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Category: Reisen

Reisetagebuch Japan 2024 (1): Kein Bock

Reisetagebuch Japan 2024 (1): Kein Bock

Wie kann man keine Lust haben nach Japan zu reisen? Das Reisetagebuch beginnt mit einem sehr stolperndem Start – und mit einem Klassiker: Ich sperre mich irgendwo ein und komme nicht mehr raus. Die Tour findet ohne eigenes Motorrad statt, deshalb erscheint nur dieser Teil im Motorrad-Blog-Reddit. Als Hinweis, quasi. Jeden Samstag erscheint ein neuer Teil des Reisetagebuchs, dafür gibt es aber keinen Reddit-Eintrag mehr.

November 2023 bis August 2024

Kein Bock.

Ich habe einfach. Keine. Lust.

Keine Motivation, in irgendeiner Art diese Reise vorzubereiten.

Und das mir!

Ich bin normalerweise der, der großen Spaß daran hat, jedes Detail einer Reise im Vorfeld auszuknobeln. Allein schon deswegen, um möglichst viel rauszuholen und keine Zeit zu verschwenden.

Und nun? Habe ich die größte und längste Tour meines bisherigen Lebens vor mir, und ich habe keinen Bock mich darum zu kümmern.

Bereits im November 2023 buchte ich einen Flug nach Japan für den Oktober 2024, und legte ganz enthusiastisch eine Planungstabelle und kramte die Reiseführer wieder raus und dann… hatte ich keine Lust die zu lesen. Andere Dinge waren wichtiger, und nach der Arbeit war ich einfach zu müde um mir Dinge auszudenken. Wintermüdigkeit, dachte ich im Dezember 2023.

Auch im folgenden Januar und Februar und März hatte ich keine Lust auf Reisevorbereitungen. Das machte mich aber nicht nervös oder unzufrieden – irgendwann, da war ich mir sicher, würde die richtige Zeit kommen, und mit ihr die Motivation, und dann ginge bestimmt alles ganz schnell und wie von selbst.

Spoiler: Tat es nicht.

Statt mich um darum zu kümmern was ich einen Monat lang in Japan tun wollen würde, sehnte ich mich nach Besuchen auf gewissen italienischen Bergfarmen und klöppelte an einem neuen Moped herum. Das musste natürlich im April und Mai auch gefahren werden.

Im Juni saß ich auf dem Balkon, die aufgeschlagenen Reiseführer auf dem Schoß, und träumte mit offenen Augen vor mich hin.
Im Juli stand dann eine kurze Fahrt nach Italien an, und im August schrieb ich lieber darüber als mich um Japan zu kümmern.

Was hatte ich in der Zwischenzeit hinbekommen? Nicht viel. Immerhin hatte ich eine Idee gehabt: Japan ist ja ganz schön groß und besteht aus tausenden Inseln, aber es gibt ein “Festland” aus vier großen Hauptinseln. Die strecken sich über fast 2.000 Kilometer, und ich wollte, so die Idee, vom nördlichsten Punkt bis zum südlichsten reisen.

Eine durchaus interessante Reise. Hier sieht man, wie groß Japan ist. Die nördlichste Insel liegt auf Höhe von Deutschland, das Südkap der Hauptinseln schon in Nordafrika. Eine Tour vom mitteleuropäischen Herbst bis nach Ägypten.

Die Fortbewegung? By any Means, also mit jedem Verkehrsmittel was in Frage käme.

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Kein Reisetagebuch (8): Nicht Vergnügungssteuerpflichtig

Kein Reisetagebuch (8): Nicht Vergnügungssteuerpflichtig

Kein Reisetagebuch. Heute mit saudummen Strecken und einem Wurstopus. Außerdem: Kurz vor dem Ziel ist immer der Punkt, an dem man den Boden unter den Füßen verliert – und das Motorrad bekommt einen Namen.

Samstag, 20. Juli 2024, Villa Maria Luigia, Veneto
Sara hatte recht. So sonnig und heiß das Wetter gestern war, in der Nacht hat es heftig gewittert und geregnet. Jetzt ist die Luft erträglicher. Die V-Strom steht trocken und behütet unter ihrem Pavillon auf der Terrasse.

Nach einem kurzen Frühstück verabschiede ich mich von der Familie und mache ich mich auf die Socken. Heute ist Samstag, es ist Hauptferienzeit und ich will möglichst tief in den Alpen sein, bevor die Urlauber aus ihren Betten gekrochen kommen und die Straßen verstopfen.

Durch den Vorgarten der Villa geht es hinaus auf die Strada Statale, die noch feucht ist vom Regen.

Der Plan geht leider nicht auf. Schon bei Belluno, das am Eingang zu den Alpen liegt, ist die Straße gesperrt und auf der Umleitung schon gefühlt JEDER Urlauber unterwegs. Ich mogele mich so gut es geht am Stau vorbei.


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Kein Reisetagebuch (7): Serienduscher

Kein Reisetagebuch (7): Serienduscher

Keine Reisetagebuch. Heute mit unseligen Tunnels, unsichtbaren Gefahrenlagen und unerklärlichen Fehlfunktionen meines Körpers. Es wird schmutzig.

Freitag, 19. Juli 2024, La Vecchia Fontana, Abruzzen.
Der Ablauf ist immer der gleiche. Die Schwingtür zur Küche fliegt auf, Mauro kommt herein, stellt etwas zu Essen auf den Tisch, sagt oder fragt etwas und verschwindet dann wieder. Eine halbe Minute später fliegt wieder die Schwingtür auf und es geht weiter.

So füllt sich das Tischchen vor mir rasant mit leckersten Dingen: Selbstgebackene Cialde (Waffeln), Torta (Kuchen), Biscotti (Kekse), ein Teller mit frisch geschnittenen Aprikosen, Feigen und Äpfeln aus dem eigenen Anbau, ein undefinierbarer Krapfen mit einem Schlag Sahne drauf, Toast, handgemachte Konfitüre und und und, bis ich fast verzweifelt rufe “Stop! Ich kann nicht den ganzen Tag essen, ich muss los!”

“Was soll das heißen, Du musst los?”, ruft Anna und steckt den Kopf aus der Küche.
“Mamma, er bleibt dieses Mal nur eine Nacht”, erklärt Mauro.
“Genau, heute muss ich in die Nähe von Venedig”, sage ich.
Mauro überlegt. “Das sind wie viele Kilometer? 600?”
Ich nicke. “Ungefähr, ja.”
“Na, dann los. Vai! Vai!”

