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Category: Meinung

Next Generation Gear: Das Tech Air 5 (& ein 50.000 Km-Requiem auf das Tech Air Street)

Next Generation Gear: Das Tech Air 5 (& ein 50.000 Km-Requiem auf das Tech Air Street)

Same Rider, New Gear: Ich bin seit April mit einem neuen Airbagsystem unterwegs gewesen und habe nach rund 8.000 Kilometern eine Meinung dazu: Das neue TechAir 5 ist ein Game Changer – zukünftig hat niemand mehr eine Ausrede, nicht mit einem Airbagsystem zu fahren.

Wie ich zu dieser gewagten Aussage komme? Weiterlesen! Außerdem gibt es ein Fazit zu fünf Jahren und 50.000 Kilometern mit dem Vorgängersystem, dem Tech Air Street.

Schnelleinstieg:

Old Parts: Ein Rückblick auf das Tech Air Street

Seit 2017 bin ich mit einem “TechAir Street” des italienischen Herstellers Alpine Stars unterwegs. Darüber hatte ich schon ein paar Mal geschrieben – hier das Drama des Kaufs, hier ein Eindruck nach 7.500 km, hier einer nach zwei Saisons.

Das Tech Air Street ist ein autonomes und elektronisches System, d.h. es hat keine Reissleine und keine Sensoren am Motorrad. Alles, was es an Technik braucht, ist in den Rückenpanzer einer Weste eingebaut. Darin sitzt ein Computer, der die Messwerte von Beschleunigungs- und Lagesensoren permanent mit einem riesigen Datenbestand an Referenzwerten aus Unfallszenarien abgleicht.

Das Chassis, die eigentliche Weste mit Airbag und Computer.

Findet der Computer genügend große Übereinstimmungen mit Messwerten aus Unfällen, löst er eine Pyroladung aus, die Argongas aus zwei Kartuschen in die Weste leitet. Die bläht sich auf und schützt Rücken, Schultern, Halswirbel, Brust und Rippen. Das passiert aufgrund des höheren Drucks signifikant schneller als bei CO2-Systemen und aufgrund der Art der Auslösung doppelt so schnell wie bei Systemen mit Reißleine, wie dem Helite Turtle.

Bild: Alpine Stars

Die Weste des Tech Air Street wird über Befestigungen und zwei Kabel in eine spezielle Jacke eingehängt. Die zeigt am Ärmel den Status des System an, und ohne diese Spezialjacke funktioniert es nicht. Immerhin gibt es verschiedene Versionen dieser Jacke, von leichten Lederjacken bis zu schweren Reisekombis. Ich hatte die Valparaiso Tourenjacke:

Bild: Louis.de

Über 50.000 Kilometer war ich mit dem “Street” unterwegs, auf befestigten Straßen und auf Schotter, bei Regen, Hitze und Temperaturen unter dem Gefrierpunkt. Damit qualifiziere ich mich für eine Meinung in Form eines Rückblicks.

Im ersten Jahr der Benutzung, 2018, musste das Tech Air Street gleich zwei Mal zurück ins Werk. Einmal wegen eines defekten Sensors, beim zweiten Mal war die ganze Steuereinheit defekt. Letzteres nahm ich zum Anlass um bei Alpine Stars im italienischen Asolo vorbeizufahren und mit dem Tech-Air-Support vor Ort zu sprechen und meine Erfahrungen mit dem System zu teilen.

Die waren durchaus gemischt. Es gab einige Punkte, die im Detail einem Moto-GP-Fahrer vielleicht zugemutet werden können (das Tech-Air hat seine Ursprünge im Rennsport), für einen Endkunden aber ärgerlich sind.

Dazu gehörten damals die relative lange Kalibrierungszeit von fast einer Minute und häufige Kalibrationsfehler, nach denen das System einfach nicht startete. Dazu gehörte aber auch das schlechte Material im Innenbereich der Weste, das Körpergerüche ungehemmt aufnahm und verstärkte – verhängnisvoll, weil Airbagwesten ohnehin nicht luftdurchlässig und deshalb oft sehr warm sind. Oder der fummelige, winzige ein/aus-Schalter, den man zwar nur für Lagerung und Transport braucht, der aber in der Mitte des Rückens sitzt.

Unschön sind auch die lökerigen und nicht zugentlasteten Steckverbindungen, mit denen die Weste mit der Tourenjacke verbunden ist, ohne die nichts funktioniert. Oder auch der versenkte Micro-USB-Port, der ebenfalls in der Rückenmitte sitzt und der ohne eine Höhlenexpedition mit Taschenlampe ins Innere der Jacke nicht auffindbar ist. Von der Wartungssoftware, die nur unter Windows läuft und spezielle dll-Dateien aus Windows XP-Zeiten braucht, wollen wir gar nicht anfangen. Genau wie vom Serviceportal, was offensichtlich auf einem Schnarchserver läuft, der bei Kontakt erstmal hochgefahren werden muss.

Und letztlich: Das immer noch recht hohe Gewicht. Zwar wiegt die Airbagweste des TechAir Street selbst “nur” 2,3 Kilogramm, zusammen mit der Valparaiso-Jacke, dem Thermofutter und der Innenmembran bringt das ganze Geraffel aber schnell über 6 Kilogramm auf die Wage. Das spürt man beim Motorradfahren nicht, wenn man aber – wie ich das gerne tue – irgendwo hinfährt und dann dort zu Fuß unterwegs ist, ist das im wahrsten Sinne untragbar. Man schleppt und schwitzt sich tot an dem Zeug.

Ein weiterer Nachteil, der aber immer relativ zu sehen ist: Der Preis. 2017 kostete die TechAir-Weste rund 1.200 Euro, die zugehörige Jacke noch einmal 600. Ich habe das damals gekauft, weil ich die Investition für mich als sinnvoll erachtete und außerdem damit ein Zeichen setzen wollte: Hersteller, macht weiter so, es gibt Leute, die das kaufen!
Anhand meiner Registrierungsnummer kann ich sehen, dass ich weltweit unter den ersten 2.000 Kunden war. Early Adopter zahlen immer mehr, deshalb habe ich mich darüber auch nicht beklagt.

Seit diesem Besuch in Asolo im Herbst 2018 hat sich etliches verbessert. Soft- und Hardware wurden deutlich nachgepatcht. Ein Ende 2018 erschienenes Softwareupdate auf Version 2.84 reduzierte die Kalibrierungszeit von einer Minute auf unter 20 Sekunden, Fehlstarts habe ich seitdem nicht mehr erlebt. Das Tech Air Street läuft bei mir seitdem völlig ohne Probleme und ohne Ausfälle, aktuell ist die Software bei Version 3.20 und wird im Jahresabstand gepflegt.

Über ein Serviceprogramm für PCs kann ich das System von Straßeneinsatz auf Rennstrecke umstellen und wieder zurück, beide Versionen sind kostenlos.

Die bessere Hardware – Sensoren, Akku und Computer – wurden bei den Serviceterminen kostenlos neu eingebaut. Alle zwei Jahre kann man die Airbagweste nach Asolo schicken. Dort werden Sensoren und Computer auf den neuesten Stand gebracht, die Software aktualisiert (falls das der Kunde nicht selbst gemacht hat), der Airbag auf Dichtigkeit geprüft, bei Bedarf die Argonfüllung erneuert und alles einmal ordentlich durchgewaschen und gereinigt. Das kostet zusammen pauschal 99 Euro, dafür bekommt man frische zwei Jahre Herstellergarantie. Das geht bis zu fünf Mal, insgesamt hat man also – wenn man den Service regelmäßig in Anspruch nimmt – 10 Jahre Garantie auf das Tech Air Street. Versandkosten fallen in der Regel keine an, wenn man den Service über den Verkäufer anstößt. Bei Louis bspw. bekommt man vom Support ein kostenloses Versandetikett.

Was blieb sind der unangenehme Geruch nach langen Tragezeiten, der fummelige USB-Port an einer unmöglichen Stelle und das hohe Gewicht. Abgesehen davon: Ich bemerke das System im Alltag nicht. Ich ziehe meine Tech Air Street Jacke an und mache die zu, wie jeder andere auch. Ab und an erinnert mich die grüne LED an meinem linken Arm daran, dass ich einen Airbag trage. Ansonsten vergesse ich den. Und das ist das Beste, was so ein System leisten kann. In der Summe: Ich bin gerne mit dem Street gefahren und werde es auch in Zukunft noch nutzen. Vor allem aber bin ich froh, dass es noch nie zum Einsatz kam.

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Alles Neu in 2022: Das Tech Air 5

Nun hat sich in den vergangenen Jahren ordentlich was getan, darüber hatte ich mit gemischten Gefühlen HIER geschrieben. Neue Hersteller von Airbagsystemen kamen zum Markt hinzu, Auslagerung der Datensammlung und Franchisierung der Algorithmen führte zu mehr Produkten, höhere Absatzzahlen zu niedrigeren Stückkosten, das wiederum zu höherer Verbreitung. Das ist super!

Platzhirsche auf dem Markt sind nach wie vor die Pioniere dieser Technik: Die italienischen Hersteller Dainese und Alpine Stars. Beide entwickeln seit 20 Jahren die autarken Systeme, erst für den Rennsport, ab ca. 2015 dann auch für den Consumerbereich. Wieviel sich bei beiden getan hat, hat mich dann aber doch überrascht: Beide sind weg von dem Spezialjacken-Konzept. Das war vor 7 Jahren revolutionär flexibel, nagelte einen aber dennoch immer auf einen Hersteller fest.

Diesen proprietären Quatsch haben sowohl Dainese als auch Alpine Stars zurückgefahren und bieten jetzt autonome Westen an, die unter jeder beliebigen Jacke getragen werden können. Diese Westen sind auch noch leichter als die alten Systeme, sie kosten signifikant weniger (600-700 Euro) und sie sind überall verfügbar. Das darf man nicht unterbewerten: Früher durfte Airbagkleidung nur in wenigen Ladengeschäften und nur durch speziell geschultes Personal verkauft werden.

Diese neuen Entwicklungen fand ich ich allesamt superattraktiv, denn mit einer neuen Jacke eines anderen Hersteller liebäugelte ich schon lange, wollte aber nicht auf die Sicherheit eines Airbags verzichten. So habe ich mir im März 2022 die “D-Air Smart”-Weste von Dainese und das “Tech Air 5” von Alpine Stars angesehen.

Unvoreingenommen von meiner Vorgeschichte mit Alpine Stars bin ich am Ende wieder bei denen gelandet. Das Tech Air 5 deckt im Gegensatz zur Weste von Dainese einen deutlich größeren Schutzbereich ab, hat einen festen Rückenprotektor verbaut, der auch stromlos funktioniert, und ist im Handel auch noch 50 Euro günstiger.

Schutzbereiche der Airbagwesten. Links: D-Smart von Dainese. Man beachte wie reduziert und flach der Schutz an den Schultern ist. Dabei sind die bei einem Einschlag in ein Auto exponiert. Rechts: Alpine Stars Tech Air 5. Bilder: Dainese, Alpine Stars/Louis

Das Tech Air 5 hat kurze Ärmel und damit den Schnitt eines langen T-Shirts, das über das Steißbein reicht. Das ist auch der Schutzbereich des Airbags, der damit auch die Schultern und den unteren Rücken schützt. Ein kleines Alleinstellungsmerkmal, die Marktbegleiter sind allesamt kürzer und ärmellos.

