Motorradreise 2015 (1): Von Walhalla in die Welt der Eisriesen

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Sommerreise mit dem Motorrad. Schon an den ersten beiden Tagen geht es nach Walhalla, dem Sitz der Götter, und nach Jotunheimen, der Welt der Eisriesen.

Sonntag, 07. Juni 2015, Passau

Der Wirt des Gasthofes Schäfer sieht aus, als ob er mit bloßen Händen einen Bären erlegen könnte. Sein Temperament ist dabei das genaue Gegenteil der äußeren Erscheinung. Der Anfangfünziger ist ein sehr stiller Mensch, der immer ein wenig schüchtern wirkt und spricht, als würde jedes Wort 100 Euro kosten. Deshalb geht er sparsam mit ihnen um und wählt sie mit großer Sorgfalt aus.

Bei meiner Ankunft in Passau hatte er mir wortlos den Zimmerschlüssel hingelegt und verschmitzt gelächelt. Erst Sekunden später schob er ein „Sie kennen sich ja aus, gell?“ hinterher. Das war die ganze Begrüßung. Und dennnoch war das ein warmherziges und freundliches Willkommen, mit einem Lächeln in den Augen.

Es ist Morgens, in der Gaststube duftet es nach Kaffee. Es ist mein dritter Aufenthalt im Gasthof Schäfer, und mittlerweile kann ich den Wirt deuten und an seinen Augen ablesen, was er fragen will. „Ja, Kaffee nehme ich gerne“, sage ich, und spare ihm damit 300 Euro, weil er sich nicht den Satz „Kaffee für sie?“ abringen muss. Ja, den Schäferwirt bringen Worte in Bedrängnis, seine Qualitäten liegen anderswo. Beim Frühstück machen, zum Beispiel.

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Ein „Besseres Wetter, diesmal, gell?“ zusammen mit einem freundlichen Blick zeigen, dass er sich daran erinnert, dass ich mit dem Motorrad zuletzt 2013 hier war, an dem Tag, als Passau unterging.

Heute Morgen ist das Wetter hervorragend. Blauer Himmel, Sonnenschein, 25 Grad schon vor 9 Uhr. Das war nach den Blitzen und dem Donnern in der vergangenen Nacht nicht unbedingt zu erwarten gewesen, aber ich beklage mich nicht.

Kurz nach der Verabschiedung vom Schäferwirt („Bis bald, gell?“, – eine Verabschiedung im Wert von 300 Euro!) surrt die Kawasaki über eine Hügelkuppe. Unter uns ausgebreitet liegt Passau, und so schnell wie die Drei-Flüsse-Stadt aufgetaucht ist, lassen wir sie hinter uns. Es ist schon der zweite Tag der Tour. Gestern ging es von Göttingen hier her, aber das war eine ereignislose Autobahnfahrt.

YESSSS! Urlaub!

YESSSS! Urlaub!

Das Wiesel, das mich auf der Tour begleitet, hatte sich unterwegs so gelangweilt, dass es bei einem Halt auf eigene Faust versuchte davonzufahren.

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Kenner wissen, wo das hier ist.

Kenner wissen, wo das hier ist.

Interessant war nur der Ausflug nach Walhalla. Das ist ein großes Bauwerk auf einem Hügel mitten in Bayern. Bin ich schon mehrfach dran vorbeigefahren, gestern habe ich mir den „Göttersitz“ mal angeguckt.

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Die Walhalla blickt weit über die umliegende Gegend. In die riesige Halle haben die Bayern Büsten von allen Leuten gestellt, die ihnen irgendwie wichtig schienen. Sind natürlich viele Bayern dabei, aber auch Albrecht Dürer, Einstein, und sogar Martin Luther.

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Warum existiert so ein Ort, und warum heisst er ausgerechnet wie der Sitz der Götter? Weil Deutschland um das Jahr 1800 rum zersplittert war und unter der Knute der Franzosen stand. Angesichts „Teutschlands tiefster Schmach“, der Auflösung des Heiligen Römische Reichs, ließ der damalige Kronprinz Ludwig bereits 1807 eine Serie von Büsten „rühmlich ausgezeichneter Teutscher“ bauen. Darin fand die angekratzte Seele Trost, und 1842 wurde dann das passende Gebäude dazu fertig.

