Reisetagebuch Shorties (2): Sofisia will kein Eis

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Februar 2016, London
Ich sitze im Gielgud Theatre im West End und rechne fieberhaft. Warum? Weil mir im Theater oft komische Sachen passieren. In „How to become a Parisien in one hour“ in Paris musste ich auf die Bühne, in „Book of Mormon“ wäre ich fast rausgeflogen, und heute ist schon wieder etwas merkwürdiges passiert.

Das Stück „The curious incident with the dog at the night time“ handelt von einem autistischen Jungen mit einem Faible für Primzahlen. Zufällig hat mein Sessel eine Primzahl als Platznummer, und deshalb war daran ein Briefumschlag befestigt. 

Ich sollte doch bitte meinen Namen in Zahlen umrechnen und die addieren. Käme dabei eine Primzahl raus, hätte ich was gewonnen. Und deshalb sitze ich nun in der Pause des Stücks hier und rechne hier im Kopf Buchstaben in Zahlen um, während die anderen Besucher ins Foyer gehen um sich einen Drink zu gönnen oder was man halt sonst so macht.

Mein Platz ist direkt an der Balustrade des „Dress Circles“, des ersten Balkons. Solche Plätze mag ich, da kann sich nämlich kein großer Mensch davorsetzen.


Hinter mir sitzt ein junges Paar. ER hat offensichtlich keine Ahnung wo er hier gelandet ist, aber SIE hat anscheinend das Buch gelesen und kann ihm deshalb die Lücken erklären, die das Theaterstück lässt. Dafür hat sie meinen vollen Respekt, die Handlung ist nicht einfach. Außerdem hat sie eine angenehme Stimme und ein kehliges, sehr sympathisches Lachen. Als ER sich zum Austreten und Drink holen verabschiedet, beschließe ich, mir das kehlige Lachen mal anzusehen.

Ich drehe mich um und tue so, als ob ich das Rund des Theaters mustere. SIE sitzt genau im Sessel hinter mir, hat lange, schwarze Haare und schaut gerade auf ein Smartphone. Sie ist nicht groß, scheint aber zu mindestens 50 Prozent aus Beinen zu bestehen. Der Eindruck wird durch die hochhackigen Stiefel und die schwarze Lederleggings noch betont. Sie kann sich Leggings tatsächlich leisten, sie ist durchtrainiert und fit, das sieht man sogar durch das weite, ebenfalls schwarze Jacket, das sie trägt.

Jetzt hebt sie kurz den Kopf. Innerlich fällt mir fast die Kinnlade runter. Das kann doch nicht sein? Oder doch??

Vor 6 Wochen habe ich den Film „Kingsman“ geschaut. Das ist quasi ein moderner Bondfilm, hätte man nicht zwischendurch Bond in ein weinerliches Weichei rebootet. Eine der beeindruckendsten Figuren ist Gazelle, die Bodyguard des Bösewichts. Eine beinamputierte Frau, die statt auf Unterschenkeln auf Klingen läuft und Gegner mit eleganten Tritten um die Ecke bringt.

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Bildrechte: Twentieth Century Fox

Gespielt wird Gazelle von Sofia Boutella, einer armenisch-französischen Tänzerin. Sie ist keine klassische Schönheit, sondern sieht ein wenig seltsam aus und ein bißchen exotisch. Und: Sie ist keine klassische Schauspielerin, sondern eine Sportlerin und Selfmade-Frau. Hat sich aus den verschwitzten Tanzhallen von Paris hochgearbeitet. Ihre harte Arbeit wurde irgendwann von Nike entdeckt. Der Sportartikelriese drehte einen Spot mir ihr, der sie 2007 schlagartig berühmt machte.

Boutella wurde Backgroundtänzerin von Stars wie Madonna und Rihanna, und nun ist sie beim Film gelandet. Vor „Kingsman“ hat Sofia Boutella nur einen Film gedreht, und der ist noch schlechter als sein Cover es vermuten lässt.


Bildrechte: Sony Entertainment

Der einzige Lichtblick in dem kruden Machwerk ist Boutella, ansonsten darf man echt keinem erzählen das Ding geguckt zu haben. Ich bin also gerade in einer Phase akuten Boutella-Interesses, und die Frau, die hier im Theater hinter mir sitzt, sieht der Tänzerin ein wenig ähnlich…

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Bildrechte beim Rechteinhaber, Urheber unbekannt.

Ich gucke nochmal hin. Nee, das ist sie nicht. Die Frau hier sieht ganz anders aus. Oder liegt das jetzt an dem Schummerlicht und den wirren Haaren? Ich gucke wieder weg. Das KANN sie nicht sein, immerhin lebt Sofia Boutella in Kalifornien. Soll ich sie ansprechen? Habe ich eigentlich keine Lust drauf, aber wenn ich es nicht tue, dann werde ich ewig rätseln.

