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Category: Familienbande

Nicht unerwartet, aber plötzlich

Nicht unerwartet, aber plötzlich

Freitag, später Nachmittag. Ich bin gerade von der Arbeit gekommen und will gleich noch ins Theater, dazwischen brauche ich aber mal eine kurze Pause.

Ich liege gerade auf der Couch und mache die Augen zu, als es an der Tür klingelt. Bestimmt DHL mit einem Päckchen für die Nachbarin. Fluchend stemme ich mich wieder hoch, tappe barfuß und in Jogginhose und T-Shirt an die Tür und betätige den Öffner.

Unten klappt die Haustür, und eine junge Frau mit erstaunlich großen, braunen Augen blickt die Treppe hinauf. Sie trägt eine dunkle Uniform. Also nicht DHL, sondern GLS. “Stellen Sie es gerne einfach auf die Treppe”, nuschele ich und will mich schon wieder umdrehen.

“Darf ich kurz reinkommen?”, fragt die junge Frau und guckt ernst. “Ich bin von der Polizei”. Hä? Hinter ihr kommt noch ein junger Mann in Zivil durch die Tür. Der sieht aus, als wäre er nicht mal 18. Ein Praktikant?

“Dürfen wir reinkommen?”, wiederholt die Polizistin. “Äh, nein?”, sage ich. Mein Hirn rast. Habe ich irgendwas angestellt? Mit dem Auto irgendwo etwas dummes gemacht? Oder im Internet falsch abgebogen? Oder mir bei der Arbeit was zu schulden kommen lassen? Mir fällt nichts ein. Ich mache nichts Illegales, schon allein aus dem Grund, weil ich sofort erwischt würde.

“Wir haben eine sehr persönliche Sache zu besprechen und würden WIRKLICH gerne in ihre Wohnung”, sagt die Polizistin. Also, wenn ich aus den Känguru-Geschichten eines gelernt habe, dann, dass man auf die Frage der Polizei “Dürfen mer reinkomme?” IMMER mit “Nein” antwortet. Die sind wie Vampire, wenn man sie nicht reinbittet, können sie einem nichts, so lange sie keinen Durchsuchungsbeschluss haben.

“Wir können hier im Flur sprechen”, sage ich trotzig.
“Okay”, sagt die Beamtin, dem Stern auf ihrem Hemd nach eine Kommissarin, und zückt einen Block und einen Stift. “Wir gehören zur Tatortgruppe und leisten Amtshilfe für die Tatortgruppe in Einbeck. Zu einer Tatortgruppe gehören Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst. Die Tatortgruppe Einbeck hat einen Mann tot aufgefunden, von dem wir ausgehen, das es ihr Vater ist”.

Das ist jetzt die Stelle, an der ich irgendeine Reaktion schildern müsste. Bestürzung. Schwindelgefühl. Eine Welle von Traurigkeit. Das ich mich am Geländer des Treppenhauses festhalte vielleicht. Aber Tatsache ist: Außer, das ich vielleicht die Augenbrauen hochziehe, bleibe ich ganz ruhig. Ich bin nicht geschockt. Ich habe mich immer gefragt, wie ich von seinem Tod erfahren würde und hatte befürchtet, ihn irgendwann selbst in seinem Haus zu finden. Dagegen ist die Benachrichtigung durch die Beamtin fast schon angenehm. Ich bin fast erleichtert darüber, das ich es auf diesem Weg erfahre. In die Erleichterung mischt sich eine Spur Besorgnis, immerhin kenne ich seine Fahrkünste -ist er bei einem Unfall umgekommen?

“Wie ist es passiert?”, frage ich. Die Beamtin scheint für einen Augenblick mein Gesicht zu studieren, dann sagt sie “Ein Nachbar hat die Polizei informiert, weil ihr Vater seit Tagen nicht gesehen wurde. Man hat sich Zugang zum Haus verschafft und ihn tot aufgefunden.” Oh Gott sie Dank, immerhin hat er keinen Autounfall verursacht und dabei andere verletzt. Interessant aber, das ihn jemand vermisst hat. Eigentlich hat er sich mit allen Nachbarn zerstritten und zu niemandem mehr Kontakt.

Die Polizistin fährt fort “Die Todesursache ist unklar, weshalb die Staatsanwaltschaft den Leichnam beschlagnahmt hat. Können Sie mir sagen, ob ihr Vater Vorerkrankungen hatte?”

So gebe ich ihr Auskunft, der freundlichen Beamtin mit den warmen, braunen Augen. Ich erzähle ihr, das mein Vater und ich, auf seinen Wunsch hin, lange Jahre keinen wirklichen Kontakt hatten. Nur ungefähr ein Mal alle halbe Jahr haben wir telefoniert, und die Dialoge kippten stets recht schnell ins absurde.

Ich erzähle ihr, wie sich das vor etwas über einem Jahr änderte, als mein Vater einen Autounfall mit Personenschaden gebaut hatte und explizit um meine Hilfe bat. Durch diesen Anlass bekam ich mit, das er mittlerweile Anzeichen von Verwahrlosung zeigte, und auch das Haus schmutzig und vermüllt war. Ab diesem Moment hatten wir wieder öfter Kontakt, und ich versuchte die Rolle einzunehmen, die in einer Betreuungsverfügung fünf Jahre zuvor festgelegt worden war: Beistand in finanziellen und häuslichen Dingen.

Ich versuchte ihm dabei zu helfen, die größeren Hürden des Alltags zu bewältigen – im Frühjahr 2022 war das dann zuerst das Kümmern um die Nachwehen des Unfalls, dann, mit Hilfe meiner weit entfernt lebenden Schwester, einen Überblick über seine Finanzen zu bekommen und seine unkontrollierten Ausgaben einzudämmen. Mein Vater, so stellte sich nämlich heraus, fuhr jeden Tag los um “Besorgungen” zu machen. Katzenfutter. Croissants. Instant-Nudeln. Jeden Tag der gleiche Einkauf, ohne das er wirklich was verbrauchte. Im Haus stapelten sich Nudelbecher und Katzenfutterdosen meterhoch, und dazu all die anderen Dinge, die er jeden Tag kaufte: Terrakotta-Frösche. LED-Solarlampen. Superkleber im Hunderterpack. Holzfeuchtemessgeräte. Halloweenmasken. Akkuschrauber. Kinderschlitten. Lichterketten. Neonfarbene Flokatis. Laser-Wasserwagen. Entaster.

Alle diese Dinge kaufte mein Vater, Tag für Tag. Das war nicht neu – die Affinität zu Killefit hatte er, so lange ich ihn kenne. Immer hat er Dinge gekauft oder gesammelt, denn “daraus kann man später noch was bauen” und “wer weiß, wozu es gut ist” – typisch Nachkriegsgeneration eben.

Neu war aber, dass es ihm genug war, den Kram zu kaufen – weder brauchte er die Dinge, noch tat er etwas damit. Er packte sie nicht mal aus, sie stapelten sich meterhoch in seinem Haus, und oft ließ er diese Einkäufe einfach in seinem Auto liegen, bis sie sich auch darin bis unter das Dach stapelten. Er kaufte und kaufte und kaufte, was ihm gefiel. Jeder dieser Artikel kostete nur wenige Euro, war runtergesetzt oder ein Sonderangebot, aber die schiere Menge des Firlefanzes machte das Problem aus: Für diese “Besorgungen” ging jeden Monat mehr Geld drauf, als die Rente einbrachte, und das schon seit Jahren.

Der Rest war nicht viel besser. Ich sprach mit seiner Diabetesärztin und bekam zu hören, das er sich entweder zu seinen Kontrollterminen nicht blicken ließ oder, wenn er mal vorbeikam, sie lautstark über den korrekten Einsatz von Insulin belehrte, bis sie ihn fast aus der Praxis warf. Einen Haus- oder Zahnarzt gab es nicht, obwohl er über Herzbeschwerden, starke Schmerzen in einem Knie und Reizhusten klagte. Das Bild vom Leben meines Vaters wurde immer immer verstörender – und ich merkte, dass ich das nicht allein in den Griff bekam.

Das lag nicht an mir – ich wäre Willens und fähig gewesen, ihm zu helfen. Nur: Er nahm meine Hilfe nur an, wenn es ihm gerade unmittelbar nützte und bequem war, meist empfand er aber meine Versuche, etwas zu organisieren und die damit verbundenen Anrufe und Besuche als störend. Dann blockte er ab oder ignorierte alles oder er wurde wütend. Besonders wenn es um Geld bzw. dessen Umwandlung in Terrakottafrösche und Heckenscheren ging, wurde fühlte sich schnell bevormundet und wurde dann laut. In diesen wütenden Momenten war er auch geistig voll da, während ich ansonsten den Eindruck hatte, dass er Dinge schnell vergaß und mehr und mehr in der Vergangenheit lebte als in der Gegenwart. Ereignisse und Personen aus seiner Jugend in den 1950ern schienen ihm präsent zu sein, aber in der Gegenwart vergaß er ein Gespräch von jetzt auf gleich oder nannte meine Schwester beim Namen seiner Schwester.