Die Walhalla überblickt die Weiter des Donautals. Die Kulisse ist malerisch.

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Ein frisch verheiratetes Paar nutzte die Aussicht für Hochzeitsfotos, aber hey, die beiden müssen noch VIEL lernen. Naja, bei der nächsten Hochzeit klappt´s besser mit dem Herzchen.

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Das Wiesel wollte auch unbedingt eine Büste in Walhalla, aber daraus wird wohl nichts: Zwar sind Geschlecht, Stand und vermutlich auch Spezies egal, aber um in Walhalla aufgenommen zu werden, muss Deutsch sprechen. Ein unüberwindbareres Problem, dass das Wiesel mit einem Knurren quittierte.

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Seine Laune besserte sich erst wieder, als wir am Abend des ersten Tages mit einer Horde Passauer Freunde einen Biergarten unsicher machten. Dort ersäufte das Wiesel seinen Kummer in Hackl-Bier, und ich aß das erste Mal im Leben Schweinshaxe – und fand das unerwarteterweise lecker.

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Passau war nur eine kurze Zwischenstation auf dem Weg nach Österreich, dessen Grenze direkt hinter der Stadt liegt und die ich gerade überfahre. Das neue Navi lockt mich gleich erstmal in eine Falle. Das Garmin ZUMO, an das ich mich immer noch zu gewöhnen versuche, fragte vor Antritt der Fahrt drei Mal, ob es die Strecke, die ich aus dem Speicher aufrufe, mit Maut und Vignette rechnen darf. Jedes Mal verneine ich, und trotzdem führt mich das dumme Ding direkt auf die deutsche Autobahn A3, die nahtlos in die österreichische A1 übergeht – und durchgehend Vignettenpflichtig ist.

Als mir aufgeht, dass ich jetzt mehr als 20 Km quasi schwarzfahren soll, bricht mir fast der Schweiß aus. Spielt das Gerät gerade auf Risiko, nach dem Motto „Uns erwischt schon niemand“? Das wäre eine Katastrophe, denn WENN es eine Chance gibt erwischt zu werden, in die Scheiße zu greifen oder falsch zu liegen, dann trifft es MICH ganz bestimmt. Ich plane auch deswegen so viel, weil ich mich nicht auf das diffuse Konzept „Glück“ verlassen kann. Ich mache mein eigenes Glück, durch harte Arbeit und gute Vorbereitung und dem Vertrauen in meine Instinkte. So auch jetzt. Ich nehme sofort die nächste Abfahrt, und das Navi schwenkt auf Landstraße um. Geht doch, Arschloch, denke ich grimmig.

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Die Landstraße lässt sich auch viel schöner fahren als die langweilige Autobahn. In weiten Schwüngen zieht sie sich durch die Berge und Täler von Oberösterreich, das jetzt, Anfang Juni, noch in einem satten, frühlingshaften Grün da liegt. Eindrücke strömen in riesiger Menge auf mich ein: Der Anblick der weiten Täler, mit den verstreuten Gehöften. Der Geruch von frisch gefällten Baumstämmen, aufgestapelt am Straßenrand. Der Duft von gemähtem Gras. Die Wärme, die durch das leicht geöffnete Helmvisier strömt.

Hier ist es schön, einfach nur schön. Mehr fällt mir dazu nicht ein, in diesem Moment, in dem die Renaissance über die Hügel gleitet.

Fast drei Stunden bin ich unterwegs, als ich in den Ort Oberwiesenmayr hineinfahre. Der erweist sich als erstaunlich groß, hat sogar Oberleitungen für elektrische Busse, und sieht so gar nicht aus wie die anderen Gehöftansammlungen. Als ich das Ausgangschild passiere, weiß ich auch warum: Oberwiesnmayr war nur ein Vorort. Das war gerade Salzburg, durch das ich da unbemerkt durchgefahren bin.

