TOAZ: Technikmuseum Freudenberg & Peter Lustigs Bauwagen

Aufmerksamen Leserinnen und Lesern mag nicht entgangen sein, dass sich im Laufe der Zeit der Untertitel dieses Blogs geändert hat. Mehrfach sogar, aber immer wiederkehrend zu „Die Geschichte ist mein Spielplatz“. Diesen bemerkenswerten Satz hat der Lead-Storyteller von Assassins Creed mal in einem Interview fabriziert, und ist bei mir sofort hängengeblieben.

Cory May meinte damit den Umstand, dass er die Geschichte seiner Spiele mit realer Geschichte vermischt. Für mich steht der Satz für etwas anderes. Für mich drückt er die Tatsache aus, dass ich die Fußnoten der Geschichte liebe. Diese kleinen Anekdoten und Absonderlichkeiten, die meist nicht mal in den Geschichtsbüchern stehen, und die man nur durch Zufall und vor Ort entdeckt. Wie z.B. die Geschichte, dass einer der klügsten Männer der Welt von Einhörnern auf Rädern besessen war. Oder das ein weltbekanntes Bauwerk nur noch steht, weil Politiker nicht wussten, wie sie mit einem irren Alten umgehen sollten, der sich darin eingemauert hatte.

Tatsächlich ist es so, dass ich ganz oft über Querverbindungen stolpere. Dinge sind mit anderen Dingen oder Ereignissen verbunden, und darum ist es wichtig, sich zu INTERESSIEREN. Offen zu sein. Für nichts Spezielles, sondern im Allgemeinen, denn alles ist mit allem verbunden. Im Schatten großer Ereignisse sind es oft die kleinen Zufälle, die alles erst interessant machen.

Neuestes Beispiel: Ich bin unterwegs in Freudenberg, einem winzigen Kaff im Siegerland. Dort gibt es ein Technikmuseum. Ich hatte ernsthaft überlegt den Besuch sein zu lassen, aber die Neugierde war am Ende stärker. Das Museum ist ein ehemaliges Gehöft und eine Scheune voller alter… Dinge. Die Sammlung wurde von Technikbegeistertene Laien aus der Region zusammengetragen. Den Enthusiasmus und Liebe zu den Objekten merkt man an vielen Stellen, leider auch die damit verbundenen Nachteile: Die Ausstellung hat leider kein didaktisches Konzept bzw. falls doch, habe ich es nicht erkannt. Dampfmaschinen stehen neben alten Videokameras und Spielzeugautos, der einzig gemeinsame Nenner ist anscheinend, dass man die Objekte so nicht mehr im Geschäft kaufen kann. Die angrenzende Scheune ist vollgestellt mit alten Motorrädern, darunter wirklich seltene und skurrile Stücke.


Im Erdgeschoss finden sich Gerätschaften, über Transmissionsriemen an eine riesige Industriedampfmaschine von 1904 angeschlossen. Vermutlich funktioniert das alles auch noch, denn diese Damofmaschinen gehen nicht kaputt. Die wurden auch von Betrieb zu Betrieb weiterverkauft. Konnte also sein, dass nach 40 Jahren in einer Ledergerberei die gleiche Maschine plötzlich Förderkörbe in einem 800 Kilometer entfernten Bergwerk bewegte.

Ich habe das Technikmuseum an einem Wochentag und Morgens besucht und wanderte deshalb alleine durch die Hallen. Die schweren Motorradstiefel liessen die staubigen Dielen der Scheune knarzen, während ich nur so halbinteressiert altes Schmiedewerkzeug beguckte. Mein Interesse war aber schlagartig wieder auf einhundert Prozent, als ich das hier inmitten der Scheune entdeckte: Peter Lustigs Bauwagen!

Peter Lustig (der wirklich so heisst) hatte 1979 die Kinderserie „Pusteblume“ erfunden zusammen mit Kollegen aus der Taufe gehoben (geänd. nach Hinweis von Sascha). Die wurde, aufgrund von Markenstreitigkeiten, 1981 in „Löwenzahn“ umbenannt. Zum Start von Löwenzahn zog Peter Lustig in einen skurril umgebauten Bauwagen, in dem er die nächsten 25 Jahre das beste deutsche Kinderprogramm machte. Das Exemplar in Freudenberg ist ein genauer Nachbau und Teil einer Wanderausstellung.