Ich machte mir die Entscheidung nicht leicht, fällte sie aber trotzdem sehr schnell. Binnen weniger Monate war mir klar geworden, das ich die Rolle eines Betreuers nicht ausfüllen konnte. Deshalb stellte ich im Spätherbst einen Antrag beim Amtsgericht auf Bestellung einer gesetzlichen Betreuung. Früher nannte man sowas “Vormundschaft”, aber das trifft es heute nicht mehr. Dennoch darf eine Betreuung, ein Mal eingerichtet, sehr weitreichende Entscheidungen treffen, und deshalb sind die Hürden für eine Bestellung sehr hoch.

Im Januar kam ein Gutachter in das Haus voller Katzenfutter und Flokatis, und mein Vater gab sich agil, aufgeweckt und charmant, war geistig voll da, scherzte ein wenig und beteuerte, vielleicht ein Bißchen Hilfe im Haushalt zu brauchen und “so einen Knopf zum Drücken, wenn ich mal stürze”. Er machte den Eindruck eines schlitzohrigen, älteren Herrn, der gut beieinander ist und lediglich die Ordnung im Haushalt ein wenig vernachlässigt hatte, aber meine Güte, mit 81, da muss man Verständnis für haben. Keine Spur von dem grantigen, ganz in seiner Welt lebenden Mann, mit dem ich es sonst immer zu tun hatte.

Ich kam mir vor wie ein Verräter, als ich den Gutachter nach dem Termin zu einem Wort unter vier Augen bat und ihm vom hohen Schmerzmittelkonsum und der falschen Insulinverwendung erzählte, und über die Autounfälle und Anzeigen berichtete, die mein Vater in den letzten Jahren gesammelt hatte. Vor allem machte ich deutlich, dass er in Kürze im Kalten sitzen würde, denn Geld für Heizöl, das war für blinkende LED-Häschen und Messersets aus dem Sonderangebot draufgegangen. Öl zu sparen sah mein Vater aber auch nicht ein, er heizte das gesamte Haus die ganze Zeit auf 25 Grad, lief in kurzen Hosen durch die Gegend und schaltete Ventilatoren ein, wenn ihm dennoch zu warm war. Den ganzen Winter durch. Der Gutachter nickte und machte sich eine kurze Notiz und dann verschwand er. Ich befürchte Schlimmes und schrieb gedanklich die Betreuung schon fast ab.

Erst zwei Monate später bekam ich mit, dass der Gutachter auch wirklich ein Gutachten verfasst hatte. In dem hatte er exakt aufgeschrieben hatte, was ich ihm erzählt hatte, jeweils mit der Zuschreibung “Der Sohn berichtete” und “Der Sohn sagte”. Also “Der Sohn berichtete vom Schmerzmittelmißbrauch”, usw. Dieses Gutachten war an meinen Vater geschickt worden. Der griff natürlich sofort nach Erhalt zum Telefon und machte mich durch den Hörer zur Schnecke, in einer geistigen Klarheit und einer durch Wut fokussierten rhetorischen Schärfe, dass ich wirklich dachte, ich hätte einen Fehler gemacht.

Ich war jetzt wirklich der Verräter, der ihm in den Dolch in den Rücken gestoßen hatte. Dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, verlangte mein Vater, dass ich bei der gerichtlichen Anhörung des Gutachtens dabei sein sollte. Weil im Gutachten stand, dass er nicht mehr Autofahren sollte, kam die Richterin zu ihm, in das Haus des Katzenfutters und der Flokatis.

Sie sah nicht aus wie eine Richterin, diese Frau Mitte fünfzig in rosa Leggings und weißen Sneakern und der Daunenjacke, wie sie da so saß, zwischen den Bergen von Dingen im Wohnzimmer meines Vaters. Der erklärte gleich lautstark, dass in dem Gutachten ja nur Lügen stünden, sein Sohn ein Verräter sei und der Gutachter ein Knallkopp. Die Richterin öffnete eine Schreibmappe und notierte das.

Dann sagte sie: “Dafür bin ich ja hier, damit sie das klarstellen können. Was ist denn gelogen?”. Mein Vater schäumte vor Wut und stieß hervor “Na, dass ich Schmerzmittel nehme! Alles erfunden!!”

“Hm-Hm”, machte die Richterin und sah sich in dem Wohnzimmer um. “Schöne Papageienkäfige”, sagte sie dann und deutete auf leere Käfige, in denen halbvollen Näpfe mit Vogelfutter standen. “Wo sind die Papageien?”.

Mein Vater senkte den Blick. “Lorchen ist vor fünf Jahren gestorben”, sagte er. Dieser Papagei war das Lebewesen, das er wirklich geliebt hatte, und die Erinnerung daran ließ seine Gesichtszüge weich werden.

“Und wofür brauchen sie so viele Stifte?”, fragte die Richterin und deutete auf den Hunderterpack Kugelschreiber, die aus der Mitte eines Berges an Dingen auf dem Wohnzimmertisch herausragten. “Um Sachen aufzuschreiben? Wofür nutzen sie denn Stifte!”, sagte mein Vater und kicherte. “Und die Ibus nehmen sie also nicht?”, sagte die Richterin. “Doch natürlich nehme ich Ibuprofen! Sonst halte ich die Schmerzen im Knie ja gar nicht aus, ohne Ibuprofen könnte ich nicht mal schlafen, und schlafen muss man doch!” Die Richterin nickte und notierte sich etwas, dann hielt sie kurz Zwiesprache mit dem Mann, der sie ins Haus begleitet hatte.

Mein Vater versuchte die Gesprächslücke durch das Erzählen eines schmutzigen Witzes und ein Referat interessanter Fakten über Bahnhöfe im Leinetal während des zweiten Weltkriegs zu überbrücken, aber die Richterin wies scharf darauf hin, dass hier eine Verhandlung im Gange sei und auch, wenn er sich in seinem Wohnzimmer wähnte, er in diesem Moment vor Gericht stand, und er in ihrem Gerichtssaal für den Moment zu schweigen habe.

Der Moment dauerte nicht lange, und dann stellte die Richterin den Mann vor: Ein Berufsbetreuer, den sie Kraft ihres Amtes für nahezu alle Lebensbereiche meines Vaters einsetzte. Lediglich über seinen Aufenthaltsort, darüber sollte mein Vater noch selbst bestimmen dürfen. Aber Gesundheitsfürsorge, Rechtsangelegenheiten, Post, Finanzen und Haushaltsfhilfe – das sollte der Betreuer übernehmen. Mir fiel ein Stein vom Herzen! Mein Vater freute sich auch, auch wenn ihm vermutlich nicht wirklich bewusst war, welche einschneidende Entscheidung die Frau in der bunten Hose da gerade getroffen hatte.

In den folgenden Wochen änderte sich für ihn erst einmal nichts, weshalb mein Vater die Betreuung als sehr angenehm empfand. Während der Betreuer auf die Ernennungsurkunde warten musste, lebte mein Vater weiterhin sein Leben zwischen Besorgungen und Schlagerhitparade. Aber dann, Mitte April, legte der Betreuer los und verschaffte sich mit meiner Hilfe einen Überblick über die Situation. Ende April war es soweit, dass er sich mit einem Pflegedienst sich die häusliche Situation besah und konkrete Maßnahmen traf, um meinem Vater ein etwas geordneteres Leben zu ermöglichen. Dazu kam es dann nicht mehr. Ein Infarkt, so vermutet man später, hat ihn erwischt, als er nachts vom Klo kam.

Aber das weiß ich in diesem Moment nicht, als ich im Hausflur stehend der Polizistin die Kurzfassung erzähle, und dabei langsam kalte Füße bekomme. Im wörtlichen Sinne, weil ich halt barfuß auf dem kalten Estrich stehe.

Die Kommissarin macht sich Notizen und lässt sich die Nummer des Betreuers geben, der meine Angaben bestätigt. Mein Vater war über 80, hatte Diabetes, war adipös und hatte es an Herz und Lunge. “Von daher war das nicht unerwartet, aber es kam jetzt plötzlich”, sage ich, und die Polizistin nickt und steckt ihren Notizblock weg, dann gibt sie mir einen Flyer. “Leitfaden für Angehörige” steht darauf. Dann verabschieden sie und der Praktikant sich, und ich kann mir endlich Socken anziehen.