Weil gerade mal Zivlisation da ist, nutze ich die Gelegenheit und steuere eine kleine Tankstelle am Wegesrand an. Die ZZR rollt an eine Zapfsäule, und ich bin erstmal verwirrt. Ist das jetzt Benzin E5? Oder E10? Da kommt schon der Tankwart herbeigeeilt, greift zielsicher nach einer Zapfpistole und beginnt, das Motorrad zu betanken.

Er ist braungebrannt, trägt eine ölverschmierte Latzhose und muss lachen, als ich in nach dem Anteil Bioethanol frage. „Diesen Rübensaft haben wir in Österreich nicht“, sagt er und erklärt mir dann seine Theorie, dass E10-Sprit die Motordichtungen und Schläuche zersetzt und dann Fahrzeuge in Brand setzen. Ich kann das nicht nachprüfen, aber wenn ich so drüber nachdenke… ja, zumindest gefühlt haben die Meldungen über brennende Autos in den letzten Jahren zugenommen. Göttingen liegt ja direkt an der A7, da berichtet die Lokalpresse immer direkt drüber. Ich bedanke mich bei dem Tankwart und setze meine Fahrt fort.

Salzburger Land.

Salzburger Land.

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Gerade hat mich die schöne Landschaft wieder eingelullt, als die Stimme in meinem Helm laut fordert, ich solle doch bitte hier abbiegen und in die Berge fahren. Ich halte kurz an und blicke mich um. Hoch auf einem Felsen thront eine Burg, und noch viel weiter darüber thront der Berg, auf den ich muss.

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Zig steile Kehren später hält die Kawasaki vor einem neuen Gebäude, neben einer Unzahl an PKW und Reisebussen.

Im Inneren des Gebäudes ist es kühler als draußen, wo über 30 Grad herrschen. Als ich am Ticketschalter stehe, sage ich „OK, ich würde gerne die Führung mitmachen. Und was ist das da, was Sie noch anbieten? Das mit dem Seilbahnsymbol?“

„Das“, antwortet die Frau mit dem platinblonden Kurzhaarschnitt, die ein wenig wie eine zu kuze geratene und übergewichtige Version von Marie Fredericksen aussieht, „Ist die Seilbahnfahrt“. „Echt jetzt?“, sage ich. „Ja“, sagt sie, „Sie gehen jetzt hier raus und zwanzig Minuten den Berg hoch und da ist die Seilbahn und dann steigen sie ein und die fährt drei Minuten und dann steigen sie aus und steigen nochmal 20 Minuten den Berg rauf…“

„Nee“, sage ich. „Auf den Berggipfel will ich heute nicht, dazu bin ich zu warm angezogen“. Ich deute an mir runter, denn ich stehe in kompletter Motorradmontur vor ihr, mit Stiefeln, der Lederhose und der schweren Jacke, deformiert von dem knappen Dutzend Protektoren, die sich unter Leder und Cordura verbergen. Definitiv zu schwer, um in der brütenden Hitze 20 Minuten den Berg hoch zu laufen. Ich will ja auch nur kurz hier diese Höhle angucken, die muss ja hier unter dem Eingangsgebäude sein. Marie Fredericksen lässt die Schlupflider einen halben Zentimeter sinken und starrt mich kalt an. „Wie sie wünschen. Die Alternative ist dann nur zu Fuß zu gehen, dauert ca. zwei Stunden. Der Höhleneingang liegt oben, fast am Gipfel des Berges.“

„OK, DAFÜR bin ich DEFINITIV zu warm angezogen“, sage ich und bin plötzlich froh die Seilbahn buchen zu dürfen. Die Teile ich mir mit einer arabischen Großfamilie, die stückweise beginnt durch aufdringliches Getue und permanentes Drängeln in Tateinheit mit grassierender Selfie-itis zu nerven.