Ein letztes Abschiedsfoto mit dem Team “La Vecchia Fontana“, eine feste Umarmung, dann schwinge ich mich auf die V-Strom, heize den Bröckelweg hinauf und schwenke auf die schmalen Bergstraßen. War nur ein ultrakurzer Besuch, aber auch kurze Besuche erhalten die Freundschaft – und es ist schön zu wissen, dass das hier ein Ort ist, an dem ich willkommen bin und an den ich mich jederzeit zurückziehen kann, wenn mir danach ist.

Dadurch, dass die Vorgebirgslandschaft hier von tiefen Furchen durchzogen ist, ist die Straßenführung abenteuerlich kurvig. Aber nicht im guten Sinne von “Geile Kurven und Mopped, großer Spaß”. Eher “Mist, eine Minikurve an der nächsten, superschmale Straße”. Man muss echt aufpassen und langsam fahren. Dreißig Stundenkilometer sind schon schnell, zwanzig und weniger die Regel. Man kommt quasi nicht vom Fleck.

Immerhin ist die Landschaft schön:


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Kein Reisetagebuch (6): In der Heißluftfriteuse

Kein Reisetagebuch (6): In der Heißluftfriteuse

Kein Reisetagebuch. Heute erfahre ich, dass ich berühmt bin. Es wird viel geflucht. Mein Orientierungssinn begibt sich auf Abwege. Ich sitze unvermittelt in einer Heißluftfriteuse. Habe eine Erkenntnis. Ein faschistischer Berg geht den Bach runter. Ach ja, und Annas Hund fährt Auto. ES WIRD EIN LANGER TAG.

18. Juli 2024
Kurz nach Sieben stehe ich bei Rosanna in der Tür des Frühstücksraums. Bin noch ein wenig verpennt. Die Nacht nicht gut geschlafen. Wie auch? Heute ist Tag des Abschieds. Giorno della partenza, wie Giulietta sagt. Vor der Tür meines Zimmers steht schon die V-Strom und wartet nur darauf, wieder auf die Straße zu kommen.

Ich höre nur mit halbem Ohr zu was Rosanna heute Morgen erzählt, während sie mir ein großes Stück Torta Albicocca (Gesprochen: Albikokka) schneidet, Aprikosenkuchen. Bis ich merke, dass es in ihrer Erzählung um mich geht.

“Ich war gestern in der Osteria im Dorf. Die Wirtin hatte Geburtstag, und weißt Du was? Die haben mich da direkt über Dich ausgefragt, die Belegschaft und die Stammgäste! Du warst eh Gespräch des Abends. Ein Deutscher, hier! Und der will auch noch unbedingt italienisch sprechen! Was ja verrückt ist, weil Elena so gut Englisch spricht. Sie ist Rumänin, weißt Du?”

Ich bin völlig fasziniert. Wie kann man so viel reden ohne Luft zu holen?

“Und dann hast Du neulich Abend auf Insta ein Bild aus dem Ristorante gepostet und jetzt folgen die dir alle!” Ach. Daher die ganzen neuen Follower. In Italien ist jeder auf Insta. Zumindest jede Frau. Und deren Mudder.

“Da haben sie dann in der Story gesehen, dass Du mit dem Motorrad reist und das Du da oben am Berg warst und den Passo delle Radici gefahren bist und…”
-“Bin ich?”
“Jaja, und…”
“Wo ist der Passo delle Radici?”, will ich wissen. Kann mich nicht an den erinnern.
“Na HINTER oben am Berg!”, sagt Rosanna und macht ein „Ts“-Geräusch als ob jedes Kind wissen müsste, dass der Radieschenpass hinter den sieben Bergen ist.

“Und Du warst auf der Big Bench und am Lago Calamone. Das Du bei uns wohnst haben sie auch gesehen und mich dann über Dich ausgefragt. Ich habe erzählt das Du schon ein paar mal hier warst und ein Freund von Giulietta bist und auch die Sara von oben am Berg kennst und…”

Ich vergrabe das Gesicht in den Händen und stöhne. Offensichtlich bin ich das Dorfgespräch. Muss man auch erstmal hinkriegen.
“Sono famoso?”, frage ich mit geschlossenen Augen, bin ich jetzt berühmt?
“Si!”, sagt Rosanna und nickt.

Der letzte Koffer hängt am Motorrad, nichts ist im Zimmer vergessen. Ich trete den schweren Gang den Berg hinauf zur Bar an.

Als sie mich sieht, kommt Giulie hinter dem Tresen der Bar hervor. “Partenza?”, ruft sie.

Ich nicke und sie streckt die Arme aus und zieht mich an sich.
Fünf Tage bin ich hier gewesen, aber es fühlt sich gerade so an, als sei ich erst vor fünf Minuten angekommen.
Ich fühle mich elend. Es ist, als würde mein Körper dagegen rebellieren, diesen Ort zu verlassen.

Sie bemerkt meinen Blick. “Tutto a posto?”, Alles in Ordnung?
“Giulie, ich…”
“Ehi”, unterbricht Sie mich. Das ist italienisch und bedeutet “hey”. Klingt auch fast genauso, nur ohne das “h”.

Sie sieht mich direkt an, mit diesen strahlenden, grauen Augen und sagt dann mit einem Lächeln und so langsam, dass ich es auf Anhieb verstehe “Non dire addio, ma a presto!”. Sag nicht auf Wiedersehen, sondern bis bald.
Ich nicke, und für einen Moment stehen wir uns schweigend gegenüber.

“Un’ultima foto?”, frage ich.
“Certo!! Cinzia! Scatti una foto di noi!” ruft Giulie und winkt eine Freundin heran, die in der Nähe bei einem Caffé sitzt.

Ich bin so überrascht, dass ich die heraneilende Frau mit “Buona Sera” begrüße, guten Abend.
Giulie stöhnt laut auf, als sie das hört und macht “NOOOOOOOOOOO”, und ich klatsche mir ob meiner eigenen Doofheit mit der Hand an die Stirn.
Oh man, ich stelle mich ja bei der Abfahrt genauso bescheuert an wie bei der Ankunft. Irgendwie setzt manchmal mein Sprachzentrum in der Nähe von gewissen Personen aus. Aber Giulietta hat es halt drauf mich aus dem Konzept zu bringen. Die Frau ist in jeder Minute überraschend.