An diesem Abend gehe ich nicht ins Theater. Ich verspüre auch keine Traurigkeit. Wie gesagt, das kam nicht unerwartet, nur jetzt, wo wir auf einem guten Weg waren und seine angehäuften Probleme von seinem Betreuer hätten gelöst werden können, kam das doch plötzlich. Ist aber letztlich konsequent: Er hat immer gelebt, ohne sich um Morgen zu scheren. Hat immer so gelebt wie er es wollte, und am Ende, kurz bevor er Gefahr lief, seine Selbstbestimmung zu verlieren, ist er einfach umgefallen. Kurz und schmerzlos.

Das Haus voller Katzenfutter* und Croissants und Flokatis und originalverpackten Fliesenschneidemaschinen und leerer Papageienkäfige und kaputter Glasscheiben und leerer Meisenknödeleimer, das ist nun nicht mehr sein Problem.

Er war ein sehr eigener Mensch, dieser Vater.


*) Mein Vater besaß keine Katzen**.
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**) Er stellte das Futter für eine Wildkatze, die im Wald vor dem Haus lebt, vor die Tür. Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, war sie so fett, dass sie kaum laufen konnte.

Familiäre Dialoge – XVIII-

Familiäre Dialoge – XVIII-

Achtung: Früher waren die familiären Dialoge mal lustig, weil sie sich um einen Menschen mit seltsamen Ansichten und einem viel zu großen Ego drehten. Mittlerweile sind sie tragisch und Zeugnis einer fortschreitenden Erkrankung eines 81-jährigen. Trotzdem möchte ich mich später daran erinnern, und schreibe sie deshalb hier auf.

Januar 2023, am Telefon:
Vaddern: “Sohn! Stell Dir das mal vor, diese Verbrecher von der Stadt haben mir eine Rechnung geschickt! Ich soll im Jahr 20 Kubikmeter Wasser verbrauchen! Ich glaub mein Schwein pfeift!”

Ich: “Da warst Du aber sparsam”.

Vater: “Was heißt denn da sparsam! Das sind 20.000 Liter Wasser!! Wo soll ich die denn verbrauchen?!”

Ich: “Kochen, Wäsche waschen, Duschen, Toilette…”

Vater: “Ich koche nicht und Wäsche wasche ich auch nicht mehr! Ich brauche nur Mittags Wasser für meinen Kaffee und Abends für die fünf Minuten Terrine, nach meinen Berechnungen brauche ich nicht mehr als 5 Liter am Tag, das macht bei 365 Tagen ca. 1.500 Liter!”

Ich: “Vater, ich mache hier die Abrechnungen für sechs Mietwohnungen. Pro Person verbrauchen die im Monat zwei bis vier Kubikmeter. Da bist Du mit deinen 20 Kubikmetern im ganzen Jahr noch sparsam!”

Vater (In Rage): “Woher wollen die Verbrecher von der Stadt überhaupt wissen, was ich verbrauche?! Kommt ja keiner mehr zum Ablesen! Die raten das doch! Ich glaube es hackt”

Ich: “Weil ich im letzten Dezember bei Dir Wasser und Strom abgelesen und den Stadtwerken das mitgeteilt habe.”

Vater: “Das wüsste ich ja wohl!”

Ich: “Hast Du vielleicht vergessen. Genau wie die Tatsache, das wir exakt dieses Telefonat vor einer Woche schon einmal geführt haben, Wort für Wort.”

Vater: “…”

Vater: “Aber wenn Du Wasser abgelesen hast, warum hast Du denen Märchen erzählt! Ich brauche doch nur eine Tasse Wasser für den Kaffee und für die Fünf-Minuten-Terrine, das sind keine 5 Liter am Tag, das sind bei 365 Tagen…”

Februar 2023:
Vater (wütend und mental völlig klar): “Lügen stehen da drin! Dieser Gutachter hat da nur Lügen reingeschrieben! Ich brauche nur so einen Notfallknopf, falls ich mal falle und nicht mehr hochkomme, und der schreibt, ich bräuchte eine Betreuung! Unverschämtheit!”

Ich: “Vater, guck Dich doch mal um! In diesem Haus ist seit mindestens 15 Jahren kein Handschlag mehr gemacht worden! Die Fenster sind schlecht…”

Vater (aufbrausen): “WAS SOLL DAS DENN HEIßEN DIE FENSTER SIND SCHLECHT?!? Die sind von 1938! Für 85 Jahre sind die in gutem Zustand!”

Ich: “Aber sie sind teils gesprungen oder aus dem Rahmen gefallen! Der Garten ist ein Urwald, der Zaun zur Straße ist von Büschen zerdrückt worden, und aus dem Dach des Hauses wächst ein Baum! Vom Inneren will ich gar nicht anfangen, Deine “Besorgungen”, die Du jeden Tag im Billigmarkt machst, packst Du nicht mal aus, die türmen sich meterhoch in jedem Raum! Jeden Tag fährst Du los und kaufst genau das gleiche, was Du am Vortrag schon besorgt hast!”

Vater: “Na und? Ich brauche Vorräte!”

Ich: “Aber Du gibst hier Geld aus, das Du nicht hast! Für Dinge, die Du nicht brauchst! Hier, ein Kinderschlitten! Da, ein rosa Flokati! Warum kaufst Du sowas? Was passiert, wenn das Heizöl aus ist? Dann sitzt Du im Kalten, weil Du Dein Geld für Killefit ausgegeben hast!”

Vater: “Geld muss mir die Bank geben, ich bin da seit 60 Jahren Kunde! Wie stellen die sich das auch sonst vor, die können mich ja schlecht verhungern lassen!”

Ich: “Naja, verhungern wirst Du sobald nicht, der ganze Hausflur und das Auto liegen voller Lebensmittel…”

Vater: “Da hat der Gutachter auch gelogen! Hat da reingeschrieben, der Hausflur läge voller verschimmelter Lebensmittel!”

Ich: “Und wo ist das gelogen?”

Vater: “Hier schimmelt nichts! Hier, guck!” (zeigt auf vier Einkaufstaschen und einen Eimer, in dem Backwaren und Katzenfutter durcheinanderliegen) “Das sind Croissants! Die werden nur trocken, aber die schimmeln nicht!”

Ich: “Und was ist mit den Ostereiern da? Die stehen mindestens seit Januar 2022 auf dem Herd, da habe ich sie zumindest das erste Mal gesehen!”

Vater (stolz): “Aber die schimmeln nicht!”

Ich: “Stopfst Du da gerade Käse in die Flurgarderobe?!”

Vater: “Na wohin soll ich den denn sonst tun, denk´ doch mal nach!”

Anfang März 2023, am Telefon:
Vaddern: “Stell Dir das mal vor, Öl ist aus! Gestern war es mit einem mal kalt! Nicht mal ein Jahr hat der Tank gehalten!”

Ich: “Habe ich Dir vorhergesagt. Ich habe Dich inständig gebeten die Heizung runter zu stellen und Öl zu sparen. Aber Du hast mich ausgelacht und das ganze große Haus, mit seinen Fenstern von 1938, auf 25 Grad hochgeheizt. Und immer, wenn Dir zu warm war, hast du einen Ventilator angemacht.”

Vater: “Ja, wie gesagt, jetzt ist wieder warm!”

Ich: “Weil Du mit Strom heizt, richtig? Du sitzt da jetzt vor drei Heizlüftern, oder?”

Vater: “Quatsch! Wie kommst Du denn auf sowas?”

Ich: “Na Gottseidank, die Stromkosten…”

Vater: “Ist nur EIN Heizlüfter. Und ein Ölradiator!”

Ich: “Vater! Du kannst diese Geräte jetzt nicht tagelang laufen lassen, die Stromkosten ruinieren Dich! Zieh bitte mal einen dicken Pulli an und mummel Dich in eine Decke, bis die Öllieferung da ist!”

Vater: “Dicker Pulli! Bah! Brauch ich nicht!”

Ich: “Wieso?”

Vater: “Weil ich hier EINEN RADIATOR UND EINEN HEIZLÜFTER HABE! Hier ist total warm! Du hörst nie zu, oder? Wenn ich einen Pullover anziehe, schwitze ich mich doch tot!”

Mitte März 2023, am Telefon:
Vaddern: “Sohn! Stell Dir das mal vor, diese Verbrecher von der Stadt haben mir eine Rechnung geschickt! Ich soll im Jahr 20 Kubikmeter Wasser verbrauchen! Ich glaub mein Schwein pfeift!”

Ich: “Da warst Du aber sparsam”.

Vater: “Was heißt denn da sparsam! Das sind 20.000 Liter Wasser!! Wo soll ich denn das verbrauchen?!”