Weiter oben am Berg verliere ich die schnell wieder, als ich fluchend den steilen und staubigen Pfad hinaufklettere, umgeben von grandioser Aussicht. Aus 1,5 Kilometer Höhe blicke ich hinab auf Ortschaften und Autobahnen. Ich mag Berge und finde sie eindrucksvoll, in dem Sinn, dass sie die Maßstäbe gut zurechtrücken und einen Eindruck von den wahren Verhältnissen vermitteln: Der Mensch ist klein und winzig in einer großen Welt.

Das folgende Video zeigt die Seilbahnfahrt bis zum Höhleneingang und die Walhalla am Tag zuvor:

Durch einen Tunnel geht es zum Rundweg den Berg hinauf.

Durch einen Tunnel geht es zum Rundweg den Berg hinauf.

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Aus 1,5 Kilometern Höhe blickt man ins Tal.

Aus 1,5 Kilometern Höhe blickt man ins Tal.

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Ich gebe zu, dass ich hierauf schlecht vorbereitet bin. Ich weiß kaum was über mein Ziel, war nur bei Google Maps über Symbol und Beschriftung gestolpert und hatte das in letzter Sekunde in die Routenplanung aufgenommen ohne mich groß zu informieren. Wie immer, wenn ich mich auf mein Glück verlasse und einen Schuss ins Blaue wage, ist es schief gegangen. Hätte ich gewusst, dass ich hier in glühender Hitze einen Berg besteigen muss, ich hätte die schwere Jacke im Motorradkoffer eingeschlossen und den Helm an den Gepäckträger gekettet und wäre nur im T-Shirt losmarschiert. Aber nein…

Das ich nicht wirklich weiß, was mich erwartet, wird umso deutlicher, als ich endlich den Zielpunkt erreiche. Ein Höhlenportal, der Eingang zur Eisriesenwelt. Ja, Eisriesenwelt. Wie bei Game of Thrones oder in der nordischen Mythologie. Bei dieser speziellen Eisriesenwelt handelt es sich um eine Höhle.

Der Eingang zur Eisriesenwelt liegt in einem großen Felsauge, das die Weite der Berge auf 1.656 Meter überblickt. Nach innen verjüngt es sich, bis es nach 10 Metern abrupt an einer Metalltür endet. Davor hängen Schilder, „Deutsch“ und „English“, wo man sich zu verschiedensprachlichen Führungen einfinden soll.

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Direkt über dem Abgrund sitzt er und spielt Mundharmonika.

Direkt über dem Abgrund sitzt er und spielt Mundharmonika.

Die Schilder sind nur 10 Meter von den heißen Sonnenstrahlen am Eingang der Felsvertiefung entfernt, und dennoch… meine ich meinen Atem kondensieren zu sehen. Ich gucke genauer hin. Neben mir zieht sich eine junge Frau um. Ihre baren Schultern sind schweißbedeckt, und sie… dampft. Von ihrer Haut und aus ihren Haaren steigt Dampf auf und ringelt sich davon, im Gegenlicht des Felseingang ist das deutlich sichtbar.

Plötzlich sind alle dick angezogen. Nur die Araber nicht.

Plötzlich sind alle dick angezogen. Nur die Araber nicht.

Ich blicke auf meine Arme und sehe überrascht, dass auch von mir Dampf aufsteigt. Ich drehe die Hände fasziniert vor meine Augen hin und her, dann blicke ich an mir herab und sehe, wie aus den Lüftungsöffnungen der Anzugshose Dampfwolken aufsteigen. Es ist KALT. Nicht das normale „Es ist im Schatten kühler als fünf Meter weiter in der Sonne“, sondern wirklich EISKALT, wie in einem Kühlhaus.

Jetzt bin ich doch froh die Jacke dabei zu haben. Schnell schlüpfe ich in die hinein und versiegele den Motorradanzug mit Reiss- und Klettverschluss. Jetzt frieren mir nur noch Kopf und Ohren, aber dagegen gibt es Abhilfe. In Paris habe ich im vergangenen Jahr das Konzept des Schlauchtuchs kennengelernt, einem sehr vielseitigen Kleidungsstück. Normalerweise trage ich das um den Hals, aber mit zwei Griffen ist es eine warme Mütze geworden. Um mich herum kleiden sich immer mehr Leute in warme Sachen, die sie vorsorglich mitgebracht haben. Ich hatte mich schon über die Leute gewundert, die mit C&A-Tüten unter dem Arm den Berg hochmarschiert sind. Die waren einfach gut vorbereitet.

