Reisetagebuch (12): Vom Harem in den Hammām
Im November 2015 begeben sich Modnerd und Silencer auf Reisen. Das Besondere: Modnerd hat keinen blassen Schimmer wohin es geht oder was ihn erwartet. Kontrollverlust und Überraschungen sind das Konzept dieser Reise. Dies sind die Tagebücher der beiden. Am zwölften Tag der Reise dreht sich alles um halbnackte Frauen im Harem und halbnackte Männer im Hammām. Und Modnerd bekommt eine Kopfnuss.
Mittwoch, 11. November 2015, Istanbul
So sauber bin ich noch NIE gewesen! Meine Haut fühlt sich nicht nur rein, sondern PORENtief rein an. Und das ist sie auch. Der Dreck von Istanbul, von Athen, von den vergangenen Wochen, vermutlich alles seit den 90er Jahren ist aus jeder Pore rausgeschrubbt und rausgeseift und rausgespült worden.
Dabei hatte der Tag dreckig angefangen. Zeitsprung, einige Stunden zurück: Modnernd und ich besuchen den Topkapı-Palast (Sprich: Topp-kaphe). Die große Palastanlage liegt auf einem Berg am Westzipfel der europäischen Halbinsel und überblickt das goldene Horn und den Gülhane-Park. Es sind fast 20 Grad bei strahlendem Sonnenschein.
Mit unseren Museumspässen können wir einfach so durch die Sicherheitsschleusen am Eingang rauschen. Das Gelände ist noch angenehm leer, darum suchen wir zuerst den Harem (gesprochen: Ha-Remm) auf, der später von Touristen überlaufen sein wird. Der Harem ist eine eigene Stadt innerhalb des Palastes. Seine Größe wird auf den Luftbildern deutlich:
Harem? Na klar, der Ort der Begierden, in dem halbnackte Lustsklavinnen, bewacht von Eunuchen, auf den Sultan warteten um im dann sexuell auf allen erdenklichen Arten zu Diensten zu sein. Es ist kein Wunder, dass solche Geschichten entstanden sind. “Harem” heißt nichts anderes als “verboten”, was sich auf Besucher bezieht. Viele Frauen hinter verschlossenen Türen, in einem für Männer verbotenen Bereich – das heizt die männliche Fantasie an, und so entstanden Geschichten.
Dabei stimmt an den Legenden einiges. Es gab tatsächlich Eunuchen, die den Harem bewachten. Männer waren dort wirklich nur erlaubt, wenn sie zur königlichen Familie gehörten, und tatsächlich gab es im Harem Frauen. Die waren oft als Geschenke anderer Fürstenhäuser und Länder dorthin gekommen. Allerdings waren die wenigsten von ihnen halbnackte Lustsklavinnen*, und sündige Orgien gab es auch nicht.
Den erotischen Aspekt überzeichnen die Legenden. Beim Harem handelte es sich in erster Linie um eine geschützte Zone, in der sich die Frauen und ihre Kinder sicher und geschützt bewegen konnten. Außerdem ging es hier knallhart um Politik. Im Harem herrschte die Valide Sultan, die Mutter des Sultans. Es gab eine strenge Hierarchie im Harem: Nach der Valide kamen die Sultanas, die osmanischen Prinzessinnen. Erst an Platz 3 der wichtigen Frauen kam die Hauptfrau des Sultans, die Kadınlar. Sobald die Hauptfrau ein männliches Kind gebar, wurde eine neue Kadınlar ausgesucht – natürlich von der Valide, die diese Entscheidungen traf und darauf achtete, dass bloß keine Monogamie stattfand – schon, damit keine Frau mehr Einfluss auf den Sultan nehmen konnte als sie selbst.
Die männlichen Nachkommen des Sultans wurden im Harem aufgezogen. Jede Prinzenmutter hoffte, selbst zur nächsten Valide zu werden, und sicher halfen viele der hohen Kindersterblichkeit noch ein wenig nach, um dem eigenen Sohn den Weg zu ebnen. Es lässt sich leicht ausmalen, dass die Sultane ziemlich unter der Fuchtel ihrer Mütter standen. Die Frauen im Harem waren die wahren Herrscherinnen über das Reich. Die Prinzen, die später zum Sultan wurden, wuchsen völlig von der Aussenwelt isoliert im Harem auf. Kaum verwunderlich, dass die osmanischen Herrscher immer weltfremder und entrückter und ihre Politik immer erratischer wurde – schlicht, weil die das Reich nicht verstanden, das sie regieren sollten. Letztlich war das ein ausschlaggebender Faktor, der zum Untergang des osmanischen Reiches führte. 1908 wurde der Palast während der Revolution gestürmt, der Haupteunuch an der Galatabrücke aufgeknüpft und die Haremsdamen befreit. Viele von ihnen wussten nicht, was sie danach tun sollten. Einige endeten als Attraktion in westlichen Zirkussen.