Ich: “Kochen, Wäsche waschen, duschen, Toilette…”

Vater: “Du bist ein technischer Witzbold! Das stimmt doch nicht! Duschen tue ich nicht, wie denn auch, in der Badewanne stehen ja die Vogelhäuschen. Und die Toilette funktioniert schon seit dem Herbst nicht mehr!”

Ich: “Was? WIE BITTE?”

Vater: “Ja, die ist verstopft, irgendwie. Aber ich habe da einen Eimer, und wenn der voll ist, kippe ich den in den Wald.”

Ich (mit geschlossenen Augen geistig “OMG OMG” murmelnd): “Du denkst dran, dass Mittwoch die Richterin zum Termin kommt? Die Anhörung? Wegen der Betreuung?”

Vater: “Der erzähle ich gleich mal, das Der Gutachter lügt! Und Du auch! Könnt ihr was erleben! Ich sage der, das ich nur diesen Notfallknopf brauche, für wenn ich mal stürze, der Weg in den Wald ist tückisch bei Regen! Besonders, wenn man einen Eimer trägt!”

Mein Vater war noch nie ein normaler Mensch, aber jetzt geht es echt im Zeitraffer bergab. Erstaunlicherweise nimmt er den geistigen Abbau bei anderen Personen seines Alters messerscharf wahr, nur bei sich selbst erkennt er das nicht. Er hält sich für Kerngesund, hat aber in Wahrheit keinen einzigen Bereich seines Lebens noch im Griff. Was mich jetzt in eine unangenehme Situation bringt. Mal gucken, wie wir da durchkommen.

Frühere Familiäre Dialoge:

Auto kaputt Dialog
Nicht-ans-Telefon-geh-Dialog
Dialog zum 80sten
Impfdialog
Hämischer Dialog
Corona-Dialog
Weihnachtsdialog
Straßenverkehrsordnungsdialog
Kraftfahrzeugbundesamt-Wettererklärdialog
Kostenloskulturdialog
Poststornierungsdialog
Nötigungsdialog
Tantenmonolog
Mehr Dialog
Noch ein Dialog
Nächtlicher Dialog
Spontaner Dialog
Anderer Dialog
Noch ein anderer Dialog

Familiäre Dialoge -VII-

Familiäre Dialoge -VII-

Februar 2022.
Telefon.

Vater: “Sohn! Ich bin verzweifelt. DIE haben mir mein Auto kaputt gefahren.”

Ich: “Was? Au Scheiße. Geht es Dir gut?”

Vater: “Jaja, ne. Aber das Auto, wie gesagt, das ist kaputt. Aber ist kein Problem, ich muss nichts bezahlen, der Mann hat es mitgenommen.”

Ich: “Erzähl mal von vorne, bitte.”

Vater: “Die Katzen hatten Hunger und das Wetter war nicht so und dann bin ich ins Auto, und unten am Berg da hat es dann geschneit und ich bin mit ausreichendem Seitenabstand an einem Auto vorbeigefahren das da geparkt hat und plötzlich macht es BUMM und ich schleudere so rum und dann war das Auto kaputt.”

Ich: “Du hast aus dem Fenster geguckt, den Schneesturm gesehen und beschlossen, dass das genau der richtige Zeitpunkt ist ins Auto zu steigen und einkaufen zu fahren? Und bist in ein geparktes Auto gerutscht?”

Vater: “Nein! Hör doch mal zu! Ich bin nicht gerutscht! Ich bin da mit aus-reich-en-dem Abstand dran vorbeigefahren! Und dann hat es Bumm gemacht. Ich habe den gar nicht berührt! Bei dem ist auch gar nichts kaputt. Außer an der Felge so ein Bißchen. Da ist was abgefallen. Kann man aber wieder dran machen.”

Ich: “Also bist Du doch in das geparkte Auto reingefahren”

Vater: “Das war nicht meine Schuld, ich konnte doch nichts sehen! Wegen des Schnees! Da kann doch niemand was sehen! Und dann bin ich so rumgeschleudert und vorne gegen den Bordstein. Und dann waren alle gleich aufgeregt und haben die Polizei gerufen und der Abschlepper war da und der hat gesagt: Das ist ein Totalschaden, der Wagen ist nichts mehr wert und wenn ich ihm den schenke, dann muss ich wenigstens keine Abschleppkosten zahlen.”

Ich: “Und was hast Du gemacht?!”

Vater: “Naja was soll ich denn gemacht haben? Habe ich halt das Auto verschenkt, nützt ja nichts. Aber wie gesagt, ich hatte keine Schuld. Auch nicht an dem Hildebrandt seine Schulter.”

Ich: “Was hat denn der Hildebrandt jetzt damit zu tun?”

Vater: “Ja der saß in dem Auto. Und nun sagt er, ihm tut die Schulter weh. Aber da kann ich nichts für! Was bremst der auch so stark, mitten im Schneesturm!!”

Ich: “Äh. Also war noch ein Fahrzeug beteiligt? Und das hat vor dir gebremst?”

Vater: “NEIN! Du hörst nie zu, wenn ich mit Dir rede, oder? Der saß da in dem geparkten Auto! Was da stand, weil er vorher so stark gebremst hat! Weil es geschneit hat! Und da bin ich in weitem Bogen drum rum und hab den gar nicht berührt und dann Bumm und dann war mein Auto kaputt und wie das mit dem Hildebrandt seiner Schulter kam und seinem appen Rad, das weiß niemand!”

Ich: “Okay, Ich fasse noch einmal zusammen: Es hat so stark geschneit, dass man nichts sehen konntest. Der Fahrer vor Dir hat aufgrund der schlechten Sicht gehalten und Du bist ihm hinten rein gefahren und hast einen Totalschaden mit Personenschaden verursacht. Und anschließend hast Du Dein Auto verschenkt.”

Vater “Aber ich bin nicht schuld, was kann ich denn dafür wenn der da so dämlich…”

Ich: “Ich komme morgen früh vorbei. Wir regeln das.”

Vater: “Bring Katzenfutter mit!”

Und geregelt haben wir das dann, im Februar. Natürlich hat er sein Auto nicht verschenkt, es stand sicher im nahegelegenen Autohaus. Aber es war tatsächlich ein Totalschaden. Der Personenschaden war zum Glück nur ganz leicht, am Ende ist also alles gut ausgegangen. Sogar die Katzen wurden gefüttert.

Bezeichnend aber: Es sind immer “DIE”, die Schuld sind. “DIE” stellen Hemden heute absichtlich kleiner her als früher, damit man sich dick fühlt. “DIE” sorgen dafür, dass einem auf einen Samstag das Heizöl ausgeht. Und “DIE” machen halt Bumm und plötzlich ist das Auto kaputt. Bei meinem Vater sind es IMMER die anderen.

Aber gut, mit über 80 Jahren lernt man auch nicht mehr, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen.

Zudem deutlich zu sehen: Die familiären Dialoge werden im Verauf immer unlustiger und sind zunehmend geprägt von einer gewissen Hilflosigkeit. Mein Vater ist ein alter Sturkopf, aber ich fürchte, der braucht jetzt mal Unterstützung.

Frühere Familiäre Dialoge:

Nicht-ans-Telefon-geh-Dialog
Dialog zum 80sten
Impfdialog
Hämischer Dialog
Corona-Dialog
Weihnachtsdialog
Straßenverkehrsordnungsdialog
Kraftfahrzeugbundesamt-Wettererklärdialog
Kostenloskulturdialog
Poststornierungsdialog
Nötigungsdialog
Tantenmonolog
Mehr Dialog
Noch ein Dialog
Nächtlicher Dialog
Spontaner Dialog
Anderer Dialog
Noch ein anderer Dialog

Familiäre Dialoge -XVII-

Familiäre Dialoge -XVII-

Februar 2022.
Telefon.

Vater: “Sohn! Ich bin verzweifelt. DIE haben mir mein Auto kaputt gefahren.”

Ich: “Was? Au Scheiße. Geht es Dir gut?”

Vater: “Jaja, ne. Aber das Auto, wie gesagt, das ist kaputt. Aber ist kein Problem, ich muss nichts bezahlen, der Mann hat es mitgenommen.”

Ich: “Erzähl mal von vorne, bitte.”

Vater: “Die Katzen hatten Hunger und das Wetter war nicht so und dann bin ich ins Auto, und unten am Berg da hat es dann geschneit und ich bin mit ausreichendem Seitenabstand an einem Auto vorbeigefahren das da geparkt hat und plötzlich macht es BUMM und ich schleudere so rum und dann war das Auto kaputt.”

