Reisetagebuch durch Japan. Heute gehe ich einfach spazieren und entdecke Dinge, es gibt eine Erdbeer-Ellipse und Leder aus Schimmelpilzen.
Dienstag, 15. Oktober 2024, Kyoto
Aufwachen und erstmal denken: Wo bin ich? Ach ja – Kyoto, immer noch.
Um kurz nach Sieben fahre ich mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss – pardon, in den ersten Stock, wie das hier heißt. Im Eingangsbereich des Hotels stehen einige Plastikstühle und einfache Tische, dahinter eine Anrichte mit einem Kaffeeautomaten, einem Stapel Toastbrot, drei Toastern und zwei Schüsseln mit Marmeladenpäckchen. Breakfast for Champions!

Nein ernsthaft, kein Grund zu meckern. Das Frühstück ist im Zimmerpreis mit drin, und der ist mit rund 38 Euro sehr niedrig. Allerdings ist dieses Frühstück hier eine kleine Herausforderung. Der Kaffeeautomat sieht so aus, als hätte er drei Ausläufe. Ich wähle einen “normalen Kaffee” am mittleren Bedienfeld und stelle auch meine Tasse darunter, dann gucke ich mich kurz um stecke ein Toastbrot in einen der Toaster und als ich zurückkomme, ist meine Tasse zwar noch leer, aber dafür schwimmt das Ablagefach unter dem Auslauf. Offensichtlich hat der Kaffeeautomat doch nur einen Auslauf, und zwar mittig zwischen dem mittleren und dem rechten Bedienfeld, und den hab ich genau mit meiner Tasse nicht erwischt. Irreführendes Gerätedesign trifft auf dummen Nutzer. Verdammter Müll.

Ich nehme an einem Tisch Platz und besehe mir das Päckchen Erdbeekonfitüre. So eines habe ich noch nie gesehen. Es besteht aus zwei weichen Blasen, die mit sehr fester Folie verschlossen sind. Es gibt auch keine Aufreißlasche oder auch nur die Möglichkeit mit dem Fingernagel irgendwie unter diese Folie zu kommen.

Wenn ich bislang eins gelernt habe, dann ist das folgendes: Wenn du eine japanische Verpackung nur mit Gewalt aufbekommst, machst du irgendetwas verkehrt. Japanisches Verpackungsdesign ist hoch funktional und maximal bequem. Aber wie das hier funktionieren soll, das weiß ich beim besten Willen nicht.
“Komm her, ich zeige Dir, wie das geht”, höre ich mit einem mal – auf Deutsch. Ich blicke auf und sehe am Nebentisch eine ältere Dame, eine Japanerin. Ich stehe auf und gehe zur ihr hinüber.
“Ich musste gerade auch erst fragen, aber so geht das”, sagt sie, nimmt mir das Päckchen aus der Hand und drückt mit dem Daumen in die Mitte des Bildes mit der Erdbeere. Dort entsteht ein Falz. Daran entlang klappt sie das Päckchen so zusammen, dass die beiden Blasen außen sind, dann wieder zurück, so dass die beiden Blasen gegeneinander drücken.
Durch die Hin- und Herfalterei ist auf der Außenseite des Päckchens, genau der Mitte, ein kleines Loch entstanden, und dadurch kann man jetzt durch Zusammendrücken die Konfitüre herauspressen und direkt auf´s Brot spritzen.

Ich staune, dann bedanke ich mich und frage “Haben Sie mir angesehen, dass ich Deutscher bin?”
Die ältere Dame lacht.
“Nicht wirklich, aber ich komme halt aus Köln und bin grad nur zu Besuch bei einer Freundin. Ich spreche kein Englisch, nur Deutsch und ein paar Brocken Japanisch. Hättest Du auf die deutsche Ansprache nicht reagiert, hätte ich Dir nicht helfen können”.
“Ohne Englisch ist aber auch nicht einfach hier, oder?”, frage ich.
Sie seufzt.
“Zum Glück ist hier nicht alles so kompliziert wie die Marmeladenpäckchen. Viel macht man ja am Automaten oder im Internet. Tickets kaufen, zum Beispiel, ist ja alles automatisiert mittlerweile. In Deutschland sind wir noch lange nicht soweit.”
Da hat sie vollkommen recht. Japan hat in den vergangenen fünf Jahren einen guten Sprung nach vorne gemacht, in Deutschland werden immer noch PDFs ausgedruckt und wieder eingescannt.
Ich bedanke mich und wünsche ihr noch eine gute Reise.
Kleiner Exkurs noch zu den japanischen Verpackungen. Ich habe gelernt, dass man etwas falsch macht, wenn man mit einer Verpackung struggelt, als ich ein Onigiri, ein Reisdreieck, auspacken wollte und es dabei zerstört habe. Danach habe ich gesehen, dass es kleine Laschen an der Verpackung gibt. An denen zieht man, dann fällt die Verpackung nach links und rechts auseinander wie eine Blume. Danach zieht man ein Papier zwischen der Reismasse und dem Algenpapier weg, und Voila: Saftiger Reis in knuspriger Hülle. Ein kleines Wunderwerk.
Das zieht sich durch, bei den meisten Verpackungen gibt es einen ganz einfachen Trick, um sie zu öffnen. Aber die können aber noch mehr. Was ich bisher herausgefunden habe:
1. Bei Süßigkeitenverpackungen muss das Bild des Produkts mit dessen realer Größe übereinstimmen. Man weiß also immer, was einen in der Tüte erwartet. Wer beim Anblick einer solchen Verpackung denkt, da drin seien große Pralinen, der täuscht sich:

Die Dinger sind winzig, aber exakt so groß wie auf der Verpackung:



2. Verpackungen mit Snacks dubioser Konsistenz haben nicht immer, aber häufig einen “Chew-Index” aufgedruckt, also eine Skala, wie schwierig das Kram zu kauen ist. Perfekt für Leute, die mit ihrem Gebiss vorsichtig sein müssen. Englisches Weingummi, diese Plombenzieher, hat den höchsten Wert.
3. Bei Säften kann man anhand der Verpackung erkennen, wie hoch der Fruchtsaftgehalt ist. Wenn ein Saft ein Foto oder ein fotorealistisches Bild einer aufgeschnittenen Frucht enthält, dann ist es ein hunderprozentiger Direktsaft. Wenn weniger Fruchtgehalt drin ist, darf nur eine gemalte, unangeschnittene Frucht auf der Verpackung sein. Und wenn der Fruchtgehalt unter 5 Prozent liegt, darf es nur die abstrakte Zeichnung, eine Cartoonversion einer Frucht sein.
Mein komisches Erfrischungsgetränk mit “Weintraubengeschmack” muss also zumindest aus der Ferne mal mehr als fünf Prozent Frucht gesehen haben:

…
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