Reisetagebuch (5): Granatäpfel

Reisetagebuch (5): Granatäpfel

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Im November 2015 begeben sich Modnerd und Silencer auf Reisen. Das Besondere: Modnerd hat keinen blassen Schimmer wohin es geht oder was ihn erwartet. Kontrollverlust und Überraschungen sind das Konzept dieser Reise. Dies sind die Tagebücher der beiden. Am fünften Tag wird Silencer von Obst irritiert, es geht an die tiefste Schlucht der Welt und in ein Disneyland unter der Erde.

Mittwoch, 4. November 2015, Granitsa, Griechenland

Warum das Hotel Panorama Hotel Panorma heißt, hatte sich bei unserer Anreise im Dunkeln nur erahnen lassen. Jetzt, am Morgen danach, wird klar, dass der Name nicht viel Fantasie bedurfte.

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Als Modnerd und ich um kurz nach 8 Uhr die Gaststube des Hotels betreten, bittet uns die Wirtin mit Gesten, begleitet von einem Schwall griechisch, an einen Tisch am Fenster der Gaststube. Dann fährt sie Brot, Käse, Marmelade, Schinken, gebratenes Rührei und frittierten Toast auf, dazu hervorragenden Kaffee. Nach so einem Frühstück braucht man drei Tage nichts mehr essen!

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Griechenland ist toll, aber ich muss zugeben: Selten habe ich mich so hilflos gefühlt. Nicht nur, dass ich kein Wort der Sprache hier verstehe, geschweige denn spreche. Nein, die Isolation geht viel weiter. Aufgrund des seltsamen Alphabets kann ich Schilder und andere Texte nicht lesen. Mir wird jetzt erst klar, wieviele Informationen ich normalerweise in anderen Ländern über das geschriebene Wort aufnehme. Im Moment fühle ich mich, als wäre mir ein ganzer Sinn abhanden gekommen. Oder als hätte man mir was amputiert. Bei der Gastwirtin muss ich mich daher per Google Translator bedanken. “Danke, das war fantastisch”, schreibe ich und halte ihr das Telefon hin, auf dem steht:

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Sie freut sich, also habe ich vermutlich gerade nicht ihre Mutter beleidigt. Die sitzt ein Stück weiter und lächelt ein niedlich-verknautschtes und zahnloses Grinsen. Offensichtlich freut sie sich, dass Gäste im Haus sind. Nunja, nicht lange. “Es war sehr schön hier, vielen Dank für alles” tippe ich und halte der Wirtin hin:

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Sie strahlt und freut sich so sehr, dass sie uns spontan etwas schenken möchte. Sie sieht sich kurz in der Rezeption um, dann greift sie in eine Obstschale und steckt uns zwei Früchte zu. es sind Granatäpfel. Ich habe keine Ahnung, was ich damit machen soll, also freue ich mich einfach mal. Dann verlassen wir Granitsa, den abgelegenen Bergort.

Was macht man damit, wenn man unterwegs ist? Egal. Ich freue mich.
Was macht man damit, wenn man unterwegs ist? Egal. Ich freue mich.

Es geht weiter nach Norden, durch die Berge. Die Straße ist eng und kurvig, und immer wieder liegen Steine, Felsen, Hunde, Kühe oder Pferde darauf herum. Manchmal sehen wir auch Ziegen oder Schafsherden. Die Sonne scheint, und mit über 20 Grad ist es angenehm warm. Die Landschaft bringt mich ein ums andere Mal ins Staunen.

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Über eine schmale Brücke geht es über einen blau leuchtenden Fluss.

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Immer wieder halten wir an und bewundern die Weite des Landes und die wunderbar schroffe und erstaunlich dreidimensionale Landschaft. Die Luft ist kühl, aber in der Sonne ist es warm.