Lustig wohnte nicht nur in der Serie in dem Wagen: Oft übernachtete er in dem voll funktionierenden und von ihm selbst gebauten Set. Eigentlich gab es keine Kunstfigur Peter Lustig. Der Mann ist wirklich neugierig, mild verrückt und ein Bastler, der Unfugmaschinen baut, die zu nichts nütze sind.

Die Sendung war sehr persönlich – der bekennende Weinliebhaber Lustig stellte z.B. immer ein Rotweinglas in den Set. „Die Rundfunkräte und vertrocknete Erwachsene fanden das nicht gut, da gab es Ärger“, erinnert sich Lustig in einem Interview mit dem ZDF, „aber die Kinder haben es verstanden, dass das dazu gehört“.

Die „vertrockneten Erwachsenen“ waren es auch, die fanden, dass ein erwachsener Mann nicht allein in einem Bauwagen leben darf. Sie wollten Lustig einen Mitbewohner ins Drehbuch schreiben, mit dem er agieren sollte. Lustig wollte das nicht, und erschien am Set mit einer seiner Unsinnsmaschinen, einer umgebauten Ukulele, die er „Klaus-Dieter“ nannte und mit der er fortan Dialoge führte. Als Kind fand ich Klaus-Dieter super, aus der Nähe betrachtet wirkt er gruselig.

Der Rest des Wagens ist ein Nachbau. Das Original wird immer noch zum Drehen verwendet. Mittlerweile allerdings nicht mehr mit Peter Lustig, denn der ist schon 75 und lebt mit seiner dritten Frau in der Nähe von Husum. Zwischenzeitlich war er übrigens mit Elfie Donelly liiert, der Erfinderin von „Benjamin Blümchen“.

Mitte der 80er wollte Lustig mit Löwenzahn aufhören – er hatte einen Bauernhof in der Toskana gekauft und wollte dort Wein anbauen. Daraus wurde nichts. Er erkrankte an Lungenkrebs, die Prognosen standen denkbar schlecht. Nach sieben Operationen hatte Lustig nur noch einen Lungenflügel, aber den Krebs besiegt. Auch wenn er selbst heute sagt: „Ich habe ihn nicht besiegt, ich habe ihn ignoriert. So lange, bis dem Krebs langweilig wurde, und er sich ein anderes Haus suchte“. Lustig suchte sich auch ein anderes Haus, in Deutschland, und machte mit Löwenzahn weiter.

Löwenzahn kam übrigens nur zustande, weil Mitte der 70er jemand bei der „Sendung mit der Maus“ beim WDR (geändert nach Hinweis von Sascha) einen der Mitarbeiter hinter der Kamera und seine Basteleien so ulkig fand. Man zerrte Peter Lustig, das war der Mitarbeiter, und seinen Unsinns-Robotervogel „Atze“ vor die Kamera und liess sie technische Dinge erklären. Zuvor hatte Peter Lustig als Toningenieur, unter anderem für amerikanische Radiosender, gearbeitet. Und jetzt kommen wir zu einer dieser Fußnoten der Geschichte, die ich so liebe: Als 1963 John F. Kennedy seine berühmte „Ich bin ein Berliner“-Rede hielt, saß ihm auf Augenhöhe, auf einem „wackeligen Holzgestell“ Peter Lustig gegenüber und zog für den Sender freies Berlin den Ton der Veranstaltung.

Auf dem Holzgestell vor der Bühne, auf der Kennedy seine Rede hielt, saß Peter Lustig. Quelle: Telegraph.co.uk

Unfassbar, oder? In dieser staubigen Scheune, mitten im Siegerland, lässt sich herausfinden, dass ein weltberühmtes Tondokument von unser aller Peter Lustig gemacht wurde. Geschichte ist ein Spielplatz, in dessen Außenbereichen Fußnoten blühen wie Blümchen auf der Wiese.

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Technikmuseum Freudenberg
Öffnungszeiten: Di-So 10-16 Uhr
Eintritt: 4,- Euro (Erwachsene)
www.technikmuseum-freudenberg.org
Der Bauwagen ist kein Dauerexponat.

Kategorien: Motorrad, Reisen | 13 Kommentare

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13 Gedanken zu „TOAZ: Technikmuseum Freudenberg & Peter Lustigs Bauwagen

  1. Auch wenn ich vermutlich nicht dieselbe Begeisterung für die Ausstellung an sich aufbringen könnte, an solchen Fussnoten und Details habe ich auch immer wieder meine helle Freude. 🙂

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  2. Wilde Begeisterungsstürme hier!

