Reisen

Reisetagebuch (10): Muskelgedächtnis is a Bitch

Sommertour mit der V-Strom durch Frankreich, England, Wales und Schottland. Heute mit Schafen.

Montag, 11. Juli 2022, Hartfield House, Applecross, Schottland

Boah was nerven mich die anderen Gäste in diesem hostel! Gestern Abend die dauertelefonierenden Tröten im Zimmer nebenan, und jetzt stelle ich fest, dass die Fahrer:innen von Miet-SUVs sämtliche Parkverbotsschilder ignoriert haben und den gesamten Vorplatz von Hartfield House zugeparkt haben.

Dabei mangelt es nicht an Autoparkplätzen hinter dem Haus, die Flitzpiepen hier waren nur zu faul, mehr als drei Schritte zu laufen. Damit haben sie die V-Strom praktisch zugeparkt, die auf einer Zierfläche direkt am Haus steht. Nur mit zentimetergenauer Rangiererei zwischen Blumenkübeln, hoppeln über einen Bordstein und einer Fahrt über den Fußgängereingang bekomme ich das Motorrad wieder vom Haus weg.

Beim Vor- und Zurückschieben fällt mir noch etwas Interessantes auf. Ich habe hier schon öfter dicke Kettenschlösser an Motorräder gesehen, und die Gruppe Senioren, die gestern Abend noch gekommen ist, legt auch viel Wert auf Sicherung. Kunstvoll sind drei Motorräder ineinander geparkt und zusammengekettet.

Später bekomme ich, nach einem Hinweis von Suse, mit, dass Motorräder klauen wohl tatsächlich Volkssport in UK ist, besonders um die Großstädte herum.

Es finden sich etliche Forenbeiträge von Schottland-Urlaubenden, die die Heimreise im Flugzeug angetreten haben, weil der eigene Ride abhanden gekommen ist. Gerade um Edinburgh, Glasgow und Inverness herum scheint es Volkssport zu sein, Motorräder von Touristen zu stehlen, damit eine Nacht durch die Gegend zu krajohlen und sie dann zu Schrott zu fahren. Hier der Bericht einer Motorradbloggerin, der ihre Maschine vor dem Zelt weg geklaut wurde. Das war auf einem Campingplatz vor Edinburgh. Kein Wunder also, das die einheimischen Moppedfahrer kiloschwere Ketten mit sich herumschleppen und selbst hier, wo es außer der alten Schule von Hartfield kilometerweit kein anderes Haus gibt, extrem auf Sicherung achten.

Ich hatte tatsächlich nur auf meiner allerersten Motorradreise eine Kette dabei. Später nicht mehr, weil: Zu schwer, oft gibt es keine Gelegenheit zum Anketten der Maschine und slbst wenn, bin ich meist zu faul dazu. Außerdem war es in Italien und anderen Südeuropäischen Ländern nie wirklich nötig. Die meisten Motorraddiebstähle dort, verriet mir mal ein Carabiniere, gehen auf das Kerbholz osteuropäischer Banden. Die stehlen im Auftrag und nur das, was sich gut weiterkaufen lässt, bevorzugt neue BMW-Modelle, keine alten Kawasakis oder Suzukis.

Ich habe lediglich ein Bremsscheibenschloss dabei, was ich selten benutze. Darüber hinaus hat die Barocca einen versteckten GPS-Tracker, der mit Push-Nachrichten auf´s Handy schickt, wenn das Motorrad nur angefasst wird. Wirklich, die Barocca braucht nur jemand schief anzugucken, wenn ich weiter als fünf Meter von ihr entfernt bin, und es macht Dingdong auf dem Handy.

Die Renaissance hat zusätzlich noch einen versteckten Kippschalter, der die gesamte Elektrik lahmlegt. Der hilft nichts, wenn jemand die Maschine wegträgt – aber wenn man nicht weiß, wo der Schalter sitzt, verhindert es, dass der Dieb Spaß mit dem Mopped hat, indem er einfach einen Schraubendreher ins Lenkradschloss rammt und davonbraust.

Von Applecross aus führt die Straße nordwärts am Meer entlang. Es ist diesig und bedeckt, und mit 17 Grad nicht übermäßig warm, aber trotzdem angenehm zu fahren.

Es ist das erste Mal, dass sich die ungefütterten Membranhandschuhe als nützlich erweisen, seit ich die vor fünf Jahren gekauft habe. Bislang waren die weitgehend sinnlos und ich hätte sie fast weggeworfen, weil im Sommer das Wetter meist so ist, das die Hände schnell anfangen daran glitschig zu werden. Aber hier passen die perfekt – ich brauche kein dickes Futter, aber Schutz vor dem Fahrtwind, und die Temperataturen sind exakt so, dass die Membran funktioniert und ich nicht darin schwitze.

Wieder ist die Straße eine Single-Track-Road, die sich aber um die Berge herumwindet, statt über sie hinweg zu führen. Links des Asphalts steht dichter Farn, und darin springen zwei große Tiere herum, die ich zunächst für Hirsche halte. Hey, keine Stag-Party hier!

Erst im aller-aller-letzten Moment nehmen die beiden Reißaus und verschwinden. Waren das Rentiere? Gibt es in Schottland Rentiere?

Andere Tiere gibt es auf alle Fälle. Zottelige Rinder, zum Beispiel.

Und Schafe, natürlich. Jede Menge Schafe, die heute meist in Erdkuhlen kauern, um zumindest ein wenig Schutz vor dem Wind zu haben, der über die Küste und die Landschaft pfeift. Die besteht hier aus Felsen, zwischen denen karges Gras wächst.


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Reisetagebuch (9): A Head Full of Skye

Sommertour mit der V-Strom durch Frankreich, England, Wales und Schottland. Heute mit Schafen.

Sonntag, 10. Juli 2022, Kyle bespoke Hotel, Kyle, Schottland

Was für ein schöner Morgen! Sonne blitzt durch die Vorhänge, und aus dem Augenwinkel kann ich durch das Dachfenster des Hotelzimmers einen blauen Himmel sehen. Heute ist Sonntag, und eigentlich wollte ich noch ausschlafen, aber jetzt hält mich nichts mehr im Bett.

Wie alles im „Kyle bespoke Hotel“ ist auch der Frühstücksraum vor allem eines: Alt. Aber nicht so 18. Jahrhundert gediegen alt, sondern eher so 60er und 70er alt. „Bespoke“, also „Maßgeschneidert“, ist das hier nur, wenn man ca. 1940 geboren wurde.

Sei´s drum. Das Frühstücksteam ist auf Zack, und als sich der Saal langsam füllt, bin ich schon mit einem kleinen Scottish Breakfast durch. Ein Scottish Breakfast ist genau das gleiche wie ein Englisches Frühstück, also Toast, Bohnen, Würstchen und Ei, darf hier aber so nicht heißen.

Während um mich herum die Zimmer mit den Gästen einer Hochzeitsgesellschaft langsam aufwachen, trage ich schon die Koffer durch die engen Gänge und über den abgewetzten Teppich zum Motorrad.

Die Barocca steht auf einem kleinen Parkplatz, der hinter dem Hotel in den Berg gebaut und mit dem Gebäude über eine Treppe verbunden ist. Seit gestern Abend sind weitere Motorräder hinzugekommen.

Ich prüfe sorgfältig die Suzuki und die Befestigung des Gepäcks, dann schwinge ich mich in den Sattel und starte den Motor.

Es dauert weniger als zwei Minuten, bis Anna uns auf eine ihrer berüchtigten Abkürzungen gelotst hat. Statt einfach die verdammte fcking Hauptstraße aus Kyle-of-Lochalsh hinauszufahren, zockeln wir durch ein Wohngebiet, fahren eine Single Track Road durch einen Wald, und dann eine Stichstraße hinab, die ein extremes Gefälle hat – und die an einem Gatter endet.

Ich fasse es nicht. Ein großes, zweiflügeliges Gatter, genau am Stadtrand! Ich stoppe die Suzuki gaaaaanz vorsichtig im Hang, stelle den Motor bei eingelegtem Gang ab und lasse die Maschine gaaaaanz vorsichtig auf den Seitenständer hinunter. Dann steige ich ab, laufe zum Tor, öffne es, klettere vorsichtig wieder in den Sattel, lasse das Motorrad hindurchrollen, steige wieder ab und schließe das Gatter, steige wieder auf und starte den Motor. MAN!

Aber dann brummt die Barocca endlich aus Kyle hinaus und über die große Brücke, die ich gestern schon aus der Ferne gesehen habe. Im folgenden Bild ist sie links neben der Straße zu sehen.