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Nach drei Stunden kommen wir aus den Bergen heraus, queren eine Ebene, fahren ein Stück Autobahn und dann weiter über Landstraßen. Im Schatten der Bäume stehen kleine Buden, wie Kioske, und davor Behälter, die wie Eistruhen aussehen. Eistruhen mit Wänden aus Glas, in denen es… wimmelt? Tatsächlich sind das Tanks mit lebenden Fischen, die da am Rand der staubigen Straße stehe. Die Buden verkaufen ganz frischen Fisch!

Dann kurven wir in ein anderes Gebirge. Hier liegt die Vikos-Schlucht, die tiefste Schlucht der Welt.

Da staunt das Wiesel: Hier gibt es Bären!
Da staunt das Wiesel: Hier gibt es Bären!

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Der Aussichtspunkt Oxy bietet einen spektakulären Blick. Wer sich traut, kann von dort aus einen unbefestigten Fußweg ohne Geländer entlang gehen, von dem aus es hunderte Meter in die Schlucht geht.

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Das Wiesel hat davor natürlich keine Angst, ist es doch in der festen Annahme, dass Wiesel fliegen können.

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Modnerd:
Beim zweiten Mal ist alles anders. Mittlerweile ärgere ich mich nicht mehr über meine eigene Dummheit, sondern erlebe schon wieder etwas Besonderes. Es ist wohl ziemlich selten, nachdem man ein Land oder eine Region kennengelernt hat, 6 Wochen später noch einmal hier zu sein, um mehr zu entdecken, lose Ende aufzuknüpfen und mit anderer Perspektive unterwegs zu sein. Und auch das Wetter hat sich weiterentwickelt – es ist herbstlich und alles fühlt sich deutlich anders an.

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Genau dies erkenne ich heute als großes Privileg an. Schnell merke ich, dass dieses Mal alles anders ist. So ist etwa die Meinung, die ich mir nach dem letzten Besuch über Griechenland gemacht habe, ein Urteil, dass sich vor allem in den Aussagen und Erzählungen gegenüber Freunden erst nach der Rückkehr manifestiert hat. Schnell ist eine Revision fällig: Bei diesem zweiten Besuch kommt mir das Land wie eine verbesserte Version vom letzten Mal vor. Irgendwie bin ich positiver eingestellt bzw. ich bin schon vorbereitet und weiß, was ich erwarten kann und was nicht. Und in diesem Mindset finde ich das Land irgendwie bunter, die Straßen besser und die Leute noch freundlicher. Es fühlt sich also eher an wie ein ganz anderes Land, Griechenland Version 2. Insofern sind die Emotionen der Überraschungsreise hier schon wieder neue, andere als ich sie noch in Italien beschrieben habe.
In jedem Fall freue ich mich sehr. Selbst als wir in genau die Regionen kommen, in denen ich schon gewesen bin und eine Attraktion aufsuchen, die ich bereits kenne, merke ich: Der letzte Besuch war nur punktuell, es gibt viel mehr zu entdecken. Und ich habe ein paar Sachen liegen gelassen, die ich schon heute nachholen darf. Toll!

Bei der Vikos-Schlucht können wir weiter und höher fahren als das letzte Mal (anders als beim letzten Mal reicht das Benzin!), die Zeit ist besser, das Licht ist schöner. Und überhaupt: Im Herbst sieht das ganze Land fantastisch aus! So hat doch alles doch wieder einen Sinn und ich bin an jeden Tag aufs Neue gespannt auf die Überraschung, die sich jeweils auflösen wird: Kenne ich die Attraktion schon, oder ist es etwas gänzlich neues? Wie werden wir uns dieses Mal nähern, was verändert sich?
In jedem Fall ist ein zweites Mal nicht nur ein Aufguss des erstes Males, sondern eine tolle Erweiterung. Und mein Gefühl der Schmach bezüglich der Sabotage der eigenen Überraschungsreise-Idee hat sich weitestgehend gelegt.

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Silencer:
Von Oxy geht es nach Ioannina. Die Stadt liegt an einem See, inmitten von Bergen. Ich fühle mich ein wenig an Twin Peaks erinnert, zumal die Wälder ringsum rot in der Abendsonne leuchten.