Cinzia macht mit meinem Handy einen Schnappschuss, auf dem wir beide in die Morgensonne blinzeln.

Giulie haucht mir noch einen Abschiedskuss auf die Wange und sagt “A presto”. Dann eilt sie wieder in die Bar, an deren Tresen schon ein paar Straßenarbeiter lautstark auf ihren Caffé warten.

“A Presto”, wiederhole ich, drehe mich um und gehe zum Motorrad.

Die Suzuki rollt aus dem Tor der Farm, als mir ein Auto entgegenkommt. Der Fahrer hebt die Hand und nickt mir zu. Wer ist denn das? …das ist ja der Hausmeister! Der Grummel! DER GRÜSST! Das ist ja wie ein Ritterschlag!

Ich hupe ein letztes Mal und grüße zur Bar hinüber, dann gebe ich Gas und bin verschwunden.

Und DANN fällt mir ein, dass ich ob dieses verwirrenden Abschieds ganz vergessen habe, mich auch von Annamaria, Giulies Mamma, zu verabschieden. Das ist mal mindestes grob unhöflich und wird beim nächsten Besuch bestimmt noch Ärger geben.
Beim nächsten Besuch.

Oh man.
Ich bin kaum aus der Tür, denke ich schon daran, wann ich wohl wieder hier sein kann.

“Porto un pezzo del tuo cuore nel mio. Così sei sempre con me.”

Den Satz habe ich gestern Abend gelernt.

Ich trage ein Stück von Deinem Herzen in meinem. Damit bist Du immer bei mir.

Ist der Gedanke nicht wunderschön?

Oder anders: Ich trage ein Stück von hier in meinem Herzen. Damit reisen wir jetzt gemeinsam.
Ich schüttele den Kopf um ihn frei zu bekommen, und versuche mich auf die Straße zu konzentrieren.

Der Weg führt wieder über den Pass in der Bergkette, die die Emilia Romagna und die Toskana trennt, dann durch die Täler Richtung Küste.


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Kein Reisetagebuch (5): Tra Terra e Cielo

Kein Reisetagebuch (5): Tra Terra e Cielo

Kein Reisetagebuch. Heute mit Albrecht´schen Schlängelwegen zwischen Himmel und Erde, Tankstellen ohne Netz und meine mangelnden Sprachkenntnisse führen zu einem Duell.

Mittwoch, 17. Juli 2024
“Die Seen hier sind auch voll schön”, sagt Rosanna beim Frühstück und beginnt, jedes Gewässer im Umkreis von 50 Kilometern aufzuzählen. Ich höre mit halbem Ohr zu und spiele gedankenverloren mit einem Päckchen Zucker herum. Als ich mit dem Caffé fertig bin, will ich es wegpacken und lese dann erst, was darauf steht:

“Tra terra e cielo, nel cuore…”, steht darauf, “Zwischen Erde und Himmel, im Herzen des Nationalparks toskanischer-emilianischer Apennin”. Etwas sperrig als Slogan, aber ich finde den schön.

“Sag mal”, frage ich, “An der Straße hinter dem Ort habe ich ein Schild gesehen, auf dem die Telefonnummer von hier steht, in der gleichen Handschrift wie die Schilder auf der Farm. “B&B alte Flussmühle” – habt ihr da noch einen Gästebetrieb?

Rosanna schüttelt den Kopf. “Früher mal, bevor wir die Blockhütte hier gebaut haben. Jetzt nicht mehr. Die alte Mühle ist immer noch ein Gästehaus, aber aktuell wohnt da der Hausmeister”. Ah, das muss der grummelige Farmarbeiter sein.

Besagter Grummel steht gerade auf einer Leiter und streicht die Holzbalken der Blockhütte. Ich grüße freundlich. Ein patziges “´Giorno” kommt durch zusammengebissene Zähne zurück.
Immerhin eine Antwort. Hey, wir machen Fortschritte.

Heute will ich nur ein wenig Mopped fahren. Also, ich meine natürlich “Die V-Strom 800 weiteren Tests unterziehen”.
Einen See zu besuchen steht eh´ auf dem Programm, dazu eine verlassene Nato-Basis und eine alte Burg.

So leer die Gegend hier auf den ersten Blick scheint, bei genauerem Hinsehen ist sie voller Kleinode und angefüllt mit Sehenswürdigkeiten. Vermutlich könnte man in diesem abgelegenen, kleinen Teil der Welt Wochen zubringen und würde immer noch verwunschene oder interessante oder historisch bedeutsame oder ansonsten berühmte Orte entdecken. Gut, das trifft auf nahezu jeden Teil Italiens zu, aber hier ist es dazu noch wunderbar menschenleer.

Kurze Zeit später schrubbt die V-Strom die Berge hinauf. Die Straßen sind auch hier schmal und manchmal etwas brökelig, aber völlig ok. Es macht Spaß, die wendige Suzuki durch verdrehte Kurven zu steuern und durch die letzten kleinen Dörfer vor dem Nichts zu fahren.

Die Federung der 800er kam mir im Stand viel zu weich vor. Ich kann die V-Strom hinten mit einer Hand runterdrücken, das kam mir nicht koscher vor. Aber hier, unter realen Bedingungen, ist das Fahrwerk ziemlich gut. Es federt leichte Unebenheiten komplett weg, fühlt sich aber in Kurven straff und überhaupt nicht schwammig an, sowohl mit als auch ohne Gepäck. Für den Betrieb zu zweit, mit einer Sozia und dann ggf. noch Gepäck ist es aber definitiv zu weich.

Andere Fahrzeuge sehe ich so gut wie keine, sieht man von der gelegentlichen Ape eines Bauern ab oder von ihm hier, der seinen Hütehund Gassi führt, in dem er mit dem Auto nebenher fährt:

Das Nichts, das hinter den letzten Dörfern beginnt, ist einfach die leere Bergwelt. Die V-Strom summt über Berggrate und an an den Flanken der Hügel entlang und immer, immer wieder gibt es einfach richtig schöne Ausblicke.

Ein tiefer Seufzer. Was bin ich dankbar hier sein zu können. Anfang des Jahre ist mit klar geworden, dass ich die Menschen hier erst in eineinhalb oder zwei Jahren wiedersehen würde, mangels Zeit und eines Reisemotorrads. Ich könnte dem Suzuki-Händler immer noch auf Knien danken, der die V-Strom 800 so früh besorgen und ausrüsten konnte – ohne ihn wäre ich nicht hier, und hätte Giulie und die anderen erst im Herbst 2025 wiedergesehen. Aber nun fahre ich hier rum, auf einem neuen Moped! Manchmal kann ich das immer noch nicht ganz fassen.