Das ist die Skyebridge. Die heißt nicht so, weil es kurz scheint, als ob man dem Himmel entgegenfährt…

…sondern sie verbindet das schottische Mainland mit der Isle of Skye, der größten Insel der Gruppe der inneren Hebriden.

Isle of Skye hat man vielleicht schon mal gehört, vermutlich in Schwärmereien von Leuten, die hier waren. Irgendwie bekommen die meisten ganz verträumte Blicke, wenn sie sich an ihren Besuch auf Skye erinnern und von zerklüfteter Landschaft, kleinen Fischerdörfern und rauem Wetter erzählen.
Die mild-verrückte-Nachbarin (die unter der schönen Nachbarin wohnt) war wochenlang hier und hat mir Tips gegeben, wie ich nach nur einem Tag Wanderung „Fairypools“ und ähnlich esoterische Dinge erreichen kann. Nun, ich werde nicht wochenlang hier sein, und ich werde auch nicht wandern, aber einen ganzen Tag habe ich mir für die Insel schon reserviert. Ganz planlos. Mal gucken, wo ich Lust habe anzuhalten. Vielleicht trinke ich sogar irgendwo einen Kaffee?

Die Straße windet sich an Buchten entlang, in den Fischerboote liegen. So stelle ich mir eigentlich Norwegen vor, an seinen flachen Stellen.

Tolles Straßenschild: Achtung, Schaf!

Wirklich malerisch. Rechts das Meer, links Weiden und Wiesen und manchmal auch Berge und schroffe Felsen oder kleine Seen und Weiden.

Der bekannteste Felsen hier ist der Old Man of Storr, eine fast 50 Meter hohe Felsformation, die einfach senkrecht aus der Landschaft ragt und als DIE Sehenswürdigkeit hier gilt. Hier ein Bild von Wikimedia:

CC BY SA Nigel Homer

Besucher kommen von nah und fern, um des alten Mannes Penis anzugucken. Das ist auch heute Morgen so, der (kostenpflichtige) Parkplatz mit den Hinweisschilder ist schon fast voll, als ich dort ankomme.

Was mich dann wirklich davon abhält hier abzusteigen ist aber das Wetter. Der Old Man liegt auf fast 700 Metern Höhe. Da muss man erst einmal hochwandern, aber das würde aktuell auch nichts bringen, denn nur knapp oberhalb des Parkplatzes verschwindet die Welt in tiefhängenden Wolken. Selbst wenn ich mich da hochschleppe, mit meinen immer noch kaputten Füßen, würde ich vermutlich nichts sehen.

Also fahre ich lieber weiter, auch aus dem Sattel des Motorrads heraus gibt es hier genug zu entdecken. Kleine Dörfer, zum Beispiel, deren Häuser weit auseinanderstehen.


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Reisetagebuch (8): Skyfall

Sommertour mit der V-Strom durch Frankreich, England, Wales und Schottland. Heute mit James, Harry, Nessie, Rob, Connor, Mio und den MacDonalds vom Clan der McDonalds.

Samstag, 09. Juli 2022, Inverardran Guest House, Crianlarich, Schottland

Ich wache früh und leicht gemartert auf. Im „Inverardran“ ist es zwar ganz ruhig und still, aber der Schlaf war trotzdem unruhig. Irgendwie hat mich die Geschichte mit der Geschwindigkeitsmessung nicht losgelassen. Ich bin ja gestern gelasert worden. Aber warum? Warum bin ich mit 65 km/h in eine 30er Zone gerauscht? Warum habe ich die Schilder nicht gesehen? So krasse Fahrfehler begeh ich sehr selten – aber wieso hat es mich am Loch Tay erwischt?!

Das lässt mir keine Ruhe, weder die Nacht über noch jetzt. Ich kurbele das Internet an und schaue mir die Stelle, wo mich der Polizist erwischt hat, auf Google Streetview an.

Die Aufnahmen sind nur 6 Wochen alt, und sie erklären, warum ich in den Blitzer gerauscht bin: Erst unmittelbar vor der Stelle, an der der Polizist stand, wird die Geschwindigkeit von 40 auf 20 Meilen reduziert. Das zeigen zwei Schilder links und rechts der Straße. Aber: Eines der Schilder ist um 90 Grad verdreht und aus Fahrtrichtung gar nicht ablesbar, und das andere wird von den tiefhängenden Ästen eines Baumes verdeckt. Gemein!

Ich bin nicht der, der schnell „Abzocke“ schreit – wenn ich Scheiße baue, dann stehe ich auch dazu und bezahle ohne rumzuheulen. Dazu kommt: Ich fahre gerne, ich fahre viele Kilometer in fremden Gebieten, ich fahre auch gerne zügig – da ist schon die statistische Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass es mich mal erwischt. Wenn es passiert, dann fällt es halt unter „Betriebskosten“, wie mein alter Mentor immer sagte. Aber das hier? Das war fies.

Zumal Verkehrsdelikte aus Großbritannien in Europa noch vollstreckt werden – und zwar in erheblichem Umfang. Hier gibt es mit die höchsten Strafen überhaupt, sie bemessen sich am Einkommen. Ich bin ein großer Fan solcher Gesetze, weil es dann auch Leuten vielleicht ein wenig weh tut, die sonst dreistellige Strafzettel aus der Hosentasche zahlen. Aber diese Geschichte gestern… wenn es so gelaufen ist wie ich denke, werde ich dafür ein halbes Monatsgehalt los. Bäh.

Was auch auf Streetview gut zu sehen ist: Der Aufsteller eines Polizisten.

Die lokale Polizei stellt Aufsteller ihrer Beamten an kritischen Stellen auf, und anscheinend stellt sich dann ab und an ein echter Polizeist da hin – selbst Einheimische wissen also nie, ob an der Stelle gerade ein Pappkamerad steht oder doch ein echter Mensch. Ich bin mir echt sicher, das dort gestern ein echter Beamter stand – als ich an ihm vorbeifuhr, senkte er das Gerät und guckte mich an.

Oder?

Oder haben meine Augen nur einen Pappaufsteller mit einem Foto eines Polizisten an der Stelle gesehen, und mein Hirn hat eine Bewegung und nur hinzugedichtet? Man glaubt es ja gar nicht, aber das Hirn füllt permanent Lücken in unserer Wahrnehmung – habe ich mit das am Ende eingebildet?

Meine Laune ist nur so mittel, als ich das Netbook weglege und seufzend aus dem Bett klettere.

Inzwischen sitzt jeder Handgriff, und ich brauche nur wenige Minuten bis alles Geraffel wieder an genau den richtigen Stellen in den Motorradkoffern verstaut ist und ich abreisebereit bin. Aber vor der Abfahrt hätten wir da noch die Kleinigkeit eines Frühstücks zu erledigen.

Wobei „Kleinigkeit“ gar keine passende Beschreibung ist, denn als ich den Frühstücksraum betrete, erwartet mich ein laaaaanges Buffet mit Toast, Saft, Frühstücksflocken, Milch, Konfitüren und allem Duttendeubel. Aber um das Trockenfutter geht es ja nicht. Ich bin ja hier für ein Full Scottish Breakfast.

John stellt eine Schüssel mit dampfendem Porridge, in Milch aufgekochten Haferflocken, vor mich hin. Das sieht eklig aus, schmeckt aber großartig, und als ich damit und mit einigen Pastries (aufgebackenen Blätterteigstückchen) fertig bin, bin ich eigentlich schon zufrieden.

Aber jetzt geht es erst los: John balanciert einen Teller mit einem hier gemachten Würstchen, gebackenen Bohnen, zwei Eiern, zwei Hashbrowns und einem Berg Schinken heran. Oh man, hatte ich gestern abend beim Ausfüllen der Frühstücksbestellung Hunger? Scheint so!

„Brauchst Du sonst nochwas?“, fragt John. Wirklich der perfekte Gastgeber, er hat das Bewirten von Gästen echt im Blut.

„Nur eine Info“, sage ich zwischen zwei Bissen Würstchen, „Woher kommt der Name „Inverardran“? Warum heißt das Haus so?“

John lächelt, das wird er wohl öfter gefragt. „Nun, „In“ bedeutet Flußmündung, und der „Ver“ soviel wie Geröll und der „Dran“ fließt da hinten“, sagt John. Das Haus auf den Steinen an der Mündung des Dran. Ergibt Sinn.