Zackbumm, wird aus dem Schal eine Mütze. Zum Glück!

Zackbumm, wird aus dem Schal eine Mütze. Zum Glück!

Mittlerweile haben sich noch andere Leute eingefunden, darunter auch ein Höhlenführer, der sich als „Der Hannes, ne?“ vorstellt. Jetzt kann es losgehen in die Eishöhle. Unsere Gruppe besteht aus rund 50 Personen, an jeden fünften wird eine Carbitlampe ausgegeben. Höhlenführer Hannes entzündet und mahnt „Aber niemanden anders anzünden, ne?“ Dann geht es los.

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Denke ich zumindest, und dann trifft es mich zum dritten Mal unerwartet. Als die Metalltür im Berg geöffnet wird, schaffe ich es nur mit Mühe hindurchzugehen. Aus der Türöffnung brüllt ein Sturm heraus, gegen den ich mich mit meinem ganzen Körpegewicht werfen muss. Nach zwei Metern ist die unsichtbare Barriere durchbrochen und ich stolpere Vorwärts ins Dunkel.

Abgesehen von den Carbitlampen, die mehr Schatten als Helligkeit produzieren, ist es stockdunkel. Plötzlich glüht weißes Feuer in der Dunkelheit. Hannes hat ein Stück Magnesiumband entzündet, dass nun mit heller Flamme verbrennt und einen Blick auf die Szenerie ermöglicht.

Vor uns eröffnet sich ein gigantischer Höhlenschacht, der fast senkrecht nach oben in den Berg führt und weit oben in der Dunkelheit verschwindet. Den Schacht herunter wälzt sich eine riesige Eiszunge. Kein gefrorener Wasserfall, sondern eher eine Gletscherzunge, die sich irgendwie in diesen Berg verlaufen hat, und an deren Fuß wir stehen.

Hannes begrüßt die Gruppe, mahnt eindringlich an, nicht zu fotografieren und lobt unseren Mut, dass wir bei Null Grad Celsius einen Kilometer in den Berg eindringen wollen. Aber uns würde schon nicht kalt, immerhin hätten wir 1.400 Stufen zu bezwingen, ne?
Mir fällt das Essen aus dem Gesicht. WHAT. THE. FUCK?!

Null Grad? Und 1.400 Stufen? Verdammt, der Vatikan hat 521, und DAS ist schon anstrengend!

Egal, jetzt bin ich halt hier. Hätte ich den Quatsch hier mitgemacht, wenn ich vorher gewusst hätte wie anstrengend das wird? überlege ich und komme zu dem Ergebnis: Aber SELBSTVERSTÄNDLICH.

Ein wenig tun mit die Araber leid. Die sind genauso schlecht informiert wie ich, aber nicht zufällig in einem kältedichten Cordurazeug unterwegs, sondern in Shorts, T-Shirts und FlipFlops. Eine der Frauen trägt sogar ein Kleinkind auf dem Arm. Das wird hart für sie werden.

Im Dunkel stapfen wir die steile Holztreppe hinauf, eine dampfende Karawane aus Geistern, deren Aura von den tanzenden Schattenstrahlen der Carbitlampen durchbrochen wird und deren Zuckungen sich im Eis spiegeln, bis sie sich im Dunkel verlieren. Im Vergleich zu der riesigen Gletscherzunge im Fels sind wir klein wie Ameisen, die auf einer Picknickdecke herumkrabbeln.