Die Weste hat einen seltsamen Frontreissverschluss, der unten magnetisch zusammenschnappt und zusätzlich durch Haken gesichert ist. Sowas habe ich vorher noch nie gesehen. Ist anfangs manchmal fummelig, gewöhnt man sich aber schnell dran.

Neben dem Reissverschluss sitzt ein kleiner Gummipatch mit drei LEDs, die den Ladezustand des Akkus und den Systemstatus anzeigen. Diese LEDs waren vorher am Ärmel der Spezialjacke.

Oben am Reißverschluss gibt es eine Gummilasche. Die ist ein Magnetschalter. Sobald die Lasche geschlossen ist, aktiviert sich das System und durchläuft eine Kalibrierung (Lage, Hardwaretest). Nach ca. 10-20 Sekunden meldet ein grünes Licht die Einsatzbereitschaft.

Die Weste ist rund herum dünn und flexibel. Im Inneren ist das Rückenteil etwas gepolstert und hat Aussparungen. Die funktionieren als Luftkanäle und leiten Wärme vom Körper weg. Das ist sehr clever gemacht und funktioniert prima – selbst wenn man stark schwitzt, “klebt” die Weste nicht an einem.

Die Seitenteile sind ebenfalls aus sehr luftdurchlässigem Material. Das wirkt ein wenig wie Stretch und passt sich dem Körper gut an und sitzt angenehm und bequem. Auch Träger:innen von Brüsten oder Bäuchen werden damit glücklich.
Bemerkenswert ist die präzise und sehr wertige Verarbeitung – hier knarzt nichts, nirgendwo hängen Fäden raus, das ganze Ding wirkt überaus wertig. Es wird übrigens komplett in Italien hergestellt – umso mehr erstaunt mich die Präzision der Verarbeitung. Das hier ist definitiv im Manufakturbetrieb entstanden und nicht einfach irgendwie aus einer Maschine gefallen.

Außen am Rücken sitzt ein Protektor aus flexiblem Gummi. Der ist leicht, flexibel und durch die durchbrochene Wabenstruktur gut belüftet.

Durch die leichte Bauweise erreicht er zwar “nur” Schutzklasse 1, in Kombination mit dem Luftpolster des aufgeblasenen Airbags aber – so behauptet es der Hersteller – wird derselbe Schutz erreicht wie 18 Level 1-Protektoren oder 9 Protektoren der Schutzklasse zwei übereinander gelegt. Ein Level-2-Protektor aus Schaum oder 3DO ist rund 4 Zentimeter dick. Kann jetzt jeder mal selbst überlegen, wieviel kinetische Energie durch fast 40 Zentimeter Schaum noch durchkommen.

Die Tech Air 5 ist mit mit 1,9 Kilo fast 400 Gramm leichter als die “Street”-Weste, fühlt sich aber noch leichter an – das ist der Tatsache geschuldet, dass das Rückenteil wesentlich weniger dick ist und so eine deutlich bessere Bewegungsfreiheit ermöglicht.

Ich stehe nur auf Fotos so unbeholfen herum.

Falls jemand AD&D-Lingo kennt: Das Tech Air Street war eine Full-Plate-Armor, das 5er ist ein Kettenhemd Masterpiece +2 aus Mithril. Hier zum Vergleich nochmal das Street:

Und hier das 5er:

Wirklich ein Leichtgewicht, insbesondere wenn man sich vor Augen führt, dass es Rückenprotektor, Brustprotektoren (die niemand hat, die aber wirklich gebraucht werden), Schulterprotektoren und einen Nackenschutz (den im Alltag niemand trägt) ersetzt.

 

Zwischen den Schulterblättern sitzt das Herz des Systems. Der kleine schwarze Kasten enthält Rechner, Pyroladung, zwei Argonkartuschen und Sensoren.

Gespart wurde  – schon wieder! – Beim Ladeanschluss. Statt USB-C zu lizenzieren und zu verbauen, setzt man hier weiter auf das fummelige und fragile Micro-USB, allerdings ergänzt um einen Hack, den ich mir damals auch ausgedacht und in meiner “Street” benutzt hatte: In die Micro-Buchse kommt ein Magneteinsatz, der einen magnetischen Stecker mit Ladeanzeige hält.

Das funktioniert super, weil sich das Ladekabel einfach anklippen lässt. Trotzdem fühlt sich das nur wie die zweitbeste Lösung an und zudem leicht anachronistisch. Ohne den Magneteinsatz funktionieren Standardkabel und ein beliebiges USB-Ladegerät. Wenn das Schnellladung beherrscht, wie die neuen Ladegeräte von Anker, bekommt man binnen 20 Minuten genug Strom für 10 Stunden Fahrt. Das alte Argument “Mimimi, aber die Reissleinenwesten sind besser, weil da nie der Strom ausgehen kann” ist praxisferner Nonsense – JEDER von uns hat ein Smartphone, und auch das bekommen wir geladen, im Zweifelsfall mittels Powerbank oder durch Aufladung während man an der Tanke einen Kaffee trinkt. Dann wird das ja wohl beim Airbag auch gehen.

Im Gegensatz zum Tech Air Street hat das 5er weniger verteilte Sensoren. Wo beim Vorgänger zwei Gyroskope und ein Beschleunigungssensor im Rücken  und zwei Lagesensoren an den Schultern verbaut waren, bringt das Tech Air 5 zwar auf dem Papier mit drei Beschleunigungsmessern und drei Gyroskopen mehr Sensoren mit, die sind aber alle hochintegriert und sitzen nur im Rückenteil.

 

Was kostet der Spaß?

Den Preispunkt aggressiv zu nennen ist eine Untertreibung. Aktuell (07/2022) liegt er bei 599,95-649,95 Euro und damit mindestens 50 Euro unter den direkten Konkurrenten in dieser Klasse und bis zu 200 Euro unter den Abo-Modellen von In&Motion bei vierjähriger Laufzeit oder Sofortkauf.

Wer möchte, KANN alle zwei Jahre das System zur Wartung nach Italien schicken. Dann wird es gereinigt, geprüft und man erhält wieder zwei Jahre Garantie, die auch kostenlose Reparatur bei unverschuldeten Defekten umfasst. Dieser Service kostet 99 Euro, der Versand ist gratis und der Prozess kann über den Einzelhandel angestoßen werden. Die Wartung ist aber keine Pflicht.

Im Fall einer Auslösung muss das System zur Wiederbefüllung auf jeden Fall eingeschickt werden. Argonkartuschen gibt es nicht einfach so zu kaufen, und zum Wechsel muss das hoch integrierte Rückenteil geöffnet werden. Der Austausch der Gaskartuschen kostet 159,95 Euro. Ist der Luftsack punktiert, wird das Ganze für 299,95 Euro wieder komplett instand gesetzt.

Ich weiß, dass manche den Kartuschenwechsel als wichtiges Kriterium ansehen – für mich ist es keines. Wenn der Airbag auslöst, hat er mich mit ziemlicher Sicherheit aus einer Situation gerettet, nach der ich nicht einfach eine neue Kartusche einsetzen und weiterfahren würde. Und selbst wenn: Auch ohne Elektronik und Gas ist das Ding immer noch ein vollwertiger Rückenprotektor, ich müsste eine Tour also nicht abbrechen.

 

Unter welcher Jacke lässt sich das tragen?

Das Steuerkästchen am Rücken ist klein, trägt aber trotzdem auf. Hier sollte man vor dem Kauf auf jeden Fall prüfen, ob das unter die eigene Jacke passt. Die Jacke muss außerdem genug Platz im Falle einer Auslösung des Airbags bieten. Vier Zentimeter Luft am Brustkorb empfiehlt Alpine Stars. Faustregel ist hier, im wahrsten Sinne des Wortes: Wenn man seine Faust mit dem Daumen nach Außen zwischen Brustbein und die Jacke ohne Rückenprotektor schieben kann, dann kann man auch das Tech Air 5 mit dieser Jacke verwenden.

Um es deutlich zu sagen: Die meisten Jacken bieten bereits genug Platz, wenn man den dicken Rückenprotektor entfernt, den das Tech Air ja vollständig ersetzt. Hier ist das Tech Air unter meiner FLM-Jacke zu sehen, in der ich aufgrund des sehr breiten Schnitts an den Schultern die Schultergelenkprotektoren drin gelassen habe. Dadurch wirkt das Ganze etwas bollerig – unter besser sitzenden Jacken trägt das Tech Air deutlich weniger auf.

Auch wenn man einen dicken Pulli unter die Jacke ziehen kann, was bei den meisten Motorradreisenden der Fall sein dürfte, ist mehr als genug Platz. Außer bei wirklich hauteng sitzenden Jacken oder Rennkombis sollte das Tech Air 5 also fast überall verwendbar sein.

Die App: Updates, Race oder Streetmode

Alle Einstellungen werden über eine App vorgenommen, die es für Android und iOS gibt. Vorbei sind die Zeiten, in denen man mit einem Rechner und uralten Programmen rumfummeln musste. Einfach App laden, QR-Code in der Weste scannen, Namen und Adresse einklimpern und schon ist das System auf den eigenen Namen registriert. Über die App lässt sich dann die Software in der Weste updaten (es gibt sogar Push-Notifications wenn Updates vorliegen), Statistiken ablesen und so Spielereien machen wie Fahrten Tracken und als GPX exportieren.

Es lassen sich auch mehrere Systeme parallel verwalten. Das gilt aber nur für die neuen Modelle Tech Air 3, 5, 10 und Outdoor, die alten Systeme Street und Race sind mangels Bluetooth außen vor.

Auch auf die Rennstrecke kann man das System mitnehmen. Per Software lässt es sich vom Straßenmodus auf den Rennmodus umpatchen – und das, anders als bei den meisten Mitbewerbern, kostenlos und so oft man möchte!

Im Rennmodus ist die Detektierung von Unfällen eine andere, und das System löst nicht beide, sondern nur eine Kartusche aus. Damit hat man auf der Rennstrecke zwei Schuss frei statt nur einem. Wobei man aber klar sagen muss: Wer jedes zweite Wochenende auf der Renne ist, für den ist das Tech Air 10 gedacht, das ist eine komplette Airbagunterwäsche und schützt auch die Weichteile. Das hier besprochene Tech Air 5 richtet sich klar an Touren- und Brot- & Butter-Fahrer.

Eigene Erfahrungen
Ich habe das TechAir 5 nun seit vier Monaten und es in dieser Zeit rund 8.000 Kilometer und, laut eingebautem Log, 170 Stunden am Körper gehabt. Unter einer Textilreisejacke von FLM. Ich trage es sowohl auf dem Weg zur Arbeit als auch auf weiten Touren. Die richtig große Tour, mit täglich 8-12 Stunden Tragezeit,  ging dabei durch Wetter mit Temperaturen von 7 bis maximal 25 Grad – moderat also, allerdings habe ich es auch unter einer Regenkombi getragen und spätestens dann ordentlich reingeschwitzt.