„War das hier schon immer ein Hotel?“, will ich wissen. „Nein“, sagt John, „Das Haus ist über 200 Jahre alt, aber meine Familie hat es erst seit der Generation meiner Großeltern. Als mein Großvater in Rente ging, war der Betrieb, in dem er arbeitete, kurz vor der Pleite. Statt einer Abfindung haben die ihm das firmeneigene Haus angeboten, in dem er lebte – und das war ein guter Deal. Als B&B betreibe ich das seit 1992. So, und jetzt lasse ich dich weiter essen, ich muss mehr Frühstück machen, die nächsten Gäste kommen gleich.“

Als die tatsächlich eintrudeln, habe ich mein Megafrühstück wider Erwarten bis auf einige Schinkenstreifen geschafft und verabschiede mich.
„Komm mal wieder“, sagt John.

Ich furche die Augenbrauen und grummele „Gerne, wenn ich kann… bin gestern gelasert worden, vermutlich bin ich hier nicht mehr so gerne gesehen.“ Dann erzähle ich ihm den Quatsch von gestern. Weil: Er hat gerade Zeit und überhaupt, geteiltes Leid ist halbes Leid und so.

John hört aufmerksam zu. „Hat da einer mit so einem Handlaser gestanden?“, fragt John und hält die Hände vor die Augen. Ich nicke. „Und sie haben dich danach nicht rausgezogen?“ Ich schüttele den Kopf. „Dann haben sie Dich auch nicht erwischt“, sagt er und lächelt. „Wenn sie dich mit dem Handlaser erwischen, dann springt ein paar hundert Meter weiter ein Beamter aus der Hecke und du wirst angehalten und dann werden in einem Bus deine Personalien aufgenommen. Wenn sie Dich nicht angehalten haben, wurdest Du nicht erwischt.“

„ECHT?!“, entfährt es mir. John nickt. Dann haben sie mich nicht erwischt! „THANK GOODNESS!“, rufe ich und freue mich ernsthaft. „John, you made my day!“ John grinst.*
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Reisetagebuch (7): Killerkarnickel

Sommertour mit der V-Strom durch Frankreich, England, Wales und Schottland. Heute: Unbekannte Orte mit coolen Namen, Orte mit bekannten Namen, die niemand kennt, dem Killerkarnickel und Cops.

Freitag, 08. Juli 2022, Bower House Inn, Eskdale, England

„Darf ich mich zu ihnen setzen?“, fragt Martin, der Radfahrer mit dem schlechten Englisch von gestern Abend. Er steht direkt vor dem kleinen Frühstückstisch, an dem ich sitze.

„Nee“, sage ich, meine das auch so und schüttele zur Bekräftigung den Kopf. „Nehmen sie bitte am Nebentisch Platz, wenn es Ihnen nichts ausmacht.“ – ich bin gnadenlos, ich weiß. Aber Covid kann ich echt nicht brauchen, und Martin macht die Abfuhr nichts aus.

Er setzt sich an einen anderen Tisch und beginnt zu reden und hört nicht mehr auf. Wirklich, er hat das Quasselwasser nicht nur getrunken, es fließt geradezu durch seine Adern. Er erzählt davon, das er ja gestern auch über den Hardknott gekommen ist. Hinauf ist er allerdings nicht gefahren, er hat geschoben. Da hätte ich es ja einfacher, mit dem Motorrad, haha. Ja und das Wetter, damit hätten wir ja Glück, sei ja gerade recht gut. Und generell müsse man sich ja freuen, Nordengland sei ja gerade recht hübsch, und er könne es kaum erwarten weiter in den Norden von England zu fahren, nach Glasgow und in die Highlands und so.

Interessant, er benutzt „Nordengland“ wirklich als Synonym für Schottland. Hoffentlich macht er das nicht vor Ort, sonst wird er vermutlich verhauen.

Die Bedienung steckt kurz den Kopf zur Tür des plüschigen Frühstücksraums herein und schüttelt den Kopf – da unterhalten sich zwei Deutsche, sitzen sich gegenüber, aber an verschiedenen Tischen. Ts.

Was macht der nur beruflich?, rätsele ich, während Martin seinen Monolog weiterführt. Alles an ihm schreit „Manager“, aber das liegt vielleicht nur an der trainierten Anzugfigur und dem markanten Kinn, mit dem er aussieht wie Dr. Udo Brömme. Aber das gut formulierte, ausschweifende und umständliche Reden, das leicht Unfokussierte und das Nachdenken darüber, was man sagen möchte, während man schon redet, lässt einen Professor der Hist. Phil vermuten. Vielleicht Politiker? Das lässt mir keine Ruhe, und ich muss nachfragen. Martin gibt bereitwillig Auskunft. Tatsächlich ist er Ingenieur bei der Stadt Köln. OK, DAS hatte ich im Leben nicht gedacht.

„…Naja jedenfalls steht mein Auto jetzt in Rotterdam und ich radele hier so. Alleine. Von meinen Freunden wollte niemand hier nach Nordengland. Die haben gesagt: Nordengland, das ist schlechtes Essen, schlechtes Wetter…“

„…und schlechte Unterkünfte“, ergänze ich und er nickt und ruft „Ganz genau!“.

Genau das hatte ich im Vorfeld und nach einigen Recherchen auch gedacht. Wetter meist mies, Essen eine zerkochte und vitaminlose Zumutung, und über Netz buchbare Unterkünfte sind oft entweder schlecht oder sehr teuer, meist beides. Kein Witz. Ich habe im Februar eine geschlagene Woche gebraucht, um halbwegs bezahlbare Unterkünfte bei Booking.com und Google für diese Tour zu finden.

Dabei habe ich Dinge gesehen… also wirklich, ich wusste nicht, das Booking Bewertungen von 1.0 tatsächlich anzeigt, alles unter 8.0 ist eigentlich schon nicht empfehlenswert. Und die Preise… Sagen wir mal so: Was auf Booking.com in Großbritannien im Mittel als Übernachtungszimmer in einem B&B oder einem kleinen Hotel angeboten wird, ist ein Winzzimmer mit acht Quadratmetern, schimmeligen Fensterrahmen und kaputter Dusche zu einem Preis von 140-180 Euro pro Nacht, Frühstück kostet extra. Für das Geld übernachte ich in Italien vier Mal wie ein König!

Am Ende der Februarrecherche stand die Erkenntnis: Ich muss Tour verkürzen. Eigentlich hätte ich gerne drei Wochen durch England, Wales und Schottland fahren und auch mal ein paar Tage an einem Ort bleiben wollen. Aber das ist schlicht so teuer, das will ich mir nicht leisten. Deshalb bin ich jetzt nur 10 Tage hier unterwegs, und das ist auch der Grund, warum ich quer durchs Land hetze und nirgends länger als eine Nacht bleibe. Ich will möglichst viel sehen, in möglichst kurzer Zeit.

Im Vorfeld hatten mir mehrere Leute gesagt: Mach Dir doch nicht so einen Kopf! Also WIR sind damals ganz spontan losgefahren und haben dann abends einfach in irgendeinem Ort im Pub nach einer Übernachtungsmöglichkeit gefragt und immer irgendwie ein Zimmerchen bei einer netten alten Dame oder so gekriegt!.

Hmja. Stellte sich auf Nachfrage aber raus: „Damals“, das war, je nach Person, in den 90ern oder sogar den 70ern. „Damals“ ist mit heute nicht mehr zu vergleichen, denn seit „damals“ hat der Tourismus stark zugenommen, hat das flächendeckende Pubsterben begonnen und die netten alten Damen mit den kleinen Pensionen sind zu einem guten Teil ebenfalls den Weg alles irdischen gegangen.

Gastfreundliche alte Damen sind kein unbegrenzt nachwachsender Rohstoff, zumal wenn ihre Cottages auf dem Land von den Erben an Fondfinanzierte Investitionsunternehmen verkauft werden, die die Häuschen dann luxussanieren und als Ferienhaus an Stadtleute auf Selbstfindungstrip vermieten. Bei verbliebenen Pubs und Inns ist das ähnlich, wenn sie keinen Nachpächter finden – und das wird immer schwerer – machen sie dicht oder werden an einen Investor verkauft und damit Teil einer Kette. Der erste Inn, in dem ich übernachtet habe, der George Inn in Middle Wallop, das ist auch so einer. Buchbar über die Website eines Londoner Unternehmens, hinter dem eine Holding steckt.

Kurze Rede, langer Sinn: Ohne Reservierung kann es also jetzt, im Juli, schwierig werden eine spontane Übernachtungsmöglichkeit zu finden – die vielen „No Vacancies“-Schilder an den kleinen Hotels in den Orten, durch die ich bislang gefahren bin, sprechen da eine deutliche Sprache.