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* Zumal man sich das mal praktisch vorstellen muss: Man wird als junge Frau dem Sultan als Geschenk überreicht und kommt in einen Teil des Palastes, den man nicht mehr verlassen darf. Dort gibt es nicht viel zu tun, außer rumsitzen und sticken, rumsitzen und Musikinstrumente lernen und rumsitzen und essen. Das beste und reichhaltigste Essen, dass man sich vorstellen kann, mindestens vier Mahlzeiten am Tag. Und dazu null Bewegung. Wie sahen wohl die Frauen nach einigen Jahren im Harem aus?
Die Räumlichkeiten sind prächtig. Farbenfrohe Fliesen mit komplizierten Mustern, Intarsien aus Perlmutt, Gold wohin man blickt. Ich glaube, so etwas überbordend Prächtiges habe ich noch nie gesehen. Die Räume sind aneinandergeschachtelt. Jeder scheint ein Durchgangszimmer zu sein, und zusammen bilden sie ein Labyrinth. In seiner Blütezeit, im siebzehnten Jahrhundert, lebten in den fast 300 Räumen fast 800 Frauen. Heute ist nur ein Teil davon zu besichtigen. Also von den Räumen.
Die Frühstücksterasse des Sultans blickt weit über den Bosporus.
Der Weg durch den Harem lässt die Besucher die drei Innenhöfe des Palasts überspringen, durch die man sich dann zurückarbeiten muss – was gar nicht so einfach ist, denn mittlerweile sind Busladungen mit Besuchern eingetroffen, und die machen das Vorankommen nicht einfach.
Das gilt besonders für die Museumsräume in denen Juwelen, Waffen, Bücher und Reliquien ausgestellt werden. Zu den Reliquien gehört u.a. der Wanderstecken von Moses, ein Fußabdruck des Propheten Mohammed, der Kochtopf des Propheten Joseph und eine Kiste mit dem Bart des Propheten. Das ist kein Witz. Fotografieren ist dort leider nicht gestattet. Es sei aber versichert: Solche Schätze wie hier liegen so geballt in kaum einem anderen Museum der Welt.
Vor dem Topkapı steht die Hagia Irene, eine alte Moschee, die mittlerweile nur noch als Ort für besondere Konzerte benutzt wird.
Durch das Herumlaufen bei warmem Wetter und in kleinen, stickigen Räumen mit viel zu vielen Menschen, bildet sich etwas, das ich “römische Patina” nenne: Die Haut wird ganz klebrig durch einen dünnen Film Schweiß und Staub. Dieser Belag scheint sich in jede Pore zu setzen und alles zu verkleben. Zeit für ein Gegenmittel.
Wir laufen zum Südende der europäischen Halbinsel, und dort lotst uns Google Maps ins Nirvana. Wir landen in einem runtergekommenen Teil des Kadirga-Viertels. Hier ist alles voller steiler Straßen, in denen der Geruch von lösungsmittelhaltigem Klebstoff schwer in der Luft liegt. Hier werden in kleinen Werkstätten Schuhe repariert und gefertigt und die grimmen Blicke der Arbeiter zeigen, dass hier selten Fremde hinkommen und auch nur begrenzt erwünscht sind.
Wir irren ein wenig durch die angrenzenden Straßen und beschließen dann frustriert, erst mal einen Kaffee zu trinken – nur um festzustellen, dass das Café direkt vor dem gesuchten Etablissement liegt: Dem Kadirga Hammām!