An einer Weggabelung halte ich an und mache ein paar Bilder von der V-Strom 800. Wie sie da so steht, hinter sich nur eine Bergkette und darüber sofort der offene Himmel, ist sie tatsächlich “Tra terra e cielo”, zwischen Erde und Himmel.

Doch, ich bin wahnsinnig zufrieden mit der Kiste. Sie ist alles, was ich mir von einer Nachfolgerin der Barocca gewünscht habe, und mehr.


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Kein Reisetagebuch (4): Platte mit Aussicht

Kein Reisetagebuch (4): Platte mit Aussicht

Kein Reisetagebuch. Heute passiert wieder nichts, aber das auf hohem Plateau. Es wird ein wenig geklettert und spaziert, und am Ende gibt es einen Notfall.

Dienstag, 16. Juli 2024
Es ist halb Acht, Terrasse vor der Blockhütte. Es ist bereits warm, die Sonne scheint, und heute verderben keine schlechtgelaunten Raucher die Stimmung. Rosanna und ich sind alleine.

“Haben Deinen Großeltern die Biscotti geschmeckt?”, fragt sie und stellt einen Caffé Doppio auf den Tisch den Frühstückstisch.

“Oh ja, sehr sogar”, lüge ich ohne rot zu werden. Tatsächlich haben meine “toskanischen Großeltern” die Kekse von Giuliettas Mamma gestern gar nicht aufgemacht. Aber dass die großartig sind, und Francesca und Lucio schmecken werden, daran besteht kein Zweifel.

Eigentlich flunkere ich also gar nicht. Ich greife der Wahrheit nur vor und zerre sie aus der Zukunft in die Gegenwart.

Heute morgen bin ich durch die Reihen der vielen, vielen Fischbecken und über die Ländereien der Farm gestrolcht und habe dabei noch zwei neue Seen entdeckt, die ich vorher noch nie gesehen habe.

“Die Anlage hier ist ECHT groß”, sage ich.

Rosanna lacht. “Das hier? Das ist GAR NICHTS. Das hier ist WINZIG.”
Ich mache dicke Backen.

“Das hier ist nur das Labor und die Versuchsanlage. Hier erprobt der Professore, Giuliettas Mann, neue Methoden und forscht. Die richtigen Zuchtanlagen sind viel, VIEL größer. Darin werden Fische in einer Anzahl gezüchtet, dass man damit Gewässer und Flüsse repopularisieren kann.”

“Äh”, gehe ich dazwischen, “Es gibt also Gewässer, wo Fische ausgestorben sind, und dann rückt der Professore an und besiedelt den ganzen Fluss oder See neu?”

“Ganz genau”, sagt Rosanna, “Bis vor zehn, zwanzig Jahren waren die italienischen Flüsse dreckig und tot. Jetzt sind sie sauberer, und nun müssen Fische neu angesiedelt werden. Auftraggeber sind die Regionen Italiens. Fische und Gewässer retten, das ist die persönliche Mission des Professore.” Sie putzt unsichtbaren Staub von einem der anderen Außentische.

“Er ist besessen von der Mission, schon von klein auf. Er hat überall Zuchtanlagen. Hier in der Gegend gibt es zwei, dann welche in den Abruzzen, eine weitere im Molise, eine bei Neapel, eine auf Korsika, eine in Kanada. Er reist ständig herum und kontrolliert die. Dazu die Forschung und die Kongresse und Vorträge und Initiativen und ein Podcast und was nicht noch alles. Wusstest Du, das er eine eigene Sendung auf RAI hat? “Fragen Sie Prof. Fisch”.

Sie lacht, dann stockt sie kurz. “Er ist ständig unterwegs. Manchmal nicht einfach für die Familie. Hier oben kann es ganz schön einsam werden. Giulietta hat die beiden Kinder häufig allein aufgezogen. Aber nun. Die sind jetzt fast erwachsen, und Giulie hat ihre Arbeit und ihre Freundinnen. Also alles gut. Alles bestens.”

Die V-Strom 800 prescht über die Bergstraße.
Mittlerweile kenne ich den Verlauf und weiß auch, was hier morgens los ist (nicht viel). Deshalb nehme ich die Kurven mit höherer Geschwindigkeit und probiere aus, wie fix die Maschine wirklich auf schnelle Lastwechsel reagiert, wo sie genau hingeht, wieviel Kraft und Balance ich einbringen muss.

Langsam taste ich mich an immer extremere Schräglagen heran und achte genau darauf, wie sich das für mich anfühlt und was das Motorrad macht. Um wirklich RICHTIG gut mit der neuen Suzuki zu werden, so wie ich es nach Jahren auf der Barocca war, muss ich die Kiste und wie sie auf was reagiert bis ins Detail kennen. Eine bessere Umgebung als hier kann man sich für solche Erfahrungen kaum wünschen. Der Asphalt ist perfekt und die Witterung wie für Testfahrten gemacht.

Stellt sich raus: Die Suzuki fällt fast von selbst in die Kurven. Das war auf den nicht-soooo-schlechten OEM-Reifen schon so, aber mit den Tourance Next II ist es nochmal besser.

Für ein Motorrad dieser Größe und mit diesem Gewicht ist das keine Selbstverständlichkeit, aber die 800er steht der Handlichkeit der 650er in nichts nach. Besser noch: Bremsmanöver gelingen schneller und präziser, dank der echt guten Bremsen, und das  Herausbeschleunigen ist mit dem kraftvollen Motor ein Vergnügen. Echt, ich habe bei noch keiner Suzuki so gute Bremsen und einen solchen Druck von unten heraus erlebt, auch nicht bei der 1000er oder der 1050er V-Strom.

Als ich gerade durch eine Kurve fetze, die in sich noch eine leichte Steigung hat und die ich mit einer Schräglage leicht außerhalb meiner Komfortzone nehme, kracht es plötzlich und tut einen ordentlichen Schlag. Irgendwas hat aufgesetzt, und die Fußraste schien es nicht zu sein. Interessant. Kriege ich das nochmal hin?