Perlen wie den Bowers House Inn, in dem ich gerade bin, gibt es aber immer noch, und man findet sie auch über das Netz, wenn man tief genug gräbt. Das hier und auch meine anderen Unterkünfte zu finden und dann alle mit einer Rundtour zu verbinden war aber nicht einfach. Ich habe echt eine ganze Urlaubswoche von morgens bis Abends an Recherche und Routenplanung gesessen, so lange wie noch nie zuvor.

Nach dem Frühstück packe ich zusammen. Draußen hängen Wolken an den Bergen und es regnet Niesel, aber das wird nicht lange so bleiben, zeigt Annas Regenradar.

Trotzdem steige ich in die Regenkombi. So etwas hat Martin nicht, der mit einem Spandexleibchen ins Nasse startet. Er will bis an die Nordküste von Schottland. Bin gespannt ob er das durchzieht. Vielleicht erfahre ich es, wir haben festgestellt, dass wir beide die selbe Fähre zurück nach Europa nehmen werden. Ich winke, als ich vom Hof fahre.

Ich lenke die V-Strom wieder auf die kleine Dorfstraße, auf der wir gestern vom Hardknott Pass gekommen sind, und fahre die weiter in Richtung Küste, weg von den Bergen.
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Reisetagebuch (6): Hölle Hardknott

Sommertour mit der V-Strom durch Frankreich, England, Wales und Schottland. Heute: Die zweitschwierigste Prüfung, die ich je mit einem Motorrad in Angriff nehmen musste.
Donnerstag, 07. Juli 2022, Pub „Y Pengwern“, Ffestiniog, Wales

Tiefe Wolken ziehen über Ffestiniog hinweg. Grau und düster liegt das Bergdorf da. Aber wenigstens regnet es nicht, und mit 15 Grad ist es auch nicht kalt.

Über Nacht hat sich ein zweites Motorrad zur Barocca gesellt. Der Fahrer muss hier aus der Gegend sein, sonst hätte er die Pelerine nicht dabei, die die ganze Maschine verhüllt – das ist zumindest mein erster Gedanke. Aber dann sehe ich das gigantische Schloss mit der schweren Kette, die um das Hinterrad liegt, und die Silhouette eines Koffers. Vielleicht ist das einfach auch nur ein sehr vorsichtiger Motorradreisender, dem sein Ride so wertvoll ist, dass er sogar einen Regenschutz mitschleppt. Ich zucke die Schultern und gehe wieder rein.

Das Frühstücksbuffet im Y Pengwern, dem communitygeführten Pub von Ffestiniog, besteht aus zwei länglichen Plastikkisten auf einem schmucklosen Bürotisch. In den Kisten liegt ein Plastikbeutel Weißbrot. Daneben stehen zwei Toaster, ein Körbchen mit Marmeladenpäckchen, zwei Sorten Saft, einer Packung Cornflakes und mehrere kleine Milchflaschen.

Ich bin nicht der erste beim Frühstück, und leider benehmen sich Briten an Buffets wie Piranhas. Das habe ich schon öfter bemerkt, und auch hier lässt sich dieses Verhalten in freier Wildbahn beobachten: Ein älterer Herr und eine gebeugte kleine Dame wieseln über die Länge des schmucklosen Tisches und Zack, sind alle Toaster auf Minuten belegt, der Orangensaft verschwunden und beide laufen gebeugt, weil sie alle Milchflaschen auf einmal wegschleppen.
Mir egal, ich schnappe mir zwei angenehm labberige Toastscheiben und ein Plastikpäckchen mit Orangenmarmelade und suche mir dann den am weitesten von allen entfernten Tisch aus. Der ist wirklich sehr weit entfernt, denn der Frühstücksraum ist wohl ein umfunktionierter, ehemaliger Dorftanzsaal.

Als ich darauf zusteuere, sieht mich eine ältere Frau mit blondierten Haaren und Perlenkette über die Ränder ihrer Goldbrille an, schüttelt den Kopf und „flüstert“ dann in deutlich hörbar ihrem Begleiter zu: „Das ist einer von diesen Leuten die immer noch diese schrecklichen Maske tragen!“

Ja, das tue ich. Egal wo, wenn ich in geschlossenen Räumen mit anderen Menschen bin, trage ich eine FFP2 oder FFP3-Maske. Ist mir egal, was andere sagen. Ist mir auch egal, dass die Briten mit Ausruf ihres „Freedom-Day“ mitten in der Pandemie diese für beendet erklärt haben.

Von der anderen Seite des Raumes, aus sieben oder acht Metern Entfernung, starrt mich ein grauhaariger Mann Mitte sechzig an. Alter, was stimmt hier mit den Leuten nicht?

Dann räuspert er sich und ruft lautstark, wegen der nicht unerheblichen Entfernung, „Ist das Dein Motorrad da draußen?“

„Die V-Strom, das ist meine“, sage ich. „Meine auch!“ ruft der Mann. Oh, dann steckt unter der Pelerine wohl auch eine V-Strom, und der Mann ist ein Stromtrooper, wie sich die englischsprachigen V-Stromer gerne wegen des großen Forums gleichen Namens nennen.

„Hast Du Deine schon lange?“, ruft der Mann. „Fünf Jahre“, rufe ich zurück. „Und, zufrieden?“ „Ja sicher!“
Der Mann grinst und ruft „Ich bin aus Südwales, wo kommst Du her? Warst Du auch schon woanders in Britannien?“
„Ich komme aus Deutschland“, rufe ich und füge hinzu: „Vor drei Tagen mit einer Fähre mit mehreren Hundert hustenden und niesenden Franzosen hier hergekommen, und seitdem in Südengland und jetzt Wales gewesen.“ Beim der Erwähnung der hustenden Franzosen schaut die Brillendame auf und fängt wieder das Tuscheln an.

„Ich habe mich ja auf meine V-Strom gesetzt und wusste: Das ist meine Maschine!“, ruft der Mann.
„War bei mir auch so!“, sage ich. Sowas höre ich immer wieder. Die V-Strom findet einen, und man weiß sofort: Die ist für mich gemacht.

Ich nehme einen Schluck Kaffee und huste vernehmlich. Die Brillendame zuckt zusammen.
Dann packe ich zusammen und wende mich zum Gehen. „Ride Safe“, verabschiede ich mich und huste nochmal ausgiebig, einfach, weil ich mich verschluckt habe. Die Brillendame guckt, als würde sie sich jetzt eine Maske wünschen.

Die Wolken sind verschwunden, als ich die V-Strom ausparke. Blauer Himmel und Sonnenschein strahlen nun über dem Snowdonia Nationalpark.

Der Nationalpark ist schön anzusehen, mit seinen felsigen Bergen und den grünen Wäldern und Wiesen. Fast wie Schottland. Oder zumindest so, wie ich mir Schottland vorstelle. Echte Vergleichswerte werde ich erst in einigen Tagen haben.


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Reisetagebuch (5): Clarkson´s Farm


Sommertour mit der V-Strom durch Frankreich, England, Wales und Schottland. Heute: Clarksons Farm, die Überwachung der Welt und Humbug im Angebot.

Mittwoch, 06. Juli 2022, The Crown Inn, Frampton Mansell, England
Nach dem langen Tag und den seltsamen falschen Steaks bin ich gestern Abend einfach umgefallen, ins Bett gekracht und früh eingepennt. Nicht mal zum Tagebuchschreiben hat es noch wirklich gereicht, mehr als ein paar Stichworte sind nicht zusammengekommen.

Aber jetzt, um kurz nach Sieben, bin ich ausgeruht und moderat gut drauf. Dieser Inn ist einfach ziemlich gut, das Zimmer ist nicht schlecht, es ist ruhig, und das die Barocca in Sichtweite vor dem Zimmer parkt, ist ein netter Bonus.

Neben dem Gästehaus mit den Übernachtungszimmern liegt ein Anbau mit der Rezeption und einem gediegenen Frühstückssaal.

Hier setzt sich der gute Eindruck fort. Das Personal ist freundlich und extrem schnell und professionell. Dieser Inn wird echt geführt und liefert ab wie ein 4-Sterne-Hotel.

Es gibt ein Full English Breakfast mit gebratenen Tomaten, Toast, gebackenen Bohnen, Black Pudding und einem Würstchen. Hach! Zu Hause frühstücke ich nie, aber unterwegs passe ich mich an. In Südeuropa reicht mir morgens ein Keks und ein Caffé Doppio, aber die britischen Fressorgien von Arterienverstopfendem Unfug mache ich genauso mit.

Ich zahle mit der Kreditkarte, dann geht es gestärkt und mit ziemlich guter Laune hinaus auf die Landstraße, die zwischen grünen Wiesen und Weiden hindurchführt.

