Reisetagebuch Motorradtour 2017 (2): Twin Peaks-Forellen

Im September 2017 ging es auf Tour, erstmals mit der V-Strom 650. Dies ist das Tagebuch der Reise. Heute: Fahle Leichentücher, Fische an ungewöhnlichen Orten und Probleme mit… der Lichtmaschine?

Die Konferenz ist in vollem Gange. Gerade ist Kaffeepause. Ich sehe meine Kolleginnen und Kollegen unter den Gästen. Warum fällt niemandem auf, dass es keinen Kaffee gibt? Ich laufe durch die Lobby. Wo ist die Cateringcrew? Wo sind die Kellner? Ich sehe an mir herunter und erschrecke, als ich merke, dass ICH der Kellner bin. Stimmt ja! In meiner Hand ist plötzlich ein leeres Tablett. Es ist Kaffeepause, und ich habe vergessen Kaffee zu kochen. Zweihundert Leute werfen mir wütende Blicke zu an und schütteln tadelnd die Köpfe.

Ich wache mit klopfenden Herzen auf. Zum Glück nur ein Traum. Ich blicke auf die Armbanduhr. Kurz nach 6, viel zu früh. Bis ich zur Arbeit muss kann ich noch eine Stunde schlafen. Ich drehe mich um und lausche ins Dunkel.

Dann schrecke ich hoch. Was ist das für ein Geräusch? Das gehört hier nicht her, in meiner Wohnung gibt es nichts, was so ein Geräusch macht. Und dann fällt es mir wieder ein. Das hier ist nicht meine Wohnung. Ich bin unterwegs. Ich bin auf Motorradtour!

Sonntag, 17. September 2017, Sölden im Ötztal, Österreich

Ich schlafe tatsächlich nochmal ein, bis um 7:30 Uhr der Wecker quengelt. Im Bad glotzt mich wieder das müde Tränentier an. Man, muss ich fertig sein, wenn ich nach einem SO langen und aufregenden Reisetag wie gestern nicht davon, sondern von Konferenzen und Meetings und Arbeitssmalltalk träume. Irgendwie fehlte in diesem Jahr bislang die Zeit die natürliche Schutzschicht ums Hirn wieder zu erneuern. Wenn die Wände zu dünn werden, sickern Dinge in tiefe Regionen des eigenen Selbst, die da nicht hingehören.

Ich packe mein Kram zusammen und schmeiße mich schon in komplette Motorradmontur, dann trete ich auf den kleinen Balkon hinaus. Das Zimmer war gut beheizt, draußen ist es arschkalt, vielleicht drei Grad.

Ich gehe hinunter zum Frühstücksraum. Die Wirtin kommt herbeigewuselt, eine schlanke, sportliche Mittvierzigerin. „Ich hab ihnen da schon den Fernseher angestellt“, sagt sie. Tatsächlich, es läuft ein Lokalsender. Sölden-TV oder so, bringt nur Werbung lokaler Geschäfte und Infos über das Skigebiet. Oder, wie jetzt, das Timmelsjoch.

Gestern hatte Frau Wirtin noch gefragt wo ich hin wolle. Zum Brenner, hatte meine Antwort gelautet. „Sie wissen aber schon, dass hierherobn das Timmelsjoch ist, das sind´s viel schneller in Italien“. Klar weiß ich das. Deshalb hatte ich hier die Unterkunft gebucht. Morgens auf´s Motorrad und los geht´s, Berg hoch, übers Joch und schon in Meran. Wird nur nix draus, seit einer Woche steht das Wetter auf Schneefall, und heute Morgen schneit es wirklich. Sölden TV zeigt die Bilder der Webcams vor Ort und bestätigt, was die Wetter-App mir schon gesagt hat.

„Habens schon gesehen? Da herob´n geht heute nix, oder?“, sagt Frau Wirtin. „Nee, da geht nix“, sag ich und nehme noch einen Schluck Espresso. „Wollens´ nicht richtigen Kaffee?“, fragt sie. „Nein, danke, ich mag Espresso“, sag ich. Stimmt auch. Und der andere Vorteil von Espresso: Man muss danach nicht soviel auf´s Klo. Das ist wichtig heute.