Die guten Nachrichten:

  • Das System ist unter der Jacke nicht zu spüren. Anziehen und vergessen. Die Beweglichkeit ist keinen Milimeter eingeschränkt.
  • Es stinkt nicht!
  • Man kann nicht vergessen es zu starten. Die Magnetschalterflappe fällt automatisch zu wenn man die äußere Jacke schließt.
  • Die Kalibrierung erfolgt meist binnen weniger Sekunden und gelingt zuverlässig und jedes mal.
  • Man schwitzt sich nicht tot. Die Weste fühlt sich an wie ein leichter Stretch-Pulli.
  • Durch die leichten und luftdurchlässigen Materialien an den Seiten kann die Körperwärme gut abgeführt werden, und die Belüftung der äußeren Jacke funktioniert weiterhin gut. Sicher, ein Teil des Luftstroms erreicht den Körper nicht im gleichen Maße als wenn man nicht die zusätzliche Schicht tragen würde, aber ist immer noch gut. Das hatte ich nicht erwartet und definitiv ein Pluspunkt gegenüber den Westen, die man über den Motorradjacken trägt und deren Lufteinlässe blockieren.
  • Das TechAir 5 nimmt nicht annährend so schlimm den Schweißgeruch auf wie das alte Street. Tatsächlich riecht es bislang gar nicht, auch nicht nach wochenlanger täglicher Benutzung.
  • Die App funktioniert völlig ohne Probleme oder Crashes (nur unter iOS ausprobiert). Das erstaunt mich über alle Maßen, das ist einfach in Version 1 schon nahezu perfekte Software und schon deshalb bestimmt nicht von Alpine Stars selbst entwickelt. Italienische Mittelständler können Software genauso gut wie deutsche Autokonzerne: Gar nicht. Umso schöner zu sehen, das das Unternehmen den Stellenwert erkannt und sich Kompetenz eingekauft hat.
  • Eine Akkuladung reicht für rund 35 Stunden Nutzung und liegt damit sogar über den Angaben des Herstellers (30 Stunden).
  • Bei täglicher Nutzung von 10 Stunden ist der Akku Abends binnen 20 Minuten wieder voll geladen, wenn man ein USB-Netzteil mit Schnellladekapazität verwendet.
  • Das System löst nicht aus, nur weil man im Stand umfällt (für sie getestet).
  • ES STINKT NICHT!!

Die schlechten Nachrichten:

…fallen aus. Es gibt schlicht keine. Im Ernst, es gibt nichts, was mich zum jetzigen Zeitpunkt am Tech Air 5 stört. Das fehlende USB-C ist nerdige Nitpickerei und nicht relevant.

Fazit
In der Summe muss ich sagen: Das Tech Air 5 ist ein Gamechanger. Nahezu alle Nachteile, die es bislang bei den autonomen Systemen gab, sind hier eliminiert.

Airbagwesten sind teuer, schwer, unbequem und viel zu warm? Beim Tech Air 5 hat Alpine Stars an all diesen Kritikpunkten gearbeitet, und herausgekommen ist: Ein Gamechanger. Das 5er ist leicht, es gibt keinen Hitzestau, es ist wesentlich flexibler und erlaubt eine größere Bewegungsfreiheit als alle Vorgänger. Die Bedienung von Weste und App sind absolut Foolproof. Man KANN hier nichts falsch machen, selbst wenn man sich anstrengt und sich bemüht trottelig gibt. Das Tech Air 5 funktioniert einfach. Immer. Das Ding ist wertig und exzellent verarbeitet, da merkt man die Erfahrung und das Können des Herstellers in jedem Detail.

Tech Air 5 lässt sich unter beliebigen und nahezu allen Jacken tragen. Die Akkulaufzeit ist so lang, dass man nicht ständig ans Aufladen denken muss. Falls doch mal der Saft knapp wird, ist es superschnell aufgeladen. Das Wichtigste: Es ist günstig und überall und sogar online zu bekommen. Statistisch gesehen verdienen Motorradfahrer:innen überdurchschnittlich gut und sind bequem, da sind 650 zusätzliche Euro und ein Gang zur Fachhändlerin um die Ecke bei den meisten kein Ding.

Von der Konkurrenz hebt es sich durch den fairen Preis, den größeren Schutzbereich und nicht zuletzt durch das Größenangebot ab. Insgesamt acht verschiedene Größen sind erhältlich, von XS bis 4XL, da ist für fast jeden das passende dabei und dank Stretch passen auch die ungewöhnlichsten Körperausbuchtungen da rein. Und hatte ich schon erwähnt, das es nicht stinkt?

Damit hat endlich niemand mehr eine Ausrede, kein Airbagssystem beim Motorradfahren zu tragen. Spätestens wenn der Neukauf einer Jacke ansteht, sollte man mit der zusammen so ein autonomes Airbagsystem anschaffen.

 

Disclaimer: Wie immer werde ich nicht für diesen Text bezahlt und habe auch kein Ansichtsexemplar des Herstellers oder von sonst irgendjemandem irgendwelche Vorteile oder Gefälligkeiten bekommen. Das Tech Air 5 habe ich im April 2022 für 599 Euro bei Louis gekauft und kann jetzt schon sagen: Die N7-Einstufung für exzellentes Gear hat es sich jetzt schon verdient. 

Ich will nicht mehr duften

Ich will nicht mehr duften

Neulich, vor der Pandemie: Ich sitze im ICE, neben mir eine junge Frau. Durch den Gang gockelt eine Teenagerin und zieht eine Spur aus Vanille-Gurken-Geruch hinter sich her, der in der Nase beißt. Vermutlich der Duft “Donut” von irgendeiner Influencerin. Meine Sitznachbarin verzieht das Gesicht und meint: “Das war wohl früher nicht so heftig.” Ich muss lächeln und denke: Du hast ja KEINE AHNUNG. Früher war die olfaktorische Belästigung schlimmer. VIEL schlimmer.

Bis Mitte der 80er stanken die Straßen stanken vor Abgasen, außerdem wurde überall geraucht – in Restaurants, Kneipen, zu Hause, im Zug. Um all diese Stinkerei zu überdecken, und weil es Mode war, benutzten die Frauen neben einem Deo auch Eau de Toilette oder Parfüm, die Männer Deo plus mindestes After Shave. Letzteres gerne mit Moschus, dass sind schwere, alles erstickende Gerüche.

Ich weiß noch, dass mein erstes Deo “City Man” war, ein “Axe”-Abklatsch, weil ich die Verpackung toll fand. Als dann nicht nur die Schweißdrüsen, sondern auch der Bartwuchs seine Arbeit aufnahm, wurde “Tabac” mein bevorzugtes After Shave.

Zum Glück ist der massenhafte Gebrauch von so vielen Düften stark zurückgegangen. Gerade als Mann noch Eau de Cologne oder After Shave oder gar Parfüm zu benutzen, das verbietet sich im Alltag. Das macht man einfach nicht mehr. Tatsächlich riecht man heute so wenig, dass es Ausreisser extrem auffallen – wie etwa der Teenager, der getan hat, was ihm die Werbung beigebracht hat: Dass man sich Deo MINUTENLANG unter jede Achsel sprühen muss, aus einem Meter Entfernung.

Mittlerweile will ich gar nicht mehr “duften”.

Wie bei so vielen Dingen war auch meine Entscheidung, nicht mehr nach künstlichen Düften riechen zu wollen, keine bewusste, sondern ein schleichender Prozess. Erst verzichtete ich auf After Shave, einfach weil es nicht mehr zeitgemäß war und ich den Duft eh´ über hatte. Dann wurden die Deos immer dezenter, weg vom krassen Billigdeo á la Axe und Konsorten, hin zu sanfteren Nivea Roll-Ons.

Auch die dezenten Düfte wurden mir irgendwann zu viel, also bin ich zu etwas gewechselt, das ich aus meiner Veganer-Studienzeit kannte: Deokristalle. Sie bestehen aus Aluminiumsalz und werden wie ein Roll-On verwendet.

Die Bezeichnung “Deo” ist eigentlich falsch, die Kristalle sind Anti-transpiranzien und unterscheiden sich damit von normalen Deos, die den Köpergeruch durch Duftstoffe überdecken. Stinken tut ja nicht der Schweiß, sondern die Ausscheidungen der Bakterien auf unserer Haut, die den Schweiß verdauen.

Diese Bakterienpupse kann man nun entweder versuchen mit Duftstoffen zu überdecken, was die klassischen Deos tun, oder man verwendet ein Antitranspiranz, um das Schwitzen zu vermindern. Das tun diese Kristalle, die aus Alaun bestehen, das sind Aluminiumsalze in Kristallform. Dieses Aluminiumsalz verstopft, vereinfacht ausgedrückt, die Schweißporen. Kein Schweiß = Keine Baktierenpupse = Kein Schweißgeruch. Das funktioniert supergut, zumindest bei mir, und duftet halt überhaupt nicht.

Nun stand Aluminium zwischenzeitlich in dem Verdacht sich im Körper anzusammeln und Hirnschäden zu verursachen. Das wurde mitlerweile von höchster Stelle widerlegt, trotzdem habe ich eine Zeitlang auf Deokristalle verzichtet – zumal Schwitzen ja auch natürlich und notwendig ist und es vielleicht nicht so die ganz supergute Idee ist, die eigenen Schweißdrüsen dauerhaft lahm zu legen.

MaxED09 hatte mich auf ein Mittel aufmerksam gemacht, das ebenfalls keine Duftstoffe enthält, aber anders funktioniert. “Nuud” ist eine Art Paste, die auf der Hautoberfläche ansetzt und dort die Ausbreitung der Schweißfressenden und pupsenden Bakterien verhindert. Das tut es mit einer Mischung aus Mandel- und Kokosöl und Silberpartikeln. Die Silberpartikel sind antibakteriell und nicht groß genug um in den Körper zu gelangen oder Poren zu verstopfen. Die Öle sorgen dafür, dass das Silber wirklich dort bleibt wo es wirken soll und auch mehrere Duschen übersteht.

Die Dosierung und der Wirkzeitraum ist von Mensch zu Mensch verschieden. Bei mir ist die Wirkzeit recht lang, ich muss pro Achsel nur ca. alle drei Tage eine linsengroße Menge auftragen. Der geringe Verbrauch ist auch gut so, denn eine kleine Tube von dem Zeugs kostet satte 13 Euro. Die hält bei mir zwar 7 Monate, aber so ein Nivea-Rollon für 3,99 Euro hält halt auch 9 Monate, und ein Deokristall für 10 Euro fällt eher runter und zerbricht, als das er aufgebraucht ist.

Abgesehen vom Preis ist der einzige Nachteil von “Nuud” tatsächlich der Marketingbullshit. Vom unerträglich fröhlichen Newsletter über knallige Nullnummern Website inkl. esoterischer FAQ ist alles dabei, was in Agenturkreisen gerade hip ist.