Ich stehe auf und beuge mich über den roten Plüschsessel zu der Frau in Schwarz hinüber. „Entschuldigen Sie, sie sind nicht zufällig Sofia Boutella? Ah, dachte ich mir. Sorry, dass ich gefragt habe, sie sehen nur so ähnlich…“ Und dann macht das Hirn eine erneute Auswertung von dem, was die Ohren gerade aufgenommen haben, und kommt zu dem Schluss, dass die leise Antwort der Frau auch ein „I am“ hätte sein können. „Wait… you ARE?“ Sie nickt.

He, unfassbar – da finde ich nach langer Zeit mal wieder eine Schauspielerin, die ich ECHT interessant finde, und dann treffe ich die auch noch im echten Leben! Wie wahrscheinlich ist DAS denn?

Boutella sieht mich an. Sie guckt fast ein wenig erschrocken und wartet, was ich als nächstes tue. Sie ist privat und mit ihrem Freund hier, und ich finde, dass auch Promis ein Recht auf Privatsphäre haben. Zumal sie außer mir auch niemand erkannt hat. Jetzt ein Foto von ihr zu machen, das wäre mir unangenehm. Ich bin auch nicht der Typ, der Selfies mit Promis haben muss. Sie soll ihre Ruhe haben und den Abend genießen. Aber ich würde schon gerne los werden, dass ich ihre Arbeit schätze.

„I REALLY love your work“, sage ich leise. „Wissen Sie, ich würde mir normalerweise keinen Tanzfilm angucken, aber NUR WEGEN IHNEN habe ich sogar „Street Dance“ angeguckt. Ich wünsche Ihnen noch weiterhin ganz viel Erfolg und tolle Rollen!“ Boutella guckt immer noch unbewegt, dann macht sich plötzlich ein herzliches Lächeln in ihrem Gesicht breit. Sie beugt sich nach vorne, greift blitzschnell meine Hand und schüttelt sie unversehens. Sie hat einen kräftigen und warmen Händedruck. Ich bin ganz perplex, so eine spontane Geste habe ich nicht erwartet.  „Thank you“, sagt sie. Ein Hägen-Dazs-Verkäufer drängelt sich eine Reihe weiter oben durch die Sitze. „Darf ich Sie vielleicht auf ein Eis einladen?“, frage ich. Sie lacht und schüttelt den Kopf, und in diesem Moment kommt ihr Freund mit Drinks zurück.

Ich nehme wieder Platz und muss grinsen. Ich habe gerade Sofia Boutella auf ein Eis eingeladen. Das glaubt mir doch wieder keiner.

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@Sofisia ist Sofia Boutellas Name bei Twitter.

„Kingsman“ war der Turbo für ihre Filmkarriere. Im aktuellen Star Trek spielt Sofia Boutella die Außerirdische Jaylah („Ich wähle schreien und wummern“, wissen schon), aktuell steht sie in der Hautprolle für das Remake von „Die Mumie“ vor der Kamera.

Alle Bilder: Rechte bei den jeweiligen Rechteinhabern

Kategorien: Reisen | 6 Kommentare

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6 Gedanken zu „Reisetagebuch Shorties (2): Sofisia will kein Eis

  1. Wow!

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  2. modnerd1138

    Und das erfährt man erst hier… oder ist mein Gedächtnis schon wieder im Eimer?

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  3. zimtapfel

    @modnerd: Er hat es seinerzeit sogar vertwittert. Und ich musste mich von Herrn Silencer und von Herrn Owley ausschimpfen lassen, weil die Dame mir wirklich rein gar nichts sagte. Ich Banausin. 😎

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  4. Modnerd: Ist Dir nicht aufgefallen, dass ich seit Februar mit einer Plastiktüte über der Hand rumlaufe, weil ich die nie mehr wasche?

    Zimt: Jetzt kennst Du sie 🙂

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  5. Ich glaube dir das 🙂

    Wahnsinnig cooler Spot: coole Moves, cooler Style (das Shirt taugt mir, mal suchen gehen 😉 ).
    Coole Frau.
    Und besser Kings Men als Streetdance – schon Eddie the Eagle gesehen? Der junge Waliser in der Titelrolle wurde auch mit Kings Men bekannt. Lässiger Typ.

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  6. Kalesco: Du wusstest ja auch um das Street-Dance-Geheimnis 🙂

    Den Spot habe ich erst nicht verstanden. Zu unzusammenhängend fand ich die Choreografie. Irgendwann nach dem Gucken eines Interview hat es dann Klick gemacht: Sie macht Musik sichtbar! Erzählen in Bildern mit dem eigenen Körper! Irre!

    Eddie the Eagle interessiert mich nicht wirklich, glaube ich. Genauso wenig wie der Typ 🙂

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