Nach dem Frühstück bringe ich die Koffer zum Motorrad, dass die Nacht in der Garage neben dem Haus verbracht hat. Sicher steht die V-Strom da. Ich klippe die Koffer an, dann kehre ich zu meinem Zimmer zurück und lege sorgfältig mehrere Schichten Kleidung an. Die Merinounterwäsche und die Fahrerkombi trage ich ja schon, jetzt kommt darüber noch der Nierenprotektor und darüber die Regenkombi. Bis ich mich hineingewunden habe und alles sitzt bin ich schweißgebadet. Verschwitzt raus in die Kälte ist eigentlich nicht gut, aber ich mache mir keine Sorgen. Der Merinokram leitet Schweiß vom Körper weg, die restlichen Kleidungsschichten haben Membranen und sind atmungsaktiv. Die Gefahr sich zu verkühlen ist echt minimal.

Ich fahre die Suzuki rückwärts aus der Garage in den strömenden, kalten Regen und starte den Motor. Sofort röhrt der V-Twin auf, dann geht es hinaus auf die Straße.


Am Lenker leuchtet das große Display des Garmin Zumo und weißt mir den Weg zurück durch´s Ötztal, den ich gestern gekommen bin. Das Zumo ist ein wenig mehr als ein normales Navi. Vernetzt mit Sensoren am Motorrad, meinem Telefon und dem Internet kann es erstaunliche Dinge. Ich habe mich schon ein paar mal dabei erwischt, wie ich nicht vom Garmin als Navi, sondern als eine kleine KI, eine künstliche Intelligenz gedacht habe. Warum auch nicht? Immerhin sucht das Gerät Informationen, die speziell für mich relevant sind, und es kann sogar meine Vorlieben für Strecken lernen, wenn auch nur sehr begrenzt. Nach dem Namen der deutschen Stimme nenne ich das Garmin in Gedanken manchmal Anna. Es ist netter wenn die Stimme im Helm, die Copilotin und Lotsin zugleich ist, einen Namen hat.

Anna. Nass.

Heute Morgen hat Anna Quasselwasser getrunken. Sie hat Verkehrsmeldungen für unsere Route gefunden, noch und nöcher, und besteht darauf sie mir ALLE vorzulesen. Es ist alles dabei, von Unfällen über Warnungen vor Schnee bis zu Erdrutschen. Ich nehme das erstmal nur zur Kenntnis. Alles zu seiner Zeit, um Widrigkeiten mache ich mir Sorgen, wenn es soweit ist.

Anna zeigt unangenehme Halbwahrheiten, wähnt sie uns in diesem Moment gerade auf dem Berg, neben dem wir gerade her fahren. Es sind mehr als -3 Grad, aber kalt ist es trotzdem.

Es ist halb 9, und um diese Zeit ist in einem Urlaubsort und noch dazu am Sonntag nicht viel los. Ich habe die Landstraße fast für mich, und das ist auch gut so. Immer wieder muss ich komisch fahren, um im strömenden Regen Längsrillen oder Bitumenflicken auszuweichen. Dann wird der Asphalt besser und die Straße kurviger. Bei gutem Wetter eine super Motorradstrecke, aber jetzt erfordert sie hohe Konzentration. Fahrbahnbeschaffenheit und Straßenverlauf sind im Auge zu behalten, außerdem ist um diese Zeit mit Wildwechsel und bei diesem Wetter vielleicht sogar Steinschlag oder Erdrutschen zurechnen.

Wenigstens wird mir nicht kalt, denke ich. Es lohnt sich echt nicht, an der Ausrüstung zu sparen. Die Stormchaser-Regenklamotten, die ich trage, sind das beste was man kriegen kann und jeden Cent wert. Während das kalte Regenwasser auf mich einprasselt, sitze ich in meinen Anzug absolut im trockenen. Die von Bernhard gefertigte Sitzbank verhindert, dass ich darauf herumrutsche, selbst wenn sie nass ist. Und die Reifen auf der V-Strom sind die mit den besten Haftwerten auf nasser Fahrbahn. Das gibt Sicherheit.

Nach einer Stunde bin ich aus dem Ötztal wieder heraus und fahre nach Osten. Der Regen hört nicht auf, dichte, weiße Wolken hängen im Talkessel fest. Statt Kurvenspaß am Timmelsjoch nun also Autobahn. Ich hatte befürchtet das genau sowas passiert, und deshalb klebt an der Gabel der V-Strom schon eine Mautvignette für österreichische Autobahnen.