Ein Hammām ist ein türkisches Bad, und als wir es betreten, wird mir schon ein wenig anders. Im Viertel von Sultan-Ahmet, wo unser Hotel liegt, gibt es einige Hammame. Das sind moderne Bäder, die ganz auf Touristen ausgerichtet sind. In diesen Touri-Hammamen wird man in perfektem Englisch empfangen und bekommt eine Wellnessbehandlung, auf Wunsch mit Gesichtsmassage und Räucherkerze im Ohr und allem Zipp und Zapp, genau wie in einem westlichen Beauty-Spa. Genau DAS ist ein klassischer Hammām aber nicht.
Ein echter Hammām ist nicht weichgespülte Wellnesssoße, sondern harte Arbeit, an deren Ende die Reinheit steht. In einem echten Hammām sind Waschungen und Massagen schmerzhaft und heftig, aber DANACH ist man unheimlich entspannt. Behaupten Leute, dies es überlebt haben. Der Kadirga Hammām ist eines der alten Badehäuser, das fast ausschließlich von Einheimischen frequentiert wird. Der Eingang zum Hammām ist unauffällig.
Modnerd: Es wird richtig abenteuerlich, denn wir haben uns vorgenommen, einen Hammām zu besuchen. Eigentlich hat sich das Herr S. vorgenommen, ich bin noch nicht so ganz überzeugt, dass das klappen kann, zumal eine Reihe von Hürden im Weg stehen: Wird man im Hammām Englisch sprechen, um uns die Regeln zu erklären? Werden wir die Regeln überhaupt verstehen oder uns wie Touristenvolltrottel aufführen? Wo sollten wir unsere Wertgegenstände ablegen und: Kann man den Menschen in dessen Händen man sich begeben wird, trauen?
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Please note: Some of the following pictures are courtesy of the Kadirga Hammam. Thanks to the crew of the hammam and especially to Metin Yildirim for the kind permission to use them in this blog. Teşekkürler arkadaşlar!
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Silencer: Durch einen Gang geht es in einen großen Raum, der zwei oder drei Stockwerke hoch ist. Galerien laufen um den ersten und zweiten Stock. Davon gehen Türen ab, die links und rechts von bunten Fenstern gesäumt sind. In der Mitte des Raums stehen mehrere Ledersofas, ein paar Regale und ein Empfangstresen, der aber unter einem Berg Papiere kaum noch zu sehen ist. Auf einem Sofa am Ende des Raumes sitzen zwei alte Männer und trinken Tee.
An einer Treppe, die zu den Galerien führt, steht ein jüngerer Mann und hält einen laufenden Föhn in eine große Kiste. Als Modnerd und ich eintreten, blickt er kurz auf und schnaubt durch die Nase, dann lässt er einen Schwall türkisch los. Ob er englisch spricht, frage ich ihn auf Türkisch. “Wasch, Scrub, Massage, FIFTY!”, sagt er, ohne den Föhn wegzulegen. “OK”, sage ich. Er deutet auf Modnerd. “Wash, shrub, Massage, HUNDRED”, sagt er. “Ok”, sage ich und gehe davon aus, dass er 100 zusammen meint, nicht für mich 50 und für Modnerd 100. Obwohl an dem mehr zum Waschen dran ist. Hundert türkische Lire für zwei, das sind 17,50 Euro pro Person. In den Hammāms, die Touristen für sich entdeckt haben, zahlt man 80 Euro für EINE Person.
Der Föhnmensch fuchtelt in eine Ecke, und ich merke, dass die Türen mit den Fenstern rechts und links wohnzimmergroße Umkleidekabinen sind. Warum diese Umkleidezimmer Fenster brauchen, so dass man aus dem großen Raum direkt reinglotzen kann, erschließt sich mir nicht.
Modnerd: Was bleibt ist aber zunächst die Unsicherheit, als wir in das Gebäude gehen. Und dann kurz die Panik, als uns eine Umkleidekabine (oder besser, Zimmer mit Fenstern zum Innenhof) zugewiesen wird: Gibt es Schließfächer? Ja, ist ist uncool, aber irgendwohin sollten die Wertsachen dann schon sicher unterkommen.
Silencer: Modnerd und ich schlüpfen aus unsern Sachen und wickeln uns die bereitliegenden Hammām-Handtücher um die Hüften, allerdings kriegen weder Modnerd noch ich es so hin, dass das Handtuch auch hält. Das Umkleidezimmer muss man mit niemandem teilen, man kann all seine Sachen, auch Wertsachen, einfach dort lassen, die Tür abschliessen und sich den Schlüssel über das Handgelenk streifen.