Für völligen Quatsch halte ich die Info aus der FAQ, dass zu Beginn der Nuud-Benutzung der Körper “entgiften” muss und man deshalb am Anfang der Nuud-Benutzung erstmal andere riecht als sonst. Richtig ist, dass – falls man vorher ein Deo mit Duftstoffen genutzt hat – man sich erst an deren Abwesenheit gewöhnen muss. Das die Nuud-Website dagegen davon fabuliert, dass erst die Poren des Körpers befreit werden und darin angestaute Giftstoffe in den ersten Wochen für einen stärkeren Körpergeruch sorgen, das halte ich schlicht für eine Erfindung. So funktioniert der menschliche Körper nicht.

Sei´s drum. Lange Rede, kurzer Sinn: Man muss heutzutage nicht mehr nach Parfüm, After Shave oder Deo duften, das sich die Nasen von Personen in der Nähe zusammenrollen. Man muss gar nicht mehr duften, ohne das man stinken muss. Und das ist ein großer Fortschritt, denn früher war eben nicht alles besser.

Texte, die nach Sperma riechen

Texte, die nach Sperma riechen

„Ich bin ein Schriftsteller, ich komme von Tolstoi, ich komme von Homer, ich komme von Cervantes. Lasst mich in Frieden und stellt mir nicht solche Fragen.“
(Peter Handke, Oktober 2019)

Solche Fragen sind nämlich unter der Würde eines Peter Handke. Fragen wie die, was er von denjenigen hält, die die Verleihung des Literaturnobelpreis an Peter Handke kritisieren. Da reagiert ein Peter Handke dann schon mal beleidigt. Das passt zu jemandem, der sich völlig ironiefrei auf eine Stufe mit den Größten Schriftstellern der Geschichte stellt.

Handke ist mir zum ersten Mal aufgefallen, als er in der taz verarscht wurde. Irgendeiner der Autoren der Satireseite “Die Wahrheit” hatte Handkes Stil nachgeahmt, und ich dachte nur: Das gibt´s doch nicht, das jemand so schreibt. Gibt´s aber doch. Handke schreibt endlose Bandwurmsätze über Trivialitäten.

Beispiel gefällig? Hier. Herr Handke steht, warum auch immer, im Garten und guckt, ob am Baum noch eine Quitte hängt. Das ist alles. In Handkes Sprache wird daraus:

“Jetzt werde ich sie entdecken, die eine, bisher übersehene Frucht im scheinbar Fruchtleeren Baum” – noch eine Steigerung, Schritt für Schritt um den Quittenbaum herumgehend, innehaltend, den Kopf hebend, äugend, vor und zurück gehend, und so fort, steigerte sich mein Vorsatz, zu erblicken, zu einem wilden Willen, mit nichts als den eigenen Augen die fehlende Frucht in die Leere über mir hineinzuschauen, alleine Kraft meines Blicks dort oben aus all den zugespitzten Blätterlanzetten in einem, und wenn auch noch so kleinem Zwischenräumchen “diejenige Welche” hervor ans Licht zu treten, sich jetzt, jetzt vorwölben und rund zu machen. Und für den Bruchteil eines Augenblicks schien der Zauber zu gelingen, Da hing sie, die Frucht, so schwer wie duftig.

Das ist keine sinnstiftende Literatur, dass ist Zeitverschwendung im grauen Raum der eigenen Tristesse. Handkes Texte sind wortverkleisterte Allgemeinheiten, die sich eigentlich immer nur um eines drehen: Um ihn selbst.

Peter Handke schreibt stets über Peter Handke. Die Welt um ihn herum ist ein Spiegel, den er nur für eines nutzt: Sich selbst darin zu betrachten.

Das ist eine besonders klebrige Form von literarischer Onanie, die sich oben drauf noch einer unangenehm manierierten Schreibweise bedient. Jeder triviale Scheiss wird zu einer dem Autor huldigenden Erektion aufgeblasen, deren Lusttröpfchen in jede Ritze suppen bis der ganze Text nach kaltem Peter-Handke-Sperma riecht.

Natürlich nimmt sich Peter Handke überaus ernst, immerhin ist er der wichtigste Mensch in der Welt, ach was, des Universums! des Peter Handke.

In den 80ern und 90ern machte der Peter Handke einige Pauschalreisen, pinselte seine Beobachtungen in ein Reisetagebuch und nannte das dann – nein, nicht “Peter Handkes Reisetagebuch”, sondern “Das Gewicht der Welt”. Darunter macht ein Peter Handke es nicht.

Die Beobachtungen eines Peter Handkes über andere Ländern sind dann aber hauptsächlich Beobachtungen über Peter Handke selbst. Aber auch die sind wieder trivial, vom Kaliber:

“Die Welt im Gehen, Schauen, Bedenken, Betrachten stellt sich anders dar als die Welt in den Zeitungen”

“Nein!” – “Doch! – “OH!”

Ich kenne nicht viele “großen, wichtigen” Autoren des absurd selbstreferentiellen Literaturbetriebs, und die meisten von denen, die ich kenne – wie den unvermeidbaren Günther Grass – finde ich schwer erträglich. Es ist viel zu oft eitle Altmännerlitertur aus einer vergangenen Epoche, aber Handke, Handke ist mit dem was er schreibt und wie er es schreibt wirklich herausragend unerträglich.

Vollends eklig wurde Handke, nachdem er Mitte der 90er zwei Kurztrips nach Serbien gemacht hatte. In “Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien” von Peter Handke verharmlost Peter Handke serbische Kriegsverbrechen.

Handke guckte in die serbische Landschaft, sah das Leben der einfachen Leute und beschieht, dass Menschen, die Barfuß laufen, keine Kriegsverbrechen begangen haben können. Der Mutlifunktionskünstler Wiglaf Droste beschieht Handke dafür einen veritablen Dachschaden, aber erstaunlicherweise lasen einige Leute immer noch seine schwiemligen Texte. Zumindest im Feuilleton, auch wenn die “Zeit” sich zwischenzeitlich leicht enttäuscht zeigte:

“Man erfährt, dass Peter Handke in Serbien ein gern gesehener Gast ist – er darf umsonst tanken, man reicht ihm dort bei Bombenalarm bereitwillig Äpfel, und einfache Zimmermädchen sagen ihm Dank, “für das Wort, das ich meinerseits für sie und ihr Land, für ihr Land, für sie, eingelegt habe”

In einem Land, in dem einem Peter Handke so gehuldigt wurde, hatte Peter Handle seine Bestimmung gefunden. Während ihn in seinem Heimatland niemand mehr wollte, verstand er sich fortan als “Freund des serbischen Volkes”. Er kumpelte mit Slobodan Milošević herum, den Handke im Gefängnis besuchte, öffentlich verteidigte und dessen Völkermord er bis heute leugnet. Handke tingelte durch die Welt und machte Werbung für einen Völkermörder, gab Tips wen die Serben bei Wahlen wählen sollten, trat der Serbisch-orthodoxen Kirche bei und reagierte beleidigt, als das nicht alle im Literaturbetrieb so töfte fanden.

2014 war er immer noch so eingeschnappt, dass er anregte “Den Literaturnobelpreis sollte man endlich abschaffen“. Die diesjährige Entscheidung des Nobelpreiskommitees, ausgerechnet Peter Handke auszuzeichnen, ist für alle Menschen außer Peter Handke völlig unverständlich.

Verständlich ist hingegen, das Peter Handke den Preis, den er unbedingt abschaffen wollte, in dem Moment wieder toll findet, wo er ihn verliehen bekommt. Peter Handke nimmt den Preis an und streicht das Preisgeld ein. Kritik an seiner Geschwiemel wischt er mit dem Verweis, dass er in der Tradition der größten Schriftsteller der Geschichte steht, einfach weg – als wäre das, selbst wenn es stimmen würde, eine Erklärung für dünnhäutige Wutausbrüche.

Das passt genau in das Muster einer eingebildeten, eitlen Wurst, wie Peter Handke eine ist.

Nicht politikverdrossen genug

Nicht politikverdrossen genug

Ein junger Mann setzt sich hin, guckt sich mal die Politik der letzten 20 Jahre an, und was er findet, regt ihn einigermaßen auf. Darüber macht er ein Video, in dem er über die, in seinen Augen, wichtigsten Verfehlungen spricht. Da ein Großteil davon die CDU/CSU zu verantworten hat, trägt das Video den Titel “Die Zerstörung der CDU”, Jugendsprache für “Kritik an der CDU”. Sechs Tage später und drei Tage vor der Europawahl hat das Video fast acht Millionen Aufrufe und 150.000 Kommentare.

Auch SPD und AfD bekommen darin ihr Fett weg, aber tatsächlich dreht sich er Großteil um die CDU. Die Kritik bezieht sich auf Klimaschutz, Umverteilung und die offensichtliche Inkompetenz von Politikerinnen, die nicht mal rudimentäres Verständnis von ihrem Aufgabengebiet mitbringen und dennoch Ministerin sind. Das trägt Rezo, wie sich der junge Mann nennt, sachlich und ruhig vor. Jede einzelne Aussage, die er trifft, ist mit einer Quelle hinterlegt und verlinkt, die meisten Aussagen sind mit einem entsprechenden Videausschnitt versehen.

Und obwohl das Video mit einer Stunde Laufzeit eigentlich zu lang ist für die Plattform Youtube, wo Videos meist nicht länger als 8 Minuten dauern, erreicht es innerhalb von 6 Tagen sieben Millionen Aufrufe. Hier ist es:

Interessant ist die Reaktion der CDU. Die reagiert nämlich, für Internetverhältnisse, lange Zeit gar nicht. Als die Reichweite des Videos steigt und es immer öfter geteilt wird, beginnen einzelne Politiker damit rumzupöbeln, beschimpfen das Video als “Fake News” und machen sich über Rezos blaue Haare lustig, nach dem Motto “Der Youtube-Vogel hat doch eh keine Ahnung”. Das war erwartbar, denn das ist auch einer der Punkte, die Rezo beklagt: Der respektlose Umgang der CDU mit politikinteressierten Jugendlichen, wie er gerade erst in der EU-Urheberrechtsdebatte zu bemerken war. Statt Argumente auszutauschen, fingen gestandene Politikerinnen von CDU und sogar den Grünen an, laut und hysterisch herumzupöbeln und persönlich zu werden.

So machte es auch die CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer, die nicht inhaltlich auf das Video eingeht, sondern miesepetrig raunzte „Ich habe mich gefragt, warum wir nicht eigentlich auch noch verantwortlich sind für die sieben Plagen, die es damals in Ägypten gab.“ Für eine CHRISTLICHE Politikerin ein erstaunliches Unwissen, es waren immerhin 10 Plagen.

Nach 5 Tagen kündigte die CDU an, mit einem eigenen Video antworten zu wollen. Man setzte den jüngsten Bundestagsabgeordneten vor die Kamera, drehte einen Tag lang, Schnitt eine ganze Nacht durch – und warf das Ergebnis am Ende in die Tonne. Das “Amthor-Video” wird auf Twitter schon als ähnlich mysteriös besprochen wie das Bernsteinzimmer: Niemand wird es jemals sehen.

