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte mit uns herumschleppen: Geschichten.

Wir Menschen funktionieren entlang von Geschichten. Wir richten unser Leben nach den Geschichten aus, die wir uns selbst unbewusst jeden Tag erzählen. Wir lieben Geschichten, die im Besten Fall einen von uns vermuteten Sinn ergeben. Deshalb sind Märchen so tief in jeder menschlichen Kultur verankert.

Deshalb schockieren uns Ereignisse, die nicht in unsere eigenen Geschichten passen, weil sie im von uns geschaffenen Umfeld keinen Sinn ergeben. Deshalb macht uns auch die Pandemie so fertig, weil uns niemand eine passende und vor allem überschaubare Geschichte dazu erzählt. Das es ein Virus gibt, das die ganz Welt stilllegt und niemand weiß wie es weitergeht, das ist eine Geschichte die so groß und abstrakt und wenig greifbar und gleichzeitig banal ist, das viele Menschen sie ablehnen und sich lieber welche suchen, die überschaubarer und spannender sind – und zack, sind wir bei den Verschwörungsmärchen.

Wir sind krass anfällig für Geschichten, die uns andere erzählen. Nicht nur Verschwörungsgeschichten, sondern auch Geschichten wie in der Werbung, die uns Geschichten davon erzählt, wie unser Leben besser wird, wenn wir nur etwas kaufen.

Wir mögen solche Geschichten noch mehr, wenn sie von Leuten kommen, die wir sympathisch finden. Deshalb funktioniert Influencer-Werbung so gut. Die will uns weismachen, das wir weltgewandter werden, wenn wir nur den Lederrucksack in Vintageoptik kaufen, oder das wir so glücklich werden können wie das schöne Instagram-Mädchen, wenn wir uns nur eine Vase mit Pampasgras in die Wohnung stellen.

Wir Menschen werden im Kern von Narrativen angetrieben. Wir mögen Märchen, uns das macht uns anfällig für Manipulationen durch jene, die uns Märchen erzählen die in unser Weltbild, in das Gespinst unserer eigenen Geschichten, passen. Populisten wissen das, Schriftsteller auch. Schreibtischtäter sind auch deshalb so gefährlich, weil sie aus ihren Tastaturen Geschichten erschaffen können die zur Wirklichkeit werden, wenn nur genügend Menschen sie glauben und weitererzählen und teilen. Mit genügend zeitlichem Abstand können Schreibtischtäter sogar Historie umschreiben und damit die Gegenwart beeinflussen.

Diese innere Abhängigkeit von Geschichten hat noch einen anderen Effekt. Über hunderttausende von Jahren haben wir Menschen unsere Geschichten mündlich geteilt und weitergegeben, abends, mit der Sippe am Lagerfeuer. Auch wenn wir heute aufrecht gehen und in Häusern wohnen und Internet haben, so bekommen wir diese Prägung auf die Geschichten in unserer Familie nicht einfach so weg. Geschichten, die in unsere Familie erzählt und weitergegeben werden, prägen unser Verständnis von der Welt und unsere Sichtweisen. Es gibt etwas wie ein Familiengedächtnis, das jede Person in der Familie prägt.

Leider hat dieses Familiengedächtnis ein Verfallsdatum. Nach ungefähr 70 Jahren werden Geschichten innerhalb einer Familie von realer Lebenswirklichkeit zu einer abstrakten Erinnerung, die nicht mit uns als Einzelperson zu tun hat.

70 Jahre ist nämlich der Zeitraum, nach dem Zeitzeugen eines prägenden Ereignisses tot und die Geschichte von der nächsten Generation nicht mehr mit der gleichen Glaubwürdigkeit weitergetragen werden kann. Die Geschichte verblasst und wird zu einer fernen, abstrakten Erinnerung.

Es ist kein Zufall, dass für meine Generation (geboren Mitte der 70er) der Horror des zweiten Weltkriegs noch real war, einfach weil unsere Großeltern den miterlebt hatten. Auch wenn die vielleicht bewusst nicht viel über diese Zeit erzählten, so waren sie doch im Familiengedächtnis der Anker in die Vergangenheit. Kinder, die nach 2000 geboren sind, haben diesen Anker meist nicht mehr.