Ich: “Du hast aus dem Fenster geguckt, den Schneesturm gesehen und beschlossen, dass das genau der richtige Zeitpunkt ist ins Auto zu steigen und einkaufen zu fahren? Und bist in ein geparktes Auto gerutscht?”

Vater: “Nein! Hör doch mal zu! Ich bin nicht gerutscht! Ich bin da mit aus-reich-en-dem Abstand dran vorbeigefahren! Und dann hat es Bumm gemacht. Ich habe den gar nicht berührt! Bei dem ist auch gar nichts kaputt. Außer an der Felge so ein Bißchen. Da ist was abgefallen. Kann man aber wieder dran machen.”

Ich: “Also bist Du doch in das geparkte Auto reingefahren”

Vater: “Das war nicht meine Schuld, ich konnte doch nichts sehen! Wegen des Schnees! Da kann doch niemand was sehen! Und dann bin ich so rumgeschleudert und vorne gegen den Bordstein. Und dann waren alle gleich aufgeregt und haben die Polizei gerufen und der Abschlepper war da und der hat gesagt: Das ist ein Totalschaden, der Wagen ist nichts mehr wert und wenn ich ihm den schenke, dann muss ich wenigstens keine Abschleppkosten zahlen.”

Ich: “Und was hast Du gemacht?!”

Vater: “Naja was soll ich denn gemacht haben? Habe ich halt das Auto verschenkt, nützt ja nichts. Aber wie gesagt, ich hatte keine Schuld. Auch nicht an dem Hildebrandt seine Schulter.”

Ich: “Was hat denn der Hildebrandt jetzt damit zu tun?”

Vater: “Ja der saß in dem Auto. Und nun sagt er, ihm tut die Schulter weh. Aber da kann ich nichts für! Was bremst der auch so stark, mitten im Schneesturm!!”

Ich: “Äh. Also war noch ein Fahrzeug beteiligt? Und das hat vor dir gebremst?”

Vater: “NEIN! Du hörst nie zu, wenn ich mit Dir rede, oder? Der saß da in dem geparkten Auto! Was da stand, weil er vorher so stark gebremst hat! Weil es geschneit hat! Und da bin ich in weitem Bogen drum rum und hab den gar nicht berührt und dann Bumm und dann war mein Auto kaputt und wie das mit dem Hildebrandt seiner Schulter kam und seinem appen Rad, das weiß niemand!”

Ich: “Okay, Ich fasse noch einmal zusammen: Es hat so stark geschneit, dass man nichts sehen konntest. Der Fahrer vor Dir hat aufgrund der schlechten Sicht gehalten und Du bist ihm hinten rein gefahren und hast einen Totalschaden mit Personenschaden verursacht. Und anschließend hast Du Dein Auto verschenkt.”

Vater “Aber ich bin nicht schuld, was kann ich denn dafür wenn der da so dämlich…”

Ich: “Ich komme morgen früh vorbei. Wir regeln das.”

Vater: “Bring Katzenfutter mit!”

Und geregelt haben wir das dann, im Februar. Natürlich hat er sein Auto nicht verschenkt, es stand sicher im nahegelegenen Autohaus. Aber es war tatsächlich ein Totalschaden. Der Personenschaden war zum Glück nur ganz leicht, am Ende ist also alles gut ausgegangen. Sogar die Katzen wurden gefüttert.

Bezeichnend aber: Es sind immer “DIE”, die Schuld sind. “DIE” stellen Hemden heute absichtlich kleiner her als früher, damit man sich dick fühlt. “DIE” sorgen dafür, dass einem auf einen Samstag das Heizöl ausgeht. Und “DIE” machen halt Bumm und plötzlich ist das Auto kaputt. Bei meinem Vater sind es IMMER die anderen.

Aber gut, mit über 80 Jahren lernt man auch nicht mehr, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen.

Zudem deutlich zu sehen: Die familiären Dialoge werden im Verauf immer unlustiger und sind zunehmend geprägt von einer gewissen Hilflosigkeit. Mein Vater ist ein alter Sturkopf, aber ich fürchte, der braucht jetzt mal Unterstützung.

Frühere Familiäre Dialoge:

Auto kaputt Dialog
Nicht-ans-Telefon-geh-Dialog
Dialog zum 80sten
Impfdialog
Hämischer Dialog
Corona-Dialog
Weihnachtsdialog
Straßenverkehrsordnungsdialog
Kraftfahrzeugbundesamt-Wettererklärdialog
Kostenloskulturdialog
Poststornierungsdialog
Nötigungsdialog
Tantenmonolog
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Spontaner Dialog
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Noch ein anderer Dialog

Familiäre Dialoge -XVI-

Familiäre Dialoge -XVI-

Telefon.

Ich: „„Ja hi, ich bins. Ich wollte nur mal fragen ob Du bei der zweiten Impfung warst und wie es Dir jetzt geht.“

Vater: „Was soll denn die dumme Frage, Du weißt doch genau, das es mir beschissen geht, mit dem Knie kann ich doch nicht auftreten, deshalb nehme ich doch dauernd die starken Schmerzmittel.“

Ich: “Nee, ich meinte wegen der Impfung. Beim Knie erwarte mal kein Mitleid, das hättest Du vor acht Jahren machen lassen können, mit dem anderen zusammen, dann wärst Du heute schmerzfrei. Dazu müsstest Du nur mal zum Arzt gehen.“

Vater: „Die haben doch am wenigsten Ahnung, die Ärzte! Aber zweite Impfung war ich. So eine Impfung, weißte, die geht ganz schnell. Man fährt nur zu dem Termin und dann warten die schon auf einen…”

….Was nicht so wirklich ein Wunder ist, mein Vater kommt zu jedem Termin mindestens eine Viertelstunde zu spät…

Vater: “…und schon ist man damit fertig. Ist ja hier auf dem Dorf auch nicht so einfach, mit Impfung! Kommste ja nicht ran, als Normalsterblicher. MIR hat niemand ein Impfangebot gemacht. (Stolz:) Aber ich sage ja immer: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg! Und ICH bin ja jetzt geimpft”

Heldenhaft. Ein Jahr hat er sich mit Händen und Füßen gewehrt, aber nun fühlt er sich wie der Ritter, der den Drachen erlegt hat. Belassen wir es dabei.

Vater: “Zum meinem Achtzigsten habe ich übrigens von der Gemeinde einen Gutschein über 10 Euro bekommen. Muss man sich mal vorstellen, 10 Euro, was soll man sich denn dafür kaufen?“

Ich: „Was hast Du denn erwartet?“

Vater: “Wer nicht frech. Ich kauf mir da jetzt Lübecker Marzipan für. Das ist das Beste. Kann man ja auch kaum was anderes mit anfangen, mit 10 Euro.“

Ich: „Ja, nee. Und Marzipan als Geldanlage, das ist schon gut. Aber denk an Dein Diabetes.“

Vater: „Ach Diabetes, so ein Quatsch. Da hat die Ärztin auch keine Ahnung.“

Ich: „Deine Diabetesberaterin, die beruflich nichts anderes macht als Diabetes, die hat keine Ahnung?“

Vater: „Die erzählt nur Quatsch! Ich soll morgens 49 und abends 29 Einheiten nehmen, das ist doch Blödsinn. Ich ess´ meine Schokolade und mein Marzipan und dann messe ich und dann schlag ich noch was drauf und das nehme ich dann.“

Ich: „Genial! Auf diese Weise kannst Du Süßigkeiten essen bis Dir schlecht wird!“

Vater: „Genau! Aber in dieses Tagebuch, ne, was ich ihr immer vorzeigen muss, da trage ich immer genau die Werte ein, die sie sehen will. “

Ich: „Die eigene Diabetesberaterin betuppen. Na, Du bist ja ein Fuchs.“

Vater: „Ja, was will ich denn sonst machen? So freut sie sich wenigstens.“

Ich: „…“

Vater: „Warum rufst Du eigentlich heute erst an? Die zweite Impfung war vor einer Woche!“

Ich: „Oh ich HABE angerufen, jeden Tag, zu unterschiedlichen Uhrzeiten. Du bist nur nicht ans Telefon gegangen. Ich habe mir schon Sorgen gemacht.“

Vater: „Ja nun, das Telefon steht in der kleinen Stube und wenn Fernsehen an ist höre ich das nicht. Tragbares Telefon habe ich ja nicht.“

Ich: „Hast Du schon, das haben wir Dir vor drei Jahren zu Weihnachten geschenkt. Du warst nur zu bequem es anzuschließen, und als ich das machen wollte meintest Du, ich hätte keine Ahnung davon und sollte die Finger davon lassen.“

Vater: „Braucht ja auch kein Mensch, sowas. Genauso wie Handy. Sind auch nicht zu gebrauchen, die Dinger. Die muss man jede Woche aufladen! JEDE WOCHE! Muss man sich mal vorstellen! Ich glaub´ mein Schwein pfeift!“

Immerhin hat er ein Handy. Hat lange genug gedauert ihm das aufzudrängen, damit er in Notfällen wenigstens ein Telefon in Griffweite hat.

