Taktisches IFAK für´s Motorrad

Ich nehme Erste Hilfe sehr ernst. Umso mehr ärgert es mich, dass die meisten Erste-Hilfe-Sets auf dem Stand der Fünfziger Jahre hängen geblieben sind. Das geht besser, der klassische „Verbandskasten“ nach EN1357 gehört ordentlich aufgerüstet – mit taktischen Komponenten.

Es gibt Menschen, die im Angesicht von Unfällen, Feuern oder Verletzungen völlig handlungsunfähig werden. Sie erstarren oder verfallen in eine kopflose Panik. Andere dagegen behalten in Notsituationen einen kühlen Kopf und bleiben handlungsfähig – und zu denen gehöre ich. Ich bin nicht der Typ, der an Unfällen vorbeifährt und daher schon häufiger in Situationen gekommen, in denen ich Ersthelfer sein musste. Alle zwei Jahre nehme ich an Erste-Hilfe-Kursen teil, um auf dem Laufenden zu bleiben und um Abläufe in Notsituationen immer wieder zu üben.

Natürlich gibt es bei mir zu Hause und in jedem meiner Fahrzeuge Erste-Hilfe-Sets. Für Motorräder ist das nicht Pflicht, trotzdem habe ich in jeder Maschine so eines unter der Sitzbank.

Das ist so ein Standard-Erste-Hilfe-Set, wie man sie in jedem Motorradzubehörladen kaufen kann. Da ist im Prinzip das gleiche drin wie in einem Verbandskasten für´s Auto, nur in geringerer Stückzahl: Dreieckstücher. Mullbinden. Wundauflagen.

Das ärgert mich. Das ist echt so Zeug, wie man es seit den 50er Jahren oder noch länger verwendet, als hätte auf dem Gebiet null Entwicklung stattgefunden.

Ein Beispiel: Um einen Druckverband aus einem Standard-Verbandskasten herzustellen muss man:

  1. Ein Wundauflage aus einer Papierhülle fummeln
  2. Die irgendwie auf die Wunde bugsieren
  3. Eine Binde aus der Plastikverpackung friemeln,
  4. dabei auf´s Kleingedruckte achten ob das eine sterile Binde oder nur ein Verband ist.
  5. Anfangen die Binde um das Körperteil zu wickeln,
  6. nach einigen Umwicklungen aber etwas suchen und befestigen was Druck ausüben kann
  7. Weiterwickeln und am Ende
  8. irgendwie einen Knoten machen oder mit einer Sicherheitsnadel feststecken

Das ist nicht nur völlig antiquiert und umständlich, das muss man im Notfall und mit zitternden Fingern auch erstmal hinbekommen!

Nun hat aber auf dem Gebiet der ersten Hilfe durchaus Entwicklung stattgefunden, sie hat nur keinen Einzug gehalten in die klassischen Verbandskästen für 9,99 Euro aus dem Baumarkt. Die Entwicklungen stammen aus dem Zivilschutz- und dem Militärbereich, insbesondere aus Israel kommen spannende Innovationen. Deshalb gehören israelische IFAKs, „Individual First Aid Kits“, zu den besten Trauma-Sets überhaupt.

Wenn ich auf längeren Touren unterwegs bin, habe ich immer ein Topcase auf der Maschine, und in dem Topcase sind rundum mehre Taschen an Guten befestigt. Dazu gehört auch ein individuell zusammengestelltes IFAK.

Die Tasche selbst ist eine IFAK-Tasche von Gonex, die man leer für ungefähr 15 Euro bekommt. Sie ist auf einer Klettplatte befestigt, die über ein Molle-System zur Anbringung an Rucksäcken oder im Topcase verfügt. In Notfällen reißt man einfach die Tasche von dieser Halterung ab und braucht nicht mit Gurten rumfummeln. Das geht auch viel schneller als wenn man erst die Sitzbank abnehmen muss, um an das Erste Hilfe-Set im Inneren des Motorrades zu kommen.

Wenn der umlaufende Reißverschluss geöffnet wird, faltet sich das Set auseinander, und gibt den spannenden Inhalt frei:

Die rechte Seite ist erstmal noch unspektakulär. Die enthält das, was man in einem normalen Verbandskasten findet: Wundauflage, Pflaster, Mullbinden, eine Schere, Rettungsdecke, Dreieckstuch. Hinzugefügt habe ich lediglich eine Splitterpinzette, mit der sich auch Zecken entfernen lassen.