Es hat einen Grund, dass der Rechtspopulismus jetzt wieder erstarkt, das Rechtsextreme viel Zulauf haben: Weil die Geschichten über das Grauen des Kriegs nun nicht mehr aktiver Bestandteil des Familiengedächtnisses sind. Weil die letzten Zeitzeugen und die Erzähler dieser Geschichten tot sind oder sterben. Die Menschen verschwinden, und mit ihnen ihre Geschichten und ein Teil der Realität.

Der 27. Januar ist Holocaust-Gedenktag Wir sollten diesen Teil der Historie zu einem Bestandteil der Geschichten machen, die wir uns und unseren Kindern erzählen.

Das war das Jahr, das war (2020)

Das war das Jahr, das war (2020)

Am Jahresende traditionell die Rückschau. Dieses Mal recht umfangreich. Der Text ist irgendwie gewuchert, bildet aber immer noch nur einen Teil dieses irren Jahres ab.

Lage der Welt:
Es war das Jahr der Pandemie. Mitte März kam die Welt knirschend zum Stillstand. Ich hätte nicht für möglich gehalten, aber es passierte wirklich. Keine Flug- oder Bahnreisen, starke Verzögerungen in globalen Produktions- und Lieferketten, vor Ort geschlossene Geschäfte, die Straßen nahezu menschenleer. In Kombination mit Knappheit bei manchen Medikamenten, nicht-Verfügbarkeit von Masken und Desinfektionsmitteln und Lieferzeiten von 10 Tagen bei Onlinehändlern fühlt sich das fast apokalyptisch an.

Apokalyptisch auch die Szenen aus den USA. Bewaffnete Milizen und hoch gerüstete Polizeikräfte machten Jagd auf friedliche Demonstranten, maskierte Uniformierte ohne Abzeichen verschleppten Menschen und marschierten am Washington Memorial auf. Die USA in Jahr 4 unter Trump produzierten die Bilder eines faschistischen Regimes. Die Republikanische Partei steht geschlossen hinter ihrem Führer, auch wenn es für jeden sichtbar ist, dass er lügt und die Demokratie schädigt. Die GOP versucht aktuell immer noch mit allen Mitteln den Auswahl der Präsidentenwahlen zu manipulieren. Soviel also zur Theorie der “Einhegung”, dass Trump ruhiger würde, wenn er in der Politik ankommt. Das Gegenteil ist der Fall.

Immerhin wurde Trump abgewählt, auch wenn er sich immer noch weigert das anzuerkennen. Aber machen wir uns nichts vor, binnen 4 Jahren wurde fast eine demokratische Weltmacht in eine faschistische Diktatur umgebaut, mit vielen, vielen Helfern auf allen Ebenen, und am Ende ist das Land nur knapp am Bürgerkrieg vorbeigeschliddert.

Ich weiß auch ehrlich gesagt nicht wie das weitergehen soll, wenn sich in einem Zweiparteiensystem eine Partei von den demokratischen Grundwerten verabschiedet – und das tun die Republikaner seit Jahren, schon vor Trump.

USA und Corona, mehr Themen fanden dieses Jahr kaum medial statt. An ihren Außengrenzen verletzt die EU nach wie vor Menschenrechte, und Polen und Ungarn werden weiter unbeeindruckt in Diktaturen umgebaut. Die EU zeigt sich schwach, nicht mal ein Bekenntnis zu demokratischen Grundrechten kann sie gegenüber den angehenden Diktaturen durchsetzen, und selbst beim Brexit knickt sie ein. Für den gibt es Weihnachten(!) erst eine Lösung, auf die letzte Sekunde, genau wie Boris Johnson gepokert hat. Erbärmlich, ich hätte den Briten nach vier Jahren Lügen, Nichtstun und Vertragsbruch einen harten Brexit mit all seinen negativen Folgen mehr als gewünscht.

