Otoplastik Gehörschutz
“Und dann brauche ich noch die Datenschutzeinverständniserklärung unterschrieben. Weil, das hier sind ja personenbezogene Daten”, sagt der Hörakustiker und zeigt auf die beiden seltsamen Teile in der Mitte des Tisches zwischen uns. Die sehen aus wie sehr kleine, sehr pinke Hundehaufen. Mit Toupet.
Tatsächlich sind es aber Abformungen meiner Innenohren und damit, klar, biometrische Informationen. Dreidimensional und verdächtig nach Barbiekacke aussehend, aber halt Daten von mir.
Die Abdrücke zu erstellen ging erstaunlich schnell. Der Hörakustiker hat zunächst Wattestückchen zusammengenuddelt und mit einer Nylonschnur umwickelt und mir einer Pinzette bis direkt vor das Trommelfell geschoben, dann hat er meine Ohren mit rosa Zweikomponentenpaste aus einer dicken Spritze vollgepumpt. Wie Zweikomponentenkleber sah das aus, war aber zum Glück keiner.
Als das Zeug nach wenigen Minuten fest war, hat es es vorsichtig mit dem Nylonfaden aus meinen Ohren gelöst.
Aber warum der ganze Aufwand überhaupt? Nun, ich fahre seit Jahren mit Gehörschutz Motorrad, zumindest wenn ich längere Zeit schneller als mit Tempo 80 unterwegs bin. Dafür habe ich zig Generationen von Alpine-MotoSafe Pro-Stöpsel verschlissen. Das ist die Sorte von Silikonpilzen mit einem Filter in der Mitte, der das Ohr atmen lässt und nur die Frequenzen der Windgeräusche dämpft. Kosten 30 Euro pro Paar, lohnen sich aber: Man hört den Verkehr, den eigenen Motor und auch Naviansagen ohne Probleme, aber die lauten und Gehörschädigenden Geräusche vom Fahrtwind am Helm werden weggefiltert.
Leider werden Ohren im Lauf der Jahre größer. Ich hatte schon immer weite Gehörgänge und in letzter Zeit passierte es immer häufiger, dass die Standard-Stöpsel von der Stange entweder aus meinen Ohren rausfielen oder so tief darin verschwanden, dass sie kaum noch rauszubekommen waren. Deshalb die Barbiekacke, den ich wollte mir einen Gehörschutz gönnen, der hundertprozentig sitzt.
Nach einigem Rumfragen und dem Angucken von Internetseiten bin ich bei der Akustikerkette Geers gelandet, die aktuell die ganzen kleinen, Inhabergeführten Hörakustikergeschäfte aufkauft. Die Ohrstöpsel von Geers kosten rund 160 Euro und sind damit die günstigsten Maßanfertigungen, die ich gefunden habe. Gleichzeitig bieten sie austauschbare Filter für rund 20 Euro, etwas, das die Konkurrenz entweder gar nicht kann, weil die Filter fest vergossen sind, oder Mondpreise von 70 Euro für ein Paar möchte. Das war letztlich ausschlaggebend, denn Filter verschleißen bei häufiger Benutzung nach 2 bis 3 Jahren und können sich auch komplett mit Cerumen (Ohrschmalz) zusetzen.
Die rosa Kackehäufchen wurden dann in ein Labor geschickt, und drei Wochen und 160 Euro später lagen zwei Silikonstöpsel in Form meiner Innenohren, Fachbegriff: Otoplastik, zu Abholung bereit.
Ein gelber und ein orangefarbener, beide verbunden durch eine Silikonschnur und überreicht in einem Kunstledertäschchen. Ich hatte mir zwei verschiedene Farben gewünscht, damit auf einen Blick klar ist, welcher der Stöpsel in welches Ohr gehört. Die Silikonschnur ist dafür gedacht damit man die Stöpsel nicht so schnell verliert. Leider ist sie unbenutzbar, denn durch deren Festigkeit hat man permanent einen Stethoskopeffekt, wenn die irgendwo an der Kleidung scheuert. Als Entnahmehilfe braucht man sie nicht, also ab damit.
In das Silikon der Stöpsel eingelassen sind Filtereinsätze, die nur bestimmte Frequenzen dämpfen.
Der Hörtest im Labor ergab eine Dämpfung um 21 Dezibel, was sehr ordentlich ist. In der Praxis funktioniert der Gehörschutz ebenfalls ganz wunderbar. Anfangs ist das einsetzen etwas fummelig. Man muss das sehr präzise machen, was ein wenig Übung erfordert, ansonsten hört man doch alles am Silikonpropf vorbei. Sitzt er richtig, dann sind lange Autobahnetappen problemlos machbar ohne taub zu werden.
Ich muss sagen: Die Dinger bereiten mir große Freude, die sind eine wirklich gute Investition in die eigene Gesundheit. Gehörschutz sollten ohnehin alle Motorradfahrer tragen, dieser hier ist sehr gut für alle mit etwas speziellen Ohren (sehr große oder besonders kleine Gehörgänge) oder für Leute, die schon alles haben und ihre Ausrüstung optimieren möchten.
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Nachtrag: Ja, ich achte sehr auf meine Ohren, schon immer. Umso schlimmer: Zwei Wochen nachdem ich den Gehörschutz abgeholt habe, wurde mein rechtes Ohr ruiniert. Aber nicht durchs Motorradfahren.
In der Göttinger Fußgängerzone kam mir eine Frau entgegen, die sich die Hände auf die Ohren presste. Ich dachte noch so “Was hat DIE denn für ein Problem” und lief weiter, direkt in eine Gasse, in der die Fassade eines Hauses mit Hochdruck gereinigt wurde. Durch die dicht zusammenstehenden Häuser wurde der Schall davon so laut reflektiert, dass ich plötzlich stechende Ohrensschmerzen bekam und auch die Hände auf die Ohren presste und schnell vorbeilief, nur um das zu ertragen. Aber da war es schon zu spät – auch heute, noch Wochen später, höre ich auf dem rechten Ohr schlecht.
Oh, diese Ironie.