Stattdessen veröffentlichte man einen offenen Brief, in dem in typischen Nullsätzen geschwurbelt und Rezo “zum Dialog” eingeladen wurde. Kann man machen, muss man aber ganz klar sehen: Thema verfehlt. Denn das ist genau der Punkt von Rezos Video: In Dingen wie dem Klimawandel gibt es keine zwei Meinungen, die man ausdiskutieren kann. Damit macht er sich unangreifbar, und die CDU kann dagegen nicht an – wie genau soll sie denn begründen, dass sie Kohlekraftwerke bis 2038 laufen lassen will, um 20.000 Arbeitsplätze zu retten, wenn sie in den letzten Jahren durch ihre Politik 80.000 Arbeitsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien vernichtet hat?

Interessant ist jetzt die Reaktion der klassischen, CDU-nahen Printmedien. Die FAZ stellt Rezo in die rechte Ecke und spricht von “Propaganda”. Damit unterstellt sie direkt mal, dass das Video aus Falschinformationen besteht, und Rezos Handeln gelenkt wird. Noch besser aber ein Kommentar, in dem Autor, der das Video offensichtlich nicht gesehen hat, sinngemäß herumheult, das “Immer der Beifall bekäme, der rumpöbelt, und wer am lautesten pöbelt, der kommt ins Fernsehen”.

Rezos Video hat aktuell fast acht Millionen Aufrufe. Darauf kommt die Tagesschau an sehr guten Tagen. Aber das Jugend von heute sich tatsächlich für Politik interessiert und dafür weder Fernsehen noch gedruckte Zeitungen braucht, das kommt im Weltbild von Politikern und Journalisten wohl nicht vor.

Review: Nolan N100-5 mit N-Com B901L

Review: Nolan N100-5 mit N-Com B901L

Nolan hat 2018 einen neuen Tourenklapphelm rausgebracht, den N100-5. Dazu passend: Das B901L, die nächster Iteration des Kommunikationslösung mit Rücklicht im Helm. Ich habe mir beides im August vergangenen Jahres zugelegt und eine Meinung dazu.

Was jeder von einem Helm erwarten kann:

  1. Sicherheit
  2. Bequemer Sitz

Was ich persönlich noch möchte:

  1. Klappmechanismus
  2. Pinlock-Visier
  3. Sonnenblende
  4. Bluetooth
  5. möglichst leise

Bei Klapphelmen gelten allgemein die teureren Helme der Firma Schuberth als Referenz. Leider habe ich keinen Schuberth-Kopf, die Dinger passen mir einfach nicht. Perfekt passen dagegen die Helme der italienischen Traditionsfirma Nolan. So landete ich 2012 bei einem N90, einem günstigen Klapphelm, der aber eigentlich für die Stadt und nicht für Touren gemacht ist. 2016 waren dessen Visierdichtungen hinüber, und so gesellte Sich ein N104 Tourenhelm der zweiten Generation, der N104 Evo mit einem B5L N-Com, dazu (Review dazu hier). Fortan nutzte ich den N90 für kurze Strecken, den N104 für Reisen.

Richtig warm geworden bin ich mit dem N104 aber nie. Das liegt nicht nur an dem gewöhnungsbedürftigen Design der Front, mit dem der Helm irgendwie aussieht wie ein Fisch, der bekifft vor sich hin grinst.

Vor allem mag ich den N104 deswegen nur so mittel, weil ich gerne mit leicht offenem Visier fahre. Das geht mit dem N104 ab einer bestimmten Geschwindigkeit schlicht nicht. Dessen Visier ist nämlich riesig und rund und instabil. Ab ca. 80 km/h beginnt es zu schwingen. Dann wird die Sicht so verzerrt, dass man es komplett schließen muss. Macht man das nicht, schlägt es irgendwann mit einem Knall von alleine zu.

Nolan hat den N104 seit 2012 in drei Revisionen angeboten (Original, Evo und Absolute), wobei bei jeder Iteration die Schalldämpfung verbessert wurde. Anfang 2018 kam nun der echte Nachfolger des 104, der N100-5. Wieder ein Tourenklapphelm, aber in neuem Design, mit neuer Technik und vor allem, so Hersteller und Fachpresse: Noch leiser! Aber: Stimmt das?
(Hinweis: Wenn in Überschriften von Zeitungsartikeln Fragen gestellt werden, lautet die Antwort in 99 Prozent aller Fälle: Nein. Hier verhält es sich ähnlich.)

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Das Alpine Stars Tech Air-System in der Praxis: 7.500 Kilometer Update

Das Alpine Stars Tech Air-System in der Praxis: 7.500 Kilometer Update

Wie fühlt es sich eigentlich an, auf einem Motorrad mit einer Jacke zu fahren, die rund herum einen Airbag eingearbeitet hat? Wie ist es, auf dem Rücken Gaskartuschen und einen Computer durch die Gegend zu tragen? Irritiert es, das am Unterarm Status-LEDs leuchten? Und am wichtigsten: Ist das alltagstauglich? Ich habe in den vergangenen zwei Monaten rund 7.500 Kilometer Erfahrung mit dem Tech Air-System von Alpine Stars gesammelt, im Alltag, auf Kurzstrecken und während einer Fernreise nach Südeuropa. Jetzt bin ich von der Reise zurück, aber das Tech Air hat es nicht mit mir zusammen nach Hause geschafft. Das kam so.

Disclaimer: Ich habe den Tech-Air-Kram selbst und ganz regulär zum Ladenpreis gekauft. Ich habe keine Geschäftsbeziehungen zu Alpine Stars, und dies ist auch kein Kooperations- oder Werbartikel. Sowas verpöne ich.

Seit Mitte Mai bin ich Besitzer eines Tech-Air-Systems. Das besteht aus zwei Teilen: Einer Tourenjacke und einer Airbagweste. Die Jacke ist ein fast ganz normales Kleidungsstück aus Polyamid und Leder, mit einem herausnehmbaren Membran- und einem Thermofutter.

Ganz genauso wie fast alle anderen Tourenjacken auch. Die Unterschiede zu normalen Kleidungsstücken sind kaum sichtbar: Die Jacke hat im Rückenteil zwei Datenkabel, am Frontreissverschluss einen Magnetschalter und linken Unterarm drei Status-LEDs.

Das eigentlich aufregende ist das “Chassis”, wie Alpine Stars die Weste mit dem Airbag nennt. Die wird in die Jacke eingeknöpft und mit den Kabeln verbunden und fühlt sich erstmal an wie eine normale Protektorenweste. Der Rückenprotektor trägt ein wenig auf, genau wie die bekannten “Schildkröten”, die umschnallbaren Schaum- oder Hartschalenprotektoren.

Im Chassis steckt rund herum der eigentliche Airbag, der Brust, Bauch, Nieren, Seiten, Rücken und Oberarme schützt. Im Rückenpanzer stecken zwei Gaskartuschen und der Rechner samt Steuergeräten sowie ein Gyroskop, an jeder Schulter der Weste sitzt ein Beschleunigungssensor.

Wenn man die Jacke schließt, wird damit auch der Magnetsensor am vorderen Reißverschluss aktiviert. Jetzt beginnen die LEDs am Jackenärmel zu blinken und zeigen nacheinander Funktionsbereitschaft und Ladestand der Batterie. Dann beginnt das System mit einem Startcheck und einer Kalibrierung. Während der Kalibrierung sollte man nicht still stehen, aber auch keine Treppe runterspringen, denn der Computer prüft nun die Sensoren und ermittelt so Lage und “Normalzustand” des Systems.

Nach 20 bis 60 Sekunden ist alles eingepegelt und das System ist einsatzbereit. Ist der Magnetschalter am Frontreissverschluss nicht geschlossen oder die Kalibrierung schlägt fehl oder einer der Sensoren meldet Merkwürdigkeiten, ist der Airbag nicht aktiv. Es kann also nicht passieren, dass man unversehens zum Michelinmännchen wird, weil das System versehentlich auslöst.

Bei Trockenübungen im heimischen Wohnzimmer dauerte die Kalibration oft sehr lange und klappte nur in 80 Prozent der Fälle, weshalb ich schon argwöhnte, dass das ein Nervfaktor sein könnte. Deshalb war ich gespannt, wie sich das Tech Air in der Praxis macht.

Ich habe Jacke und Chassis nun in unterschiedlichsten Situationen und auf zwei verschiedenen Motorrädern getragen. Zum einen auf einer sportlichen ZZR 600, mit der ich 1.000 km kurze Strecken in der Stadt und auf dem Land und Tagestouren gefahren bin, zum anderen auf einer Reiseenduro, mit der ich 1.000 km so rumgekurvt bin und mit der es dann auf eine wochenlange Fernreise in den Süden ging. Da hieß es: Jeden Tag ein Dutzend mal Jacke auf, Jacke zu. Über eine Fahrstrecke von 5.500 Kilometern. Mit Regenkombi. Ohne Regenkombi. Bei Temperaturen von fünf Grad in Regen und Nebel bis hin zu 40 Grad in sengender Sonne. In sehr trockene Luft genauso wie bei Luftfeuchtigkeiten von 100 Prozent, dazu Höhenwechsel von zweitausend Metern binnen kurzer Zeit, und und und.

Ich bin in der Jacke unter allen Bedingungen gefahren, dazu damit gewandert, auf Stadtmauern rumgerannt und durch Höhlen geklettert. Drei Wochen lang habe ich das Tech Air jeden Tag fünf bis 10 Stunden getragen. Ein echter Härtetest, und bei Dauernutzung würde sich selbst die kleinste Kleinigkeit, die nicht hundert Pro passt, zum handfesten Ärgernis auswachsen. Ich hatte im Vorfeld ein wenig bedenken, dass ich über irgend was stolpere, das mich ärgert oder Aufwand verursacht. Als bequemer Mensch wäre ich dann vermutlich sehr schnell wieder bei normalen Protektoren gelandet. Aber:

Good News, everyone!

Die gute Nachricht: Die Elektronik in der Jacke nervt in der Praxis nicht.

Überhaupt kein Problem ist die Akkulaufzeit. Der Akku hält mit einer Ladung sogar länger als die von Alpine Stars angegebenen 25 Stunden. Ich bin einmal über 30 Stunden gefahren und hätte noch Reserve für mindesten 4 Stunden gehabt. Selbst wenn man pro Tag 8 bis 10 Stunden fährt, muss man damit nur alle 3 Tage ans Aufladen denken.

Auch die Status-LEDs, die mir durch vermeindlich übertriebene Helligkeit unangenehm aufgefallen waren, stellten sich als praktisch heraus. Die hohe Leuchtstärke sorgt dafür, dass selbst bei direkter Sonneneinstrahlung oder durch die Regenkombi hindurch der Status des Systems ablesbar ist.

Das vermeintliche Sorgenkind, der Kalibrationsvorgang, funktioniert im Alltag zuverlässig. Sehr schnell hat sich bei mir ein Automatismus eingeschliffen, dass ich lediglich beim Schließen der Jacke ein mal auf den Ärmel gucke ob die LEDs aufleuchten, ansonsten kann man das System weitgehend ignorieren.

Das Aufblinken der LEDS ist das ist das Zeichen, dass der Magnetschalter in der Reißverschlussleiste richtig geschlossen ist – meine Jacke hat noch nicht, wie bei den späteren Modellen, einen gelben Klettverschluss an dieser Stelle. Mit Klettverschluss entfällt vermutlich sogar dieser Prüfblick. Ist die Jacke zu, startet die Kalibrierung. Ist die erfolgreich, leuchtet ein grünes Licht und alles ist gut. Im Alltag klappt die Kalibrierung in nahezu hundert Prozent aller Fälle.