Im Folgenden sind einige Bilder der Höhle zu sehen, die ich mit freundlicher Genehmigung der Rechteinhaber zeigen darf. Die Bilder vermitteln ein gutes Bild der Eisformationen, aber nicht der Atmosphäre – sie sind nämlich zu hell. Während die Fotos toll ausgeleuchtet sind, steht man als Besucher im Dunkeln herum, nur die diffusen Lichter der Carbitlampen und das Flackern des brennenden Magnesiumbands bringen unstetes Licht in die Höhle.

Die Posselt-Halle. Hier hinab wälzt sich die Gletscherzunge, an deren Seite wir gerade hinaufklettern. Bildnutzung mit freundlicher Genehmigung der Eisriesenwelt GmbH, Salzburg. Alle Rechte vorbehalten. Klick auf das Bild führt zu großer Version auf der Website der Eisriesenwelt, wo es noch viele weitere Aufnahmen gibt.

Die Posselt-Halle. Hier hinab wälzt sich die Gletscherzunge, an deren Seite wir gerade hinaufklettern. Bildnutzung mit freundlicher Genehmigung der Eisriesenwelt GmbH, Salzburg. Alle Rechte vorbehalten. Klick auf das Bild führt zu großer Version auf der Website der Eisriesenwelt, wo es noch viele weitere Aufnahmen gibt.

An einigen Stationen hält unsere Geisterprozession inne, und Hannes erläutert im Schein eines Magnesiumsfeuers die Höhle. Es handelt sich um die größte Eishöhle der Welt, mit einer Gesamtausdehnung von 42 Kilometern. Sie wurde erst 1896 von einem Jungen namens Mörk entdeckt wurde, der leider mit nur 27 Jahren im ersten Weltkrieg fiel. Mörk war Fan der nordischen Mythologie, und er benannte „seine“ Höhle nach der Eisriesenwelt Jotunheimen.

Immer wieder hält unsere Gruppe an, und der Führer erläuert im flackernden Licht des Magnesiums einzelne Eisformationen. Hier der Hugin. Bildnutzung mit freundlicher Genehmigung der Eisriesenwelt GmbH, Salzburg. Alle Rechte vorbehalten. Klick auf das Bild führt zu großer Version auf der Website der Eisriesenwelt, wo es noch viele weitere Aufnahmen gibt.

Immer wieder hält unsere Gruppe an, und der Führer erläuert im flackernden Licht des Magnesiums einzelne Eisformationen. Hier der Hugin.
Bildnutzung mit freundlicher Genehmigung der Eisriesenwelt GmbH, Salzburg. Alle Rechte vorbehalten. Klick auf das Bild führt zu großer Version auf der Website der Eisriesenwelt, wo es noch viele weitere Aufnahmen gibt.

Das Besondere an der Höhle: Weiter oben am Berg dringt Wasser und vor allem Wind ein. Der kalte Winterwind zischt durch den Fels, der hier aus Kalk- und Leimstein ist, und kühlt den bis in tiefste Schichten ab. Auch jetzt, Mitte Juni, drückt von oben kalte Luft in die Höhle – das erklärt den brüllenden Sturm am Eingang. Im Winter friert hereintropfendes Wasser im unteren Höhlenbereich sofort und taut auch im Sommer nicht wirklich weg. Lediglich der heulende Wind schleift und formt das Eis. Im unteren Teil der Höhle hat der Wind das Eis in die Form eines Gletschers geschliffen, weiter oben in viel bizarrere Figuren.

Die „Burg von Hymir“, dem Eisriesen, sieht aus wie ein großer Gehörgang aus Eis, in dem Hannes aufrecht stehen kann. Er beleuchtet das Eis von hinten mit einem Magesiumfeuer, und die windgeschmirgelten Eisflächen straheln weiß und blau.

Die Hymir-Burg. Bildnutzung mit freundlicher Genehmigung der Eisriesenwelt GmbH, Salzburg. Alle Rechte vorbehalten. Klick auf das Bild führt zu großer Version auf der Website der Eisriesenwelt, wo es noch viele weitere Aufnahmen gibt.