Rechts nicht, aber links, stellt sich raus, kann ich die 800er sehr schnell zum Aufsetzen bringen. Das liegt erstaunlicherweise aber nicht unbedingt an der Maschine. Wie ich später feststelle, setzt sie mit dem Seitenständer auf, genauer gesagt: Mit der Seitenständerverbreiterung, die ich da drangepfriemelt habe. Noch bevor ich mit der Fußraste auf den Boden komme, schrappt dessen Aluplatte über den Asphalt:


Das ist Käse, aber nicht dramatisch. Ich hatte eh erwartet, dass die Maschine aufsetzt. Die V-Strom 800 hat immerhin nur 15,5 cm Bodenfreiheit und zusätzlich noch einem Hauptständer. Die Geländeversion der V-Strom, die 800DE, hat 22cm, was mir aber zu hoch ist. Die alte 650er hatte 16,5 cm, was sehr gut passte.  Wurscht.

Ich fahre nach Castelnovo ne´Monti (wörtlich: Die neue Burg in den Bergen), was der einzige größere Ort der ganzen Region hier ist – bei 10.000 Einwohnern, wenn man die umliegenden Ortsteile und Weiler, die Frazioni, hinzuzählt.

Hinter dem Ort ragt  eine auffällige Felsformation in den Himmel, die ich nie wahrgenommen habe, als ich früher hier war. Kein Wunder, hat ja meistens geregnet.

Erst auf Insta bin ich darüber gestolpert.
Gefühlt sind in Italien alle auf Instagram aktiv.

Den Fels hier habe ich im Account von Antonetta entdeckt. Sie ist Fotografin, lebt in Castelnovo ne´Monti und knipst bevorzugt diesen Berg, besonders gerne bei Nacht, und unterlegt die Bilder und Videos immer mit dem absolut perfekt passenden Song. Echt, ihre Aufnahmen sind der Hammer. Antonetta gibt sogar Fotokurse.

Wenn ich das richtig verstanden habe, war sie früher Model – und das sieht man. Sie ist ein Jahr älter als ich, sieht aber zehn Jahre jünger aus, ist gertenschlank und sehr sportlich – kein Wunder, wenn sie dauernd die Berge hoch und runter flitzt. Keine Ahnung, was in dieser Gegend im Wasser oder in der Luft ist, das hier die schönsten Frauen Italiens herkommen. Aber nun, ich bin wegen des seltsamen Berges hier.

Seltsam ist er, weil der “Pietra di Bismantova” wie ein Fremdkörper aus dem Boden ragt und keine Spitze hat, sondern eine platte Ebene auf seinem 1.047 Meter hohem Haupt trägt.

Mein Ziel ist ein Parkplatz am Fuß des Bergs. Der müsste hier eigentlich schon bald in Sicht kommen.

“Jetzt links abbiegen”, sagt Anna und ich sehe eine Art besseren Feldweg, der an einem Hügel vor dem Felsen hochführt. “Nee”, denke ich. Der Parkplatz ist gut frequentiert, da MUSS eine ordentliche Straße hinführen. So eine wie die, auf der ich gerade fahre: Einspurig aber breit, mit nagelneuem Asphalt und sogar mit einer Radspur.

DAS muss die Straße zum Parkplatz sein, nicht dieser Feldweg da. Das ist bestimmt wieder eine von Annas skurrilen Abkürzungen, bei der man eine halbe Minute spart aber dafür durch einen Fluss fahren muss oder sowas.

Ich gebe Gas und überhole einen alten Fiat Cinquecento. Witzig, im Bild der Bordkamera sieht es so aus, als hätte die V-Strom einen Schnabel und würde den Kleinstwagen auffressen.


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Kein Reisetagebuch (3): Meine toskanischen Großeltern, das Kaninchen und ich*

Kein Reisetagebuch (3): Meine toskanischen Großeltern, das Kaninchen und ich*

Kein Reisetagebuch. Es passiert nichts weltbewegendes. Es werden keine interessanten Orte besucht. Das hier ist nur ein Tagebuch. Heute mit schlechtgelaunten Rauchern, gutgelaunten Rentnern, einem Kreuzverhör und einem Karnickel.
(* Ich hasse diese Sorte von 2004er-Titeln. Dem Blog fehlte zur Vollständigkeit aber noch einer. Demnächst: “Der 49jährige, der aus einem Fenster stieg und…” )

Montag, 15. Juli 2024
“Das müssen´se sich mal vorstellen, das geht doch nicht! Im-Po-ssi-bi-le!”, verstehe ich noch, der Rest der Tirade geht in einem Hustenanfall unter. Ich widme mich weiter meiner Torta di Caffé und einem Cornetto, während sich das Paar am Nebentisch ordentlich die Lunge abhustet.

Die beiden kommen aus Mailand und müssen Mitte 60 sein, sehen aber viel älter aus. Rauchen macht sowas mit der Haut, und beide rauchen Kette und haben permanent schlechte Laune, das lässt einen altern. Gestern Abend schon saßen sie neben der Hütte, rauchten eine nach der anderen und schimpften über Gott und die Welt vor sich hin. Menschen ohne einen Funken Lebensfreude. In Deutschland wäre die Diagnose: AFD-Wähler.

“Also ICH habe ja aufgehört zu rauchen”, sagt Rosanna angesichts des Hustenanfalls und guckt fröhlich in die Runde. Das ist natürlich genau das, was schlechtgelaunte Raucher unter keinen Umständen hören wollen.

“Guck mich nicht an”, sage ich zu Rosanna, “Ho smesso di fumare dopo 13 anni” Ich habe auch nach 13 Jahren aufgehört.
“Ist aber schon ein Bißchen her, oder? Du hast noch nie geraucht, wenn Du hier warst”, sagt Rosanna.

Aus Rücksicht auf die Raucher sage ich nichts weiter. Die verziehen trotzdem die Gesichter und bölstern nochmal los.

Rosanna eilt in die Küche der Blockhütte und kommt mit einem Päckchen wieder, das sie mir überreicht. Ich halte ein Tellerchen mit schön verpackten Keksen in der Hand.

“Mit besten Empfehlungen von Annamaria”, sagt Rosana. Annamaria ist Giuliettas Mamma.
“Wow, danke!!”, sage ich begeistert. “Was bin ich Euch schuldig?”

“Nichts. Von Dir nehmen wir doch kein Geld, und mal ehrlich… Sie backt die Kekse doch sowieso, egal ob sie jemand isst oder nicht. Und jetzt freut sie sich, dass sie deinen Großeltern eine Freude machen kann”.