Modnerd: Der nette Angestellte zeigt uns aber dass wir die Kabine abschließen können, weist auf die Handtücher, die wir uns umschlingen sollen, hin und holt uns auch wieder ab, als wir das alles gemacht haben. Entführt uns in den Bauch das Hammāms, während unsere Handtücher rutschen und ich nicht viel sehe, da ich meine Brille zurückgelassen habe.
Jenseits der Holztür zum Hauptbereich erwartet uns eine graue, warme Welt. Etwas unheimlich, aber auch heimelig. Alles ist alt und mit Marmor ausgekleidet, über uns Kuppeln wie es sich im Orient eben so gehört.
In Gummilatschen und mit rutschenden Handtüchern watscheln wir in den Hauptraum hinaus und versuchen die amüsierten Blicke der zahnlosen Teetrinker möglichst würdevoll zu ignorieren. Ein älterer Herr führt uns durch eine doppelte Tür und in einen mit Marmor ausgekleideten Gang. Er zeigt uns erst die Toiletten, dann führt er uns in einen großen Raum, über dem sich eine Kuppel wölbt. Das ist der Hauptraum des Hammāms, von dem kleinere Nischen abgehen. Jede Nische hat mehrere Abteile, in denen es ein Wachbecken und eine Bank gibt. Mitten unter der Kuppel steht ein großes Podest aus Marmor. Der Mann fuchelt mit einer Hand in die grobe Richtung des Podests und sagt “Sauna”, dann dreht er sich um und geht weg.
Der Vorteil dieses Hammāms: Das Ding ist authentisch. Nachteil: Hier wird kein Englisch gesprochen. Noch ein Nachteil: Ich habe wenig Ahnung, wie der Ablauf in einem Hammām ist. Ich habe zwar ein paar Videos auf Youtube geschaut, aber die sind, merke ich schnell, unkorrekt.
Ein wenig ratlos stehen wir in dem großen Raum herum. Dann kommt mir eine Idee – in einem Video habe ich schon mal gesehen, wie Leute auf dem Podest rumlagen. Vielleicht sollen wir uns da drauf legen? Tatsächlich, das Podest ist warm. Ich tue meine Idee Modnerd kund, und weil sie logisch erscheint, legen wir uns beide der Länge nach auf den warmen Stein.
Hm. Irgendwie ist das angenehm, aber weit entfernt von Sauna. Machen wir das hier wirklich richtig? Denke ich noch, da kommt ein Mann hereingestapft, grummelt “M´rba” (“Merhaba” durch geschlossene Zähne) und verschwindet durch eine Tür hinter dem Podest. Sie hat eine beschlagenen Glasscheibe.
Modnerd merkt an, dass ihm für ein türkisches Dampfbad gerade der Dampfanteil zu gering vorkommt, und das es hinter der Tür eher nach Sauna aussieht. Damit hat er natürlich total recht. Leicht beschämt stehen wir vom warmen Marmorpodest auf und folgen dem Mann in die echte Sauna.
Die Sauna ist ein vielleicht 15 Quadratmeter großer Raum. An drei Wänden sind Holzbänke, an der vierten läuft Wasser aus einem Hahn in ein Wasserbecken. Die Luft ist 45 Grad heiss, und darauf reagiert der Körper sofort. In wenigen Minuten läuft mir der Schweiß wie Wasser herunter, sowas habe ich echt noch nicht erlebt. Es ist, als würde ich duschen, aber ohne das Wasser von Außen kommt. Ich sitze auf der Holzbank, und kann dabei zusehen, wie mein Körper literweise Flüssigkeit abgibt. Ich war noch nicht oft in einer Sauna, und finde es faszinierend, wieviel Schweiß die Haut auf einmal abgeben kann.
Nach 10 Minuten in der Hitze steht der fremde Mann auf und verlässt die Sauna. Neugierig gehe ich an die Tür und sehe, wie er sich in einem Abteil der Waschnischen abschrubbt und mit Wasser übergießt. Ich setze mich wieder auf die Bank. Wir haben ja das volle Programm gebucht, da würde ich erwarten, dass uns jemand abholt und uns durch die nächsten Schritte begleitet. Aber nichts passiert, niemand kommt.