Die linke Seite enthält Wunddesinfektion und Kleinkram wie einen Stift, aber auch spannende Sachen wie das hier:

Das ist ein ResQme. Das gerade mal fünf Zentimeter lange Teil ist ein Gurtschneider und ein winziges Bolzenschußgerät. Man setzt es an die Scheiben von Autos, es macht kurz PITSCH und das Glas fällt in sich zusammen. Zum ersten Mal gesehen habe ich das bei der spanischen Polizei, die sowas benutzt hat um bei Sommerhitze einen eingesperrten Hund aus einem Auto zu befreien.

Notiz am Rande: mit dem ResQMe kann man sich auch aus Kunststoffhandfesseln befreien.

Ebenfalls interessant ist das hier: Eine Fünfmarkstückgroße Tasche mit einem CPR-Faceshield. Das ist eine Plastikfolie mit einem Ventil, das legt man Leuten über das Gesicht und macht dadurch Mund-zu-Mund-Beatmung. Besonders in Pandemien sehr praktisch.

Besser ist nur noch das hier: Ein Beatmungstuch mit FFP3-Filterung. Auch davon ist eines an Bord.

Außerdem sind noch drei Paar Handschuhe an Bord, ein normales Paar und zwei zusätzliche aus Nitril in dezentem Schwarz.

Richtig spannend ist aber der Mittelteil meines IFAKs:

Hier finden sich die richtig coolen Dinge, die vermutlich die meisten hier nicht kennen werden. Werfen wir mal einen näheren Blick darauf:

Steristrips sind kleine Gewebestreifen mit einem starken Hautkleber. Sie kommen bei Schnittwunden zum Einsatz, die man früher genäht oder geklammert hätte.

Die Anwendung ist super einfach. Einfach Wunde säubern, zusammendrücken, ein paar Steristrips drüber, fertig.

Die grauen Vakuumpäckchen enthalten etwas, das als „Israeli Bandages“ bekannt geworden ist.

Im Prinzip sind das fix und fertige Druckverbände aus einem Stretchstoff mit eingenähten Kunststoffteilen und Wundauflage. Man reisst die nur noch auf, drückt die integrierte Wundauflage auf die Wunde, wickelt den Verband um den Griff und ist fertig. Kein Vergleich zu der o.g. Fummelei in acht Schritten mit vier verschiedenen Utensilien aus dem Bestand des letzten Jahrhunderts. Diese taktischen Druckverbände sind so designed, dass man sie auch bei sich selbst und nur mit einer Hand anlegen kann. Hier wird im Bewegtbild erklärt, wie man das benutzt:

Ganz billig sind die allerdings nicht, je nach Größe kostet so ein Verband zwischen 6 und 10 Euro.

Nicht für den Heimgebrauch ist das hier:

Das ist ein Tourniquet (ausgesprochen wird das „törn-ih-ki“). Der deutsche Begriff dafür ist am ehesten „Adernpresse“, und die dient dem Abbinden von Körperteilen. Der Gurt wird um das Körperteil gelegt, stramm gezogen und mit einem Klettverschluss fixiert. Dann wird mit einem Knebel der Gurt verdreht und damit der Druck so lange erhöht, bis der Blutkreislauf im Körperteil unterbrochen ist.

Das sollte man wirklich nie, nie, nie benutzen, denn die Unterbrechung der Blutzirkulation kann zu bleibenden Schäden führen. Zwar erzählt man sich von Fällen, wo das bis zu 6 Stunden angelegt war, aber offiziell heißt es: Maximal 15 Minuten, danach darf es nur noch von einem Arzt gelöst werden. Deshalb muss man darauf die Zeit notieren, wann es angelegt wurde. Der Einsatz in Deutschland zählt als Körperverletzung, aber hey – wenn einer dieser Spezialisten, die in Crocs Motorrad fahren, über die Leitplanke geht, wird gerne schon mal ein Fuß abgerissen – und dann ist es besser tatsächlich was abbinden zu können.

Ich habe ein CAT-Gen7-Tourniquet. Außer dem sind noch die von SOF brauchbar. Die Finger lassen sollte man von den chinesischen Nachbauten, wie man die für 8-18 Euro auf Amazon findet. Bei den Teilen reißen schlimmstenfalls die Gurte, das kann gefährlich werden.

Das ist also mein IFAK – eine Mischung aus klassisch-spießigem Verbandskasten und taktischem Trauma-Set. Erste-Hilfe geht auch in modern.