Die hatte ich zuhause beim ADAC gekauft und gehofft sie nicht zu brauchen, nun bin ich froh, dass ich sie habe. Über die Autobahn geht es sehr schnell nach Innsbruck. Auch hier regnet es, aber über der Stadt hängt eine fahle Sonne in den Wolken und wirft kaltes Winterlicht auf Nebelbänke und Wolkenfliese. „Als hätte sich die Sonne in Leichentücher gehüllt“, denke ich und nehme die Auffahrt zur Brennerautobahn.

Von Sölden aus durch das Ötztal nach Norden, dann Autobahn nach Osten bis Innsbruck, dann wieder nach Süden über den Brenner.

Ebenfalls zuhause habe ich ein Videomautticket für den Brennerpass gekauft und ausgedruckt. Das Videomautsystem erkennt zwar Motorräder nicht automatisch, weil Kennzeichen nur von vorne erfasst werden, aber ich kann den Barcode an einen Automaten halten und die Schranke geht auf. Der Verkehr ist jetzt sehr dicht, und zusätzlich zum kalten Regen kommen die Wasserschleier, die von den Autos aufgewirbelt werden, und die über der Autobahn liegen wie dichter Nebel.

Ich fahre wie ein Roboter. Ist das hier Urlaub? Hatte ich mir das so vorgestellt?, denke ich, während ich ständig Wasserschlieren vom Visier wische. Ich hätte nicht fahren sollen. Ende September muss man mit genau so einem Wetter rechnen, und das geht jetzt vermutlich so weiter. Dabei könnte ich auch gemütlich zu Hause im Bett liegen und lesen. Warum tue ich mir das hier an?

Immerhin ist es nur eiskalter Regen. Laut Wetteranzeige hätte es auch Schneeregen oder Schnee sein können, dann wäre die Fahrt hier zu Ende gewesen.

Die A13 ist schnell am Ende, und ich ziehe ein Mautticket für die italienische Autobahn. Eine Alternative gibt es nicht, die alte Brennerstraße ist wegen eines Erdrutsches weiter südlich gesperrt. In Trens nehme ich Benzin auf, dann geht es weiter. Die V-Strom zieht stoisch ihre Bahn zwischen all den SUVs und Passats mit deutschen Urlaubern. Einmal winken mir welche zu, die auf einem Anhänger zwei Motorräder mitführen. „Weicheier“, denke ich und winke nicht zurück.

Bei Franzensfeste wird der Regen weniger, und an der südlichen Stadtgrenze von Bozen, dort wo das Firmengebäude von Salewa liegt wie ein gestrandetes U-Boot aus der Zukunft, scheint plötzlich die Sonne.

Über dem Tal liegt noch eine dicke Wolkenschicht, aber das hier ist nicht die fahle Totensonne von nördlich der Alpen, das hier ist eine kräftige Herbstsonne, die es den Wolken zeigt. Als ich auf den Tank der V-Strom blicke, sehe ich etwas, was ich bislang noch nicht oft gesehen habe: Das Licht der Sonne ist so intensiv, dass im schwarzen Lack des Motorrads blaue Metallikteilchen aufleuchten. Plötzlich scheint die V-Strom von Innen heraus blau zu glühen, und ich hoffe, dass ist das Zeichen, dass ab jetzt das Wetter besser wird. Zumindest sind die Wolken zurückgedrängt. Manche von denen sitzen links und rechts der Straße in den Schluchten und Spalten der riesigen Felswände, ganz so als wollten sie sich verstecken.

Manche finden die Brennerautobahn ja langweilig. Ich meine, dass die Monotonie es Fahrens auch sein gutes hat – weil die Straße so wenig fordernd ist, hat man mehr Zeit sich das Tal anzusehen. Riesige Berge, weite Weinberge, schroffe Felswände, steile Klippen mit Burgen und Kapellen oben drauf – das Brennertal ist beeindruckend, und von der Autbahn aus sieht man es in ganzer Pracht und hat Zeit es zu bewundern.