Ich: „Ja nun. Sei froh, dass Deines eine Woche durchhält. Ich muss meins jeden zweiten Tag aufladen.“

Vater: „Was? Was ist das denn für eine Schrottkiste?!.“

Ich: „iPhone 13 Pro.“

Vater: „Das würde ich zurückbringen, das muss ja kaputt sein. Kauf Dir mal was Vernünftiges! Nokia oder so. Hatte ich ja auch.“

Ich: „Wieso “Hatte”?!“

Vater: „Ist kaputt. Aber ist ja egal, ich brauche das eh nicht.“

Ich: „Und wenn Du mal stürzt mit Deinem kaputten Knie und nicht mehr hochkommst? Wie holst Du dann Hilfe? Das kriegt ja nicht mal jemand mit wenn Du da rumliegst.“

Vater: „Ach ich telefonier doch jeden Abend mit der Dingens. Wenn ich nicht ans Telefon gehe kann die sich schon denken, das was nicht stimmt. “

Ich: „Oder das Du fern guckst.“

Vater: „Hehehe, ja genau, ne.“

Ach Ach Ach. Ich rege mich ja gar nicht mehr drüber auf.

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Familiäre Dialoge -XV-

Familiäre Dialoge -XV-

Telefon klingelt.

Ich: „Vater?!“ (Mißtrauisch) „Warum rufst Du an? Das machst Du doch nie?“

Vater: „Ah Sohn. Nee, ich wollte Dich auch gar nicht anrufen. Hab’ ich mich wohl verdrückt.“

(Pause)

Vater: „Aber wo ich dich gerade mal dran habe…” (stolz): “Ich bin ja jetzt geimpft, ne?“

Ich (in gespielter Überraschung): “Nein! Das ist ja was!

Ja, er ist geimpft, seit heute morgen. Weiß ich schon.

In der Vergangenheit hat er ja alle möglichen Ausreden erfunden, warum er sich nicht impfen lassen kann. Das reichte im Zeitverlauf von “Die Impfung ist Gift und unter Masken erstickt man” über “bringt ja eh’ nichts” bis zu “Bei uns impfen die nicht”, “MIR hat niemand ein Impfangebot gemacht” und zuletzt “meine Ärztin will mich nicht impfen”. Alles erfunden, alles Ausreden, aus purer Bequemlichkeit.

Dass mein Vater sich nun hat impfen lassen liegt einzig und allein daran, dass meine Schwester ein Impfangebot in seinem Dorf ausfindig gemacht hat, ohne Voranmeldung und quasi zwei Straßen weiter. Dann hat sie ihn telefonisch bekniet da hinzugehen und ihm deutlich gemacht, dass er ohne Impfung nie wieder in irgendein Restaurant oder zum Windbeutelessen ins Café Tulpe darf. Windbeutelentzug! Diese Drohung hat es dann wohl gebraucht.

Er war wirklich bei der Impfung. Das erzählt er nicht nur, damit wir Kinder endlich Ruhe geben. Woher ich das weiß?

Weil er in der Impfpraxis einen dermaßenen Aufstand gemacht hat, das er danach Dorfgespräch auf Facebook war. Lautstark und jedem der es nicht hören wollte hat er kundgetan, das ER ja die Impfung nicht nötig hätte, weil er eh nicht unter Leute ginge, die Impfung Nötigung sei und ob die Arzthelferinnen wohl wüssten, dass sie Körperverletzung begingen. Ja, mein Vater weiß, wie man sich beliebt macht.

Ich: “Ja Mensch, das freut mich zu hören. Bist ja spät dran, aber immerhin. Das hast Du sehr, sehr gut gemacht. Ich freue mich für Dich. Das ist echt super. Prima Entscheidung.“

Vater: „Was heißt da spät dran? Bei uns haben die ja bisher nicht geimpft! Und ich muss da ja auch erstmal Zeit für haben, für diesen Nonsense. Ich brauch das ja eh´ nicht, ich geh ja nicht unter Leute. “

Ich: „Aber Du bist jeden Tag beim Bäcker um seine Croissants zu bewerten und ihm Verbesserungsvorschläge zu machen, Du bist jeden Tag im Baumarkt um dem Personal die Maschinen zu erklären, die es dort verkauft, und Du bist jeden Tag im Rewe um… was machst Du eigentlich im Rewe? “

Vater: “Ja sag ich ja, in Geschäften hält man Abstand, da kann man das nicht kriegen! Wo soll ich denn dieses Corona herbekommen? Am 27. Januar habe ich jetzt meine zweite Impfung.“

Ich: „Super! Aber auch hingehen, ja? Auch wenn es Dir jetzt nach der ersten Impfung vielleicht nicht ganz so gut gehen wird. Eine Spritze reicht nicht!“

Vater: „Mal gucken. Wenn ich Zeit habe, gehe ich da hin.“


Wenige Tage später, diesmal habe ich angerufen:

Ich: „Vater! Alles Gute zum Achtzigsten!“

Vater: „Ja, ach. Das sagt sich so. Von wegen gut. Feiern geht ja nicht, die lassen mich ja nirgendwo rein wegen dieses 2G. OBWOHL ICH GEIMPFT BIN!!“

Ich: „Du hast noch keinen Impfschutz. Geimpft bist Du erst wenn Du drei Injektionen bekommen hast, nicht nur eine.“ Vermutlich fängt er sich nächste Woche Omikron und verklagt dann alle, weil die Impfung ja nachweislich nichts bringt.

Vater: „Ja völliger Quatsch. Ich kann das ja auch gar nicht kriegen. Ich gehe ja NIE unter Leute.“

Ich: „Jaja.“

Vater: „Werd´ nicht frech! Egal, ich muss jetzt los. Ich hole meine Schwester ab. Die kann ja nicht mehr selber fahren, weil die zu alt ist und die Polizei ihr das Auto geklaut hat.“

Ich: „Was?“

Vater: „Ja muss man sich mal vorstellen! Die Polizei hat der das Auto geklaut, nur weil sie in der Fußgängerzone ohne Sprit liegen geblieben ist, als sie zum Treffen vom Tierschutzverein wollte. Hat wohl vergessen zu tanken. Als ihr dass das zweite Mal passiert ist, hat die Polizei ihr das Auto geklaut. Naja, kann passieren. Die ist ja schon alt. Die ist 84, alte Leute vergessen schonmal was.“

Auch so ein Phänomen: Die meisten Männer denken von sich selbst immer als ca. 30jährige, selbst im hohen Alter. Gleichaltrige sind dann völlig überraschend “alt geworden”, vermutlich wegen “Lebenswandel”, und urplötzlich “alte Leute”, aber sie selbst fallen NIE in diese Kategorie.

Das ist übrigens auch ein Grund, warum 75jährige Männer jungen Frauen nachstellen. Die Kerle haben schlicht nicht verinnerlicht, dass sie selbst alt sind. Alt sind immer nur alle anderen.

Ich: „Und was habt ihr dann vor?“

Vater: „Naja wir fahren zu der Gitta, meinen Geburtstag feiern. Man kommt ja nirgends rein, also machen wir das bei ihr. Ich hab die Gute von Coppenrath & Wiese besorgt und die Gitta macht Kaffee und die Heidi guckt vielleicht mal vorbei, der Fritz eventuell auch und…“

(Ich schalte geistig ab)

Vater: „…als ob das ohne Mettwurst überhaupt ginge! Muss man sich mal vorstellen, ich glaub mein Schwein pfeift! Ja und deswegen muss ich jetzt los, ne. Meine Schwester, die ist ja nicht geimpft, ne. Ich ja schon.“

Ich: „Was? Warum ist die denn auch nicht geimpft?“

Vater: „Ach, die braucht das doch nicht! Was soll die denn mit der Impfung, die geht doch NIE unter Leute!“

Dieser Blogeintrag ist ein zeitgenössisches Sittengemälde alter Menschen auf dem Land und eine Teilantwort auf die Frage “Woher kommt eigentlich die Impflücke in Deutschland”.

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Familiäre Dialoge -XIV-

Familiäre Dialoge -XIV-

Am Telefon.