Am Ende des Jahres dann endlich Hoffnung: Gleich mehrere Impfstoffe sind entwickelt, zwar nur gegen COVID-19 und nicht gegen Faschismus, aber immerhin.


Lage der Nation:
Corona ist natürlich das beherrschende Thema. Es spaltet die Gesellschaft in zwei Lager: Die, die dem Thema mit angemessenem Ernst und großer Disziplin begegnen und denen, die COVID-19 nur für eine Art Grippe halten und so tun, als würde das Tragen einer Maske sie in ihrem Persönlichkeitsrecht einschränken. Das Lager der Corona-Leugner radikalisiert sich in Teilen und bringt Verschwörungsgeschichten ein, nach denen der Virus wahlweise eine Maßnahme zur Umvolkung/Bevölkerungsreduktion/Gedankenkontrolle/Währungstausch ist. Seite an Seite und ungeschützt marschieren Rechtsextreme mit Reichsflaggen, Impfverweigerer:innen, Aluhutträger:innen, besorgte Mütter und bongospielende Esoteriker:innen zu Zehntausenden durch die Städte. Organisiert wird das von Rechten und von skrupellosen Geschäftemachern, die daran ordentlich verdienen.

Die Politik guckt dem Treiben größtenteils tatenlos zu und bezieht lange keine Stellung, weil Coronaleugner zwar eine Minderheit sind, aber eine sehr laute – mit denen will man sich nicht anlegen. Auch deshalb wird nur zögerlich gehandelt, die Maßnahmen in Deutschland sind lascher als in anderen Ländern. Erstaunlicherweise kommt das Land dennoch ganz gut durch die erste Welle. Mensch des Jahres ist der Virologe Christian Drosten, der täglich in einem Podcast die Lage erklärt, ganz ruhig und unaufgeregt.

Im Herbst läuft, wie von Drosten vorhergesagt und in jedem Geschichtsbuch über die Spanische Grippe nachzulesen, die zweite Welle los. Aber anstatt das jetzt entschieden gehandelt wird, eiern die Bundesländer wochenlang herum. Anscheinend hat kein Schwein über den Sommer Pläne gemacht.

Immerhin: Ein-Themen-Parteien, wie FDP oder AFD, finden plötzlich medial nicht mehr statt. Die AFD versucht sich erst in der Rolle der Beschützerin und fordert härtere Regelungen zur Eindämmung der Infektionen, dann schlagen sich weite Teile der Rechtsextremen plötzlich auf die Seite der Coronaleugner. Intern hat die Partei Angst vor der überfälligen Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Apropos Verfassungsschutz: Dessen Ex-Chef ist nach seiner Entlassung tief im rechten Sumpf versunken, der Nachfolger erkennt Rechtsterrorismus wenigstens als Problem an.

Wenn Annegret Kramp-Karrenbauer etwas sagt oder entscheidet, kann man sicher sein, dass so gut wie immer das Gegenteil richtig oder sinnvoll ist. Nachdem sie sich auch innerhalb ihrer eigenen Partei überhaupt nicht mehr durchsetzen kann, verzichtet die zuvor als nächste Kanzlerin gehandelte CDU-Vorsitzende ab 2021 auf ihren Posten. Um ihre Nachfolge bewerben sich: Armin Laschet, der aussieht wie ein älterer Vertriebler von Faxgeräten und der als Ministerpräsident von NRW in der Pandemie clowneske Entscheidungen fällt, Norbert Röttgen, von dem niemand weiß wofür er eigentlich steht, und eine Gestalt aus dem Gruselkabinett der 90er Jahre: Friedrich Merz.

Der von der “Titanic” einst wegen seiner Frisur “Fotzenfritz” getaufte Black Rock-Vorstand wird von alten Herren in der Partei, die immer unter Merkels sozialdemokratischer Politik gelitten haben, ins Boot geholt. Merz, der sich politisch nie bewiesen hat, dient fortan als Projektionsfläche für die feuchten Träume alter weißer Männer. Der rechtskonservative Backlash in der CDU, er heißt Merz und sieht aus wie Mr. Burns. Dank der Pandemie findet auch dieses Gruselkabinett kaum medial statt, aber man muss sich schon fragen: DAS ist das beste, was die CDU anzubieten hat?