Ich muss lachen. “Das sind aber nicht wirklich meine Großeltern, das wisst ihr, oder?”, sage ich.
“Ich habe keine italienischen Wurzeln. Das sind einfach supernette alte Leute, die sich irgendwann selbst zu meinen Großeltern erklärt haben. Die haben mich adoptiert, sozusagen.”

Rosanna schürzt die Lippen und wackelt mit dem Kopf. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie das Konzept “Familie, mit der man nicht blutsverwandt ist” ablehnt. Immerhin ist sie glühende Verehrerin von Matteo Salvini, dem faschistoiden Rechtsausleger. Der hat unter anderem deutsche Seenotretter einbuchten lassen, alle Migranten zu Verbrechern erklärt und finanziert wird seine Partei von den Russen. Das persönliche Wirken von Salvini habe ich schon selbst gesehen, in dem entvölkerten Dorf Riace. Auf ihrer Facebook-Seite hast Rosanna stolz etliche Fotos gepostet, die sie zusammen mit Salvini bei seinen Wahlkampauftritten zeigen. Wie überall, so tun auch in Italien die Rechtspopulisten so, als ob blutsverwandte, heterosexuelle und mit Kindern versehene Familie heilig sei.

Wenn man Rosanna so erlebt, ist sie eine bodenständige, manchmal etwas bratzige, aber die meiste Zeit über eine sehr freundliche und gut gelaunte Frau. Leider kann man über die sozialen Medien in ihren Kopf gucken, und in dem verehrt sie den Abschaum der Menschheit.

Ich habe eh Probleme mit den tiefen und unangenehmen Einblicken, die Social Media häufig erlaubt. Mir fällt es schwer damit umzugehen, wenn ich Menschen im echten Leben EIGENTLICH mag, aber die ganz schlimme Dinge denken oder Einstellungen haben. Und ich rede hier nicht von “Butter unter die/das Nutella oder nicht”, das ist mir völlig egal. Soll jede:r machen wie er will. Der Spaß hört aber auf, wenn es menschenverachtend und gegen Minderheiten geht oder jemand generell völlig abdriftet.

Andrea aus Livorno ist so ein Fall. Mechaniker. Wahnsinnig netter und interessanter Mensch, hat 2016 die ZZR mit einer Lichtmaschine aus SEINER ZZR gerettet, danach hatten wir noch ein paar Mal freundschaftlichen Kontakt. Aber leider, leider: Seine Facebook-Seite ist seit der Pandemie voll mit dem kompletten Programm an Verschwörungstheorien: Impfstoffe sind Gift, die 5G-Masten um Livorno seien von Bill Gates finanziert um Menschen fernzusteuern, die Regierung tauscht die italienische gegen afrikanische Bevölkerung, Chemtrails verursachen den Klimawandel, den es nicht gibt aus und Elektrofahrzeuge sind eine Verschwörung der Grünen.

Natürlich hat er erst stolz die 5-Sterne-Bewegung gewählt, dann Salvini. Wie soll ich jemandem gegenübertreten und freundschaftlich plaudern, wenn ich weiß, das hinter seiner Stirn so etwas passiert? Das geht für kurze Zeit und wenn es rein geschäftlich bleibt, da bin ich Profi. Aber befreundet sein oder Kontakt halten möchte ich mit so jemandem nicht.

Das ist schade, denn hätte ich Andrea und Rosanna nur im echten Leben kennengelernt, ich hätte sie als wertvolle Menschen in meines gelassen. Wären sie mir zuerst online begegnet, wir würden nie etwas miteinander zu tun gehabt haben. So ist es ein Mischdings, was sich oft komisch anfühlt.

“Dann mache ich mich mal auf den Weg”, sage ich, bedanke mich noch einmal und lasse Rosanna mit den hustenden Rauchern allein.

Vor der Blockhütte belädt ein hagerer, sonnenverbrannter Mann mit dichtem Vollbart den Dodge Ram. Fäden hängen aus seinem Cap, Flecken zieren Jeans und T-Shirt. Offensichtlich ein Helfer auf der Farm, vielleicht der Vorarbeiter. Ich grüße freundlich. Er hört das, reagiert aber nicht und würdigt mich keines Blickes.

Wenig später sitze ich im Sattel der V-Strom, die durch den kleinen Ort in der Nähe rollt. Für heute habe ich mir einen besonders schönen Weg ausgesucht, der… “Für Motorräder gesperrt” ist??
Sollen ditte??


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Kein Reisetagebuch (2): Die Wuschelköpfige

Kein Reisetagebuch (2): Die Wuschelköpfige

Kein Reisetagbuch. Heute mit Kunst und Kultur, Windows Exceptions im echten Leben, noch mehr sprachlichen Missverständnissen und einer Nacht, die nie vergessen werden wird.

14. Juli 2024
Rosanna hilft auf der Fischfarm bei der Betreuung der Gästehütte. Anders geht es auch nicht mehr, neben der Fischzucht florieren das Gastgewerbe, die Bar und das Restaurant auf der Farm, da braucht es helfende Hände – und dennoch hat Giulietta in den Sommermonaten 16 Stunden-Tage, mit Arbeitszeiten von 7:00 Uhr morgens bis 23:00 Uhr am Abend. Was für eine Frau.

Während Giulie heute morgen schon wieder hinter dem Tresen der kleinen Bar steht, kümmert Rosanna sich um die Zimmer und das Frühstück für die Gäste. Die Gästehütte beinhaltet die vier Zimmer für Übernachtungsgäste, einen zentralen Raum mit Tischen und einer Küche, und einer großen Glasfront, die zu einer Terrasse hinausführt, die ein grünes Dach aus Blauregen hat.

Darunter sitze ich heute morgen und mümmele an einem italienischen Frühstück – einem “Bombolone” (mit Vanillecreme gefülltes Bällchen) und eine Torta Caffé (Kuchen mit schwarzer Schokolade und Kaffeegeschmack). Nur ein kleiner Ausschnitt aus der schier endlosen Vielfalt an Leckereien, die Giuliettas Mamma jeden Tag backt. Der Frühstückstresen reichte gar nicht aus, jede Ablage biegt sich unter süßen Kuchen, herzhaften Pizzateilchen, Keksen und so weiter und so fort.

Da fällt mir etwas ein. “Rosanna, ich bin morgen eingeladen und habe kein Gastgeschenk. Wäre es möglich, dass ihr mir ein kleines Päckchen Kekse einpackt?” Rosanna sieht sich amüsiert im Gästeraum um und schmunzelt. “Ich bin sicher, wir können ein paar entbehren”.