Hell wie eine Taschenlampe.

Nur selten funktioniert die Kalibrierung nicht auf Anhieb. Dann muss man sie noch einmal neu starten, indem man die Jacke öffnet und wieder schließt. Mit der Zeit merkt man schon, was man in der Kalibrierungsphase machen darf und was nicht. Typische Fälle, in denen die Kalibration ziemlich sicher nicht klappt: Situationen, in denen man sich um mehrere Achsen bewegt. Beispiel: Wenn man auf dem Bike sitzend die Jacke aktiviert und sofort eine sehr kurvige Straße mit schnellen Richtungswechseln fährt. Oder wenn man während der Kalibrierung eine Wendeltreppe runter läuft. Oder sich währenddessen bückt, um noch mal schnell den Zustand der Kette zu prüfen. Das sind so Bewegungen, wo man nach einiger Zeit schon ahnt, dass das jetzt nicht geklappt haben kann.

Ich hatte damit aber keine Probleme. Mein Standardablauf ist: Jacke schließen, prüfender Blick auf die LEDs, dann Helm aufsetzen, Handschuhe anziehen. Meist ist die Kalibrierung jetzt schon erfolgreich abgeschlossen. Falls nicht, egal – ich setze mich auf´s Motorrad und fahre los (wenn die Straße nicht gerade superkurvig ist). Spätestens nach ein paar hundert Metern ist das System dann fertig kalibriert und läuft. Anfangs habe ich immer nochmal in den Rückspiegel geschaut, ob an meinem Unterarm die grüne LED leuchtet. Da sie das nahezu immer tut, habe ich diesen zweiten Kontrollblick immer öfter vergessen.

Ein Blick beim Anziehen, mehr Aufmerksamkeit erfordert das Tech Air nicht.

Die Kalibrierung nervt also nicht, und die Jacke ist bequem. Ich musste mich erst daran gewöhnen, dass sie im Vergleich zu meiner alten Jacke sehr eng sitzt, aber das muss so und ist Konzept.

Die vielen Taschen sind für Reisen ideal, und die wasserdichten Reißverschlusstaschen sind auch WIRKLICH wasserdicht (für Sie getestet, bitte gerne).

Wasserdichte Innentasche. Zwei der “WP Compartments” gibt es auch Außen.

Dank der wirklich guten Belüftung schwitzte ich während der Fahrt auch bei hohen Temperaturen nicht mal richtig. Es gibt aber auch keinen spürbaren Luftzug in der Jacke, da das Chassis wie eine zusätzliche Weste wirkt – Jacke und Airbagweste sind sehr gut aufeinander abgestimmt.

Belüftung auf der Brust.
Armlüftung.

Bei sportlicher, nach vorne geneigter Sitzhaltung, wie auf der ZZR, funktioniert die Lüftung übrigens einen Tucken besser, weil mehr Luft in die Armöffnungen einströmen kann. Das geht bei der aufrechteren Sitzhaltung und dem besseren Windschutz auf der V-Strom nur in geringerem Umfang, reicht aber immer noch aus. Ich könnte mir aber vorstellen, dass die Entsorgung der Abwärme problematisch werden kann, wenn das Motorrad ein so großes Windschild hat, das dahinter gar kein Fahrtwind mehr zu spüren ist. Aber wer so eine rollende Schrankwand fährt, will das auch so.

In der Summe ist das Zusammenspiel und der Sitz von Jacke und Chassis so gut und angenehm, dass ich nach kurzer Zeit vergessen hatte, dass ich einen Airbag am Körper habe. Prüfblick beim Anziehen, dann Vergessen das ich es trage.

Das ist, glaube ich, das Beste, was man über das Tech Air-System sagen kann: Man vergisst, das man es trägt. Es macht keinen Aufwand, es stört nicht, aber es ist da, wenn es gebraucht wird.

The good, the bad and the stinky

Nun gehöre zu den Tourenfahrern, die sich auf Reisen gerne Dinge angucken. Ich strolche in Museen und Burgen rum, ich gehe in meinen Motorradklamotten spazieren, gucke mir Städte an, manchmal klettere ich damit sogar auf Berge. Zugegeben, sehr kleine Berge, aber immerhin. Bei solchen Aktivitäten macht sich das Tech Air dann unangenehm bemerkbar. Zum einen ist da das Gewicht. Die Valparaiso-Jacke wiegt ohne Chassis und ohne Thermo- und Membranfutter, aber mit Protektoren, nur rund 1.800 Gramm. Das ist sehr leicht.

Das Chassis dagegen wiegt rund 2 Kilogramm. Noch hier ein Bißchen Geraffel in den Jackentaschen und dort einen Schlüsselbund und das Handy und zack, trägt man viereinhalb bis fünf Kilo Jacke am Körper. Ich kann Gewicht durchaus ab, was mich aber richtig stört ist die Hitze im Inneren der Jacke. Sicher war die Situation auf der gerade absolvierten Reise extrem, denn wir reden hier von Außentemperaturen von über 30 Grad, bei denen ich in der prallen Sonne rumgelaufen bin. Das ist mit dem Tech Air eine Tortur. Das Chassis enthält halt rundum einen Airbag aus Polyamid und hat damit die Atmungsaktivität einer Plastiktüte.

Auch wenn rundum Mesh ist, nach kurzer Zeit kocht man im eigenen Saft, wenn die Belüftung durch den Fahrtwind fehlt. Anziehen kann man die Jacke bei solchen Temperaturen und bei körperlichen Aktivitäten eigentlich nicht. Sie zu tragen ist aber auch nicht einfach, denn durch das hohe Gewicht und den breiten Rückenprotektor lässt sie sich auch nicht einfach über die Schulter hängen oder über dem Arm tragen. Man schleppt sich im wahrsten Sinne daran kaputt. In ein Topcase passt sie wegen des festen Rückenteils aber auch nicht, und ich bin nicht jemand, der seine Jacke auf dem Motorrad lässt – auch dann nicht, wenn sie mit einem Stahlkabelschloss gesichert ist. Zumal Jacke und Chassis zusammen rund 1.900 Euro kosten, sowas lässt man nicht einfach rumliegen.

Separat aufgehängt: Oben Jacke, unten Chassis.

Ich habe mir also täglich einen abgeschleppt und wirklich literweise Schweiß in das Chassis geschwitzt, das nach wenigen Tagen anfing zu riechen wie ein Berg alter Socken. Nach zwei Wochen, in denen ich es jeden Tag 5-10 Stunden und bei hohen Temperaturen trug, roch es wie ein ganzer Schweinestall, in dem die Güllepumpe explodiert ist. Wirklich, der Geruch war abartig. Ich habe am Ende das Chassis abends aus der Jacke ausgebaut und auf den Balkon zum Auslüften gehängt, aber das brachte irgendwann auch nur noch bedingt was. Das Mesh und die Innenpolsterung sind aus Polyester, und das hält den Schweißgeruch zuverlässig mehrere Tage. Das hat mich etwas erstaunt, bei dem Preis hätte ich Material mit Anti-Müffel-Ionen oder sowas erwartet.

Ich möchte aber betonen: Bei normaler Nutzung auf dem Motorrad und in unseren Breitengraden hatte ich mit Schweißgeruch keinerlei Probleme. Das Chassis fing erst an zu müffeln, als ich bei sehr hohen Außentemperaturen Dinge darin anstellte, für die es nicht gemacht ist.

Fehlfunktionen

Mein Tech Air ist tatsächlich kaputt gegangen. Es sich begann nach zweieinhalb Wochen auf Reisen, dass plötzlich dauernd die rote LED ansprang und damit zeigte, dass sich das System abgeschaltet hatte. Entweder direkt nach Beginn der Kalibrierung oder während der Fahrt wechselte das System von Grün auf Rot. Plötzlich merkte ich sehr deutlich, wie angenehm und unkompliziert die Handhabung vorher war, denn nun musste ich ständig nachschauen, ob das Ding wirklich noch lief oder schon wieder rumzickte. Das nervte tierisch, aber dass das nicht normal war, war mir schnell klar.

Nun hat das Chassis am Rücken einen Mikro-USB-Port, der nicht nur zum Aufladen dient, sondern auch zur Diagnose.

Jedes TechAir-Chassis wird auf seinen Besitzer registriert. Als Kunde habe ich Zugriff auf ein Serviceportal, in dem mir auch eine Diagnosesoftware (nur Windows) zur Verfügung gestellt wird. Die hatte ich auf meinem Netbook.

Also Rechner an das Chassis angeschlossen und die Daten ausgelesen. Im Ernst, im Jahr 2018 schließe ich einen Computer an meine Kleidung an, um deren Fehlerspeicher auszulesen.

Neben Infos zu meiner Person, bei welchem Händler ich das Chassis gekauft habe und aktuellen Messwerten gibt es auch ein Errorlog, in dem das TechAir-System Fehler speichert. Hier war dann sehr deutlich zu sehen, dass der Sensor in der linken Schulter Fehler produzierte. Das tat er einmal recht am Anfang, als das Chassis fast neu war, ab Betriebsstunde 82 kamen die Fehler dann aber massiv und gehäuft.

“Bei Alpine Stars bist Du jetzt Premiumkunde”, hatte mir der Händler beim Kauf erklärt, und ich hatte das als dummes Gelaber abgetan. Dennoch wollte ich jetzt mal wissen, wie gut der Support für das TechAir wirklich ist.

Tech Air Support

Ich schickte an einem Sonntag Abend um 22:00 Uhr eine Mail an die, im Serviceportal angegebene, Adresse. In der beschrieb ich den Fehler und hängte das Errorlog an. Montag Morgen um 07:30 Uhr, also quasi unmittelbar und sofort, hatte ich eine Antwort: Ich möge bitte das Chassis einschicken, Alpine Stars wolle gerne eine Inspektion machen. Nun sitzt Alpine Stars in Norditalien, und da ich eh gerade für zwei Tage in der Region war, fragte ich an, ob ich nicht vorbeikommen könnte. Innerhalb von Minuten kam die Antwort vom Support: Man habe keine Vor-Ort-annahme für Endkunden, aber ich könne gerne vorbeikommen und man würde versuchen, innerhalb der zwei Tage, die ich in der Region wäre, das Chassis zu prüfen und zu reparieren.

Gesagt, getan. Also in den heiligen Hallen der Alpine Stars-Zentrale vorbeigefahren, die erstaunlicherweise – obwohl es sich mittlerweile um ein Weltunternehmen handelt – relativ klein wirken.

Der Umgang in der Firmenzentrale ist familiär, aber auch hoch professionell. Ich traf mich mit einem Supportmitarbeiter, der das Chassis entgegennahm und mir für die Zwischenzeit einen normalen Rückenprotektor lieh – dadurch, dass die keinen Endkundenservice in der Zentrale haben, war kein Austausch-Chassis verfügbar.

Verbesserungsvorschläge

Im Gespräch konnte ich dann gleich noch ein paar Anregungen loswerden, basierend auf den Erfahrungen der vergangenen Wochen. Zuvorderst: MACHT VERSION 2 AUS MATERIAL, DAS NICHT NACH EINIGEN TAGEN ANFÄNGT ZU STINKEN WIE EIN PFERD AUS DEM HINTERN.

