Reisetagebuch Motorradtour (4): Die Knochenkirche

Dienstag, 30. Juni 2020, Jablonec

„Hallo?“
Ich tappe durch das Halbdunkel im Kellergeschoss der Pension in Jablonec.

„Halloooo?“, frage ich noch einmal vorsichtig. Ich sehe mich um. Das hier ist ein großer Raum, der für Hochzeiten und andere Feiern genutzt wird. Praktisch ein großes Restaurant, mit einer Ecke für Buffets und einem weiten Raum mit Vierertischen. Hier passen bestimmt 50 bis 60 Personen rein. Eine große Fensterfront bietet eine fantastische Aussicht über den ganzen Ort Gablonz.

„Hallo!“, kommt es aus einer Ecke hinter dem Tresen der Bar, dann taucht ein Kopf auf.

Petr hantiert an einer Kaffeemaschine herum, die er konzentriert anstarrt. Ich sehe ihm einen Augenblick dabei zu und komme mir irgendwie fehl am Platz vor. „Ich habe gut geschlafen“, sage ich dann, weil ich nicht weiß was ich sonst sagen soll.
„Freut mich“, sagt Petr ohne aufzusehen und hantiert weiter.

„Wo kann ich mich denn mal hinsetzen?“ frage ich. „Da“, sagt Petr und zeigt ohne hinzusehen in Richtung eines Tisches am Fenster, auf dem eine Kaffeetasse steht, aber sonst nichts.

Um den Tisch herum sind Buffettwagen, aber alle sind leer und abgedeckt. Ob´s wohl Frühstück gibt?

Ich blicke aus dem Fenster und genieße den Blick über Gablonz. Keine Spur mehr vom Regen, der die ganze Nacht gepladdert hat, stattdessen blauer Himmel und ein paar Schäfchenwölkchen. Am Hang vor dem Fenster guckt ein Reh aus den Büschen. Als ich die Kamera bereit habe, ist es aber schon wieder weg.

„So, bitte“, sagt Petr, stellt einen Krug voller Gestrüpp auf den Tisch und gießt heißes Wasser darüber. Ich schnuppere. „Frische Minze aus dem eigenen Garten?“, frage ich. „Genau!“, sagt Petr und verschwindet. Und kommt nicht mehr wieder. Ich höre ihn irgendwas schneiden und brutzeln, aber für mehr als 20 Minuten ward er nicht mehr gesehen.


Schließlich taucht er wieder auf, mit einem Teller in jeder Hand. Einen stellt er mir hin. Spiegelei mit Schinken, super! Den zweiten stellt er mir gegenüber und setzt sich. „Ich leiste Dir Gesellschaft“, sagt er. „Okay“, sage ich und denke dabei „Ach, Mist“. Ich habe nicht gerne Gesellschaft, schon gar nicht am Morgen.

Schon fängt Petr an über das Wetter zu reden, aber ich lenke das Gespräch in eine Richtung, die mich interessiert. Das ich morgens keine Gesellschaft mag heißt ja nicht, dass ich keine Konversationsskills habe. Ich frage nach der Historie dieser Pension.

Petrs Mutter hat mit allem hier angefangen, erzählt Petr. Sie hat schon vor der Öffnung der Grenzen eine kleine Pension betrieben, und nach der Öffnung des eisernen Vorhangs und der Wende in Deutschland wuchs das Üernachtungsgeschäft, als Touristen aus Ostdeutschland kamen, und seit dem lief es praktisch Jahr für Jahr besser.

„Aber am schlimmsten war Booking.com!“, sagt Petr. „2015 haben wir das gemacht, und gleich sooooo viel zu tun gehabt!“ Er guckt bei der Erinnerung an die viele Arbeit ganz schmerzverzerrt.

Dann hebt er wieder zu einem Lamento an, wie ich gestern schon eines gehört habe: Wie schlimm doch Touristen seien. Anspruchsvoll manche, Kurzbucher andere, da müsse man nach einem Tag ja schon das Zimmer reinigen. Nein, er mache nun lieber in Hochzeitsfeiern. „Hochzeiten! Das ist die Zukunft! Geheiratet wird immer!“, sagt Petr, und nun strahlt er regelrecht. „Da machst Du vielleicht 20 im Jahr, aber nur an Wochenenden die Dir genehm sind. Du weißt vorher genau was Du verdienst, die Ansprüche sind bekannt, und als Personal brauchst Du nur Aushilfen. Ist ein gutes Leben. Aber Touristen, bah“.