Nach 15 Minuten wird es mir zu warm, ich tappe in meinen Gummischlappen durch den Kuppelraum und stecke den Kopf durch die Doppeltür und in den großen Vorraum mit den Teetrinkern und den Umkleidezimmern. “Afferdersiniz”, beginne ich, entschuldigen Sie, da blickt der Mann mit dem Föhn schon auf und tippt tadelnd auf seine Uhr, währen ein dicker Mann sich die Hose runterzieht. OK, ich gehe zurück in die Sauna.
Modnerd: Nach kurzem Nachsitzen im Dampfad kommt ein anderer Mitarbeiter und weist uns den Weg.
Ich werde zunächst sehr bestimmt auf einer Wartebank platziert. Herr S. ist zuerst dran, ich höre im Plätschern untergehende unverständliche Worte. Was immer da passiert hat mit viel Wasser zu tun und dauert etwa 15 bis 20 Minuten. Zumindest wird mir klar, warum man zuvor auf die Toilette gehen soll. Das ganze Geplätscher birgt sonst die Gefahr sich, ähm, inspirieren zu lassen.
Silencer: Kurz darauf geht die Saunatür auf, und der dicke Mann steht im Rahmen. Das ist unser Tellak, der Bademeister, im wahrsten Sinne des Wortes. Er wird uns baden und schrubben, und wie alle Hammāmbademeister ist er ein älterer, korpulenter und überaus behaarter Herr.
Modnerd wird in eine Nische gesetzt und muss dort warten, während ich ein ein Waschabteil geführt werde und dort auf einem Bänkchen Platz nehme. Der Bademeister streift sich einen Handschuh aus grobem Material über, dann schüttet er mir warmes Wasser aus einer Schale über den Kopf, die er im Wasserbecken neben der Bank schnell wieder füllt und wieder über mir ausleert. Dann beginnt er mich mit dem groben Handschuh von Kopf bis Fuß abzuschrubben. Es fühlt sich an, als würde ich mit Druck mit einem Topfreiniger bearbeitet. Mit der groben Seite. Die Haut brennt ein wenig, und ich merke, wie sie warm und rot wird.
Nachdem der Tellak mit der Grobreinigung fertig ist, werde ich wieder mit Wasserschwallen aus der Schüssel überschüttet, dann holt er die Seife raus und seift mich von oben bis unten ein. Als er meine Fussohlen einseift grinst er und meint “Good, no?” Mir läuft die Seife gerade in die Ohren, aber ja, das ist good.
Das Badetuch ist zu einem schmalen Streifen um die Lenden hochgerutscht, jede Extremität wird geseift und geschrubbt und wieder gespült. Der Bademeister spart sich Erklärungsversuche was ich tun soll und biegt mich einfach so in Form wie er mich gerade haben will.
Ein ums andere Mal komme ich dabei mit seiner extensiven Körperbehaarung in Kontakt, was überaus unangenehm ist, ich aber schlicht als gegeben hinnehmen muss. Der Preis der Authenzität, wenn man so will. In den Touristenhammams wird man vermutlich von weiblichen Supermodels eingeseift.
Modnerd: Ich soll mich in einem der Separees neben einem der Becken auf den Boden setzen. Neben mir läuft Wasser in dieses Becken, das wiederum überläuft. Der Mitarbeiter, der für diesen Teil der Prozedur verantwortlich ist, ist schon wieder verschwunden, kommt aber bald mit einer Art Topflappen auf der Hand zurück. Er wirft noch schell wiederum meine Hand ins Becken um die Temperatur abszutimmen, ist verwundert weil ich es viel heisser will (ich mag es nun mal heiss, scharf und intensiv!) und dann geht es los: Ich werde von Kopf bis Fuß (jedoch im Sitzen) abgeschubbert. Es ist nicht schlimm, eher fördert es die Durchblutung und mein Körper kribbelt da, wo der Mensch dran war.
Als nächstes beginnt er, mich überall einzuseifen. Etwas komisch ist das alles, ein bärtiger Mann seift mich überall ein und macht mich sauber. Nun ja, er ist Profi und ich lasse es mit mir machen – unangenehm ist es nicht. Komisch nur, wenn ich mit meinem ausgestreckten Arm immer wieder einmal in seien bärtigen Bauch ramme (weil es anatomisch nicht anders geht) aber auch das muss wohl so.