Kategorien: Motorrad | 8 Kommentare

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8 Gedanken zu „Taktisches IFAK für´s Motorrad

  1. Ali

    Wahnsinn….und ich dachte schon mit zwei Verbandkisselchen (Sitzbank/Topcase) mehr als gut gerüstet zu sein.
    Deine Aufstellung zwingt mich fast zum Überdenken über 08/15 Notfallpack.
    Anmerkung Eigenerfahrung: Wenn es kracht und scheppert, pumpt der Körper soviel Adrenalin aus, daß Schmerzen fast zur lästigen Nebensache werden, Blutverlust eher ignorierend und wundernd, wenn Rettungskräfte per Luftbett einen zur Untätigkeit zwingen.

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  2. zwerch

    Interessant, danke!
    Warum wusste ich das bisher noch nicht? Mein letzter erste Hilfe Kurs ist gerade mal ein Jahr her…
    Dann werde ich mal umrüsten, auch im Auto.

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  3. #28_Stephan

    Du hast sie im Text nicht erwähnt…aber ich meine sie im Bild erkannt zu haben.
    Was ist mit Einmal- Handschuhen? Gerne auch mehrere Paar
    – wenn du schon auf den ersten Blick siehst: das wird ne Sauerei – der letzte beschriebene Fall…Am besten gleich zwei Paar übereinander anziehen
    – falls doch mal einer beschädigt werden sollte
    – um im Zweifelsfall anderen, dazu kommenden Helfer*innen welche zuwerfen zu können (bzw. rufen/keuchen „da linkes Fach! … und dann bitte zügig die Herzdruck- Massage übernehmen … Ich kann bald nicht mehr!)

    … und bitte auch die Wund- Desinfektion nur bei dir selbst, Freunden (hoffentlich jeweils lediglich zur Reinigung nach einer Hilfeleistung bei Fremden) oder nach AUSDRÜCKLICHER Zustimmung einsetzen!

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  4. @Stephan: Danke für den Hinweis! Handschuhe sind drin, hatte ich nicht extra erwähnt. Ein Paar aus einem klassischen Verbandskasten, zwei weitere Nitrilpaare in dezentem Schwarz. Trage ich evtl. noch nach. Lass mich raten, Wunddesinfektion ist auch Körperverletzung? Habe ich aber tatsächlich, genau wie die Strips, hauptsächlich für mich dabei. Ich schaffe es immer wieder mir SChnitte beizubringen.

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  5. Super interessant, da sind ein paar richtig geniale Teile dabei! Werde ich demnächst dann nachrüsten.
    Und falls es mich mal erwischen sollte, dann wünsche ich mir, dass du ganz zufällig in der Nähe bist. 😀

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  6. suse

    Top! Danke für die Nachhilfe und die hilfreichen Tipps. Irgendwie hofft man ja immer, dass man die Verbandspäckchen nicht braucht, aber ich habe auch in jedem Motorrad eins dabei, egal ob ich nur zum Bäcker fahre oder ne größere Reise mache.
    Ich packe immer noch ein Fläschchen Betaisadona mit rein, das hat sich auch schon bewährt…
    Auf einer Reise haben wir mal beide Verbandspäckchen gebraucht: Ein junges Mädel war mit ihrem Mofa in einer Kurve am Genfer See ganz am Rand der Fahrbahn auf Rollsplitt ausgerutscht und über die Leitplanke gestürzt. An einerm der scharfen Pfosten hatte sie sich schwer verletzt… da fehlte im Oberschenkel ein großes Stück und wir haben wirklich alles aus den Verbandspäckchen gebraucht… Schlimm fand ich, dass den Sturz mehrere Autofahrer vor uns gesehen haben müssen und niemand angehalten hat.
    Klasse finde ich die Erste-Hilfe-Kurse speziell für Motorradfahrer, aber was da noch fehlt ist so eine genaue Analyse und Verbesserung der Verbandspäckchen, wie du sie hier aufgedröselt hast!
    Fehlt nur noch der Defi 😉 LOL

    sonnige Grüße und immer eine unfallfreie Fahrt!
    Suse

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  7. Stephan K.

    Zumindest die Teile um sich bei einer Beatmung zu schützen, sollte man nachrüsten. Wobei ich beim letzt Unfall als Fußgänger unterwegs war und den Verunfallten nur ruhig und wach halten musste, bis die Profis kamen. So wie der aussah, hätte ich den selbst mit den obigen Teilen nicht beatmen wollen. . .

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  8. @Stephan: Hauptsache, er hat´s geschafft…

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