Der Tourist vor ihm nickt und denkt: Wenn ich nicht von Freunden wüsste, dass der Mann vor mir eine Seele von Mensch ist, überaus fleißig und die Hilfsbereitschaft in Person, und das hier unser einziger Kontakt wäre – ich würde ihn in die Schublade „unangenehme Menschen“ stecken. Er gibt nämlich gerade ein richtig schlechtes Bild ab.

Schlimmer aber: Er redet und redet und isst sein Spiegelei nicht. Ich hatte mir Frühstück extra für Sieben Uhr gewünscht, um ganz früh los zu können. Ich muss in zwei Stunden 200 Kilometer weiter südlich sein, aber Monsieur hört nicht auf zu erklären, wie doof Touristen (wie ich) sind. Und jetzt kämen nicht mal welche, so schlimm seien die!

„Unverschämtheit“, sage ich und Petr nickt. Ich füge hinzu „Wenn ihr Touristen wirkich vermisst, könntet ihr wieder mit Booking.com anfangen.“ Petr zuckt zusammen als hätte er einen Stromschlag bekommen und ruft „NEIN! Zu viel Arbeit!“, dann hebt zu einem weiteren Sermon an, wie schlimm zu viel Arbeit mit Touristen sei und das er schon anfängt, die Pensionszimmer in Wohnungen umzubauen.

Mir reicht es. „Ich bedanke mich für Deine Gesellschaft“, sage ich „aber ich muss jetzt wirklich los. Ich muss um 10:00 Uhr in Kutná Hora sein.“ Petr guckt amüsiert. „Da fahren Deutsche nicht hin“, sagt er. „Ich schon“, sage ich. „Niederländer fahren da gerne hin“, sagt Petr, „Willst Du wissen warum?“ Ich zucke mit den Achseln. „Die fahren alle nur da hin, weil Kutná so ähnlich klingt wie ein niederländisches Wort für das weibliche Genital“, sagt Petr. „Das glaube ich nicht“, sage ich und gehe.

Die Barocca hat die Nacht in einem Unterstand neben der Pension verbracht und erwacht auf Knopfdruck sofort zum Leben.

Beim Losfahren unterschätze ich, wie aufgeweicht der Boden vom Regen ist. Das Hinterrad fräst durch den schwammigen Rasen und die Maschine legt aus dem Stand einen Slide hin: Das Vorderrad fährt geradeaus, aber das Hinterrad geht eigene Wege. Naja, kein Problem. Die V-Strom habe ich im Griff und fange sie gekonnt ab, bevor sie ganz wegglitscht und wir auf der Seite liegen.

Es geht raus auf die Landstraße. Zwei Mal verfahre ich mich beim Versuch, die vignettenpflichtige Autobahn zu umfahren, dann finde ich praktisch den Highway durch das Flachland: eine breite, viel befahrene Straße, die vorbei an Feldern und Wäldern führt. Immer wieder sehe ich Wegweiser Richtung Prag. Auch eine schöne Stadt, aber da will ich in der Pandemie nicht hin.

Rund zwei Stunden später bin ich in Sedlec, einem Vorort von Kutná Hora, einer kleinen Stadt rund 70 Kilometer östlich von Prag. Ich stelle das Motorrad an dem Platz ab, den ich mir vorher auf Streetview als perfekten Moppedparkplatz ausgesucht habe, und steige ab.

Vor mir ragen Zwillingstürme über eine schlichte Mauer. Endlich! Wie lange versuche ich schon hier her zu kommen? Sechs Jahre? Oder länger?

Ich verstaue den Helm, dann wühle ich im Topcase in einer Seitentasche, die seit dieser Fahrt neu ist. Das ist meine „Hygienetasche“ mit Desinfektionsmittel und Handschuhen und Schutzmasken. Ich hole ein flaches Päckchen heraus und reiße es auf. Darin ist eine Schutzmaske der Stufe FFP3, die schützt nicht nur andere vor meinen Tröpfchen, sondern auch mich vor den Aerosolen von anderen.