Immerhin sorgt die SPD noch für Lacher. Die fast in die Einstelligkeit abgestürzte Umfaller-Partei wird sogar von Nervtröten wie Nahles oder Gabriel verlassen, ist aber trotzdem der Meinung, einen Kanzlerkandidaten küren zu müssen. Dafür nimmt sie allen Ernstes einen Mann, der einen Charakter wie Wellpappe hat und einen ähnlichen Unterhaltungswert besitzt: Olaf Scholz. Buahahaha! Aber auch von dem hört man nix, zum einen muss er den Wirecard-Skandal aussitzen, zum anderen Pandemie, wissen schon.

Während der sozialromantische Teil der SPD noch vor sich hin träumt, hilft ihr Law-and-Order-Flügel dabei, den Bürger:innen die Grundrechte wegzunehmen. Trojanereinsatz, anlasslose Massenüberwachung, Uploadfilter – all das bringt die Große Koalition auf den weg. Es ist zum Kotzen, und gegen diesen ECHTEN Verlust von Grundrechten geht niemand auf die Straße. Aber wegen einer Maskenpflicht. Jaja.

Für Deutschland ist die Pandemie sogar auf manchen Gebieten ein Gewinn. Digitalisierung und Medienkompetenz werden aus purer Notwendigkeit mit Macht nach vorne geschubst, die Bedeutung von schnellem Internet auch auf dem Dorf endlich begriffen. Homeoffice wird von Unternehmen als Arbeitsform nicht nur skeptisch beäugt, sondern ist vielerorts als Arbeitsform plötzlich alternativlos. Schulen sind endlich gezwungen sich mit digitaler Lehre zu beschäftigen.

Digitale Infrastrukturen, die es sei Jahren gebraucht hätte, entstehen innerhalb kürzester Zeit. Andere Mobilitätskonzepte werden nicht nur denkbar, sondern lassen sich sogar begutachten – und manchen gefallen weniger dichter Straßenverkehr und autofreie Städte, nicht jeder vermisst tagelange Dienstreisen, die sich auch durch ein paar Videokonferenzen substituieren lassen. Der Einzelhandel erkennt die Wichtigkeit eines Onlinestandbeins.

Ich hoffe stark, dass die ein oder andere Erkenntnis, dass andere Wege in Sachen Wirtschaft, Mobilität und Work/Life nicht nur Fantasien, sondern machbar sind, ein wenig erhalten bleibt.


Ich Ich Ich
2019 war zermürbend? Hold my beer. Nach zwei beruflich wirklich richtig anstrengenden Jahre wollte ich 2020 endlich mal kürzer treten. Tatsächlich fing das Jahr entschleunigt an, wenn auch nicht ganz freiwillig: Ich musste meinen Führerschein abgeben.

Neben mehr Bewegung dank zu Fuß Gehens an der frischen Luft bedeutete das auch: Pünktlich Feierabend machen, um noch den Bus zu bekommen. Das hat mir sogar ganz gut gefallen, und der Januar 2020 war der erste Monat seit 15 Jahren, in dem ich nur eine einzige Überstunde gemacht habe. Aber dann. Am 07. März war ich das letzte Mal auf einer Dienstreise und einer Tagung. Schon mit schlechtem Gefühl, weil vor einem neuen Virus gewarnt wurde, aber Händewaschen sollte ja als Schutz ausreichen.