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Im Vorort Perama liegt die gleichnamige Höhle. Die wurde, so erzählt uns Angelica, unsere Führerin, erst im zweiten Weltkrieg entdeckt. Die Bevölkerung suchte Schutz vor den Bombenangriffen der Deutschen. Perama liegt in einer Ebene, mitten auf dieser Ebene, ganz frei stehend, ein großer Hügel. Beim Spielen entdeckte ein Junhe ein Loch im Berg, aus dem Luft kam. Dahinter war ein 120 Meter langer Gang, in dem sich die Bevölkerung Peramas zusammenquetschte. Was sie nicht wussten: Hätten sie ein paar Stalaktiten weg gebrochen, hätten sie mehr Platz gehabt. Ca. 14.800 Quadratmeter mehr Platz, denn der ganze Hügel ist eine gigantische Tropfsteinhöhle. Angelica führt uns durch ein riesiges, unterirdisches Wunderland voller Figuren und Formen.

Das ist nicht nur ein großer Berg: Das ist die Höhle!
Das ist nicht nur ein großer Berg: Das ist die Höhle!

Allein der Vorraum der Höhle ist so groß, dass die Iberger Tropsteinhöhle im Harz mehrfach hineinpassen würde. Wo andere Höhlen sich über eine besondere Steinformation freuen, hat die Perama HUNDERTE. Auch so absurde wir das Kreuz, dass ein abgebrochener Stalaktit ist, der in einen gespaltenen Stalagmiten gefallen und im rechten Winkel mit ihm verwachsen ist. Die ganze Höhle ist un-glaub-lich, und wie üblich sind Fotoaufnahmen verboten.

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Die Führung endet auf dem Hügel. Angelica verabschiedet sich von Modnerd und mir, und wir genießen den Ausblick über den See und Ioannina.

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Später kehren wir ins Hotel Aktis ein, bekommen ein Zimmer mit Seeblick und machen uns dann noch auf zu einem kurzen Abendessen in der Stadt.

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Ioannina ist eine Studentenstadt, und das merkt man: Sie ist quirlig und voller junger Läden. Was man aber auch merkt: Die Wirtschaftskrise ist hier nicht ausgestanden. Viele Geschäfte sind geschlossen.

Das ostdeutsche Ampelmännchen als Werbeträger für Unterwäsche.
Das ostdeutsche Ampelmännchen als Werbeträger für Unterwäsche.

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Was mir unangenehm auffällt: Die Gegend stinkt. Modnerd bezeichnet das als “südeuropäischen Brennholzgeruch”, und das stimmt: Es ist der Geruch von ungefilterten Holzöfen, in denen alles Mögliche verbrannt wird. Der Geruch liegt schwer in der Luft, zieht in die Klamotten, wabert im Hotelzimmer herum und kratzt im Hals. Sehr. Unangenehm. Fenster zu, und der Muff bleibt draußen.

Etwas ratlos sitze ich wieder vor dem geschenkten Obst. Katja hat via Twitter den Tip gegeben, Granatapfelkerne in Joghurt zu rühren oder in Salat zu tun. Granatäpfel seien aber nur unter fliessendem Wasser zu öffnen, sonst Schweinerei. Gut, ich habe hier weder Joghurt noch Salat, aber fliessendes Wasser. Ich drehe einen Hahn auf, halte den Granatapfel darunter und ziehe vorsichtig an einer kleinen Stelle der Schale. Sekunden später sieht die Küchenzeile des Hotelzimmers und mein Hemd aus, als hätte ich hier gerade ein Tier geschächtet. Seufzend lege ich das Obst in einen Abfalleimer. Wenn ich wirklich versuchen würde diesen Granatapfel zu öffnen, müsste man vermutlich hinterher das Hotelzimmer neu tapezieren.

Tour des Tages: Von Granitsa nach Ioannina, rund 200 km.
Tour des Tages: Von Granitsa nach Ioannina, rund 200 km.

6 Gedanken zu „Reisetagebuch (5): Granatäpfel

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