Und: Der Ladeport muss definitiv anders platziert werden, so dass er besser erreichbar ist. Oder das Ladesystem muss generell anders, denn der Mikro-USB-Anschluss ist zu fummelig. Der sitzt nämlich versenkt zwischen den beiden Datenkabeln zur Jacke. Damit ist er schwer zu erreichen, und man läuft Gefahr in den fragilen Datenkabeln hängen zu bleiben und sie aus den Stecker zu reißen.

Ich habe mir, nach Anregung von Kalesco, ein Magsafe-System da dran gebastelt.

Es gibt mittlerweile Magneteinsätze für Mikro-USB-Ports. Ein Teil kommt in die Buchse und bleibt dort, auf den USB-Stecker kommt ein Magnetaufsatz. Ab dem Moment braucht man das Ladekabel nur noch in die ungefähre Nähe des Ports bringen, dann klickt das von alleine ein, wie rum ist egal. Zum Aufladen reicht das, für Datenübertragung aber leider nicht – zumindest mein Rechner erkennt kein USB-Gerät, wenn der Magsafe-Anschluss an einem zwei Meter langen Kabel sitzt.

Mit dem Support vereinbarte ich dann, dass sie sich Zeit lassen sollten für Prüfung und Reparatur des Chassis und es mir dann nach Hause schicken. Ich bin dann mit dem geliehenen Rückenprotektor nach Deutschland zurückgekehrt. Über das Kundenportal konnte ich sehen, das unmittelbar am Tag nach meinem Besuch schon mit der Reparatur begonnen wurde, und sogar, welcher Techniker welches Teil ausgetauscht hat. Alpine Stars macht dabei keine Gefangenen, im Sinne von: Die doktorn daran irgendwie rum und tauschen nur ein Teil aus. Nein, nicht nur der defekte Beschleunigungsmesser wurde ausgetauscht, sondern gleich alle Schultersensoren, und das Steuergerät gleich noch dazu. Und wo man schon mal dabei war, wurde auch gleich noch die neue Firmware aufgespielt und das Ganze 24 Stunden getestet.

Eine Woche später wurde mir das Chassis per UPS geliefert.

Auch hier ist nochmal dokumentiert was gemacht wurde. Gereinigt wurde es leider nicht, es müffelt immer noch ein wenig, aber das man muss schon sehr genau hinriechen um das zu merken. Der Schweißgeruch verfliegt also nach einer Zeit.

Über den Hardwaredefekt habe ich mich gar nicht groß geärgert, gab er mir doch die Gelegenheit den Service von Alpine Stars auszuprobieren. Für einen Praxistest war das fast ein Glücksfall. Technik kann immer mal kaputt gehen, und wie das Log deutlich zeigt, hatte der Sensor von Anfang an einen weg. Daraus würde ich nicht generell auf die Qualität der verbauten Komponenten schließen wollen. Technik kann kaputt gehen, und die Qualität eines Dings macht sich heute auch daran fest, wie der Hersteller dann mit dem Defekt umgeht.

Alpine Stars geht damit vorbildlich um, besser kann man es eigentlich nicht machen. Die Responsezeiten des Tech Air-Supports sind erstklassig, ich bekam keine Textbausteine und kein Geschwafel zurück, die Kommunikation ist direkt und persönlich und am anderen Ende sitzt Fachpersonal, das sich wirklich auskennt. Die Reparatur ging superfix, und da es innerhalb der zweijährigen Garantie war, war das auch alles kostenlos.

Die Garantie verlängert sich übrigens um 24 Monate, wenn man einen Inspektionsservice bei Alpine Stars durchführen lässt. Bei dem werden alle Komponenten gecheckt und das Chassis gereinigt. Kostet 99 Euro, dafür hat man dann die Gewissheit, dass alles OK ist und jegliches Problem auf Kosten von Alpine Stars behoben wird. Bis zu fünf mal lässt sich die Garantie verlängern, damit kommt man in Summe auf 10 Jahre Herstellergarantie. Alpine Stars begreift Tech Air als eine Kombination aus Hardware und Dienstleistung, und die Dienstleistung hat ordentlich durchdefinierte Prozesse.

Erkenntnisse

Meine Meinung nach zwei Monaten und insgesamt 7.500 Kilometern mit dem Tech Air: Das Ding ist praxistauglich, ohne Frage. Es sitzt bequem, es nervt nicht, man vergisst nach einiger Zeit, dass man es trägt. Beim Motorradfahren spürt man es nicht mal. Das ist super, besser geht es eigentlich kaum.

In unseren Breitengraden, bei normalen Außentemperaturen und für kurze und mittlere Fahrten sehe ich überhaupt keine Einschränkungen oder Probleme.

Man erkauft sich mit dem Tech Air ein Mehr an Sicherheit, das mit wenig zusätzlichem Aufwand verbunden ist. Den prüfenden Blick beim Schließen der Jacke, ansonsten ab und zu aufladen, das war es. Das der Ladeanschluss fummelig ist, lässt sich mit einem Magnetconnector für 5 Euro ausgleichen.

Das Tech Air ist absolut geeignet für fast alles, was mit Motorradfahren zusammenhängt. Kurztourer, Schön-Wetter-Biker, Brot&Butter-Fahrer und Leute, die gelegentlich die Rennstrecke besuchen, werden damit sehr glücklich. Langstreckentourer mit Hang zu südlichen Ländern und einer Affinität zu Aktivitäten ohne Motorrad sollten sich vorher sehr gut überlegen, ob sie mit dem hohen Gewicht, ggf. starker Wärme klarkommen. Für die meisten Motorradreisenden wird das eher nichts sein.

Nicht oder nur eingeschränkt geeignet sind die Klamotten, um am Ziel einer Fahrt kilometerweit darin zu wandern oder in den Bergen rumzuklettern, schon gar nicht bei Temperaturen jenseits der 30 Grad Marke. Tut man das trotzdem, schwitzt man sich darin kaputt oder schleppt sich einen Wolf. Vermutlich ist das aber ein Randgruppenproblem. Gibt ja nicht viele Bescheuerte, die in Motorradklamotten so bewegungsintensiven Quatsch machen, und bei normaler Nutzung fängt das Chassis nicht an unangenehm zu riechen.

Von daher: Ich kann für mich sagen, dass das Tech Air absolut OK für mich ist. Es gibt während der Fahrt nichts, was mich stören oder Aufwand verursachen würde, weshalb die alte Jacke mit den Standardprotektoren im Schrank bleibt. ABER: Wenn ich aber nochmal vorhabe in den Bergen rumzuwandern, werde ich aber zusehen, dass ich vorher eine Möglichkeit finde die Jacke nicht mitschleppen zu müssen.

Murmeltiertag

Murmeltiertag

Merkel ernennt Steinmeier zum Bundespräsidenten, Steinmeier ernennt Merkel zur Bundeskanzlerin. Und egal was man wählt, am Ende kommt eine GroKo bei raus. Murmeltiertag in Deutschland.

Es.
Ist.
Zum.
Haareraufen.

Wenn ich nicht resistent dagegen wäre, JETZT würde ich Politikverdrossen werden.

Wirklich, ich fasse es einfach nicht, dass wir schon wieder eine Große Koalition haben. Das Merkel nur auf Machterhalt aus ist, ist dabei wenig überraschend. Das ist ihr ganzes Konzept der Politikgestaltung seit 2005 – sie handelt nur dann und dann so, wie es dem Erhalt ihrer Macht dient. Keine Vision, kein Gestaltungswillen, nicht im eigenen Land, nicht in Europa.

Die letzten Jahre der GroKo haben diesen Stillstand zementiert, denn wie der Grüne Konstantin von Notz richtig sagte: Faktisch gab es keine Opposition in Berlin. Umso mehr freute mich die Ankündigung von Schulz am Abend der Wahl, jetzt mal wieder ordentliche Oppositionsarbeit zu machen.

Denn davon lebt Demokratie. Demokratie braucht gegeneinander arbeitende Kräfte, die ein gemeinsames Wertesystem eint. Kleinster gemeinsamer Nenner ist dabei im Zweifel die Wertschätzung für die Demokratie selbst, und genau aus diesem Grund fällt für mich die AFD da raus. Die Partei – oder zumindest laute Teile davon – arbeiten auf die Abschaffung der Demokratie hin. Aber das ist ein anderes Thema.

Was mich so frustriert, ist der nun wieder in einem Koalitionsvertrag festgeschriebene Stillstand. Damit, dass die SPD in eine Große Koalition eingewilligt hat, dürfte sie sich selbst in die Bedeutungslosigkeit demontiert haben. Das wäre mir egal, denn das ist nur ein Kollateralschaden. Was aber viel schlimmer ist: Durch die GroKo wird SCHON wieder die Demokratie nachhaltig beschädigt.

Die Quittung bekommen wir bei den nächsten Wahlen. GroKos stärken IMMER die extremen Positionen an beiden Rändern. Entweder die AFD wird 2021 stärkste Kraft im Bundestag – oder jemand wie Macron kommt in der Zwischenzeit vorbei und dreht die Parteienlandschaft auf links.

So oder so, die erneute GroKo und nochmal vier Jahren Merkel werden niemandem gut tun. Also, außer Merkel.

Geschichten machen Geschichte

Geschichten machen Geschichte

Warnung: Text macht schlechte Laune.

Ich kann sie nicht mehr hören, diese ewig gleichen Statements deutscher Politiker über die Wahl von Trump. “Das ist ein Schock, den wir erst mal verdauen müssen” oder “das ist ein Warnsignal”. Ich fürchte, dass die Phase der Warnsignale und der Aufrüttelei und dem Überdenkens des eigenen Verhaltens schon über den Punkt hinaus ist, an dem sich noch irgend etwas ändern ließe.

Trump ist nur die neueste Figur in einem Spiel, bei dem alle paar Jahrzehnte eine neue Partie gespielt wird. Die letzte Partie endete vor etwas über 70 Jahren. Genug Zeit, um aus den Familiengedächtnissen zu verschwinden. Sieht man in die Geschichte, dann bekommt man durchaus einen Blick für das, was nun passiert.

Es ist nämlich nicht zum ersten Mal, dass westliche Demokratien erstarrt sind. Ihre führenden Politiker begeistern nicht mehr, sie vermitteln nicht, dass sie Ideen oder Ideale oder auch nur ein Ziel haben, außer dem eigenen Machterhalt. Stattdessen entsteht der Eindruck, dass nur von links nach rechts verwaltet wird. Jetzt folgt der Auftritt von Rechtspopulisten, die behaupten, sie würden verkrustete Strukturen aufbrechen und dafür Sorgen, dass es “dem Volk” besser gehen wird, weil man was gegen “die da oben” oder “die anderen” unternehmen wird. Kaum an der Macht weht ein stark nationalistischer Wind, es werden demokratische Freiheiten beschnitten und das Land in eine Autokratie umgebaut. Und dann? Dann knallt es.