Kurze Zeit später braust die V-Strom 800 über die Bergstraßen. Die Region hier ist wirklich ideal, um das neue Motorrad auszuprobieren. Kurvenreiche Straßen, eng, aber meist mit sehr gutem Asphalt – die Gegend ist am Wochenende ein Magnet für Motorradfahrer. Heute ist Sonntag, aber gerade ist es noch zu früh, erst kurz nach Acht, da sind außer mir nur die unvermeidlichen Fiat Pandas mit Hütchentragenden Oppas unterwegs. In der Ferne grüßt der Pietra di Bismantova.

Die Fiat Pandas zu überholen ist ein Kinderspiel, selbst auf den engen Bergstraßen. Es ist wirklich beeindruckend, wie kraftvoll die neue Suzuki beschleunigt und wie elegant und leicht sie durch die Kurven flitzt. Der Motor ist wirklich gelungen, quirlig und mit ordentlich Druck von unten. Dass das kein V-Motor mehr ist sondern ein Parallel-Twin, merkt man nicht. Sound und Vibrationen fühlen sich genau an wie ein V-Motor.

Dabei hilft auch das gelungene Motormapping. Es gibt drei Modi für den Motor: “C” ist offensichtlich für Fahranfänger, damit fühlt sich die Suzuki an, als hätte sie nur 27 PS. Sie nimmt das Gas gutmütig an, verzeiht jeden Fehler und ordnet sich allem unter, was der Fahrer tut.

Modus “B” ist der Normalzustand und gut für alles, von der Stadt über Landstraße bis hin zu Reisen. Die Maschine verhält sich damit ausgeglichen, am Gasgriff liegt ordentlich Druck an, den man zum Überholen jederzeit abrufen kann.

Modus “A” verwandelt die Suzuki in ein ganz anderes Motorrad. Sie scheint in diesem Modus die Muskeln anzuspannen. Die Federspannung ändert sich dabei natürlich nicht, in dieser Preisklasse gibt es kein adaptives Fahrwerk. Allein durch die Motorabstimmung wird die V-Strom in Modus “A” vor lauter Energie spürbar unruhig. Sie reagiert auf kleinste Bewegungen am Gas, beschleunigt sofort und brachial. Dafür zuckelt sie bei zu niedriger Drehzahl von selbst nervös am Gasgriff. Es fühlt sich an, als ob sich die sportliche Tourerin in ein Sportmotorrad verwandelt und plötzlich mehr Leistung hat als die 84PS, die sie tatsächlich mitbringt.

Den Quickshifter, der Schalten ohne zu kuppeln ermöglicht, habe ich ebenfalls schätzen gelernt und nutze ihn auch. Ist schon nett, blitzschnell hoch und runter schalten zu können, ohne dabei den festen Griff der linken Hand lösen zu müssen.

Im Sportmodus und mit viel Quickshifterei fetzt die V-Strom 800 über die Bergstraßen, bis sie nach einer Stunde aus den Bergen herauskommt.

Wie auf einer Perlenkette aufgefädelt liegen die Städte Piacenza, Parma (das mit dem Schinken), Reggio Emilia und Modena (das mit dem Aceto Balsamico) vor den Bergen des Appenin, etwas weiter südöstlich liegt Bologna.

Heute ist Parma mein Ziel, und eine weitere halbe Stunde später rollt die Suzuki durch die Straßen der Stadt.

Klassizistische Stadthäuser und minderschöne Neubauten prägen das Bild der Neustadt. Mein Ziel ist der Rand der Altstadt, wo ich im Vorfeld einen perfekten Parkplatz für Motorräder gefunden habe. Aber als  Anna uns dorthin geführt hat, falle ich fast vom Glauben ab. JUST AB HEUTE ist hier absolutes Halteverbot, auch und extra für Motorräder! Wieviel Glück kann man haben?

Leicht angepisst sehe ich mich um und parke dann die V-Strom hinter einem Werbeplakat auf dem Bürgersteig. Fällt doch gar nicht auf!


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Reisetagebuch: Kein Reisetagebuch

Reisetagebuch: Kein Reisetagebuch

Freitag, 12. Juli 2024
“Stoooooooop! Frana!”, Erdrutsch, ruft der Polizist und winkt mich von der Ausfahrt des Kreisels weg. Ich kann´s echt nicht glauben, dass ich jetzt wirklich abdrehen soll. Über 700 Kilometern bin ich jetzt schon gefahren, und jetzt, hier, zweieinhalb Kilometer vom Ziel entfernt, geht es nicht weiter. “Einen Schritt vor dem Ziel ist genau der Moment, in dem man den Boden unter den Füßen verliert”, zitiert der Popkulturzausel, der mietfrei in meinem Hinterkopf wohnt, den bekannten Archäologen Henry Jones, Jr.

Ich ziehe die V-Strom wieder in den Kreisverkehr und fahre in eine andere Richtung aus, dann lenke ich das Motorrad an die Straßenseite und tippe auf Annas Bildschirm herum. Es steht noch ein wenig Wasser auf dem Display, der letzte Regenschauer ist nicht lange her. “Route ändern. Umleitung. Nächste zwei Kilometern vermeiden”, gebe ich ein und zu meiner Erleichterung findet das Garmin Zumo einen anderen Weg.  Ich starte den Motor und folge den Anweisungen, die es mir ins Ohr quatscht.

Es geht einen Berg hinauf. Die Straße führt im Verlauf wohl zu einem Pass und ich hoffe, dass die Umleitungsstrecke nicht plötzlich über einen Rückeweg führt oder einen unbefestigten Abhang hinunter oder sowas. Das Garmin routet gerne mal exotisch. Aber es hat einen Grund, dass das 11 Jahre alte Navigationsgerät trotz seiner gelegentlichen Seltsamkeiten jetzt in der neuen V-Strom 800 steckt. Anna hat ein paar Tricks im Ärmel, die aktuelle Navis nicht mehr beherrschen. Reifendrucküberwachung, zum Beispiel. Oder die Anzeige von Wetter entlang einer Route, oder ein animiertes Regenradar.

Anna kann das, und auf ihrem Display konnte ich genau verfolgen, dass der starke Regen, in dem wir ab Fulda für eine Stunde gefahren sind, zwar extrem unangenehm war, aber nichts gegen die beiden Unwettergebiete mit Hagel, zwischen denen wir in Bayern und Baden-Württemberg elegant durchgewitscht sind. Bis zu den Alpen war das Wetter  OK,  aber dann setzte wieder Regen ein. Aber halt nur normaler Regen, nichts gegen den Starkregen, der in Österreich heute schon gefallen ist.