Bei der Arbeit nahmen wir das ganze wesentlich ernster. Ab der zweiten Märzwoche waren nahezu alle Mitarbeiter:innen im Homeoffice, und sind das teils bis heute. Ich war und bin einer der letzten, die im Firmengebäude arbeiten. Teilweise bin ich wochenlang allein auf einer ganzen Etage gewesen und telefonierend durch die leeren Büros gewandert. Organisieren, Telefonanrufe weitergeben, Kunden betreuen, neue Kunden gewinnen, Lösungen ausdenken, daneben Desinfektionsmittel und Masken besorgen und zusehen, dass die zu unseren Leuten kommen. Über 7-Tage-Wochen und hohe Stundenzahlen will ich nicht klagen. Ich kann froh sein, dass das Geschäft nicht durch die Pandemie gelitten hat und es den Mitarbeiter:innen den Umständen entsprechend gut geht.

In der Rückschau wurde sogar Großes geleistet, aber die Mehrarbeit, das kann ich ohne Jammern zu wollen sagen, war über jegliche Grenze hinaus. Meine Resilienz ist hoch, war aber an manchen Tagen völlig zerbröselt, und am Ende des Jahres stehen doch wieder dreihundert Überstunden auf der Uhr. Ich hatte das Gefühl für alle anderen stark sein zu müssen, und nun bin ich sehr müde. Das ging jetzt nicht nur an die Substanz, das hat Substanz vernichtet.

Auch wenn ich zur Arbeit gefahren bin, das “Draußen” habe ich so gut es ging gemieden. Dazu gehörte es, erst in der Nacht, kurz vor Ladenschluss, einkaufen zu gehen und praktisch alles andere zu meiden. Damit ging und geht es mir durchaus gut – ich bin gerne allein, und auf die Einladungen zu sozialen Aktivitäten, die in die Kategorie “ungeliebt” fallen, mit einem “Sorry, wir können und nicht treffen, Pandemie, wissen schon” reagieren zu können ist der Traum jedes Introverts. Ansonsten waren das aber alles keine Einschränkungen, die mir zu schaffen gemacht hätten. Im Gegenteil, mal nirgends hin zu müssen weil man nirgends hin kann, das war auch entschleunigend und ein Ausgleich zum Stress bei der Arbeit.

Das Jahr fühlte sich seltsamer Weise endlos an, und ging dann doch ganz schnell vorbei.

Vermisst habe ich ein wenig das Reisen, eine geplante lange Fahrt Ende Mai, Anfang Juni musste ausfallen. Aber das ist ein Luxusproblem und wurde außerdem durch gleich zwei längere Moppedfahrten im Juli und September kompensiert. Letztere führte nur in bekannte Gefilde, weil ich da das Risiko bewerten konnte, aber befreiend war es trotzdem.

In der Summe war das also für mich kein schlechtes Jahr, es war nur wahnsinnig anstrengend.


Und sonst noch? Hier die immer weiter mutierende Form des Bloggerdorf-Fragebogens.

Wort des Jahres: Da gibt es gleich drei. Auf Platz 1: “Wohlstandsverwahrlost”, Platz 2: “Doomscrolling”, Platz 3: “Inzidenzwert”.

Zugenommen oder abgenommen? Abgenommen.

Mehr ausgegeben oder weniger? Weniger.

Am meisten ausgegeben für… Campingkram.

Die teuerste Anschaffung? Eine neue Matratze. Endlich! Das war aber auch eine Odyssee, davon erzähle ich später mal.

Mehr bewegt oder weniger? Weniger, zwangsweise.

Die hirnrissigste Unternehmung? Die Matratzenkaufgeschichte.

Ort des Jahres? Roccafinadamo.

Das leckerste Essen? Annas Salsicce in “La Vecchia Fontana”.

2020 zum ersten Mal getan? Um meinen Wohnort herum spazieren gegangen. Erkenntnis: Voll schön hier. Und: Einen Monat auf´s Auto verzichtet.

2020 endlich getan? Mal hinter den Schrank geguckt ob da Schimmel ist. Ist nicht. Gut so.

Gesundheit? Ist in Ordnung. Unfit, aber bis auf Blutdruck alles OK.

Ein Ding, auf das ich gut hätte verzichten mögen? Todesfälle im Kollegen- und Bekanntenkreis.

Gereist? Oh ja. Im Juli durch den Osten und im September in den Süden.

