
Tagebuch einer Motorradtour durch Griechenland. Tage 22 und 23 mit toller Landschaft und miesem Wetter.
Sonntag, 10. Oktober 2021, Kourouta
Für heute ist Weltuntergang angesagt. Ein großes Tiefdruckgebiet steuert vom Meer auf die Westküste von Griechenland zu. Es bringt unglaubliche Regenmassen mit sich, ein richtiges Wettermonster, und es wird mich genau erwischen wenn ich unterwegs bin – sagt zumindest die Wettervorhersage.
Aber so schlimm sieht es noch gar nicht aus, als ich zum ersten Mal um halb acht aus dem Fenster blicke. Ich mache mir einen Instantkaffe, dann trage ich die Koffer zum Motorrad. Als ich einen Fuß aus der Haustür setze, beginnt es zu tröpfeln. Fünf Minuten später regnet es.

Okay, dann jetzt gleich in die Regenkombi. Als ich gerade mal die Hose angezogen habe, setzt draußen der RICHTIGE Regen ein. Meine Güte, das macht so runter, dass ich kaum noch die Häuser am anderen Ende der Brache sehen kann. Lieber noch einen Moment warten.
Halb in Regenklamotten liege ich rücklinks auf dem Bett und scrolle durch Social Media. Draußen ändert sich das Wetter im Minutentakt, mal regnet es stärker und mal nicht so stark.
Oh, der Regen lässt etwas nach. Dann schnell die Regenjacke an und… ach, jetzt gibt es wieder die Urwalddusche. Meine Fresse.
Irgendwann ist mir das alles egal. Los jetzt, findet die Abfahrt halt im Starkregen statt. Was soll´s.
Es ist warm, und durch die vielen Schichten Motorradkleidung läuft mir schon der Schweiß in die Augen, als ich endlich auf der Suzuki sitze.
Anna rechnet die heutige und Route und teilt nach einer laaaaaangen Denkpause mit, das wir bereits gegen 13:30 Uhr am Ziel ankommen. Hä? Wieso so schnell?
Oh, 13:30 Uhr am morgigen Tag. HÄ?? Wieso sollen wir für eine Strecke von schlappen 250 kilometern 29 Stunden brauchen?
Ah, okay, sehe schon. Meine virtuelle Copilotin hat sich streng an die Vorgaben gehalten und Mautstraßen komplett ausgespart. Die Strecke, die sie sich ausgeknobelt hat, führt daher einmal auf kleinen Feldwegen um den Golf von Korinth herum. Nein, eine Mautstraße sei heute ausnahmsweise mal erlaubt. Die führt über eine mautpflichtige Brücke, aber das ist Okay. Anna rechnet noch einmal und kommt auf eine Ankunftszeit von 15:30 Uhr, aber am heutigen Tag. Gut, das passt besser.

Durch den strömenden Regen geht es nach Norden, immer parallel zur Küste. Dieser Teil des Peloponnes ist flach, landwirtschaftlich geprägt und langweilig zu fahren.
Erst als ich in die Hafenstadt Patras komme, wird die Fahrt etwas interessanter. Patras liegt an der Rio-Andirrio-Meerenge auf dem Peloponnes, also der südlichen Halbinsel von Festland-Griechenland. Nordgriechenland ist hier gerade einmal 2,5 Kilometer entfernt, aber dazwischen liegt viel Wasser, nämlich der Golf von Korinth bzw. der Golf von Patras, wie er hier manchmal genannt wird.
Das Wasser ist hier 65 Meter tief, der Meeresgrund ist wabbelig und instabil und die ganze Region ist ein Erdbebengebiet, weshalb der Bau einer Brücke an dieser Stelle lange Zeit als völlig unmöglich galt. Im Jahr 2000 wagte man es aber doch, und verwendete dabei Technologien aus von Offshore-Ölplattformen: Man stabilisierte den Grund, in dem man 30 Meter lange Stahlrohre in den Boden rammte. Darauf schüttete man Steine, und auf dieses Bett stellte man dann ganz locker die Pylonen, damit die im Falle eines Erdbebens ein wenig hin- und hergleiten können.
In die Pylone eingehängt sind Stahlseile, die vier Fahrbahnen tragen. Insgesamt ist die Brücke fast zweieinhalb Kilometer Lang und damit die zweitlängste Schrägseilbrücke der Welt. Die längste ist übrigens die Brücke von Millau, wo ich auch schon war und die ich für eine der schönsten Brücken der Welt halte. Auch die Charilaos-Trikoupis-Brücke, wie die Patras-Brücke offiziell heißt, ist wunderschön. Hier ein Foto bei gutem Wetter. Deswegen natürlich nicht von mir.