“Bundestraße zum Reschenpass gesperrt, Erdrutsch”, verkündeten Displays an den Tunneln bei Innsbruck. Gut, da wollte ich auch gar nicht hin. Ich bin die alte Brennerstraße bis Sterzing gefahren, und jetzt, kurz hinter dem Ort, geht es nicht weiter. Dabei ist mein Hotel quasi in Sichtweite. Nunja.

“Lernst Du halt wie das ist, mit mir unterwegs zu sein”, sage ich zur V-Strom, während die Maschine über eine schmale Straße in einen Nadelwald hineindonnert. “Unwetter, Umleitungen, …schon auf der ersten Fahrt bekommst Du das volle Programm mit”.

Der extreme Mix passt gut, denn das hier ist immerhin die Testfahrt für das neue Motorrad. Ich bin nur unterwegs, um die neue Suzuki auszutesten. Rede ich mir zumindest ein.

Tatsächlich habe ich auch eine Pause gebraucht. Ja, das hier ist eine kurze Pause vom Alltag. Aber kein richtiger Urlaub. Das hier ist keine Reise. Deshalb gibt es auch kein Reisetagebuch. Ich komme ja nicht an neue und interessante Orte. Aber “Pausentagebuch” klingt doof, deshalb wird es einfach gar keinen Blogeintrag dazu geben. So.

Warum auch. Immerhin bin ich mehr oder weniger heute morgen einfach auf die V-Strom gestiegen und losgefahren. Gut, nicht ganz so spontan, aber fast.

“Jetzt links abbiegen“, sagt Anna, und zu meiner Freude geht es hier nicht eine Schlammpiste den Berg hinab. Es handelt sich um eine schmale Straße, die in mehren Kurven zu einigen Wohnhäusern hinab und zwischen ihnen hindurch führt.

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Gestrandet auf der mentalen Couch

Gestrandet auf der mentalen Couch

Wenn ich in Siena bin, habe ich dort mein eigenes Appartement bei einer sehr netten Familie. Schon bei meinem ersten Besuch, vor sieben Jahren, haben sie mich spontan zu einer Familienfeier eingeladen, und seitdem ist der Kontakt nie abgerissen.

Die Dame des Hauses schrieb gerade auf Facebook eine bemerkenswerte Reflexion ihrer Erfahrungen mit Gästen in den letzten Jahren. Die möchte ich gerne dokumentieren, bevor sie im Strom der Timelines untergeht. Hier eine gekürzte Fassung, übersetzt aus dem Italienischen:

Nach fast 10 Jahren mit den unterschiedlichsten Arten von Gästen in unserem Haus bin ich, nicht ohne einen Hauch von Bitterkeit, zu der Erkenntnis gekommen: Es gibt einen bemerkenswerten Unterschied zwischen TOURISTEN und REISENDEN.

Leider sind die Ersteren in der Mehrheit. Den Touristen ist der Sinn des Reisens abhanden gekommen. Die Sehnsucht nach Entdeckungen, nach Neuem, danach, Hinauszugehen in die Welt, sich an die Fremde anzupassen und sich vielleicht anfangs unwohl und fehl am Platz zu fühlen.

Das sind die Leute, die nur interessiert wie schnell das WLAN ist, wie smart der Fernseher, ob die Klimaanlage sie in die Eiszeit pusten kann und ob es Essenslieferdienste vor Ort gibt. Sie bleiben mental auf ihrer Couch.

Das sind dieselben, die behaupten, sie würden sich nach einem Eintauchen in die Toskana sehnen – aber ohne dabei von ihren Gewohnheiten und ihren Routinen abzuweichen. An einem halben Tag besichtigen sie ALLE Kunststädte der Region, kommen zurück und verbringen den Rest der Zeit damit, Selfies mit Rotweingläsern in der Hand zu machen – mit Rotweinglas in der Hand am Pool, mit Rotweinglas in der Hand mitten im Obstgarten, Rotweinglas in der einen und ein Stück Pizza in der anderen Hand… Vielleicht umklammern einige von ihnen das Rotweinglas sogar noch im Schlaf…

Touristen sind der Mittelpunkt ihrer eigenen Welt, das Drumherum ist ihnen nicht wichtig. Sie könnten statt in der Toskana genauso in Texas oder Kuala Lumpur sein… Was zählt, ist der Selfie mit dem Rotweinglas. Touristen sind kaum daran interessiert mit den Menschen zu interagieren, mit dem Ladenbesitzer im nächsten Dorf, mit dem Einheimischen neben ihnen an der Bar. Sie nehmen das Leben um sich herum nicht wahr. Hauptsache, alles ist schick, schnell und für ihre Selfies gut.

Und weiter:

Und dann sind da noch die Reisenden: Die Schönheit der Menschheit!

Sie sind durstig nach Landschaften und hungrig nach Geschichten und Erlebnissen. Sie sind diejenigen, die keine Zeit für Fernsehen oder Computer haben. Ihre Tage beginnen früh, weil sie ihre Augen mit der unendlichen Schönheit füllen müssen, die unser Land zu bieten hat. Sie sind bereit für das Unerwartete, das Ungeplante, das plötzliche Gewitter, das Dorffest, das sie in seinen Bann zieht. Sie reisen mit leichtem Gepäck, in jeder Hinsicht, und nehmen mit, was auch immer jeder neue Tag ihnen bietet.

Beindruckt hat mich eine fast 80jährige Dame. Sie reiste allein mit ihrem Auto aus Frankreich an und hatte einen Angriffsplan zur Eroberung der Toskana im Gepäck, der eines Feldherrn würdig gewesen wäre, und den sie mit grimmiger Entschlossenheit verfolgte.

Eines Abends erzählte sie mir, das ihre Kinder ihr ein Netflix-Abo geschenkt hätten. Sie meinte dazu nur: “Fernsehen kann ich immer noch, wenn mich meine Füße nicht mehr tragen. Bis dahin führt das Leben die besten Filme auf, hier draußen, sogar mit den überraschendsten Drehbüchern und der besten Besetzung.”

Halten wir uns also immer vor Augen, dass wir REISENDE sein können – Das Leben sorgt ohnehin dafür, das wir irgendwann als TOURISTEN auf unserer eigenen Couch stranden.

Gute Reise Euch allen.