Dann bleiben die Felswände zurück und mit ihnen die Wolken und die Kälte. Plötzlich wird es warm, und der Himmel strahlt blau, und dann liegt, ganz platt und soweit ich gucken kann, der Vèneto vor mir. In diesem Moment kann ich nicht anders und lache laut los vor Erleichterung. Sonne! Wärme! Ich habe es über die Berge geschafft!

Kurz vor Verona tanke ich nochmal, denn an der Autobahn sind die Tankstellen besetzt. Heute ist Sonntag, das heißt auf dem Land gibt es wieder nur diesen Automatenschwachsinn. Italienische Automatentankstellen nehmen meist nur italienische Debitkarten, keine Kreditkarten. Die Bargeldannahme ist meist defekt, und wenn sie doch funktioniert, nimmt sie nur ab 20 Euro-Scheine aufwärts und erfordert ein Jodeldiplom um sie bedienen zu können.

Als der Tank der Suzuki randvoll ist, pelle ich mich aus der Regenkombi und stopfe sie in den Koffer. Hoffentlich brauche ich die so bald nicht wieder. Dann verlasse ich die Autobahn, zahle knapp 20 Euro Maut und mache mich auf den Weg nach Volta Mantovana. Ist eine spontane Eingebung, ich will mal gucken was aus dem Kiwi-Hof von Chiaras Familie geworden ist. Der Hof war mal ein Agriturismo und meine allererste Anlaufstelle bei meiner allerersten Motorradtour. Die Familie suchte nach neuen Möglichkeiten, in der strukturschwachen Region zu überleben. Sie bauten statt Wein Kiwis an, und hatten den Hof zu einem Gastzentrum für Wohnmobile ausgebaut. Dann wurde aber 2014 der Gästebetrieb eingestellt und Chiara ging weg – dem Vernehmen nach hat die Bank in der Wirtschaftskrise den Hof einkassiert.

Tatsächlich finde ich den Agriturismo nach einigem Suchen. Er sieht aus, wie ich ihn von früher kenne. Er wirkt bewohnt, sogar verwitterte Schilder mit „Campeggio Al Bagolaro“ hängen noch am Zaun. Seltsam. Aber egal, um Näheres rauszufinden müsste ich jetzt absteigen und mit den Leuten unterhalten, und ich will lieber weiter.

Es geh in Richtung Mantua, dann über die Po-Ebene nach Süden. Das ist langweilig zu fahren, aber mir egal: Hauptsache warm und Sonne!

Abwechselung kommt schnell, nach einer Stunde erreiche ich die Ausläufer einer Gebirgskette, den Apuanischen Alpen. Die liegen vor Ligurien und halten die kalte Luft der Alpen von dem schmalen Küstenreifen ab. Die Straße wird schmaler und schlechter, aber der V-Strom ist das egal. Ihr Fahrwerk steckt selbst Zumutungen wie von Hitze zerbröckelten Asphalt weg. Der Weg schlängelt sich durch die Berge. Anscheinend bei einheimischen Moppedfahrern sehr beliebt, denn die schießen in einem Fort an mir vorbei. Mir egal, ich will kein Rennen fahren, sondern ankommen.

Die apuanischen Alpen.

Die Strom zieht über die Bergstraße, und ich freue mich an den grandiosen Ausblicken und am Motorrad. Schon wieder bin ich seit 7 Stunden unterwegs, und weder meine Beine noch mein Hintern tut weh. Die Sitzposition auf der DL 650 ist wirklich entspannter, und weil sie höher auf den Beinen ist, nimmt sie auch die Kurven viel leichter als die ZZR, die mehr Körpereinsatz verlangt. Kein Wunder, das Reiseenduros bei alten Männern so beliebt sind: Sie sind bequem, und es erfordert nicht viel Kraft sie zu bewegen.

Dann sehe ich Regen in den Bergen hängen, und es wird kalt.

Ich will die Griffheizung einschalten, aber es passiert nichts. Dann meldet sich das Navi mit einem Piepen und verkündet „Akku schwach“. Akku schwach? Das Ding steckt in einer Halterung, die es mit dem Stromkreis des Motorrads verbindet, wieso läuft das auf Akku? Verdammt, das kann nur eines heißen: Fehler in der Elektrik.