Neben mit hält ein Range Rover. Das riesige Auto fährt Türbretter aus, dann öffnet sich ein Fenster. Ich kann die pink gekleidete Blondine riechen, bevor ich sie sehe. Schnell setze ich die Maske auf.

Dann betrete ich ihn endlich, einen der Orte auf meiner „bucket list“: Das Ossarium von Sedlec. Das ist im Untergeschoss der Allerheiligenkirche auf dem Friedhof von Sedlec untergebracht. Im Erdgeschoß ist genau – nichts. Stattdessen hat man die Wahl eine kleine Treppe nach oben zu gehen oder eine andere kleine Treppe nach unten.

Bild: Google Earth.

Ich entscheide mich für oben und steige hinauf in den ersten Stock. Dort ist ein kleiner Gebetsraum mit vielleicht 20 Sitzplätzen, also weniger eine Kirche als eine Kapelle. In einem weiß getünchten Gang hängt ein Bildschirm, auf dem ein Filmchen über Bauarbeiten am Gebäude läuft. Infoposter erzählen auf tschechisch und englisch die Geschichte dieses ungewöhnlichen Gotteshauses. Ich nehme mir die Zeit uns lese die Texte.

Der Legende nach brachte im 13. Jahrhundert der Abt eine handvoll Erde vom Berg Golgatha, auf dem Jesus gekreuzigt wurde, zurück und verstreute sie auf dem Friedhof. Das war ein unerhörter PR-Move, denn nun wollte jeder in der heiligen Erde begraben werden und der kleine Friedhof von Sedlec zu einem der begehrtesten Beisetzungsorte Europas. Der Tod war ein boomendes Geschäft, und wegen Pest und Hussitenkriege wurde noch schneller expandiert, bis der Friedhof eine Größe von 3,5 Hektar erreichte – das sind 5 Fußballfelder.

Anfang des 15. Jahrhunderts reichte es dann mit der Expansion, die Bewohner von Sedlec brauchten Bauland, und deshalb sollte der Friedhof verkleinert werden. Man baute eine Kirche in die Mitte des Friedhofs, exhumierte 40.000 Tote und brachte deren Gebeine ins Untergeschoß, des Gotteshauses. Die Einlagerung übernahm ein halb blinder Zisterziensermönch, der die Knochen ordentlich aufeinanderschichtete. 1870 kaufte eine Adelsfamilie die Kirche, beschloss eine Renovierung und beauftragte einen Holzschnitzer mit der Innenausstattung. Bedingung: Er durfte weder Holz benutzen noch schnitzen, sondern sollte die komplette Deko aus Knochen bauen. Das tat er dann auch.

Ich steige die Treppe wieder hinab und betrete das Untergeschoss. Hier ist ein kleiner Kassentresen, an dem man aber keine Eintrittskarten kaufen kann. Die muss man sich vorher im Internet besorgen oder ein einem Besucherzentrum, dass 150 Meter die Straße runter ist.

Neben dem Tresen geht es eine breite Treppe hinunter, an deren Ende eine Halle mit dem eigentlichen Ossarium liegt. Alles wirkt runtergekommen. Baufolie an den Fenstern, Spinnweben wehen im Sonnenlicht, das auf den fleckigen Steinfußboden fällt, Putz ist großflächig abgebröckelt. Trotzdem strahlt der Ort eine Erhabenheit aus. Ich staune ehrfürchtig.

Wie lange hat es jetzt gedauert, bis ich es endlich hier her geschafft habe? Fast 10 Jahre, oder? Ja, muss 10 Jahre her sein, dass ich das erste mal von Kutná Hora gehört habe, und dann begann ich zu recherchieren. Orte wie diesen gibt es nur eine Handvoll in Europa. Die Krypta in Rom. Die Kirche in der Toskana. Die Gruft in Palermo. Der Gag ist: Ich habe alle anderen gefunden und auch schon besucht, aber Kutná Hora, wo alles mit anfing, besuche ich als Letztes. Hätte ich mir man bloß nicht so lange Zeit gelassen – seit diesem Jahr ist fotografieren verboten, weshalb ich leider keine Fotos von dem zeigen kann, was ich nun sehe.