Das hier sind die Cotswolds, einem der „Area of Outstanding Natural Beauty“. Mit dieser Bezeichnung, die auf Landkarten tatsächlich mit „AONB“ zu finden ist, werden in Großbritannien Landstriche gekennzeichnet, die „einen besonderen Wert haben“ – der kann kulturell oder historisch sein, er kann mit Naturschutz zusammenhängen, oder weil einfach mal jemand gesagt hat: „Ach, ist das schön hier“.

Letzteres ist ein beliebter Kniff von alteingesessenen Landbesitzern, um neue Bebauung in ihrer Nähe zu verhindern. Erstaunlich viele AONB finden sich in Gegenden, in denen reiche Landbesitzer und Lords ihre Ländereien haben. Anders als echte Naturreservate unterliegen AONBs aber keiner gemeingültigen Gesetzgebung, stattdessen entscheiden local oder special councils darüber, ob und was gebaut werden darf. Diese councils werden aber nicht demokratisch gewählt, sondern von einer Kommune ernannt, und oft genug sitzen da dann reiche Landbesitzer, die auf Gutsherrenart ganze Landstriche kontrollieren. Auch wenn die councils nicht demokratisch gewählt sind, nenne ich die im Folgenden der Einfachheit halber „Ortsrat“.

Die Gegend ist geprägt von Hügeln und Feldern und viel Grün, aber auch von Häusern und Mauern aus cremefarbenem Naturstein.

Die Cotswolds liegen 120 Kilometer nordwestlich von London und nur 30 Kilometer hinter Oxford. Mit dem Auto ist man von London in zwei Stunden angereist, aber viele der begüterten Anwohner, die unter der Woche in ihren Stadtwohnungen leben oder in der Welt unterwegs sind, steigen am Wochenende in ihr Privatflugzeug und sind binnen einer halben Stunde hier. Das ist der Grund für die vielen, kleinen Sportflugplätze in den Cotswolds.

Das es hier geradezu brechreizerregend schön und London recht nahe ist, auch der Grund, warum so viele Prominente hierher gezogen sind. Sting, Stella McCartney, Lily Allen, Patrick Stewart, die Beckhams, Hugh Grant, Damien Hirst, JK Rowling und andere Celebrities haben hier Anwesen. Zwei Dörfer weiter, in Little Faringdon, wohnt Kate Moss in einem 10-Schlafzimmer-Anwesen. Im Dorf Stow-on-the-Wold, durch das ich in diesem Moment fahre, leben Kate Winslet und Ehemann Sam Mendes. Im 20 Minuten entfernten Cirencster verkauft Elizabeth Hurley selbstgezogenes Biogemüse auf dem Markt, und selbstredend haben auch die Royals hier Anwesen, Princess Anne lebt hier sogar ständig.

Einer der ungeliebtesten Bewohner der Cotswolds ist Jeremy Clarkson. Das ist der bekannte TV-Mensch und Kolumnenschreiber, der erst „Top Gear“ und später „The Grand Tour“ gemacht hat. Heute moderiert er die englische Ausgabe von „Wer wird Millionär“ und schreibt Kolumnen für die Sun und die Sunday Times. Weiterlesen

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Reisetagebuch (4): Esel!

Sommertour mit der V-Strom durch Frankreich, England, Wales und Schottland. Heute: Esel und gefälschte Steaks.


Dienstag, 05. Juli 2022, The George Inn, Middle Wallopp

Schon wieder schrecke ich aus einem unruhigen Schlaf. Die halbe Nacht hat sich einer der Teilnehmer der Junggesellenparty im Zimmer nebenan lautstark übergeben, und ich selbst habe Kopfschmerzen – und einen rauen Hals. Stöhnend schwinge ich die Füße aus dem Bett und stehe gleich erst einmal mit einem Fuß in einem der Motorradkoffer. Britische Gastzimmer sind wirklich klein.

Wo er schon mal da ist, kann der Fuß auch in dem Koffer herumwühlen. Ich kann mit den Zehen greifen und Socken und sogar Bleistifte vom Boden aufheben, vergesse aber immer das Fremdwort für diese Fähigkeit. Polydaktyl? Vermutlich nicht.

Nach einigem Tasten fördert der Fuß den Beutel mit den COVID-Testkits Zu Tage. Es ist Jahr drei der Pandemie, und ein Vorrat mit Masken und Tests sind aus dem Reisegepäck nicht mehr wegzudenken.

Ich prokele mit dem Wattestäbchen in der Nase rum, quetsche das Sputum in die Testflüssigkeit, schraube den Tropfer auf und beträufele den Teststreifen, dann wanke ich ins Bad.

Als ich frisch geduscht bin, ist das Testergebnis fertig. Negativ. Sehr gut. Das fehlte jetzt noch, das ich im Urlaub krank werde. Dafür habe ich nämlich keinen Plan B. Ich wüsste nicht mal, welchen Behörden ich hier Bescheid sagen müsste.

Im Gastraum bin ich noch allein, der Junggesellenabschied schläft wohl etwas länger.

Schnell entdecke ich, warum das Frühstück bei meinem Zimmer inklusive und „ohne Aufpreis“ ist: Es ist ein kontinentales Frühstück, oder zumindest eine kontinentales-Frühstück-Requisite: Auf einem Teller liegen drei vertrocknete Käsescheiben und zwei mumifiziert wirkende Scheiben Wurst, daneben ein Beutelchen mit Konfitüre. Die Leute vom Inn stellen das immer immer hier hin, mutmaße ich, damit die Gäste dann einen Blick drauf werfen und sagen: „Ach nee, lass mal, bring mal lieber ein richtiges, englisches Frühstück, Aufpreis hin oder her!“

Das mache ich aber nicht. Englisches Frühstück würde hier 16 Pfund kosten, das sind in echtem Geld 20 Euro (oder 40 DMark oder 80 Ostmark). Dafür, dass ich normalerweise gar nicht frühstücke, ist mir das ein Bißchen zu viel.

Die ersten Teilnehmer des Junggesellenabschieds kommen die Treppe heruntergewankt. Alle tragen schwarze Hosen und weiße Hemden und Sonnenbrillen und einen Gesichtsausdruck, der deutlich sagt: „Aua“.

Der Küchenmann bringt den Junggesellen das ordentliche Frühstück, mit Würstchen, Eiern, dicken Bohnen, Black Pudding und wer weiß was noch. Alles trieft vor Fett und riecht sehr intensiv. Die Teller stehen noch nicht ganz auf dem Tisch, als einer der jungen Männer aufspringt, die Hände vor den Mund presst und nach draußen rennt.

Ich mümmele meinen Toast zu Ende und leere die Kaffeetasse, dann bugsiere ich die Motorradkoffer aus dem kleinen Zimmer und die enge Treppe hinab. Die Holzenten mit den Sinnsprüchen gucken mir dabei zu.

Auf den Parkplatz steht die V-Strom in der sommerlichen Morgensonne. „Na, die erste Nacht auf britischem Boden gut überstanden?“ murmele ich, als ich das Gepäck befestige.

Dann geht es los. Ich erinnere mich sofort daran, dass ich links fahren muss und biege vom Parkplatz des Inns auf eine belebte Landstraße ein. Die erste Mission heute: Bargeld besorgen. Plastikgeld wird eigentlich überall genommen, aber wenn es mal nicht funktioniert, ist Bargeld der Plan B. Ich habe gerne immer genug Bargeld dabei für eine Übernachtung und eine Tankfüllung. Man weiß ja nie.

Im Vorfeld hatte ich mal auf Google Maps geschaut und eine Tankstelle gefunden, die nur wenige Kilometer entfernt ist und in der ein kleiner Supermarkt ist, in dem es angeblich auch ein ATM gibt. Leider weiß von diesem Geldautomaten nur das Internet, die Angestellten haben in dem Laden noch nie einen ATM gesehen. Kein Problem, denke ich noch, während ich die Suzuki wieder auf die Straße lenke, dann halte ich halte an der nächsten Bank und ziehe da etwas britisches Spielgeld.

Erstmal steuere ich das Motorrad aber auf die Schnellstraße A303, und nach wenigen Minuten taucht in den grünen Hügeln neben der Straße ganz kurz eine bekannte Struktur auf.

Na? Wer erkennt´s? Genau, das ist…
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Reisetagebuch (3): If friends were flowers, I‘d pick you

Motorradtour mit der V-Strom durch Frankreich, England, Wales und Schottland. Heute geht es auf´s Schiff.