Am Ende des Einseifens und nachdem er schon einige Schalen Wasser über mich gekippt hat, gestikuliert er dass ich das wieder machen soll. Nun gut, Wasser kann ich über mich kippen, das ist einfach. Es dauert jedoch etwas, bis er wieder erscheint, ich kippe so lange weiter. Danach ist der Kopf dran. Er deutet mir noch, dass ich Mund, Augen und wohl auch die Nase zukneifen soll und dann geht es los: Ich versinke in einem Schwall Schaum und muss mir ein paar Mal die Nase von dem Schaum befreien, um nicht zu ersticken.
Silencer: Während Modnerd gewaschen wird, werde ich zu einer Bank geführt, auf die ich mich lang hinlegen muss. Jetzt kommt ein anderer Bademeister und klatscht mir ein nasses und heißes Tusch auf den Bauch, dann beginnt er mich zum zweiten Mal einzuseifen und zu massieren. Nicht zu kräftig, aber mit Druck geht er einzelnen Muskelsträngen nach und knetet mich durch. Dann geleitet er mich zurück in den Kuppelraum und sagt “Sauna” und “Water”. Ich verstehe nicht ganz, also schüttet er mir erstmal einige Schalen Wasser über den Kopf, und ich schlurfe in meinen Gummilatschen zurück in die Sauna. Da ist es heiss, und bei der Betrachtung meiner schrumpeligen Finger fällt mir ein mehre Millimeter großer Mitesser in die selbigen. Das Ding ist wirklich gigantisch, ein Titan unter den Mitessern. Ist DAS aus einer meiner Poren gekommen?
Ich kenne Videos, bei denen Leuten im Hammām schwarzer Grind aus den Poren rausgeschubbt wurde, aber das hier… In der Sauna ist es super heiß, weil gerade jemand einen Aufguß gemacht hat (einfach Wasser auf den heißen Boden kippen) und nach 10 Minuten mag ich da nicht mehr sein, also platsche ich wieder raus in den Kuppelraum. Hier ist niemand. Ich weiß nicht genau was ich machen soll, also schütte ich mir erstmal eine Schale Wasser über den Kopf.
Da kommt der erste Bademeister um die Ecke und sagt “Sauna”. Nee, schüttele ich den Kopf. Habe ich schon. Dann halt Spülen, denkt sich wohl der Bademeister und schüttet mir einige Schalen Wasser über den Kopf. Dann bedeute er mir, damit weiter zu machen. Ich setze mir die Waschschüssel auf den Kopf und salutiere, und der Bademeister bricht in schallendes Gelächter aus. Dann sagt er wieder fröhlich “Sauna!”. Ich sage “Hayir”, Nö. Da zeigt er endlich auf das warme Mormorpodest, auf das ich mich dankbar sinken lasse und die Augen schließe.
Kurze Zeit später liegt auch Modnerd auf dem warmen Stein. Nachdem wir genug da rumgelegen haben, watscheln wir in Richtung Vorraum. Unser Bademeister steht am Ausgang und gibt frische Handtücher aus. Dann lacht er, bedeutet mir still zu halten und drückt dann seine Stirn an meine. Dann immitiert er mich, setzt sich eine Waschschüssel auf den Kopf und salutiert, wobei er sich den Bauch vor Lachen hält. Ich salutiere lässig zurück.
Als Modnerd am Tellak vorbeikommt, soll auch er salutieren. Weil er das vorherige Ritual nicht mitbekommen hat, ist er erst verwirrt, dann hebt er wiederwillig die Hand. Allerdings die Linke, was nach der Reaktion des Bademeisters auf einer Stufe mit der Beleidigung seiner Mudder zu stehen scheint. Zumindest fängt sich Modnerd dafür eine heftigere Stirn-Verabschiedung ein, die eher einer Kopfnuss ähnelt. Dann sind wir entlassen.
Modnerd: Ein frisches Handtuch im Tausch gegen das mittlerweile total durchnässte Handtuch gibt es noch, danach gibt es eine Kopfnuss.
Eine. Kopfnuss.
Ernsthaft.
Herr S. ist zuerst dran und ich sehe das Prozedere unscharf (immer noch ohne Brille). Erst Kopfnuss, dann Salut. Ja, tatsächlich, der Hammāmmann ist ein Witzbold oder das alles hier ist Teil der Prozedur. Danach darf Herr S. schonmal den Hauptbereich verlassen. Jetzt bin ich dran. Handtuch, Kopfnuss, Salut.