Vater: „Ah, Sohn.“ (Mißtrauisch) „Warum rufst Du an?“

Ich: „Ich wollte nur mal hören wie es Dir so geht. Wir haben uns dieses Jahr erst ein Mal gesprochen, da dachte ich, es wird mal wieder Zeit.“

Vater: „Ah, wie soll es gehen, beschissen halt alles, aber was willste machen, ne. Ich habe halt so Schmerzen im Knie und kann nicht mehr laufen und nichts mehr machen und Sonntags fahren wir ins Café Tulpe und dann trinken wir da Kaffee und…“

Ich: “Mit Deinem Knie willst Du nicht mal zu einem Arzt? Du weißt doch, dass man da was machen kann.“

Vater: „Ich bin doch alle drei Monate bei der Ärztin! Der sage ich das immer! Die macht da nix! Ü-Ber-Haupt-Nichts!!“

Ich: „Hast Du denn inzwischen eine Hausärztin? Oder reden wir hier immer noch von Frau Bärmann?“

Vater: “Sohn, Hör doch mal zu! Natürlich reden wir von der Bärmann! Die macht nix! Nichts macht die!“

Ich: „Vater, Frau Bärmann ist deine Diabetesberaterin, keine Ärztin! Die hat Pflege gelernt! Natürlich macht die nichts, wenn Du der was von deinen Knieschmerzen oder den Lungenproblemen erzählst. Die kann auch gar nichts machen! Warum suchst Du dir nicht endlich mal einen Hausarzt oder eine Hausärztin?“

Vater: „Warum? Ich bin doch gesund!“

Ich: „Seufz. Bist du wenigstens mittlerweile geimpft?“

Vater: „Warum fragst Du das?“

Ich: „Weil Du 80 Jahre alt bist, Herz und Lunge hast und wir mitten in einer Pandemie stecken!“

Vater: „Mensch Sohn, ich habe doch gar keinen Kontakt mit anderen Leuten…“

Ich: „…Außer bei Deinen täglichen Besuchen im Supermarkt und im Baumarkt und jede Woche im Café Tulpe oder wenn Du Leute spontan triffst.“

Vater: „Genau mein reden, ich gehe praktisch NIE unter Leute! Und impfen, wie soll denn das gehen? Die impfen doch bei uns hier gar nicht!“

Ich (fassungslos): „Die. Impfen. Bei. Euch. nicht.“

Vater: „Nee, die impfen nicht. Die fahren hier mit so einem Bus rum aber man weiß nie wo der hält. Und das Impfzentrum ist drei Orte weiter da weiß ich gar nicht wo das sein soll.“

Ich: „Vater, ich hatte Dir schon im Februar angeboten dir da einen Termin zu machen und dich da hinzufahren. Und mittlerweile impft JEDER Arzt, da braucht man nur mal kurz anzurufen und sich einen Termin geben zu lassen“

Vater: „Ich habe doch einen Termin! Am 27. November habe ich wieder einen Termin! Und ich wette, die Ärztin bietet mir wieder keine Impfung an!“

Ich: „Lass mich raten, am 27. Hast Du wieder einen Diabetestermin bei Frau Bärmann?“

Vater: „Du hörst nie zu, oder? Das war ja schon immer so. Natürlich bei der Bärmann! Bei wem denn sonst! Aber die macht nichts! Nie macht die was!“

Ich: „Und die Windbeutel im Café Tulpe, sind die gut?“

Vater: „Ja sehr lecker. Am Sonntag sind wir wieder da, in großer Runde!“

Bemerkenswert sind hier mehrere Dinge. Zum einen, in welcher Geschwindigkeit der alte Mann sich noch Ausreden aus dem Hintern zu ziehen vermag und binnen zwei Sätzen von “Ich gehe nie raus” über “die Impfen bei uns nicht” zu “die “Ärztin” ist schuld” wechseln kann und das flüssig und sogar beinahe eloquent runterlügt.

Zum anderen die Feststellung, das mein Vater ein Level an Faulheit erreicht hat, dem man impftechnisch nur begegnen könnte, wenn die Zeugen Jehovas mit Impfangeboten von Tür zu Tür gingen – und selbst dann hätte er vermutlich einen Grund, warum es jetzt gerade nicht passt. “Ich muss jetzt in den Baumarkt” oder “Barbara Salesch fängt gleich an, deshalb passt es nicht, aber sonst würde ich mich impfen lassen.”

Tja. Ich habe aufgehört mir einzubilden, dass ich daran etwas ändern kann. Man ändert keine Menschen, die acht Jahrzehnte mit ihrer Art durchgekommen sind.

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Familiäre Dialoge -XIII-

Familiäre Dialoge -XIII-

Am Telefon, erstes Telefonat mit meinem Vater seit März 2020.

Vater: “Ich habe gerade mit Deiner Schwester telefoniert. Weißte was! Die haben das Deutsche Museum zugemacht! Das muss man sich mal vorstellen!”

Wirklich, unfassbare Nachrichten. Seit seinem Besuch dort im Jahr 1963 ist das Deutsche Museum für meinen Vater, den ehemaligen Maschinenbauingenieur, sowas wie ein mit heiligen Gralen und Bundesladen vollgestopftes Paradies auf Erden. Wie können “DIE” es wagen das zu zumachen?!

Vater: “Ist bei euch auch alles zu?”

Ich: “Ja sicher. Überall ist alles zu. Wegen der Pandemie”

“Also, bei UNS hat der Rewe offen.”

“Ja, Lebensmittelgeschäfte haben geöffnet, aber alles was mit Kunst und Kultur zu tun hat ist geschlossen. Überall, auch bei uns”

“Ihr habt doch gar kein Deutsches Museum. Deine Schwester wohnt in einer richtigen Stadt. Du ja nicht, ne.”

“Aber wenn Göttingen ein Deutsches Museum hätte, dann wäre es jetzt genauso geschlossen wie das in München.”

“Der Aldi bei uns ist auch offen.”

“Jaha.”

“Aber das mit den Masken ist ja auch ein technischer Witz, die bringen ja gar nichts.”

“Hä?”

“Ja die schützen einen ja gar nicht. Du erstickst an deinem eigenen CO2 und gleichzeitig atmest Du den Mist von anderen ein. Völliger Quatsch.”

“Bist Du irgendwie an Schrödingers Maske gekommen oder was? So lange keiner unter die Maske guckt atmest Du Luft von Außen und erstickst dabei oder wie?”

“Was?”

“Warum bindest Du dir überhaupt noch diese Stofffetzen um den Rüssel? Warum hast Du Dir noch keine FFP2-Masken geholt?”

“Sohn, hör doch mal zu, die bringen doch nichts!”

Was erzählst Du denn da? FFP2-Masken haben im Inneren ein elektrostatisch geladenen Filz, der bindet Aerosole! Natürlich schützen die!”

Vater: (…)

Vater: “Das weiß ich natürlich. Ab weißt DU eigentlich, was diese Verbrecher da an Geld für haben wollen!?! Die sind sauteuer, dafür können die die behalten, die wollte ich nicht mal geschenkt!”

Geh in eine Apotheke, da kriegst Du drei Stück kostenlos.”

Vater (plötzlich interessiert): “Wieso ist das so?”

“Weil der Bund Rentnern drei Stück umsonst gibt. Und dann investier bitte nochmal 10 Euro und kauf Dir ein paar mehr, die bringen es echt”.

“Ich war neulich beim Arzt, da haben mir die das nicht angeboten!”

“Arzt und Apotheke sind auch zwei unterschiedliche Dinge. Und Deiner Ärztin kannst Du nicht vorwerfen, dass sie dir nicht den Hintern hinterher trägt. Jedes mal wenn Sie Dir was rät oder einen Vorschlag macht, drohst Du ihr mit einer Anzeige wegen Nötigung oder Körperverletzung oder wer weiß was dir noch gerade einfällt!

Vater: “…”

Vater (versucht das Thema zu wechseln): “Aber das mit der Impfung ist ja auch ein technischer Witz. Die bringt ja auch nichts.”

Ich: “Was?!”

“Ja, wenn Du Dich impfen lässt, bist Du immer noch nicht vor Ansteckung geschützt. Musst Du Dir mal vorstellen! Die spritzen dir diesen Mist und du kannst Dich immer noch anstecken! Ist doch Nonsens.”

“He?”

“Ich kenne auch gar keinen der sich hat Impfen lassen. Geht doch auch so. Vor Grippe lässt sich doch auch keiner Impfen.”

“VATER! Aktuell ist niemand geimpft den Du kennst, weil es schlicht zu wenig Impfstoff gibt! Ab Ende Januar geht´s für Leute über 80 außerhalb von Heimen los, dann für die über Siebzigjährigen, da bist Du gleich mit dabei.”

Vater (beleidigt): “Du bist ein technischer Witzbold, woher willst DU denn das wissen? Also mir hat keiner Bescheid gesagt.”

“Die schreiben Dich an. Also wenn Du demnächst einen Brief vom Land oder von der Gemeinde bekommst, mach den Mal zur Abwechselung mal auf und guck´ was drinsteht!”