Der Raum ist vom Grundriss her gar nicht groß, aber bestimmt 5 Meter hoch. In die rissigen Wände sind mehrere große Nischen eingelassen, deren Decke ein Kronleuchter hängt. Das Besondere: Er ist aus Knochen gefertigt. Genau wie die Girlanden, die von dem Kronleuchter zu den Wänden führen. Mitten in der Halle stehen vier spitze Holzpyramiden, die auf zwei Seiten Schädel mit Schädeln bestückt sind, die auf Armknochen ruhen. Dieses „Muster“ – Ein Schädel auf zwei gekreuzten Knochen – findet sich auch an den Wänden wieder und sieht ein wenig so aus, als sei das hier von einem Piratenfan gestaltet worden.

Vom Hauptraum gehen fünf Nischen ab, die mit Gittern vor dem Betreten geschützt sind. In einer davon, gegenüber der Treppe, steht ein Kruzifix. In den anderen vier sind große Pyramiden von Schädel- und Beinknochen aufgeschichtet, über denen jeweils eine goldene Krone aus Holz schwebt. Fotografieren ist hier leider seit neuestem Verboten. Was nicht verboten ist, ist das fotografieren der Fotos, die draußen hängen und so aussehen:

in einer kleineren Nische steht eine Nachbildung des Grals, bestimmt zwei Meter hoch und aus Schädeln, Bein, Arm und Beckenknochen gebaut. Ein Stückchen weiter ist bedeckt das Familienwappen der Adelsfamilie fast eine ganze Wand. Das ist auch sehr kreativ gestaltet. Unten rechts sieht man die Teilnahme an den Feldzügen gegen das osmanische Reich – eine Krähe pickt einem türkischen Soldaten die Augen aus.

Direkt nebenan ist ein Legomuseum, das natürlich auch einen Shop hat – hier gibt es folgerichtig einen Becher in Totenschädelform und aus den Lautsprechern tönt „The headless horseman“.

Ein Stückchen die Straße runter ist das Besucherzentrum, an dem man Tickets kaufen kann, auch hier ist heute morgen nichts los. Gegenüber liegt eine Kathedrale gothischen Baustils, aber da die erstens barock angepinselt ist und zweitens man nicht fotografieren darf, disqualifiziert die sich selbst und sei hier nur am Rande erwähnt. Ich laufe zurück zum Motorrad.

Interessanter ist da schon die Kathedrale der St. Barbara, die drei Kilometer weiter südlich steht. Ja, Kutná Hora hat zwei Kathedralen. Der Ort hatte früher eine eigene Silbermine, den Reichtum der Vergangenheit bemerkt man an der Zahl der Kathedralen.

Parken vor der Kathedrale ist nicht einfach – zwar ist genug Platz, aber der ist abschüssig. Zwei mal parke ich die Barocca, kriege aber den Seitenständer nicht raus, bis ich den Idealen Parkplatz zwischen zwei doof parkenden SUVs finde – da passt kein Auto mehr dazwischen, mein Motorrad aber schon.

Die Kathedrale ist ein prachtvolles Beispiel für gothische Bauformen ist und dennoch die Eleganz eines Kornspeichers aufweist. Tja, auch bei klarer Formensprache kann halt doch schlechte Architektur rauskommen.

Bild: Google Earth.

Das Innere ist unübersichtlich, und an einer Seite sind nur matt-transparente Fenster. Die Buntglasfenster an den anderen Seiten sind aus der Zeit um 1900 bis 1920.

Ich erkunde Kutná Hora noch ein wenig. Ein schmuckes Örtchen, mittelalterlich, in der Peripherie gesäumt mit Barockbauten.

Es ist heiß, die Sonne scheint. Auf Rumlaufen habe ich keine Lust, aber auf Motorradfahren. Mal sehen, wo könnte ich denn mal hinfahren? Was liegt denn noch so in der Gegend? Ach, DAS! Ja, das ist gut. Ich zerre ein Ziel aus Annas Speicher und brumme los.