Montag, 05. Juli 2022, Pension „Bonjour“, Saint-Pierre-de-Plesguen, Bretagne
In diesem seltsamen Dachzimmer in dem winzigen Haus ohne richtige Treppe oder Türen kann man wirklich jedes Geräusch hören. Ich höre z.B. Jeffs Schnarchen. Er liegt in der mittleren Etage, in einem winzigen Schlafzimmer mit einer Falttür, aber es ist, als würde er in der anderen Zimmerecke vor sich hinschnorcheln.

Gut, Ohrenstöpsel helfen, aber die Nacht bleibt unruhig, und um kurz nach Sieben schiebe ich meine Koffer schon wieder durch die enge Lücke zwischen Kamin und Holzbalken hindurch und quetsche mich die hüftenge und steile Wendeltreppe hinab. Ist wirklich wie in einem Kaninchenbau hier. Ich bin eine kleine und bewegliche Person, aber das hier ist so eng, das ist selbst mir unangenehm.

Im Erdgeschoß, wo der Coiffeursalon/Das Wohnzimmer mit der Küchenecke liegt, werkeln Jeff und Caterine bereits herum. Jeff macht sich fertig für die Arbeit, drückt Caterine einen Kuss auf und ist verschwunden.

Ich greife mir meine Koffer und schicke mich ebenfalls an, das Haus zu verlassen. Innerlich graut mir vor der Strecke zum Motorrad. Das sind zwar nur 200 Meter, aber meine Fersen bringen mich jetzt schon um, trotz der Blasenpflaster. Die tiefen Blasen, die ich mir gestern gelaufen habe, sorgen dafür, dass jeder Schritt in den Motorradstiefeln schmerzt, beim Kofferschleppen noch mehr.

Aber da kommt Caterine unerwartet zur Hilfe. „Ich helfe Dir“, sagt sie unvermittelt uns schnappt sich einen Koffer, das Topcase und den Rucksack und marschiert fröhlich neben mir her. Respekt, die kleine Damen schleppt gerade ohne mit der Wimper zu zucken dreißig Kilo herum und stellt sie nach kurzem Fußweg ohne Murren neben die Barocca.

„Danke, auf Wiedersehen und viel Glück mit der kleinen Pension“, sage ich. „Ich versuche mich gerade als Coiffeuse“, sagt Caterine. „Damit auch viel Glück!“ „Danke“, sagt sie und winkt zum Abschied.

Es ist kühl, und die V-Strom trieft vom Tau des Morgens.


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Reisetagebuch (2): Blut am Mont Saint Michel

Sommertour mit der V-Strom durch Frankreich, England, Wales und Schottland. Heute scheitere ich am Tagesziel, muss Viecher jagen und es fließt Blut.

Sonntag, 03. Juli 2022
Ich schlafe und träume von der Arbeit und schlafe weiter und als ich aufwache, ist es erst kurz vor fünf. Ich weiß sofort, wo ich bin. Auf der Domaine de Regnoval, einem großen Bauernhof, 60 Kilometern nördlich von Paris. Ich drehe mich nochmal um und mache die Augen zu. Im Halbschlaf wabert eine tiefe Zufriedenheit mit, weil ich weiß, dass das hier echt ist. Das ich unterwegs bin. Unterwegs mit dem Motorrad. Dann döse ich noch einmal weg.

Im Halbschlaf bekomme ich mit, wie es um kurz nach sechs in der Küche im Erdgeschoß anfängt zu rumoren. Geschirr klirrt, Besteck klappert, Dampf schorchelt, ein Toaster plonkt, irgend etwas bruzzelt. Es hört sich an als würde eine Großküche in Betrieb genommen. Was es da nachher wohl Schönes gibt?

Einheinhalb Stunden klappert und bruzzelt und dampft es da unten, und um halb acht beschließe ich, mir all die Leckereien anzusehen. Hungrig bin ich auf jeden Fall. Bei der Abfahrt gestern Morgen war es zu früh für Frühstück, dann habe ich mir den Tag über wegen der weiten Strecke keine Zeit für eine Pause genommen, und um Abendessen zu fahren war ich dann zu müde. Die letzte Mahlzeit war also… vorgestern? So ist das, wenn ich unterwegs bin. Dann ist sowas wie Hunger Nebensache.

Aber jetzt bin ich erholt, so ausgeruht, wie man es nach 10 Stunden Schlaf nur sein kann, und bereit für all die Köstlichkeiten, die in den letzten eineinhalb Stunden im Erdgeschoss angerichtet wurden.

Als ich die Treppe zu der kleinen Küche, die gleichzeitig Frühstücksraum ist, hinabsteige, sieht mich eine blonde Mitfünfzigerin an. Sie sagt aber nichts. Sie guckt mich nur an. „Bonjour Madame, je m´appelle Silencer“, sage ich.

Sie sieht mich zweifelnd an und zieht die Nase kraus, sagt aber immer noch nichts. Geht das schon wieder los? Das ist ja genauso schlimmes Kommunikationsverhalten wie gestern mit dem Bartmann.

„Aaaaaa-ah. Petit Dejeuener?“, spreche ich etwas hölzern das Offensichtliche aus, einfach um die Stille zu überbrücken, und deute auf einen Tisch. Offensichtlich hat sie aber immer noch kein Wort verstanden.

„Zimmer 1?“ fragt sie dann auf französisch. Ich nicke. Sie geleitet mich an einen kleinen Ecktisch und zieht ein Deckchen von einem Körbchen. Darin liegen zwei Croissant. Dazu gibt es zwei Sorten Konfitüre. Das war es. Ich beklage mich nicht, zusammen mit dem großen Kaffee reicht mir das hier völlig, aber was zum Geier hat sie hier die letzten eineinhalb Stunden geklappert, gebrutzelt und getoastet?

Die beiden Croissants zu verputzen und die Schale Kaffee zu vernichten dauert keine 5 Minuten, aber in mir ist der sportliche Ehrgeiz geweckt, ob ich nicht doch ein Gespräch in Gang bekomme. Man lernt unterwegs nur etwas, wenn man sich mit Menschen unterhält.

„Hmm, die Konfitüre ist lecker, selbstgemacht?“, frage ich und deute auf die Glastöpfchen mit den schiefen, selbstgedruckt aussehenden Aufklebern. „Qwo?“ sagt die Frau. „Die Konfitüre ist SEHR GUT, haben sie die gemacht?“, sage ich. Die Frau wackelt mir dem Kopf und sagt „Cmt? Vopouv´ l´acheter n´supermarché“ Wieso? Die kann man im Supermarkt kaufen. Aha.

„Ist ein wenig kühl heute morgen, was?“, sage ich mit Blick auf die 9 Grad auf dem Thermometer. „Hä?“, macht die Frau. „Ein wenig kalt!“, sage ich, deute aus dem Fenster und mache die universellen „kalt hier“ Armbewegungen. „Le Chambre ouke vouls-di?“, sagt die Frau und stiert mich an. „Nein, nicht im Zimmer“, sage ich. „Das Zimmer war bestens. Draußen. Draußen ist es kalt.“

„Ou“, sagt sie, wo. Ich deute nochmal aus dem Fenster, wo der Tau dick und weiß auf der Wiese liegt.
„Ach“, sagt sie. „´coup Pluie sem´dern´“, was wohl so viel heißt wie „Letzte Woche viel Regen“. Und damit ist das Gespräch von ihrer Seite vorbei, und ich stehe auf und hole mein Gepäck. „Au Revoir!“, ruft die Frau, und das verstehe ich wenigstens.

Ich trage die Koffer zum Motorrad. Ja, kühl ist es, aber der Tag wird sonnig und warm werden. Tau liegt auch auf der Sitzbank und glitzert im Sonnenlicht.

Über Felder und Dörfer geht es. Das ist nicht spannend, aber ich habe trotzdem total gute Laune. Wind im Gesicht! Sonne im Rücken! Ich bin raus aus dem Alltag und unterwegs und schon 1.000 Kilometer weg von zu Haus!

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Reisetagebuch Motorradtour (1): Ein Rückspiegel voller Himmel

Sommertour mit der V-Strom durch Frankreich, England, Wales und Schottland. Heute geht es los, allerdings läuft da was nicht ganz rund bzw. heiß, und es gibt Scht´is.

Sonntag, 03. Juli 2022
Ich schlafe und träume von der Arbeit und schlafe weiter und als ich aufwache, ist es erst kurz vor fünf. Ich weiß sofort, wo ich bin. Auf der Domaine de Regnoval, einem großen Bauernhof, 60 Kilometern nördlich von Paris. Ich drehe mich nochmal um und mache die Augen zu. Im Halbschlaf wabert eine tiefe Zufriedenheit mit, weil ich weiß, dass das hier echt ist. Das ich unterwegs bin. Unterwegs mit dem Motorrad. Dabei war der Start gestern morgen alles andere als rund…


Am Vortrag: Samstag, 02. Juli 2022

Sind sie jemals so erschöpft gewesen, dass sie vor Müdigkeit nicht mehr schlafen konnten?
Ich schon.
Jetzt gerade.