Oder am Ende sogar die Lichtmaschine? Bitte nicht! Nochmal so einen Mist wie im vergangenen Jahr kann ich nicht brauchen! Ich drücke den Killschalter und der Motor geht aus. Für einen Moment rollt die V-Strom lautlos dahin, dann drücke ich auf den Starter. Der Motor springt sofort an.

Ich atme durch. OK, es ist also nicht die Lichtmaschine, nur irgendwas anderes in der Elektrik. „Nur“. Kann es nicht eine Fahrt ohne Probleme geben?! Ich halte an und nehme die Sitzbank ab, entdecke aber nicht ungewöhnliches. Alle Sicherungen sind in Ordnung.

Ich fahre weiter und gebe Gas, denn auf Akku hält das Garmin nicht lange durch. Es wurde dafür gemacht mit einer Ladehalterung benutzt zu werden. So ein Mist, ey. Kann nicht ein Mal alles einfach ganz normal laufen und nichts kaputt gehen? Ich hätte doch zu Hause bleiben und drei Wochen die Decke über den Kopf ziehen sollen, auf Stress habe ich überhaupt keine Lust!

Eine Stunde später stehe ich mitten im Wald, zumindest geistig. Ich stehe auf einer Straße mitten im Nirgendwo und sehe mich um. Hier sollte meine heutige Unterkunft sein, aber irgendwie ist hier nur Wald und eine Mauer und Häuser, die nicht so aussehen, als wäre hier ein Herbergsbetrieb. Unentschlossen rolle ich die SStraße entlang, und dann sehe ich ein Schild und muss schmunzeln: Ich habe das „Bad & Breakfast“ gefunden.

Die Unterkunft sieht aus wie Blockhütte, die durch ein Wurmloch aus Alaska hergeschleudert worden. Sie hat sogar einen englischen Namen: Lodge, „Forellenhütte“.

Das ist nicht mal das seltsamste. Seltsamer ist, dass sie auf dem Gelände einer Forellenzucht liegt. Eine Forellenzucht, mitten in den Bergen, auf 900 Metern Höhe, dazu Blockhütten und ein „Wassergarten“. Die Geschichte dahinter ist interessant. Der Inhaber hat als Kind mal eine seltene Forelle gefangen und mit der eine Zucht angefangen. Mittlerweile ist die Sorte nicht mehr vom Aussterben bedroht, und er ein internationaler Forellenexperte, der hier oben, in den Bergen, auch seltene Forellenarten aus anderen Ländern kultiviert. Das hier ist also ein internationales Zentrum für Forellenexperten, was auch die Zimmer in der „Lodge“ erklärt: Die sind u.a. auch für Gastwissenschaftler. Im Sommer gibt es hier Angelkurse, einen Wassergarten und sogar ein Restaurant, in dem man Fische essen kann, die kurz zuvor noch in der Gegend rumschwammen. Manchmal finden sich wichtige Dinge an abgelegensten Orten.

Sogar mit einem eigenen Logo: Die Forellenhütte.

Forellenbecken im Wald.

Forellenfarm von oben. Rechts die Blockhütte, links die Becken.

„Salve!“ höre ich eine Begrüßung. Anscheinend hat jemand bemerkt, dass ich hier ein wenig desorientiert auf dem Parkplatz vor der Hütte herumstehe. Eine blonde Frau kommt um die Ecke und ruft „Guten Abend! Willkommen! Ich bin Giulietta und Du bist…?“

Ich bin baff. Ich glaube, mich hat gerade ein schlag getroffen. Ich stehe da und ringe um Worte, aber die fehlen gerade, egal in welcher Sprache. Vor mir steht so ziemlich die schönste Frau, die ich jemals gesehen habe.

Giulietta ist einen halben Kopf kleiner als ich und muss… wie alt wohl sein? Ende zwanzig? Ich bin so schlecht im Schätzen. (Später stellt sich raus: Sie ist genau mein Jahrgang).

Sie hat schulterlanges, blondes Haar und ein schmales Gesicht, aus dem mich hellgraue Augen aufmerksam ansehen. Sie sieht ein wenig aus wie Gillian Anderson, denke ich. Während ich das noch denke überschüttet sie mich mit einem Wortschwall. Ich muss sie bremsen und erkläre, dass mein italienisch so gut nicht ist. Sie lacht und zeigt mir mein Zimmer. Es hat einen eigenen Eingang und ist auch innen ganz im Stil einer Blockhütte zurechtgemacht, mit Holzwänden und Bildern von Forellen überall.