Film des Jahres: 1917 – Handlung nicht die dollste, aber mit Filmen ohne Schnitt kriegt man mich immer.

Theaterstück des Jahres: Entfällt

Musical des Jahres: Entfällt

Spiel des Jahres: Das schwer erträgliche “The Last of Us II” zeigt mal eben im Alleingang, wie hoch emotionales Erzählen in Videospielen aussehen kann. Es teilt sich den Thron mit meinem persönlichen Highlight: “Persona 5”, so cooles Gameplay habe ich selten gesehen.

Serie des Jahres: The Mandalorian. Bestes Star Wars seit “Imperium schlägt zurück”

Buch des Jahres: Nicht viel Bücher gelesen dieses Jahr, und was ich gelesen habe sind keine großen Kunstwerke und nicht uneingeschränkt empfehlenswert. Beim politischen Sachbuch war “Rage” von Bob Woodward.

Ding des Jahres: Nuud.

Spielzeug des Jahres: Ein Gerber Concertina Wirecutter zum Schneiden von Nato-Draht. Fragen sie nicht.

Enttäuschung des Jahres: “Cyberpunk 2077”, nach 8 Jahren Entwicklungszeit unfertig und bis zu Unspielbarkeit verbuggt.

Die schönste Zeit verbracht damit…? Ohne Menschen zu sein.

Vorherrschendes Gefühl 2020? Ich werde um diese Welt trauern.

Erkenntnis(se) des Jahres: Deutschland hat einen Rust-Belt (Lausitz) und drei Bible-Belts (Erzgebirge, Eichsfeld und Schwaben)

In diesem Sinne: Ich wünsche einen guten Start in ein tolles 2021! Ihr seid eine tolle Leser:innenschaft und ich bin immer wieder sehr froh und stolz darauf, wer sich hier so tummelt. Ich lerne viel von Euch, und das ist super.

Nekrolog:

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Marie Frederiksson

Marie Frederiksson

Ach, Marie Frederiksson. Die Schwedin war meine erste große Popstar-Liebe.

Es war 1989, ich war 14 und sah auf MTV das Video zu “The Look”, wo Frederiksson mit blonder Kurzhaarfrisur in einer typischen 80er-Jahre-Kulisse stand und zusammen mit Per Gessle als Roxette ordentlich ablieferte.

Das Album “Look Sharp!” wurde meine allererste CD, und irgendwann hatte ich auch das VHS-Video zur Livetour zu Hause. Je mehr ich von Marie Frederiksson hörte und sah, desto verzauberter war ich von ihr.

Marie Frederiksson verkörperte, auf und abseits der Bühne, einen Typ Frau, der stark, unabhängig, intelligent und voller Power ist (“Dressed for Success”), die keinen Mann oder Partner braucht (“Dangerous”), aber trotzdem innig und manchmal unglücklich lieben kann (“Listen to your Heart”) und tief trauert, wenn das Unausweichliche passiert und alles vorbei ist (“It must have been Love”).

Diese Ausstrahlung einer starken und intelligenten Frau zieht mich bis heute unwiderstehlich an, damals haute sie mich komplett aus den Socken.

Mehr als ein Mal bekam ich im Erdkundeunterricht Ermahnungen, weil ich heimlich Texte von Roxette übersetzte, statt die Höhenstufen des Kilimandscharos zu zeichnen. Ja, wirklich: Ich lernte mit den albern-naiven Texten von Per Gessle Englisch, damit ich auch wirklich verstand, was Marie da sang.

Im Sommer 1989 lief “The Look” bei mir auf Repeat-All, sowohl zu Hause als auch unterwegs. Ich hatte die Kassette im Walkman und hörte die Musik von morgens bis abends, wenn ich allein durch Würzburg streifte. Roxette war der Soundtrack eines ganzen Sommers.

Die fast verliebte Schwärmerei für die Popsängerin hielt nicht lange und wurde nach Kurzer Zeit von Schwärmereien für reale Personen abgelöst, faszinierend fand ich Marie Frederiksson aber weiterhin. Auch wenn ich mit den späteren Roxette-Werken wie “Crash Boom Bang” und “Tourism” nicht mehr viel anfangen konnte, so freute ich mich doch immer wieder, wenn ich Marie irgendwo sah.