Es geht wieder über langweilige, gerade Landstraßen, dann über lustige kleine Dorfstraßen und schließlich durch Wiesen und Wälder.

Nach zwei Stunden fahre ich über eine Betonrampe in ein Waldstück und komme bei einem riesigen Felsüberhang an.

Unter dem sind Bierzeltgarnituren aufgestellt, an dem Motorradfahrer sitzen. Die Maschinen parken kreuz und quer und sonstwo. Ich stelle die Barocca am Berghang ab. Naaaa….. Ok, das geht gerade so mit dem Seitenständer.

Dann sehe ich mich um. Das hier ist Pekelné Dolny, die Bikerhöhle.

Vor einem Felsüberhang steht eine Bühne und ein seltsames Holzhäuschen.

Unter dem Felsüberhang sind Glastüren in der Felswand eingelassen, in die asphaltierte Fahrspuren führen.

Sie führen an Felswänden entlang, zwischen Säulen hindurch und durch breite Durchfahrten.

In der diffusen Beleuchtung sehe ich Sitzgruppen aus alten Sofas, Bühnen mit Puppen und seltsame Dekomaterialien, dazu etwas, das wie eine Folterkammer aussieht.

An einem der Ausgänge gibt es eine Bar.

Man kann mit dem Motorrad durch die Höhle bis zur Bar fahren ohne absteigen zu müssen. Aber was macht man dann mit dem Getränk, wenn man es einmal hat? Nein, ich bestelle mir hier lieber zu Fuß einen Kaffee. „Ein Euro Fünfzig“, sagt die Bedienung. Hossa, in Euro und dann so gesalzen? Die machen sicher gut Kohle hier. Na, sollen sie. Ich nehme den Pulverkaffee, den die Bedienung mit heißem Wasser aufgießt, und setze mich vor die Höhle in die Sonne.

Als ich den Kaffee ausgetrunken habe, klettere ich wieder auf die V-Strom. Aber vorsichtig, GANZ vorsichtig, jetzt bloß nicht unter aller Augen hier am Berg umfallen – obwohl, wären ja genug Leute zum Helfen hier.

Dann fahre ich zwei Runden durch die Höhle und schaffe es allen Ernstes zwei Mal mich zu verfahren und muss über Absätze gurken, um wieder auf die Fahrspuren zu kommen. Was bin ich froh, dass die V-Strom nicht mehr tiefergelegt ist. Noch im vergangenen Jahr hätte die Maschine hier festgehangen, jetzt hoppelt sie über die Steinkanten einfach hinweg.

Ich verabschiede mich von der Moppedhöhle und mache mich auf den Heimweg. Vor mir eiert ein Knallkopp mit einer Harley herum. Der Typ ist mir schon an der Höhle unangenehm aufgefallen. Ungefähr mein Alter, Sonnenbrille, Kippe im Mundwinkel, Fransenlederjacke, Cowboystiefel. Er hat einen Jungen im Teenageralter dabei, dem das auf-Cool-machen und am-Gas-reißen seines Vaters schon an der Höhle sichtlich peinlich war, und der nun in Sieben-Achtel-Hosen und FlipFlops hinter der Sissybar der Harley kauert.

Die Harley trägt das Kennzeichen „CZ JOHNNY“, und der eiert in Schlangenlinien vor mir rum und nervt mich nach zwei Sekunden bis auf´s Blut. Der Johnny  kuppelt nämlich alle paar Meter aus und reisst am Gas rum und produziert damit eine unfassbare Lautstärke. Leider ist Johnny auch ein unsäglich schlechter Fahrer und trägt seine Krawallbüchse quasi durch die Kurven. Ich hasse ihn sofort und inständig und säge ihn bei erster sich bietender Gelegenheit ab, was bei einem so schlechten Fahrer wirklich keine Kunst sein sollte, sich dann aber doch als etwas schwierig gestaltet, denn der Knatterkopp segelt immer von rechts nach links über die gesamte Breite der einspurigen Straße. Ich synchronisiere mich auf sein Rumgeschwanke und als es passt, zieht die Barocca  blitzschnell vorbei. Johnny lässt protestierend den Motor knattern, dann ist das Altmetall aus Milwaukee im Rückspiegel verschwunden.

