Nicht nachgeben

Karsten ist ein Ende dreißig. Er arbeitet im öffentlichen Dienst in einer Hansestadt, verortet sich selbst eher links, aber bitte im konservativem Sinne. In seiner Freizeit backt er gerne selber Brot und postet Bilder davon auf Facebook. Ein sehr ruhiger Mensch, den ich seit Jahren kenne und schätze.

Um so erstaunlicher fand ich es, als sich Freitag Nacht zwischen Bildern von Minions und Fotos von „Kräuterbrot mit getrocknetem Schinken, Kapern, Kräutern der Provence und einer Füllung aus Rotwein und Zwiebeln“ plötzlich der Post auftauchte

Munich is on chaos, pray for those who are surviving this terror act. ‪#‎prayformunich‬

Und das war nur der Anfang. In schneller Folge tauchte auf

There can be only one answer to all those terrorists: Death Penalty #Prayformunich

und

Terroristes = Refugees, listen! We will defend our country at any cost! An eye for an eye!

Mir fiel dazu nur ein, Karsten direkt mal per SMS zu fragen, ob jemand seinen Account gehackt hatte. Aber offensichtlich war es tatsächlich Karsten, der diese Postings verfasste, und sich in den Kommentaren noch weiter mit denen stritt, die zur Besonnenheit mahnten und ihn daraus hinwiesen, was er da gerade tat: Ohne Informationen über die Situation zu haben, ging er pauschal davon aus, dass islamistische Terroristen in München angriffen. Seine Reaktion: Hasspostings und die Forderung nach der Todesstrafe.

Am nächsten Tag waren die Postings verschwunden. Das könnte man als einen Fall von „Besoffen auf Facebook“ abtun, laut seufzen und sich beklagen, wie dünn der Firniss der Zivilisation ist.

Für mich ist das aber nur ein Beispiel von vielen das zeigt, wie Blank die Nerven mittlerweile bei vielen liegen. Es ist erschreckend, wenn selbst ans phlegmatische grenzende Charaktere wie Karsten sich in einfache, vermeintliche Lösungen flüchten.

In solchen Situationen wie in den letzten Tagen, mit Attentaten in Würzburg, München, Ansbach und Nizza, in denen sich alle nach Sicherheit und Stabilität sehnen, ist es besonders leicht, auf populistische Heilsversprechen reinzufallen. Das ist menschlich und verständlich, und doch dürfen wir diesem Verlangen jetzt nicht nachgeben.

Es gibt auf die gegenwärtigen Situationen keine einfachen Antworten. Ein Verbot von „Killerspielen“ und Einschränkungen des Internets helfen nicht dabei, das es einsamen, kranken Menschen wie dem (Selbst-)mörder von München besser geht. Eine Aufrüstung der Polizei und der Einsatz der Bundeswehr im Inneren helfen nicht dabei, dass traumatisierte und kranke Menschen wie der Mörder von Reutlingen Halt bekommen. Und die Internierung und Abschiebung von Flüchtlingen, wie sie die AfD fordert, tut einer riesigen Personengruppe Unrecht, die nach wie vor unsere Hilfe braucht – weil sie vor Problemen fliehen muss, die unser Land mit geschaffen hat.

Ich weiß, wie schön es wäre, wenn es im Angesicht der Gewaltwelle der vergangenen Tage einfache Antworten gäbe, die alle Probleme lösen könnten. Und vielleicht gibt es die sogar. Meine ganz einfache Antwort auf das alles lautet: Ich werde nicht nachgeben.Ich werde der Angst nicht nachgeben Ich werde nicht der Verlockung nachgeben, nach einfachen Lösungen zu suchen und und radikale Maßnahmen gegen andere zu fordern.

Ich werde weiterhin an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen, ich werde weiterhin mit Bussen und Bahnen fahren, und ich werde nicht aufhören Leute darauf hinzuweisen, dass die einzige Möglichkeit hier rauszukommen das gemeinsamer Finden komplexer und kleinteiliger Antworten ist. Ja, die Gewalttaten sind furchteinflößend. Aber wir dürfen jetzt nicht nachgeben, sondern müssen uns bewusst machen, dass wir menschlich und vernünftig Handeln müssen. Norwegen nach Breivick hat in seiner Trauer besonnen gehandelt. Das sollte uns ein Vorbild sein.

Jan Böhmermann brachte es auf den Punkt, als er schrieb: „Schock Gedanke! Was, wenn von Deutschland ausgehend ein Zeitalter der Vernunft anbräche?“

Wir haben jetzt die Chance zu zeigen, was in uns steckt. Wir haben die Chance zu zeigen, dass menschlicher Umgang miteinander der richtige Weg ist. Wir können anderen, allen voran den osteuropäischen Ländern, die momentan im Hass auf alles, was anders ist, erstarrt zu sein scheinen, zeigen, dass sie eben nicht recht hatten mit ihrer Isolationspolitik. Wir können ein Vorbild sein, jeder einzelne von uns in seinem Umfeld und wir alle zusammen als Land.

In dem wir auf andere zugehen. Auf die Kranken und Einsamen, auf die Flüchtlinge, auf Muslime. In dem wir uns gemeinsam darin üben, vernünftig und sachlich miteinander umzugehen und gemeinsam Probleme anzugehen, sei es die Depression eines Bekannten oder der Mithilfe bei Integrationsmaßnahmen. Und indem wir deutliche Zeichen setzen, dass wir nicht bereit sind, unsere Freiheit weiter einschränken zu lassen, um die gefühlte Sicherheit zu erhöhen. Härtere Gesetze verhindern keinen weiteren David S. Integration und Menschlichkeit im Umgang miteinander aber schon.

Es gibt so viel, was wir tun können.
Der eigenen Angst nachgeben gehört nicht dazu.

Kategorien: Betrachtung | 5 Kommentare

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5 Gedanken zu „Nicht nachgeben

  1. Tautitauti

    Lieber Herr Silencer, wir sind ganz Ihrer Meinung! Wenn es mehr Menschen mit Ihrem Mut und Ihrer Sichtweise gäbe, wäre die Welt sicher etwas friedlicher.

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  2. Leandrah

    Diese vielen Schreckensnachrichten die so auf uns runterprasseln, diese ständige Trauer die man dann zeigen muss, die Betroffenheit, kann abstumpfen. Ständig neue Vermutungen, Brennpunkte, etc, die Medien sie uns damit überhäufen mit den unterschiedlichsten Aussagen… Ich habe immer das Gefühl das dabei im Hintergrund ein ganz anderes Süppchen gekocht wird, das uns, die ja ständig wieder von neuen Erkenntnissen informiert werden, entgeht. Nicht nur das die Sicherheitsregeln wieder noch verschärft werden, die Überwachung zunimmt , alles im Namen des Terrors. ANGST ist ein gutes Druckmittel.

    Gefällt 1 Person

  3. Ja.

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  4. Leandrah

    wofür steht jetzt dein Ja?

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  5. Für Zustimmung zu dem, was Du geschrieben hast: Angst macht Leute gefügig.

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