22. Oktober 2014, Göttingen
Gibt es eine elegantere und entspanntere Form des Reisens als in einem Schlafwagen? Ich kenne keine.
In den Zug einsteigen, hinlegen, einschlafen – und am nächsten Morgen, schon zu Beginn des Urlaubs, erholt und vollkommen ohne Reisestress am Ziel ankommen. Wunderbare Vorstellung, oder?
Natürlich schafft die Deutsche Bahn es, diesem Plan jegliche Eleganz zu nehmen. Das beginnt schon bei der Differenzierung zwischen dem unbezahlbaren Schlafwagen (Kabine mit Bett, Dusche und wasweißich) und dem Liegewagen. Liegewagen heisst, dass man ein normales Abteil hat, in dem aber statt sechs Sitzplätzen sechs Pritschen an die Wand geschraubt sind. Kopfhöhe 50 Zentimeter, breite 60 Zentimeter. Platzangst oder viel Gepäck darf man da nicht haben.

Nicht sooo viel Gepäck. Aber wieder eine Dokumentenrolle. Man weiß ja nie, ob einem nicht alte Landkarten oder tolle Bilder vor die Flinte laufen.

Schwerstes Stück im Gepäck: Das Wiesel freut sich, dass es wieder losgeht. Im Hintergrund ein historischer Stadtplan von Paris, den ich in den letzten Wochen auswendig gelernt habe.
Mit Geld kann man übrigens die Anzahl der Leute im Abteil reduzieren. Wenn man im Vorfeld bucht, kann man den Standardtarif nehmen, und läuft Gefahr mit sechs Personen im Abteil zu sein. Für 10 Euro mehr ist das Sechserabteil nur noch mit vier Personen belegt. Für 50 Euro mehr hat man es zu Zweit. Zumindest theoretisch. Bei der Bahn geht ja gefühlt jede zweite Reservierung verschütt. So auch heute. Im Internet habe ich gerade schon gesehen, dass der Zug heute ohne den Wagen verkehrt, in dem ich mir ein Viererabteil gebucht hatte.
Es ist kurz nach 23 Uhr, als ich am Bahnhof ankomme. Ich habe heute noch einen normalen Arbeitstag bestritten, dann ein paar Stunden geschlafen und bin dann in die Stadt gefahren. Einen kurzen Spaziergang durch die nächtliche Innenstadt mit dem Cityrucksack auf dem Rücken stehe ich auf dem Bahnsteig, an dem außer mir noch zwei alte Männer und eine jüngere Frau warten, alles Koreaner.
„Fahren Sie auch nach Frankreich?“, will einer der Männer wissen und guckt mich ernst an. Der andere Mann guckt verdrießlich auf eine Stelle drei Zentimeter neben meinem linken Ohr. „Mein Bruder hier, der ist Franzose, der will auch nach Frankreich.“ Der französische Koreaner starrt noch grimmiger neben mein Ohr. Die Frau stellt sich neben den weißhaarigen Mann, der mir gerade seine Verwandtschaftsverhältnisse erklärt. „Wieviel haben sie für ihr Ticket bezahlt?“, fragt sie und guckt ebenfalls ganz ernst. Ich nenne den Preis von 79 Euro und simultan machen die beiden dicke Backen, während der Franzose weiter grimmig die Luft neben meinem Ohr anstiert.
Jetzt stellen sich alle im Halbkreis auf, starren mich vollkommen ohne Mimik an und reden auf mich ein „Sie müssen die Tickets in Frankreich kaufen“, sagt der Mann. Die Frau sagt: „Da kosten sie nur 29 Euro“. Der Man ergänzt: „Wenn man liegen will 49“. Die Frau pflichtet bei: „Ja, 49. das ist viel billiger.“ „Kaufen sie ihr Ticket in Frankreich“, sagt der Mann. Die Situation ist skurril. Die beiden reden als wollten sie mir was verkaufen, und dazu die vollkommen regungslosen Gesichter… Ich komme mir vor als sei ich von außerirdischen Ticketverkäufern umgeben. Ich bedanke mich für die freundlichen Hinweise und bin froh, als der Zug kommt und ich dieses seltsame Gespräch beenden kann. Später finde ich heraus, dass die französische SNCF eine deutschsprachige Website betreibt, wo man die DB-Tickets tatsächlich sehr viel günstiger und in größeren Kontingenten bekommt. Leider nützt mir dieses Wissen nichts, denn der Nachtzug nach Frankreich wird im November 2014 eingestellt, oder zumindest hält er nicht mehr in Göttingen.
Positiv ist zu verbuchen, dass der Zugbegleiter alles im Griff hat. Es gibt Liegeplätze für alle die reserviert haben, nur heute in einem anderen Wagen. Im Abteil sind wir sogar nur zu Dritt. Neben dem französischen Koreaner, der während der Erläuterungen des Zugbegleiters grimmig drei Zentimeter neben dessen linkes Ohr starrt, am Ende nickt, dann mit ernster Miene in die entgegengesetzte Richtung marschiert und kurze Zeit im Zug verloren geht, bis er wieder eingefangen werden kann, ist noch ein Armenier mit satten fünf Rollkoffern im Abteil. Sonst niemand. Weiterlesen
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