    „Alles was Herr Silencer schreibt ist wichtig, wahr und schön.“

    *sign*

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  3. zimtapfel

    Wundervoll! Ich mag so kleine Details und Zufälle.

    Ach ja, und irgendwo in der Menge unter/hinter Peter Lustigs Holzgestell steht mein Vater.

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  4. Mille Grazie!

    Zimtapfel: War das jetzt die Autokorrektur? Hinter einem Holzgestellt steht Dein… Vater?! Was bedeutet das?

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  5. zimtapfel

    Hase! Lies deinen Artikel! Insbesondere den letzten Satz des vorletzten Absatzes.
    Da ist von einen Holzgestell die Rede, auf dem Herr Lustig Auge in Auge mit Herrn Kennedy hockt und den Ton aufnimmt.

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  6. Ach Gotte, und ich dachte, der steht da in der Scheune herum… *Kopfklatsch*

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  7. @Zimtapfel: Ich hatte da jetzt ja auch erst Grausiges angenommen… 😉

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  8. Schöner Bericht über „DIE“ Attraktion 😉 unseres winzigen „Kaffs“.
    Kleine Anmerkungen:
    1.) Der Link zum Museum funktioniert nicht
    2.) Am 27. Oktober sind die technischen Geräte anläßlich der Veranstaltung „Nacht der alten Technik“ im Betrieb zu sehen (http://www.technikmuseum-freudenberg.org/main.php?p=func&mode=showNews&content=VERANSTALTUNG_NDAT&ID=23)
    3.) Hier mal mein Bericht und ein paar Bilder von der ersten Veranstaltung 2009: http://www.typ3typ.de/blog/archives/43-Die-Nacht-der-alten-Technik-im-Technikmuseum-Freudenberg….html

    Viele Grüße
    Ralf

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  9. Typ3Typ: Danke für die Hinweise! Link ist gefixt oben ist gefixt. Das unter http://www.typ3typ.de/blog/archives/2009/10.html sieht sehr quirlig aus – da merkt man doch die Technikbegeisterung!

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  10. Ja die Ausstellung war schon schön:) Es gibt aber ein-zwei Dinge die nicht Stimmen im Artikel.;)
    Peter hat nicht Pusteblume erfunden.Er war an der Entstehung beteiligt aber erfunden hat er die Sendung nicht.
    Bei Löwenzahn gehörte er an mehr zu den Geistigen „Vätern“.

    Und es war niemand von der Sendung mit der Maus sondern der Regisseur und Peters Arbeitgeber von Sparta Film Karl Heinz Freynik der einfach keine leere Filmrolle zurück zum Sender schicken wollte und deshalb Peter vor die Kamera setzte und ihm die Nachrichten Kommentieren lies, ihn dabei ne Torte ins Gesicht schmiss und nen Ei auf die Stirn warf etz.Peter kommentierte das so witzig weiter das es allen gefiel und nach dem das Stück Film als Insider durch die Sendeanstalt des WDR ging gelangte es auch zu einem der Chefs und die fanden das auch witzig so ist Peter vor die Kamera gekommen.Das Stück Film ist Heute verschollen bis auf einen kurzen Privat gedrehten Schnipsel.

    Der Original Bauwagen von Peter steht Heute im Film Park in Potsdam.Leider „vergammelt“ er da immer mehr da er bei jeder Witterung draussen ist und so fehlen schon viele Teile da ist der Nachbau in Freudenberg schon Klasse den da wurde mit viel liebe versucht das Original nachzubilden.Ich hoffe der Bauwagen bleibt für immer da stehen.

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  11. Hi Sascha, besten Dank für die Ergänzung! Ich ändere das im Text.

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  12. Ich fand es immer toll, dass Peter das gleiche Geschirr benutzt, wie meine Eltern es zur Verlobung bekommen und seither genutzt haben. Das grün-gelbe Porzellan mit den Hähnen drauf.
    Doppelte Kindheitsnostalgie!

    Die sonstigen Fakten waren mir (leider) alle schon bekannt, dennoch ein sehr schöner Artikel 🙂

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  13. Danke! Und ja, Löwenzahn war wirklich ein Produkt seiner Zeit – da hängen viele Erinnerungen dran.

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