“Du würdest Dich doch auch nicht impfen lassen, ne? Ne?!”

“Doch natürlich!! Ich würde mich sofort impfen lassen. Aber bis ich dran bin, wird es noch dauern. Ich stelle mich gerade darauf ein, dass ich erst im Herbst wieder ein normales Leben führen werde. So lange kann ich nicht groß raus.”

Vater (hämisch): “Oooooh, armes Hascherl!”

“WIE BITTE?”

“Hehe! Bis Herbst nicht raus? Hat der kleine Silencer Angst vor dem bösen Virus? Hast Du auch Angst vor der Grippe? Oder einer Erkältung?”

“Ja, ich nehme das Ernst! Ich bleibe schön zu Hause, nur noch alle paar Wochen gehe ich mal Einkaufen raus, ansonsten habe ich keinen Kontakt zu Menschen.”

Vater (heroisch): “Naja. Also, ICH fahre dann jetzt mal zu Rewe. Und danach zu Aldi.”

Rewe UND Aldi. Einfach, weil er es kann! Mein Vater, der furchtlose Held.

Aber mal ernsthaft: Mein Vater gehört zu den Menschen, die sich nur mit halbem Ohr über das Fernsehen informieren. Offensichtlich kommt in dem sich täglich ändernden Wirrwarr die Regelungen, die für das einzelne Bundesland und die einzelne Region gelten, bei dieser Gruppe Menschen gar nicht mehr das für sie relevante an.

Klar, so schnell wie sich alles ändert, ist eigentlich das Internet die wichtigste Quelle. Mein Vater hat zwar einen Glasfaseranschluss, auf den er sehr stolz ist und mir ständig unter die Nase reibt das ich keinen habe, aber er besitzt kein internetfähiges Gerät, weil er das für zu kompliziert hält und auch den Nutzen nicht erkennt. Andererseits bin ich da ganz froh drüber, dass mein Vater nicht im Netz ist. Bei ihm, dem alten Erich-von-Däniken-Fan, würde es kein zwei Minuten dauern, bis er sich durch unbeaufsichtigte Internetnutzung mit Reichsbürger-Chemtrail-Coronaleugner-Hohlerde-Kinderbluttrinker-Unfug radikalisiert hätte – er denkt ja ohnehin schon, das “die”, also irgendwelche Eliten, ihm nur Böses wollen. DIE machen ja sogar das Deutsche Museum zu! Muss man sich mal vorstellen! Kann sich aber keiner vorstellen! Ist nämlich unvorstellbar, sowas!

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Corona (6): Familiäre Dialoge -XII-

Corona (6): Familiäre Dialoge -XII-

Am Telefon.

Ich: “Und, wie geht es so?”

Vater: “Naja, wie soll´s mir gehen. Muss ja.” (mißtrauisch) “Warum rufst Du an?”

Ich: “Ich wollte nur wissen wie es Dir geht und ob Du auch schön zu Hause bleibst und ob ich vielleicht für Dich einkaufen soll.”

Vater: “Und dann?”

Ich: “Wie, und dann?”

Vater: “Wie stellsten Dir das vor? Ist doch Nonsense, sowas!”

Ich: “Wieso Nonsense? Du könntest mir doch sagen was Du brauchst und ich stell Dir das vor die Tür.”

Vater: “Was ich brauche geht Dich doch gar nichts an!”

Ich: “…”

Vater (mißtrauisch): “Ist wegen dieses Virus, oder?”

Ich: “Ja klar. Du bist fast 80, Du hast Diabetes und Lunge. Du solltest jetzt nicht rausgehen.”

Vater (leidend): “Ich gehe doch eh nicht mehr raus, ich kann mich doch gar nicht mehr bewegen vor Schmerzen´… [beschreibt Symptome, die nach akutem Nierenversagen klingen] …Da verlasse ich doch das Haus nicht mehr.”

Ich: “Was? Du hast solche Schmerzen und kannst das Haus nicht mehr verlassen? Warum sagst Du denn nichts? Ich komme vorbei und wir fahren zum Arzt!”

Vater: “Die Ärztin hat gesagt sie hat keine Zeit.”

Ich: “Das ist doch Quatsch! Dann fahren wir halt ins Krankenhaus!

Vater: “Da habe ich neulich einen Bericht im Fernsehen gesehen, im Krankenhaus helfen die einem nicht.”

Ich: “Jetzt hör aber auf! Im Zweifel fahren wir hier ins Klinikum. Die helfen wirklich.”

Vater: “Sohn, ich habe praktisch einen Arzttermin, die haben gesagt ich soll mich nach der Virussache melden. Krankenhaus! Wie stellste Dir das denn vor! Da habe ich doch keine Zeit für!”

Ich: “Wieso, ich denke Du verlässt das Haus nicht mehr.”

Vater (heldenhaft leidend): “Tue ich ja auch nicht, außer für Besorgungen, da komme ich doch nicht drum rum. Da muss ich halt durch, Schmerzen hin oder her”

Ich: “Ach. Was denn für “Besorgungen”?”.

Vater: “Naja so [unverständlich] aus dem einen Baumarkt und [NuschelNuschel] aus dem anderen Baumarkt und ich muss jetzt gleich noch zum Putzer und deshalb muss ich jetzt auch aufhören zu telefonieren.”

Ich (entgeistert) “WAS? Du gehst jetzt NICHT zum Friseur! Draußen ist Pandemie! Der hat geschlossen und du bleibst mit dem Hintern zu Hause!”

Vater: “Du bist ein Knallkopp, der Herr Schnabel schneidet allen in seiner Küche die Haare, dem ist doch der Virus egal. Und ich gehe doch nicht ohne ordentliche Frisur auf eine Geburtstagsfeier!”

ICH (fassungslos): “WAS FÜR EINE GEBURTSTAGSFEIER?!”

Vater: “Na die Henny wird 85.”

Ich: “Da gehst Du doch nicht hin! Es herrscht Kontaktverbot!”

Vater: “Das ist doch kein Kontakt, das ist doch nur ein ganz kleiner Kreis, die Henny, die Ruth, der Werner, die Rosemarie, die Ilse, der Lachmund und seine Frau, die Thea und die Lisa und der Dings, der diese Sache mit dem Knie hat, und noch ein paar andere.”

Ich: “…”

Vater: “Ja, ich will da auch nicht hin, aber die Henny hat die Gute von Coppenrath und Wiese doch schon aufgetaut, was willste da machen?”

Ja, was willste da machen. Wenn die Alten unbedingt mit aller Macht die Rentenkassen entlasten wollen… dann sollte ich nicht versuchen, mich ihnen in den Weg zu stellen. Meinen Vater zwingt man ja eh zu nichts.

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Familiäre Dialoge -XI-

Familiäre Dialoge -XI-

Vatern: “….Das ist Körperverletzung! Ganz klar! Da kann ich die für anzeigen! Das ist Nötigung! Da führt gar kein Weg drum rum, das können die nicht so machen!”

Ich: “Ja Vater, Du wetterst jetzt schon seit 15 Minuten darüber, dass dir dein Arzt Tabletten verschrieben hat, die Pickel machen. Aber meine eigentliche Frage war: Wie geht´s Dir?”

“Sohn, wie soll´s mir schon gehen! Denk doch mal nach! Es ist Weihnachten! Ich bin gerade erst nach Hause gekommen!”

“Wo warst Du denn?”

“Wo soll ich wohl gewesen sein, am 24. Dezember! Ich war natürlich einkaufen!”

“Du warst am 24. einkaufen.”

“Ja nun, da führt kein Weg drum rum! Wenn da so Sachen ausgehen, dann muss ich die halt besorgen.”

“Könnte man auch vorher machen.”

“Das weiß doch vorher keiner was da so ausgeht! Wie soll das denn gehen? Jedenfalls musste ich erst zur Post, wegen so einem Paket. Und dann zur REWE und dann zu Aldi und dann in den Baumarkt in der großen Stadt und dann…”

“Das hast Du alles HEUTE gemacht? WARUM?”

“Mensch Sohn, hör doch mal zu wenn ich Dir was erzähle! WEIL ICH EINKAUFEN MUSSTE! WEIL SACHEN AUS WAREN!”

“Was denn für… Sachen?”

“Naja so spezielle Äpfel halt die es nur in der großen Stadt gibt. Die sind speziell.”

“Damit sind sie nicht allein.”

“Ich muss jetzt auch ganz dringend wieder los. Frohes Fest und so”

“Dir auch.”

Es ist 12:30 Uhr. Vermutlich muss er ganz dringend nochmal los, weil er im Baumarkt was vergessen hat.

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