Leider verwende ich die falsche Hand, also nochmal. Danach darf ich hinaus. Keine Ahnung, ob das Teil des seit Jahrhunderten überlieferten Ritus eines Hammāmmannes ist, oder der spezielle Humor unseres Hammāmmannes.
Draussen werden wir in weitere Handtücher gewickelt (incl. Turban) und bekommen einen Tee – perfekt! So lässt es sich aushalten.
Danach sind wir durch und ziehen uns wieder um. All unser Besitz ist noch an Ort und Stelle und wir beide haben diesen verrückten, aber gemütlichen und entspannenden Ort lieben gelernt.
Zuerst bekommen wir noch ein trockenens Lendentuch verpasst. Im Vorraum selbst bekommen wir weitere Handtücher um Oberkörper und Kopf geschlungen, bis wir fest eingepackt sind. Dann wird Tee serviert.
Modnerd und ich quatschen, während die anderen Teetrinker uns amüsiert beobachten, bis wir halbwegs trocken sind, dann suchen wir unser Umkleideseparee auf und treten wenig später auf die Straße hinaus.
So sauber bin ich noch NIE gewesen! Meine Haut fühlt sich nicht nur rein, sondern PORENtief rein an. Und das ist sie auch. Der Dreck von Istanbul, von Athen, von den vergangenen Woche, vermutlich sogar Dreck seit den 90er Jahren ist aus jeder Pore rausgeschrubbt und rausgeseift und rausgespült worden.
Wir wandern wieder Richtung historischer Altstadt, dann fahren wir mit der Bahn nach Beyoğlu und erklettern dort den Galataturm. Das ist ein mächtiger, alter Wachturm, den Kaufleute aus Genua dort gebaut haben. In seiner Spitze ist heute ein Nobelrestaurant und ein Nachtclub, aber es gibt auch eine Aussichtsplattform, von der aus einem die ganze Stadt zu Füßen liegt.
In den Straßen von Beyoğlu: Eine Türkisch-deutsche Buchhandlung!
Die Marmaray-Linie, die Europa und Asien unter dem Bosporus hindurch verbindet, bringt einen in nur vier Minuten von einem Kontinent zum anderen.
Mittlerweile geht schon fast wieder die Sonne unter, es ist kurz nach 16.00 Uhr. Am Ufer des Bosporus sitzen Menschen, trinken Tee, unterhalten sich oder gucken sich einfach ganz entspannt den Sonnenuntergang an.
Ebenfalls ein beliebter Zeitvertreib: Mit Luftpistolen auf Luftballons im Wasser schießen.
Ich blicke auf die Bucht hinaus. Dort draußen, 200 Meter vom Ufer entfernt auf einer kleinen Insel, liegt der Kis Kulesi (Sprich: Kehs Kuleesi), der Mädchenturm. Den will ich sehen. Modnerd winkt ab, er bleibt lieber an Land.
Modnerd: Herr S. will auf die Prinzessinneninsel oder so. Ich warte so lange, knipse die ekelhaft schöne Silhouette der Stadt mit mehreren Moscheen und vielen Minaretten. Guter Tausch!
Silencer: Ich springe in eines der kleinen Motorboote, die alle halbe Stunde zur Turminsel rausfahren, und wenige Minuten später stehe ich tatsächlich vor dem skurrilen Bauwerk mit der langen Geschichte. Fans von James Bond kennen den Turm: Hier hat sich in “The world is not enough” Electra King versteckt und später Pierce Brosnan gefoltert.
Man vermutet, dass auf dieser kleinen Insel vor Üsküdar seit 340 v.Chr. ein Turm steht, der mehrfach zerstört und wieder aufgebaut wurde. Er diente als Wachturm, als Leuchtturm und angeblich war hier ein Ende der riesigen Kette befestigt, mit der man den Bosporus gegen feindliche Schiffe sperren konnte.