Die 90er gingen, und mit ihnen verschwanden Roxette und Marie von der Bildfläche. Nachrichten von einer Krebserkrankung machten die Runde, und niemand hätte erwartet, noch einmal was von Frederiksson und Gessle zu hören. Ich erinnere mich darin wie überrascht ich war als ich 2011 mitbekam, dass Marie sich wieder auf die Bühne gekämpft und mit Roxette noch einmal auf Tour gehen wollte. Mir war bewusst, dass das vielleicht die letzte Gelegenheit war, die Liebe meiner Jugend mal live zu sehen.

Im Juni 2011 war es dann soweit, ausgerechnet in Oberursel (fragen sie nicht!) hatte ich die die Gelegenheit Roxette live zu sehen. Das war toll, aber es war deutlich zu merken, welche Spuren die Krankheit bei Frederiksson hinterlassen hatte.

Sie war schon immer zierlich gewesen, aber nun wirkte sie fragil und irgendwie zerbrochen. Auf einen Barhocker gestützt und nur einen Arm nutzend wirkte sie wie eine Puppe aus Porzellan, die heruntergefallen war und die jemand mit großer Mühe, aber irgendwie verkehrt wieder zusammengesetzt hatte. Später erfuhr ich, dass Marie zu diesem Zeitpunkt stark motorisch eingeschränkt und zudem auf einem Auge blind war und große Probleme mit dem Sprechen hatte.

Singen tat sie freilich immer noch großartig, wenn auch die Worte ein wenig verschliffen kamen. Sie liebte die Bühne, dass war zu merken. Es war aber auch deutlich zu merken, dass es ihr alles andere als gut ging. Sie litt, ganz sichtbar – und dennoch kämpfte die Powerfrau für das, was sie liebte – das Singen.

In der Folge kaufte ich mir ihre Solo-Alben, konnte mit denen aber nicht viel anfangen. Ich mochte Maries Stimme, aber das war nicht meine Art von Musik.

Nun ist Marie Fredriksson in dieser Woche gestorben. 61 ist sie am Ende geworden und damit älter, als man es bei ihrer Erkrankung hätte hoffen können. Eine große Künstlerin ist von uns gegangen, aber ehrlich gesagt bin ich auch froh, dass ihr Leiden ein Ende hat.

Wenn ich an Marie Frederiksson denke, dann sehe ich vor mir die energiegeladene und selbstbestimmte Frau mit der blonden Kurzhaarfrisur, deren Kunst mir so viel gegeben hat und wegen der ich heute so ausgezeichnet englisch spreche.

Danke, Marie.


Auf Youtube hat Per Gessle gerade die “The Roxette Diaries” bereitgestellt. Größtenteils unkommentierte Aufnahmen aus den 80ern und 90ern, die zeigen, wie Marie hinter den Kulissen war. Sie war natürlich genau so, wie ich mir sie vorgestellt hatte, und dazu noch unglaublich liebenswert und witzig. Angucken lohnt sich.

http://www.youtube.com/watch?v=oaZh0KkLS9Q

Europawahl 2019

Europawahl 2019

Grüße gehen raus an Axel Voss und Katarina Barley!

Insbesondere auf das Wahlverhalten von jungen Wählerinnen und Wählern dürfte das EU-Urheberrechtsreformdebakel einen erheblichen Einfluss gehabt haben. Das herablassende Verhalten, die Pöbeleien der Politikerinnen und Politiker, das Erleben von Ohnmacht trotz Protesten auf den Straßen – das hat den Boden bereitet für das Rezo-Video und letztlich für ein Ergebnis, bei dem bei den unter-30jährigen die Grünen stärkste Partei geworden sind und Union und SPD nur noch auf 10 Prozent kommen. Insgesamt war die Wahl in Deutschland sehr erfreulich: Hohe Wahlbeteiligung, recht eindeutiges Signal.