CC BY 3.0 Szandras
Besonders gut wirkt sie natürlich aus der Ferne, aber auch beim drüberfahren ist es ein Ehrfurcht einflößendes Gefühl.

Nicht witzig fanden übrigens die Fährschiffer die neue Brücke, die ihnen das Geschäft kaputt zu machen drohte. Nach langem Hin und Her einigte man sich auf folgenden Kompromiss: 1. Die Brückenmaut wird teuer, sehr viel teurer als eine Fähre und 2. die Fährschiffe bekommen Subventionen. Ironie der Geschichte: Viele Touristen nehmen heute nur deshalb eine Fähre, weil sie eine Aussicht auf die schöne Brücke ermöglicht.
Ich nehme die Brücke weil es am Schnellsten geht und ich im strömenden Regen nicht auf Fähren rumeiern möchte. Die Einfahrt auf die Brücke erfolgt ohn Beschränkungen, aber an ihrem Ende muss ich an einem Mautschalter halten. Hier sind die Preise angeschlagen. Autos bezahlen 16,50 Euro, Gespanne 22 Euro und Motorräder… ich fummele ein zwei Euro Stück aus der Brusttasche der Regenkombi und reiche sie der jungen Frau im Mautschalter. Ich bekomme sogar noch 10 Cent wieder. So ist das gut.

„Fünf ist gesperrt. Andere Route“, sagt Anna, zeigt einen Erdrutsch auf der geplanten Strecke und sucht einen neuen Weg. Die neu berechnete Strecke dauert etwas länger und führt etwas um die Berge herum statt mitten hindurch, aber wenn durch den starken Regen noch mehr Erdrutsche ausgelöst wurden oder Unterspülungen passiert sind, hat es auch gar keinen Zweck da rumzueiern.
Stattdessen bin ich froh, dass das Garmin sich die Informationen selbstständig holt und darum herumrechnet. Denn in den Bergen gibt es nicht viele Straßen, und wenn man unvermittelt vor einem Erdrutsch steht kann es sein, dass man ein, zwei Stunden wieder den Weg zurück fahren muss, den man gekommen ist.
Hinter Patras hört der Regen auf, und als ich durch einen Canyon in die Berge hineinfahre, kommt sogar die Sonne raus.



Die Gegend ist ziemlich menschenleer, hier gibt es fast nur dicht bewaldete Berge. Die Bäume sind noch grün, aber die Sträucher und Büsche haben zum Teil schon ein herbstliches Rot angenommen.