Ich pflücke einen Zweig und Blätter aus dem linken Handprotektor. Ich habe im Vorbeiziehen ein paar tiefhängende Äste gestreift. Und plötzlich begreife ich auch, warum die neuen Handprotektoren den Namen „Barkbusters“ tragen. Meine Güte, manchmal dauert es, bis der Groschen gefallen ist.

Auf dem Weg zurück nach Gablonz fallen mir noch mehr Moppedfahrer auf, die in ohrenbetäubender Lautstärke unterwegs sind. Ich mag das nicht. Wenn ich so ein lautes Mopped hinter mir habe, das knallt und röhrt, steigt mein Stresslevel. Die aktuelle Lautstärkediskussion in Deutschland, bei der es darum geht Motorräder ab Werk leiser zu machen? Habe ich eine klare Meinung zu. Die meisten neuen Motorräder und nahezu alle „Tuningauspüffe“ sind so laut, dass es an Körperverletzung grenzt, gleichzeitig wird bei den Zulassungstests betrogen. Das ist erkennbar nicht richtig und eigentlich ist es ein Wunder, das der Gesetzgeber so lange nicht dagegen unternommen hat. Ich finde Strafen dagegen richtig, aber ich gehöre auch zu den Leuten, die nicht absichtlich anderen Menschen auf den Nerv gehen wollen. Und nur mal zum Vergleich: Meine 17 Jahre alten ZZR und die 9 Jahre alte V-Strom sind wesentlich leiser als alles, was aktuell verkauft wird.

Die Kurvenstrecke vor Liberec lässt mich breit grinsen. Perfekter Asphalt, und dank der Höherlegung kann ich die V-Storm jetzt viel tiefer in die Kurven zwingen als zuvor, ohne Angst haben zu müssen das sie aufsetzt.

Vor der Rückkehr in die Pension mache ich noch einen kurzen Abstecher zum besten Freund von Reisenden, dem Herrn Lidl. Heute Abend gibt es landestypisches Backwerk aus der Backtheke und dazu Bulgursalat.

Zurück in der Pension die Feststellung: Ich bin immer noch allein im großen Haus und wirklich gänzlich ungestört – das Zimmer ist genau so, wie ich es zurückgelassen habe, niemand hat zwischendurch mal das Bett gemacht oder durchgesaugt oder gelüftet oder den Mülleimer ausgeleert. Ist mir recht. Ich sitze am großen Fenster, esse zu Abend und blicke über Gablonz. Draußen wütet die Pandemie durch die Welt, und ich bin hier. Allein. Und zufrieden.

Tour des Tages: Von Jabloncz nach Kutná Hora, von dort nach Pekelné Doly und zurück über Liberec, insgesamt 313 Kilometer.

Bild: Google Earth.
Kategorien: Motorrad, Reisen | 2 Kommentare

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2 Gedanken zu „Reisetagebuch Motorradtour (4): Die Knochenkirche

  1. Vom Ossarium hat mir das erste Mal Ewan McGregor erzählt 😉
    Laute Motorräder, Mopeds und Autos (!) kann ich auch überhaupt nicht leiden, bin „letztens“ (als es noch warm war und so) mit meinem kleinen lautlosen Moped hinter einem Chevy irgendwas gefahren und war heilfroh als der endlich abbog, weil das so gedröhnt hat im Helm…

    Diesmal hab ich eine kleine Kritik an den Post: bitte einmal durchlesen und redundante Wörter entfernen, beim schöner bzw. um-formulieren ist dir da einiges durch die Lappen gegangen, was es schwer macht es zu lesen.

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  2. Oh ja, da musste ich neulich auch schmunzeln, als ich Long way round noch mal gesehen hab.

    Meine erste Fahrt in einem elektromobil steht noch aus, ich bin schon sehr gespannt wie es so ist, den anderen Straßenverkehr zu erleben, wenn man ganz still unterwegs ist.

    Ich glaube ich brauche eine Qualitätssicherung. Irgendwann werde ich einfach blind für eigene Texte, auch nach deinem Hinweis habe ich nur genau ein Wort gefunden, dass sich verlaufen hatte 🙁

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