Die letzten Wochen waren hart – die Sommerwelle der Pandemie und die Urlaubsvertretung für Kollegen haben dafür gesorgt, dass die gleiche Arbeit auf immer weniger Schultern lastete. An zwei dieser Schultern baumeln meine dürren Pandemieärmchen. Das ist jetzt das dritte Jahr, in dem COVID eine ständige Begleitung ist, und mit ihm das tragen von Masken, Homeoffice der Mitarbeitenden, weniger direkte soziale Interaktion und allgemein weniger Unternehmungen und generelle Vorsicht. Bislang habe ich mir Corona nicht eingefangen, und ich will es auch jetzt nicht drauf anlegen. Aber trotzdem muss ich jetzt mal raus. Auch wenn ich noch so gar nicht in Reiselaune bin. Das gepackte Motorrad spricht aber eine deutliche Sprache:

Egal.
Los jetzt.

Der Helm meldet Einsatzbereitschaft, und auch der Patch an der Airbagweste gibt grünes Licht.

Ein Druck auf den Starter, und der V-Twin der Barocca, meiner nachtschwarzen V-Strom 650, erwacht zum Leben und pöttert etwas ruckelig in der Morgenluft. Der etwas rappelige Lauf ist normal, das legt sich, wenn sie warm ist. „Temperatur: 15 Grad. Reifendruck: OK. Distanz: 760 Kilometer. Auf ihrer Route werden keine Verzögerungen gemeldet.“, höre ich eine Stimme im Helm. Ich bin immer allein unterwegs, deshalb die vielen technischen Helferlein. Technik hilft. Oft.
„Danke, Anna“, sage ich zu mir selbst und zum Garmin Zumo und gebe Gas.

Es ist der 02. Juli 2022, kurz nach 06:00 Uhr morgens. Es ist sommerlich warm, und die Sonne schiebt sich gerade über den Berg, in dessen Schatten Mumpfelhausen liegt.
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5.679

So, ich wäre dann auch mal wieder im Lande. Mit der Barocca, der 650er V-Strom, ging es Mitte September über die Alpen bis nach Livorno, von dort mit dem Schiff nach Sardinien, dann über Provence und Carmargue und die Vogesen wieder zurück. 5.679 Kilometer waren das am Ende, an 21 Tagen an der frischen Luft.

Interessanterweise war das die zweite, lange Motorradtour in diesem Jahr. Dieses Mal war der Plan: Rumlungern. Nach der atemlosen Tour durch das Unvereinigte Königreich im Juli wollte ich nun vor allem eines: Ruhe haben. Nicht jeden Tag stundenlang im Sattel sitzen oder pausenlos Dinge angucken, sondern einfach nur doof am Strand rumliegen oder lesen oder eine Wand anstarren. Rumlungern, eben.

Deshalb sollte es auch kein Reisetagebuch dazu geben – was sollte da im Erfolgsfalle auch drin stehen außer „Geschlafen. Gegessen. Rumgelungert.“

Nun, der Plan mit dem Rumlungern hat auch tatsächlich funktioniert, aber zwischendurch war ich doch ein wenig unterwegs…

…und habe doch das ein oder andere erlebt, was sich aufzuschreiben lohnt. Die alte Troposcatter-Station auf dem Monte Limbara, zum Beispiel, ist jetzt bis in den letzten Winkel erkundet.

Die V-Strom geht jetzt erst noch einmal in die Werkstatt – das Dritte Mal in diesem Jahr, dieses Mal für neue Reifen. Nach 12.000 km, davon zwei Drittel auf Autobahnen, waren die einfach eckig gefahren. Übrigens hat die Maschine wieder alles klaglos mitgemacht, es gab keine Panne, kein Stottern, obwohl die Kiste jetzt 95.000 km runter hat. Zuverlässigkeit, dein Name ist V-Strom.

Auch andere Dinge müssen überholt werden – es ist ganz erstaunlich, was ein kleines Steinchen anrichten kann, wenn es nur mit genug Geschwindigkeit in das Visier eines Motorradhelms einschlägt.

Ich mache mich jetzt mal daran von beiden Touren, UK und Sardinien, das Material zu sichten und daraus das Tagebuch zusammenzukleben. Was ich an der Universität Cagliari getrieben habe, wieso Herr Kachelmann sich schon Sorgen macht, wenn ich unterwegs bin, wieso Frankreich zum Mad-Max-mäßigen Albtraum wurde, warum ich GS-Fahrer Mitte 60 schwierig finde und mit welcher interessanten wie liebenswürdigen Motorradbloggerin ich schöne Abende verlebt habe – das gibt es dann demnächst, hier im Blog.

(Kein Selfie, hier hat das Motorrad mich fotografiert.)

2022: 6.338
2021: 7.306
2020: 5.575
2019: 8.124
2018: 6.737
2017: 5.908
2016: 6.605
2015: 5.479
2014: 7.187
2013: 6.853
2012: 4.557

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6.338

So, ich wäre dann auch mal wieder im Lande. Zwei Wochen war ich mit der Barocca, der 650er V-Strom, unterwegs. Erst quer durch halb Frankreich, dann ging es von Südengland über Wales bis in die schottischen Highlands und danach über die Niederlande wieder zurück.

In den zwei Wochen habe ich kaum etwas anderes gemacht als im Sattel zu sitzen. Früh aufstehen, vor allen anderen frühstücken, rauf auf´s Motorrad, vierhundert bis fünfhundert Kilometer fahren, gut zu Abend essen, schlafen, rinse and repeat.

Sechstausendreihundertachtunddreißzigkommazwei Kilometer sind dabei zusammengekommen, und die ganze Tour war wunderbar ereignisarm: Keine Panne, kein Unfall und – so wie es bislang aussieht – kein Corona. Aber gut, ich war auch der einzige, der immer mit Maske unterwegs war – egal ob in Unterbringungen oder beim Einkaufen oder auf den Fähren, kaum jemand trug noch eine Maske oder hielt Abstand.

Ansonsten habe ich sicher super viel von dem verpasst, was sich noch alles angeboten hätte – allein die ganzen Museen, an denen ich einfach vorbeigefahren bin, oder die tolle Landschaft, in der man sicher Wochen mit Wandern und Kontemplation verbringen kann. Tatsächlich hatte ich ursprünglich sogar drei Wochen geplant, um hier und da eben mal zu pausieren, Dinge anzugucken und mir einfach Zeit zu nehmen. Daraus wurde am Ende nichts, weil Großbritannien einfach unfassbar teuer ist. Selbst runtergekommene 8-Quadratmeter-Zimmerchen mit Schimmel in der Dusche kosten gerne mal dreistellige Eurobeträge, und zelten wollte ich dann doch nicht. Nach einem Tag im Regen ist es einfach nett, eine warme Dusche und ein echtes Bett zu haben.

Dabei war das Wetter wider erwarten gar nicht regnerisch. Ein wenig Sprühregen hier und da, aber meist war es trocken.

Schwieriger war da schon der Orkan, der an zwei Tagen tobte, und an einem davon ging es über den Hardknott-Pass. Dieses Abenteuer möchte ich nicht empfehlen, denn die Passstraße ist zwei Meter breit, besteht nur aus Asphaltflicken oder Hubbeln und Schlaglöchern, hat eine Steigung von über dreißig Grad, mehrere Haarnadelkurven die nach außen auch noch abfallen UND von oben kann jederzeit Gegenverkehr kommen.

Gibt mehr als genug Videos von Moppeds, die dort um- oder den Berg gleich runterfallen, und von Autos die dort über der Klippe hängen oder mit durchdrehenden Reifen an der Steigung stehen und nicht vorankommen. Das habe ich natürlich erst gemerkt nachdem ich da hoch geeiert bin und dabei Blut und Wasser geschwitzt habe. Wirklich, der Hardknott ist kein ungefährliches Vergnügen. Wenn man da hochfährt, sollte man Erfahrung haben und das mit einem kleinen und leichten Motorrad tun, das man sicher auch am Berg halten kann. Was man NICHT versuchen sollte: Dort bei Sturm mit einer vollbeladenen Maschine hochzufahren, die einen längeren Radstand hat als eine 1250er GS Adventure und bei der ein gewisser Fahrer maximal mit den Fußballen auf den Boden kommt, weil er einfach zu kurze Beine hat.