Können Parteien, die nur noch 2 Prozentpunkte vor DER PARTEI liegen, eigentlich noch den Anspruch erheben, Volksparteien zu sein?

In der Summe haben Union und SPD krass Stimmen verloren, die zum überwiegenden Teil zu den Grünen gewandert sind. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Der jahrzehntelange Unwille, Politik tatsächlich zu gestalten, hat eine tiefe Unzufriedenheit in der Bevölkerung hinterlassen.

CDU/CSU und SPD, das sind die Parteien der Besitzstandswahrer, der Gutsituierten, des gehobenen Mittelstands. Nur: Von dem gibt es immer weniger. Schere zwischen Arm und Reich und so, wissen schon. Hat man lange Zeit nicht bemerkt, weil: “Uns geht´s ja gut”. Nein, tut es nicht, und es waren zuerst die Rechten, die die Unzufriedenen an der Wahlurne eingesammelt haben. Die, die Veränderung wollen. Die, die bei einem “Weiter so” fürchten, unter die Räder zu kommen. Das erklärt den überragenden Wahlerfolg der AfD in den Ostländern, wo sie teils stärkste Kraft wurde.

Gewählt wurden die ehemaligen Volksparteien primär von den älteren und Alten.

Nach den Unzufriedenen haben es die bürgerlichen Parteien mit ihrem deutschen Einheitsbrei nun auch geschafft die Jugend zu verlieren. Auch das nicht erst seit eben, sondern mit Ansage. Selbst wenn man der SPD extrem wohlgesonnen ist, muss einem klar sein, dass die zur jetzigen Situation maßgeblich beigetragen hat und die Rechten von Wahlerfolg zu Wahlerfolg mit trägt. Denn Demokratie lebt von Opposition, von Streit, vom Interessenausgleich. Durch ihren Entscheid für eine Große Koalition hat die SPD faktisch die Opposition im deutschen Bundestag eliminiert, und schnürt so kontinuierlich der Demokratie die Pulsadern ab, und sich selbst gleich mit.

Dabei wollen die jungen Leute gehört werden. Sie gehen auf die Straßen, sie nutzen ihre Medien um ihre Botschaften zu verbreiten.

Leider ist unwahrscheinlich, dass Union und SPD das jetzt noch verstehen. Stattdessen steht zu befürchten, dass die AKK-Union weiterhin tut, was Springer und VW ansagen, während die Nahles-SPD sich auf die letzten drei Kohlekumpel konzentriert. Man möchte ihnen zurufen: Geht sterben. Aber dank der modernen Medizin werden die noch lange genug leben, um richtig Schaden anzurichten.

Und nun? Für die SPD wäre das Beste, sofort aus der GroKo zu gehen, sich vier Wochen einzuschließen und anschließend mit einem Programm zurückzukommen, dass sich nicht an 100 Jahre alten Vorbildern orientiert. Die Union muss der Versuchung widerstehen, mit Blick auf die Landtagswahlen im Osten noch weiter am rechten Rand rumzufischen. Wenn uns die Geschichte eines lehrt, dann ist es, dass flirten mit den extremen Rechten nur diese stärkt.

Die Grünen haben dagegen einen klaren Auftrag. Bei dieser Wahl waren sie Projektionsfläche für alle, die eine zukunftsoffene, gestaltende, sozialere, pro-Europäische, antifaschistische und ökologische Politik wollen. Dieser Vertrauensvorschuss wird aber nicht lange halten, wenn die Partei es nicht schafft, ihn zu verwandeln. Wenn bis zur nächsten Bundestagswahl nicht das Profil der Grünen klar an diesen Positionen ausgerichtet wird oder sich stattdessen die wirtschaftsfreundlichen Besitzstandswahrer – von denen es VIELE bei den Grünen gibt – durchsetzen, wird hier die dritte Volkspartei den Bach runtergehen.

Die Grünen haben einen klaren Auftrag, und für dessen Wahrnehmung wird es mehr brauchen als einen traurig guckenden Robert Habeck.