Nach 200 Kilometern komme ich an einer der letzten Tankstellen in dieser Region vorbei. Der Tankwart steht gerade an der Straße und plaudert mit einem Polizisten, aber ich fahre trotzdem an eine der Säulen.
Vor dem Laden sitzt ein alter Mann mit einem Schlapphut in einem Schaukelstuhl in der Sonne und mustert mich durch zusammengekniffene Augen. Ich komme mir ein wenig wie in einem Western vor. Eine kleine, alte Dame kommt herangewackelt. „Είστε σίγουροι ότι θέλετε ντίζελ;“ sagt sie.
„Tut mir leid, ich spreche kein griechisch“, sage ich und mache mein dümmstes Gesicht. Sie lacht und schüttelt den Kopf, dann zupft sie mich am Ärmel und zeigt auf eine andere Säule. Ich rollere die Suzuki dorthin und Oma, die so klein und gebeugt ist, das sie kaum über den Tank gucken kann, beginnt die Maschine zu betanken. Schnell stoppt sie aber unvermittelt und viel zu früh wieder. Ah, sie hat nach Ästhetik des Preises getankt. Genau 10 Euro zeigt die Zapfsäule. Ich will aber keine schönen Preise, ich brauche einen vollen Tank.
„Mehr, bitte“, sage ich und mache entsprechende Gesten, aber das interpretiert sie als „Danke, reicht so“. Was ist das nur, das alte Damen mich hier einfach null verstehen?!
Ich nehme ihr freundlich, aber bestimmt die Zapfpistole weg und fülle weitere zweieinhalb Liter in den Tank, dann bedanke ich mich und reiche den Rüssel zurück. Aber jetzt ist Omas Ehrgeiz gepackt, denn ich habe für einen ungeraden Betrag getankt. Sie hält drauf und kriegt glatt noch einen halben Liter mehr rein und macht eine Punktlandung bei 15 Euro. Gut, jetzt haben wir beide was wir wollten. Einen vollen Tank und einen gefälligen Preis.

Zur Bezahlung muss ich in das kleine Tankstellengebäude. Hinter der Kasse sitzt eine der schönsten Frauen, die ich je gesehen habe, und spricht perfektes Englisch. Die Enkelin der Tankwartin.
Die Region, in der ich hier unterwegs bin, kenne ich bereits flüchtig. Bei meinem ersten Besuch in Griechenland, 2015, sind Modnerd und ich hier am ersten Tag durchgefahren. Damals ging schnell die Sonne unter, aber ich habe die ersten Ausblicke auf diese Landschaft nie vergessen – so wie diesen hier:

2015

Wirklich, seit sieben Jahren ist mir die Landschaft nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Ich wollte hier unbedingt noch einmal hin, und habe mir das quasi als Sahnestück bis fast zum Ende meiner Griechenland-Rundttour aufgehoben. Besonders um einen See wollte ich herumfahren, den ich damals nur aus der Ferne gesehen hatte.
Um den fahre ich jetzt herum und bekomme mich kaum noch ein, weil die Aussicht so fantastisch ist.




Wirklich, das hier ist die aufregendste und schönste Landschaft, die mir in Griechenland begegnet ist. Sicher, Wasser und Berge gibt es hier überall, aber die Kombination dieser zerklüfteten Felsen, der dichten Wälder und der Seen, das hat etwas ganz besonderes. Vielleicht spricht es mich auch nur deshalb so besonders an, weil ich im Harzvorland aufgewachsen bin, und das hier aussieht wie der Harz auf Steroiden.

Es ist deutlich zu sehen, wie sehr die Trockenheit der letzten Monate (und Jahre) den Pegel der gewaltigen Stauseen hat fallen lassen. Mindestens 15 Meter fehlen zum normalen Stand.



Zwanzig Kilometer vor dem Ziel klart es auf. Es ist warm und der Himmel so blau, dass ich beschließe die Regenkombi auszuziehen.
Sechzehn Kilometer vor dem Ziel beginnt es wieder zu regnen. Ach man, das war ja so klar.

Schnelles Vorankommen ist jetzt nicht mehr möglich, die Straßen sind klein und stellenweise voller Schlaglöcher und an anderen Stellen voller Ziegen.

Die letzten drei Kilometer sind mit das Heftigste, was ich bislang gefahren bin. Extrem steil windet sich die Straße den Berg empor. Die Kehren haben eine krasse Steigung bei gleichzeitig winzigem Radius, und die Fahrbahn ist nicht nur voller Risse, sie liegt auch stellenweise voller Steine und Äste oder ist bedeckt von einem glitschigen Teppich faulendem Laubs.


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