In Assassins Creed: Revelations liegt darunter ein vergessenes Geheimversteck der Bruderschaft, aber das ist natürlich Quatsch. Der Kis Kulesi braucht kein Videospiel für Mythen, die bringt er schon selbst mit. Allein für die Herkunft seines Namens gibt es drei Mythen:
1. Der Leandros-Mythos
Ein junger Mann namens Leandros verliebte sich in die Nonne Hero, die im Turm lebte. Jede Nacht schwamm er hinüber zu ihr. Um ihm den Weg zu weisen, stellte Hero eine Kerze in ihr Fenster. Eines Nachts vergaß sie das, und Leandros ertrank und wurde tot an das Ufer gespült.
2. Der Prinzessinen-Mythos
In der osmanischen Version von Dornrösschen wird einer Prinzessin bei ihrer Geburt geweissagt, dass sie vor ihrer Volljährigkeit von einer Schlange gebissen und dadurch sterben würde. Der König liess den Turm bauen und seine Tochter dort unterbringen. Sie wuchs in völliger Isolation auf. Am Tag ihres 18. Geburtstags ruderte der König auf die Insel hinaus, voll Freude, der Prophezeihung ein Schnippchen geschlagen zu haben. Er hatte einen Obstkorb dabei, um das zu feiern. Als die Prinzession nach einem Apfel griff, wurde sie von einer Schlange, die sich im Obst versteckt hatte, gebissen und starb.
3. Battalgazi-Mythos
Der Ritter Battalgazi verliebte sich in eine junge Frau. Deren Vater fand das gar nicht gut, und sperrte sie in den Turm. Battalgazi entführt die Herzensdame und gibt seinem Pferd die Sporen – daher kommt das türkische Sprichwort “Der Reiter ist schon über Üsküdar”, was unserem “Der ist über alle Berge” entspricht.
Heute ist im Inneren des Kiz Kulesi ein feines Restaurant untergebracht, durch das man durchgehen muss, wenn man zum Treppenhaus möchte. Von der Aussichtsplattform hat man einen schönen Blick über die Bucht. Sogar das Filize Köftesi, das Restaurant, in dem wir gestern gegessen haben, kann man von hier aus sehen.
Eine sehr wackelige Bootsfahrt später kehren Modnerd und ich genau dort wieder ein. Nachdem der gestrige Abend so seltsam war und der Kellner gebracht hatte was er wollte, nicht was wir bestellt hatten, geben wir dem Köfterestaurant noch eine Chance. Immerhin ist es ein Geheimtipp des türkischstämmigen Arbeitskollegen von Modnerd.
Modert: Mit dem zweiten Besuch sind wir wohl zu Stammgäste aufgestiegen und werden dieses Mal wesentlich besser bedient. Alles gewünschte Essen ist diesesmal auch lieferbar, es gibt nun Teller zur Vorspeise (fehlte gestern), und es ist wirklich lecker.
Letzte Erkenntnis des Tages ist, dass die Türken auch leckeren Wein keltern können (auch wenn die Auswahl nur aus einer Handvoll Sorten besteht) die uns spontan besser mundet, als fast alles was es drüben in Griechenland gab.
Silencer: Nach dem Essen ist der Tag auch schon vorbei. Um kurz nach 17.30 sind wir schon wieder im Hotel und fallen in die Betten – Hammam ist anstrengend.
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Headerbild: Modnerd
Pictures of Hammam with kind permission of Kadirga Hammam and Metin Yildirim.
- Teil 13: Hodschapascha am Katzentag
2 Gedanken zu „Reisetagebuch (12): Vom Harem in den Hammām“
Huhu, Du hast ganze Arbeit geleistet, wow! Nur die Wieselfotos hast Du vergessen…
Nebenbei:
In diesen Touri-Hammamen wird man in perfektem Englisch empfangen und bekommt eine Wellnessbehandlung, auf Wunsch mit Gesichtsmassage und Räucherkerze im Ohr und allem Zipp und Zapp, genau wie in einem westlichen Beauty-Spa
In einbem westlichen Beauty-Spa bekommt man keine Räucherkerze ins Ohr. In östlichen auch nur der Herr…l
Hammam hört sich auch richtig anstrengend an! Hast du zufällig bei der Recherche auch erfahren ob mit Frauen auf die selbe Weise verfahren wird? Ich denke jedenfalls nicht, dass ich mich das trauen würde (alleine sicher nicht). Etwas zu unheimlich.
George RR Martin hat sich ansch. vom Turm oder zumindest von der Sprache inspirieren lassen, hm? (Khaleesi)