Auch das zeigt die Geschichte: Krieg ist eigentlich der Normalzustand, Frieden ist die Ausnahme. Um Frieden zu erhalten sind große und gemeinsame Anstrengungen nötig. Warnsignale hätten schrillen müssen, als Orbán und Kacynzki die Macht in Ungarn und Polen übernommen haben. Ein Schock hätte sein müssen, dass Nationalisten das Vereinigte Königreich aus der EU katapultiert haben. Zu verhindern wäre gewesen, dass die Türkei zu einer faschistischen Diktatur wurde.

Nun ist es, fürchte ich, zu spät. In den Niederlanden bläst Geert Wilders zum Sturm, in Deutschland steht die AfD bereit, in Frankreich haben sich die etablierten Parteien so sehr selbst zerlegt, dass Marie Le Pen von der Nationalfront nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich geworden ist. Die EU ist geschwächt und splittert hörbar, und nun ist die größte Demokratie der Welt in die Hände eines rassistischen Faschisten mit psychopathischen Zügen gefallen.

Die Figuren stehen schon auf dem Spielfeld, mehr kommen in Kürze dazu. Die Stimmung wird immer weiter nationalistisch aufgeheizt werden, die Töne immer schriller. In dieser hasserfüllten Atmosphäre braucht es dann nur noch einen Funken, einen Franz-Ferdinand-Moment, ein relativ kleines Ereignis, dass einen Flächenbrand auslöst. Dann beginnt der Zyklus von neuem und eine lange Phase des Friedens in Europa geht zu Ende.

Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals so in Sorge um die Zukunft der Welt gewesen zu sein. Es ist bitter, dass all die jetzigen Geschehnisse, zumindest die in Europa, so mutwillig von genau der Politikergeneration herbeigeführt wurde, die nun um ihre Hintern fürchten muss. Einer Generation, die Frieden für etwas selbstverständliches hingenommen haben. Einer Generation, die sich keinerlei Mühe gegeben hat ein vernünftiges Narrativ für ihr Tun zu bauen, eine gute Geschichte zu erzählen die die Leute begeistert.

Das Entstehen von Europa ist eine mitreissende Story voller Visionen und Zukunftsglauben und dem Wirken von Freiheit, nur leider hat sie schon sehr lange niemand glaubwürdig erzählt. Stattdessen wird Europa als Geschichte von hemmungsloser Bürokratie, geheimen Abkommen und undemokratischen Prozessen erzählt. Da haben es die Rechten leicht dazwischen zu flanken, mit ihren Erzählungen von der Schuld der anderen, den Geschichten, in denen früher alles besser war, als man noch abgeschottet und isoliert lebte.

Ja, wirklich. Ein Blick zurück in die Geschichte zeigt sehr deutlich, was als nächstes passieren wird. Die Welt wird in längst überkommen geglaubte Konflikte zurückfallen. Lässt sich dagegen etwas machen? Mit ziemlicher Sicherheit nicht. Der liberale und aufgeklärte Teil der Bevölkerung hat zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte solche Entwicklungen wieder einfangen können.

Alles, was jeder einzelne tun kann, ist immer wieder die Geschichte von Frieden, Nächstenliebe und Miteinander zu erzählen. Dem latenten Hass jeden Tag zu begegnen, im eigenen Freundes- und Familienkreis. Engagement zeigen, bei sozialen Projekten. Menschen, die Hassprediger wie die von der AfD wählen, sind nicht alle Dumm. Die meisten sind einfach wütend und haben Angst. Angst ist nur teilweise rational.

Erzählt Geschichten gegen die Angst der anderen.

Das ist nur ihre Meinung!

Das ist nur ihre Meinung!

Die Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es Informationen zu sammeln über:

  • Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder
  • gegen den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
  • durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder
  • gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Art. 9 Abs. 2 GG), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind.

Kann man dann davon ausgehen, dass die CSU vom Verfassungsschutz beobachtet wird? Die Seehofersche Kasperltruppe fällt aktuell mal wieder besonders unangenehm auf. Die von ihr vehement geforderte Obergrenze für Flüchtlinge verstösst genauso gegen das Grundgesetz wie der “Vorrang für Zuwanderer aus unserem christlich-abendländischen Kulturkreis”. Zu letzterem sagt das Grundgesetzt nämlich was eindeutiges: “Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.”

Und was sagt die CSU dazu? Die pulled einen Didi und sagt: “Das ist nur ihre Meinung.”

 

Nein, ehrlich! Hier, im Interview mit der ARD stellt sich Andreas Scheuer, der Generalsekretär, hin und sagt exakt das:

Moderatorin: “Also es steht die Obergrenze natürlich automatisch wieder drin, klar, obwohl das Grundgesetz sagt, wer politisch verfolgt ist, genießt Asyl. Da ist keine Rede von einer Obergrenze.”

Scheuer: “Das ist Ihre Meinung.”

Moderatorin: “Nee, das ist das Grundgesetz.”

Scheuer: “Nee, das ist Ihre Meinung.”

 

Nun muss Scheuer anscheinend die alte Frisur von Guttenberg auftragen, und unter der kann es schon mal heiß werden, aber wie notieren mal: Die bayerischen Gurkenköpfe halten UNSER GRUNDGESETZ FÜR EINE UNVERBINDLICHE EMPFEHLUNG, DIE MAN EINFACH IGNORIEREN KANN.

Wenn das keine zersetzenden Bestrebungen gegen unsere Grundordnung ist, dann weiß ich auch nicht. Verfassungsschutz, übernehmen Sie!

Und abseits davon: Wie dumm kann man denn bitte noch sein? Anscheinend ist die Seehofer-Skala nach oben hin offen, wenn die CSU allen Ernstes mit Slogans in den Wahlkampf zieht, die genau so auch von der AFD kommen könnten. 

Dabei zeigt uns die Geschichte, vor allem die jüngste in Österreich, doch klar eins: Wenn die Wähler merken, dass die Mainstream-Parteien den Rechten hinterherlaufen oder deren Ziele umsetzen, dann wählen sie beim nächsten mal gleich rechts. Von daher: Wenn es im Land nach rechts ruckt, dann dürfen wir uns dafür auch bei diesen Weißwurschtkaspern bedanken.

Brexit

Brexit

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Haha, die Briten wieder. Dem komischen Inselvolk geht die “Regelungswut” der EU zu weit. Als ob die wüssten was das ist! Mich würde ja mal interessieren, was geschehen würde, wenn mal jemand hingeht und sagt:

“So, passt mal auf, Freunde. Wir sorgen jetzt mal dafür, dass diese Insel hier nicht bei jedem Pups einen Sonderweg geht. Ab nächstem Montag ist Schluss mit lebensgefährlicher Linksfahrerei, es wird gefälligst rechts gefahren. Der Quatsch mit den dreipoligen Monsterstromsteckern hört dann auch auf, ihr nehmt gefälligst die zweipoligen Stecker, wie der Rest der Welt.

Das metrische System wird flächendeckend eingeführt, dieser Unsinn mit Feet und Pint und Tuppence und whatknot ist dann offiziell vorbei. Außerdem bekommt ihre eine vernünftige Währung, den Euro. Der Rest der Welt hat nämlich die Schnauze voll von euren abzockerischen Wechselstuben.

Diese beiden Wasserhähne, aus denen entweder kochend heißes oder eiskaltes Wasser kommt, bekommen einen Preis für “dämlichste Idee ever”, dann werden sie demontiert und durch vernünftige Mischarmaturen ersetzt. Bettdecken werden nicht mehr rundrum am Bett festgetackert. Schuluniformen mit Miniröcken werden abgeschafft, das ist sexistische Kackscheiße die sich notgeile, alte Männer ausgedacht haben.

An Ampeln gibt es ein explizites grün, und nicht nur rot und orange, ihr habt doch ohnehin nie kapiert wann ihr fahren dürft. Außerdem gilt ab kommender Woche: Alles was kein Pudding ist, darf nicht als Pudding bezeichnet werden. Und die Zubereitung von Haggis wird als terroristischer Akt betrachtet!”

DAS wäre mal Regelungswut. Ich wette, mindestens die Hälfte der Briten würde bei so einer Proklamation sofort vor Empörung implodieren (normale Menschen würden vor Wut explodieren, aber in GB ist halt alles anders).

Ein stolzes Wappen mit.... zungerausstreckenden Einhörnern? WER SOLL EUCH DENN ERNST NEHMEN?
Ein stolzes Wappen mit…. zungerausstreckenden Einhörnern? WER SOLL EUCH DENN ERNST NEHMEN?

Dabei wäre ein solches Aufräumen ganz dringend nötig. England war zwar vor 150 Jahren die Speerspitze der industriellen Revolution, seitdem hat man sich aber komplett abgekoppelt und macht ALLES anders als im Rest der Welt. In Großbritanien ist jeden Tag Gegenteiltag. Dort isst man ja auch das Mittagessen zum Frühstück. Und nun wollen die also aus der EU, von der sie nie richtig Teil waren, ausscheren. Vielleicht. Aber warum? Und:Muss uns das kratzen?

David Cameron war lange Zeit der gefährlichste Mann in Europas (bis die Flüchtlingskrise kam und er den Titel an die Orbans und Kasczynskinskis dieser Union abgeben musste). Seine Innenpolitik beschränkte sich über weite Strecken darauf, ein diffuses “Wir”-Gefühl unter den Briten zu erzeugen, in dem man gegen “die” war. Die, das war und ist die EU. Der drohte er mit dem “Brexit”, dem British Exit, der Ausstieg der Briten aus der EU, wenn diese nicht Zugeständnisse machen würde.

Was als kalkulierte Provokation und als Schmierentheater zur Stärkung der Innenpolitik begann, ist Camerons Kontrolle mittlerweile entglitten. Andere Politiker haben ihn rechts überholt und nutzen die, von Cameron angefachte, euroskeptische Stimmung um ihren eigenen Populismus an den Mann zu bringen. Cameron selbst findet sich ungewollter Weise in der Rolle der EU-Verteidiger wieder. Vermutlich verflucht er jeden Tag die Geister, die er rief.

Ich lehne mich da ja mal anz entspannt zurück, denn die Chancen für einen Ausstieg aus der EU sind verschwindend gering. Die Wirtschaft weiß, dass die UK ohne die EU nicht kann, nicht umsonst sprechen Londoner und Frankfurter Börse über eine Fusion. Lediglich EINE von einem Dutzend Studien kommt zu dem Ergebnis, dass die UK ohne die EU besser dran ist. Die Studie geht allerdings von der Prämisse aus, dass die EU komplett zerbricht und in Chaos versinkt und verliebene Investoren dann nach London flüchten. Die feuchten Träume der Londoner Banker.

Selbst WENN eine Mehrzahl der Briten beim Referendum am 23. Juni für einen Ausstieg stimmt und die Insel sich weiter abspaltet – so what? Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass die Wirtschaft so in sich zusammenbricht, dass der Urlaub in Great Britain billiger wird. Wahrscheinlicher ist aber: Die Integration Europas passiert nach einem Brexit schneller, weil keine Rücksicht mehr auf die Rückgratlosen Insellullis und ihre Marotten genommen werden muss. In diesem Sinne: Das Thema “Brexit” kann man dieser Tage getrost ignorieren, gibt wichtigeres.