Reisetagebuch London 2017 (7): Verwunschenes Grün
Durch ein literarisches Stilmittel machten Silencer und das Wiesel einen Zeitsprung von London im Februar 2016 in den Februar 2017. Heute wird Klein-Venedig besucht, verwunschene Ecken entdeckt und Bridget Christie sagt über den Brexit: “Ihr habt das so gewollt”. Außerdem: Pinguine! Kängurus! Und Babyflußpferde!!!
Montag, 06. Februar 2017, London
Aua-Aua-Aua was ist DAS denn?
Meine Füße tun weh! Als ich sie aus dem Bett schwinge und in Kontakt mit dem Teppich komme, brennt es an den Fußsohlen – ich kann kaum auftreten. Ein Blick auf die Unterseite der Füße verrät was hier los ist: Ich habe an beiden Fußballen riesige Blasen. So riesig, das beide schon aufgegangen sind. Igitt.
Ich weiß auch woher das kommt. Ich habe gestern 8 Stunden in überheizten Zügen gesessen, die Füße die ganze Zeit in geschlossenen Schuhen. Sicherlich waren dann die Socken zumindest leicht feucht, und die Haut an den Füßen dadurch ganz weich.
Und was mache ich Depp? Anstatt bei meiner Ankunft im Hotel mal die Schuhe auszuziehen oder die Socken zu wechseln bin ich dann direkt fast 20 Kilometer durch das nächtliche London spaziert. Klar, dass ich mir dabei den Fußballen in Fetzen gelaufen habe.
So ein Mist. Ich krame im Rucksack nach der roten Tasche mit der Reiseapotheke. Darin sind Blasenpflaster. Habe ich bislang selten gebraucht, aber immer dabei. Ich puhle die Folie ab und lege sie über die offenen Stellen. Sofort verbindet sich das Pflaster mit der Haut und wird fast unsichtbar. Es versiegelt die Blase nicht nur, sondern wird auch die Heilung unterstützen.
Eigentlich ist es kein richtiges Pflaster, sondern eine dicke, labberige, klebrige Folie, die mit einem Gel gefüllt ist. Das Gel besteht zum Großteil aus Wasser, ist luftdurchlässig und fast unsichtbar:
Die Stellen mit den Blasen ist jetzt geschützt und belastbar. Nach ein paar Tagen wird das Pflaster weiß werden und abfallen, vielleicht wird dann schon alles verheilt sein.
Vorsichtig mache ich ein paar Schritte. Doch, das wird gehen.
Direkt hinter meinem Hotel am Norfolk Square liegt der Bahnhof Paddington. Der ist umgeben von einer Betonwüste. Das große St. Marys Hospital ist hier, aber auch Bürokomplexe und Hochstraßen. Der Bahnhof ist kaum zu sehen: Direkt vor die prächtige Brunel-Front des Bahnhofs hat man ein Hilton-Hotel gebaut und ihn so in die zweite Reihe zurückgedrängt. Wirklich, der Bahnhof ist praktisch nicht mehr zu sehen und nur über eine lange, hässliche Rampe an der Seite des Hotelgebäudes zu erreichen.
In London wird halt jeder nutzbare Quadratmeter bebaut. So ist es fast ein Wunder, dass es bis heute das Paddington Basin gibt. Das ist ein schmaler Kanal an der Seite des Bahnhofs, an dem Hausboote liegen.
Es ist ein sonniger, kalter Morgen. Besser geht es im Februar kaum. Der Atem der Jogger, die am Kanal entlanglaufen, kondensiert in der Winterluft. Ich jogge nicht, ich spaziere nur den Kanal entlang und sauge die Atmosphäre ich mich auf. Alles hier ist groß und anders und ich bin neugierig, was mich hinter der nächsten Ecke wohl erwartet.
Nach einem guten Stück führt der Wassergraben unter einer den riesigen Stützpfeilern einer Hochstraße hindurch. Dahinter weitet er sich zu einem See, der aus der Kreuzung zweier Kanäle entstanden ist. Am Ufer recken Bäume ihre kahlen Zweig ein den blauen Himmel. Hier sieht es aus wie in einem Park. Die Wohnhäuser dahinter sind kleiner. Fast wirkt es wie ein ganz andere Stadtteil: Eben noch Betonmoloch, hier alte, englische Wasserstraßen und Stadthäuser aus der Gründerzeit.
An der Seekreuzung liegen weitere, bunte Hausboote, sorgfältig restauriert und liebevoll bemalt. An manchen stehen noch Dinge wie “Wasserbus London”. Die Schrift lässt vermuten, dass der Einsatz als Bus im 19. Jahrhundert stattgefunden haben muss. Was diese Boote in den vergangenen 150 Jahren alles gesehen haben müssen!
Das hier ist “Little Venice”, was sich nur jemand ausdenken konnte, der noch nie in Venedig war. Stattdessen hat das hier mehr von niederländischen Städten, in deren Grachten ja manchmal auch Boote liegen sollen.