Giulietta bedeutet mir, das Motorrad unter das Vordach zu fahren. „Der Regen kommt“, sagt sie, „und der Sturm“. Und sie hat recht. Kaum habe ich die Koffer in das Zimmer gebracht, wird es eisekalt und beginnt zu stürmen. Um die Hütte herum stehen große Fichten, die im Wind rauschen und knarren.

Ich schiebe die V-Strom unter das Vordach vor dem Eingang zu meinem Zimmer. Die Kiste ist so groß, dass sie da nicht ganz drunter passt, aber besser als nichts.

Ich nehme die Sitzbank ab und prüfe die Leitungen der Zusatzverkabelung. Warum bei Motorrädern immer wieder Gebastel ansteht? Weil Witterung und Vibrationen dem Material, anders als bei Autos, viel direkter und heftiger zusetzen. Neulich war auch schon mal das Navi ausgefallen. Lag am Ende daran, dass sich die Schraube am Pluspol der Batterie locker virbriert hatte. Aber die ist es diesmal nicht, alles fest. Hm.

Handgriffe und Navi hängen an einem speziellen Relais, damit sie nur Strom verbrauchen können, wenn die Zündung an ist. Ich sehe mir das Relais genauer an. Es schaltet nicht, wenn die Zündung eingeschaltet wird. Ich fummele daran herum, dann klackt es plötzlich und das Navi springt an. Dann geht es wieder aus. Ich ziehe auf gut Glück Stecker ab und wieder dran und fummele an Steckschuhen rum, dann fällt mir auf, dass das Relais jedes mal schaltet, wenn ich an den Rahmen komme. Es ist also der Masseanschluss, der nicht will. Vorsichtig ziehe ich den Steckschuh ab und mache ihn mir dem Taschenmesser etwas sauber, dann stecke ich ihn wieder dran. Zündung an, Relais klackt, das Garmin geht an. Ich bin erleichtert, alles funktioniert wieder.

Spezielle Zusatzverkabelung.

Das Gebastel war erfolgreich, aber es gibt Kollateralschäden: Das Garmin hat durch das ständige Strom an, Strom aus einen Hartreset gemacht und dabei sämtliche Einstellungen vergessen. Routen, meine Präferenzen, Verbote, Datenverbindungen, Verbindung zu den Reifensensoren… alles weg. Das Gerät ist nicht mehr meine clevere Copilotin Anna, das ist jetzt ist es nur ein normales, dummes Navi.

Na gut, ich wollte ohnehin nicht mehr hinaus in den Sturm. Das nächste Restaurant wäre 20 Kilometer weg, und außerdem habe ich keine Lust unter Leute zu gehen. Stattdessen nehme ich eine heiße Dusche, dann mummele ich mich ins Bett, knabbere ein paar Müsliriegel aus dem Vorrat des Motorrads und verbringe den Abend damit aus dem Backup, das ich auf dem Netbook mitführe, die Routen und wichtigen Adressen wieder ins Zumo einzuspielen, Präferenzen wiederherzustellen und neue Verbindungen zum Smartphone, zum Helm und zu den Sensoren des Motorrads anzulegen. Zwei Stunden dauert es, bis der alte Stand wieder erreicht ist.

Schließlich checke ich noch das Wetter für morgen. Anscheinend folgt mir Kaltluft aus Deutschland. „Für die Jahreszeit sei es unüblich kalt“, sagt der Wetterbericht.

…und zwar wird es genau dort kalt und windig, wo ich gerade bin und noch eine Woche sein werde:

Dann lege ich die Geräte weg und schließe die Augen. Draußen rauscht der Sturm in den Bäumen, im Innern der Blockhütte ist es schön warm, und mit dem absurden Forellendekor an der Wand fühlt sich das sehr nach Twin Peaks an.

Tour des Tages: Rund 550 km, rund 7:30 Stunden.

Kategorien: Motorrad, Reisen | Ein Kommentar

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Ein Gedanke zu „Reisetagebuch Motorradtour 2017 (2): Twin Peaks-Forellen

  1. Toller Reisebericht. Ich freue mich auf Teil 3.

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