Aber die Barocca hat all das klaglos gemeistert. Ms. Zuverlässig hat uns über die Berge und Täler und Autobahnen und sonstwas gebracht, ohne Murren, und Zickerei, ohne einen Defekt. Lediglich die Spitze vom Kettenöler ist abhanden gekommen, aber das passiert halt ab und an. Nun bekommt die DL650 erstmal einen feinen Ölwechsel und etwas Liebe in Form einer 90.000er Inspektion mit Ventilspieleinstellung, bevor es dann im Herbst hoffentlich noch einmal auf Tour geht.

Ein kleiner Wermutstropfen: Ich habe ein Talent dafür, dass kurz vor dem Ende von etwas, auf die letzten Meter sozusagen, noch etwas schiefgeht. Genau sowas ist auch jetzt passiert: Komme nach Hause, stelle das Motorrad ab, will mit dem Auto einkaufen fahren – BAMM rammelt mir an der ersten Kreuzung hinten einer rein. Mal schauen, vielleicht ist dass jetzt das Ende des Kleinen Gelben AutosTM. So stellt man sich den letzten Urlaubstag nicht vor.

Aber nun, immerhin ist das nicht mit dem Motorrad passiert – man erinnere sich, meine allererste Reise mit der Barocca (als sie noch nicht so hieß) endete ja damit, das ihr nach dem ersten Tankstopp ein unaufmerksamer Autofahrer das Heck zerdetschte und uns in den einen Kreisverkehr katapultierte.

Von daher bin ich froh und dankbar wieder gesund hier zu sein. Etwas ausführlicher erzähle ich dann von der FraEnWaScot-Tour im Reisetagebuch, irgendwann im Spätherbst. Da geht es dann um Erfahrungen mit echten Scht´is, was auf Clarksons Farm so los ist, wie Skyfall in echt wirkt, wo der Doktor das Vieh liebte, wie die Queen urlaubt, wie teuer es wird wenn man sich blitzen lässt, warum ich jetzt mutmaßlich ein End-to-Ender bin und warum Esel ein wichtiger Grund für diese Fahrt waren.

2021: 7.306
2020: 5.575
2019: 8.124
2018: 6.737
2017: 5.908
2016: 6.605
2015: 5.479
2014: 7.187
2013: 6.853
2012: 4.557

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Reisetagebuch: Motorradherbst 2021 in 3:48 Minuten

Das war die Motorradtour nach und durch Griechenland im Herbst 2021. Irgendwie immer noch im Schatten der Pandemie, aber da ich so viel allein unterwegs war, und das in einsamen Gegenden, ist mir das gar nicht so aufgefallen.

Hier eine Übersicht aller Tagebucheinträge.

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Reisetagebuch Griechenland (21): Eingefroren

Tagebuch einer Motorradtour im Herbst 2021. Heute: Tag 27 mit dem Ende.
Freitag, 15. Oktober 2022, Tarvisio

Ich wache auf, als der Kirchturm neben meinem Zimmerfenster anfängt loszudöngeln. Die Nacht über war der zum Glück ausgeschaltet, aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund beginnen die christlichen Taliban zur schrägen Uhrzeit von 06:20 Uhr mit ihrem akustischen Terror.

Egal, ich habe eh´ schlecht geschlafen. Ich bin gefühlt ständig aufgewacht, einfach weil mir kalt war – obwohl ich in Fleecejacke und der langen Motorradunterwäsche geschlafen habe. „Zimmer wird gleich warm“, jaja, von wegen.

Ich schwinge die Beine aus dem Bett und merke sofort, wie kalt es im Zimmer ist. Knapp zweistellige Temperatur, zehn Grad vielleicht, mehr wird es nicht sein.

Eine Katzenwäsche später habe ich schon die Motorradklamotten an und merke die Kälte nicht mehr. Als ich aus der Zimmertür trete, laufe ich in eine Wand warmer Luft. In den Gängen funktionieren die Heizungen offensichtlich, und das Haus ist gut eingeheizt. Ich hätte bei offener Tür schlafen sollen!

Ich trage die Koffer über drei Etagen hinunter zum Parkplatz, vorbei an einem gemütliche Lesezimmer und einer Sauna und einem Pool, beides im zweiten Untergeschoss. In diesem Hotel einzuschneien muss die pure Wonne sein. Lange dauert es auch nicht mehr bis zum ersten Schneefall. Weiter oben sind die Berggipfel schon weiß, und für morgen ist auch für die Höhenlage von Tarvisio Schnee angesagt. Wie gut, das der nicht heute Nacht gefallen ist, dann hätte ich jetzt ein echtes Problem.

Das Glückspilzgefühl lässt abrupt nach, als ich die schwere Tür zum Parkplatz aufstemme und mir ein Schwall kalter Luft entgegenfaucht. Die Kälte fühlt sich im Gesicht wie Eisnadeln an. Ich gehe zum Motorrad und kriege den Mund nicht mehr zu. Die ganze V-Strom ist übergefroren!

Sattel, Satteltasche, Windschild… sogar auf den Instrumenten hat sich eine Eisschicht gebildet.

Anscheinend ist erst überall Luftfeuchtigkeit kondensiert, dann übergeforen. Minus 4 Grad sind es jetzt, d.h. die Temperatur ist in der Nacht um fast zehn Grad gefallen!

Schiet. Nicht, dass ich nicht mit einer solchen Möglichkeit gerechnet hätte – der Parkplatz hat ein leichtes Gefälle, und ich habe die Maschine gestern Abend extra genau so geparkt, dass ich sie anlaufen lassen kann, sollte es arg kalt werden und sie nicht anspringen wollen oder sogar wieder KLONK machen. Aber das es friert war ein unwahrscheinliches Worst-Case-Szenario, und das es tatsächlich eingetreten ist, schockt mich gerade ein wenig. Schnee wäre übrigens der GAU gewesen.
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Reisetagebuch Griechenland (20): Alte Bekannte

Tagebuch einer kleinen Motorradtour bis nach Griechenland. Heute mit alten Bekannten auf der Heimreise durch Italien.
Mittwoch, 13. Oktober 2022, Fähre Florencia, mitten in der Ägäis

Ich träume.
Seltsame Träume.

Kurz aufwachen, umdrehen, wieder einschlafen, weiterträumen.

Einige Zeit später bin ich wach. Nicht, weil mich etwas geweckt hätte, sondern weil mir der Schlaf ausgegangen ist und sich freundlich verabschiedet hat. Ich bin einfach ausgeruht und deswegen aufgewacht. Fühlt sich gut an.

Wie spät mag es wohl sein? Die Kabine hat kein Fenster, und außer einem schmalen Spalt Kunstlicht, das durch den Türrahmen fällt, ist es dunkel. Ich sehe auf die Uhr. Viertel nach Neun erst! Naja, eigentlich Viertel nach Zehn. Immerhin habe ich eine Zeitzone gequert, die Uhr ist eine Stunde zurückgesprungen.

Zehn Stunden geschlafen. Meine Güte, ich muss müde gewesen sein. Und die Träume haben sich nicht um die Arbeit gedreht oder um Arbeitskollegen. Das ist gut. Jetzt, nach mehr als drei Wochen, habe ich die Arbeit endlich aus dem Kopf.

Ich bleibe noch etwas in der Koje liegen und lese. Ganz traditionell eReader. Wifi gibt es auf dem Schiff nicht, alles ist offline.

Irgendwann stehe ich auf und laufe kurz durch das Schiff. Die Florencia gleitet durch eine recht ruhige See, aber es ist kühl und die Aussicht uninteressant.

Ich kann die Küste nicht ausmachen und weiß nicht, wo wir sind. Egal.

Lesen. Warten.

Ich hole mir einen kleinen Kaffee, für den satte 4 Euro veranschlagt werden, fülle den Becher in der Kabine aber zwei Mal mit Instantkaffee und kaltem Wasser wieder auf.

Lesen. Warten.

Gegen Mittag verzehre ich die zweite der Fertigmahlzeiten. Zum Rausgehen habe ich nach wie vor keine große Lust.

Die Florencia rollt etwas.

Lesen. Warten.

Ich gehe doch mal kurz raus. Jetzt kann ich die Küstenlinie sehen und weiß sofort, wo wir sind.

Das ist das Profil des Gran Sasso Gebirges: wir sind also schon auf der Höhe der Abruzzen, jetzt ist es nicht mehr weit bis Ancona.

Lesen. Warten.
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Kategorien: Motorrad, Reisen | 6 Kommentare

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