Die Hymir-Burg.
Bildnutzung mit freundlicher Genehmigung der Eisriesenwelt GmbH, Salzburg. Alle Rechte vorbehalten. Klick auf das Bild führt zu großer Version auf der Website der Eisriesenwelt, wo es noch viele weitere Aufnahmen gibt.

Tiefer im Berg gibt es Klippen aus Eis, glitzernde Facettenflächen, einen gefrorenen See und einen 40 Meter hohen Dom, in dessen Wand die Urne des Entdeckers eingelassen ist. Es ist eine bizzarre Welt, die sich hier unter dem Berg findet, und alle Hallen und Figuren tragen Namen aus der nordischen Mythologie.

Gang im  Mörk-Gletscher, benannt nach dem Entdecker der Höhle. Bildnutzung mit freundlicher Genehmigung der Eisriesenwelt GmbH, Salzburg. Alle Rechte vorbehalten. Jlick auf das Bild führt zu großer Version auf der Homepage der Eisriesenwelt, wo es noch viele weitere Aufnahmen gibt.

Gang im Mörk-Gletscher, benannt nach dem Entdecker der Höhle.
Bildnutzung mit freundlicher Genehmigung der Eisriesenwelt GmbH, Salzburg. Alle Rechte vorbehalten. Jlick auf das Bild führt zu großer Version auf der Homepage der Eisriesenwelt, wo es noch viele weitere Aufnahmen gibt.

Stollen im Eis. Bildnutzung mit freundlicher Genehmigung der Eisriesenwelt GmbH, Salzburg. Alle Rechte vorbehalten. Klick auf das Bild führt zu großer Version auf der Website der Eisriesenwelt, wo es noch viele weitere Aufnahmen gibt.

Stollen im Eis.
Bildnutzung mit freundlicher Genehmigung der Eisriesenwelt GmbH, Salzburg. Alle Rechte vorbehalten. Klick auf das Bild führt zu großer Version auf der Website der Eisriesenwelt, wo es noch viele weitere Aufnahmen gibt.

Nach 70 Minuten erreichen wir wieder den Eingang, die Tortur der 1.400 Stufen ist vorbei. Die Araber haben Rauhreif in den Bärten. Sie sind sichtlich am Ende, die Mutter mit Kind kann sich kaum noch auf den Beinen halten. Niemand hat ihr das Kleine abgenommen, und die Männer bemitleiden sich offensichtlich gegenseitig, haben aber auch jetzt keinen Blick für Mutter und Kind übrig.

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Ich kraxele den Berg hinab, zurück zur Seilbahn und von dort zum Motorrad, und bin froh, als ich wieder auf der Straße bin. Jetzt geht es durch die Alpen. Noch 170 Kilometer bis zu meinem heutigen Ziel, der Stadt Villach kurz vor Slowenien. Und man, DAS werden 170 Kilometer! Ich wusste ja, das Österreich abwechselungsreich sein kann, aber was ich auf der Reise erfahre, sprengt alle Erwartungen. Es ist schlicht großartig, dieses Land auf seinen Landstraßen im wahrsten Sinne des Wortes zu er-fahren.

Die Strecke der ersten zwei Tage: Von der Mitte Deutschlands über Passau nach Villach, rund 900 Kilometer.

Die Strecke der ersten zwei Tage: Von der Mitte Deutschlands über Passau nach Villach, rund 900 Kilometer.

Schmale Täler mit schroffen Berghängen und sprudelnden Sturzbächen wechseln sich ab mit Ebenen voller weitläufiger Wiesen, getupft mit Milchkühen und kleinen Dörfern. Ich habe großen Spaß daran durch die herrlich abwechslungsreiche Landschaft zu sausen, die fahrerisch mal gemütlich, mal anspruchsvoll ist. Die Route führt meistens durch die Alpentäler, es geht nur selten über sehr niedrige Pässe.

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40 Kilometer vor Villach wird es plötzlich SEHR anspruchsvoll, als in einem Seitental aus heiterem Himmel und bei strahlendem Sonnenschein unvermittel dicke Regentropfen fallen. Dazu habe ich noch einen Northeimer vor mir, einen von der besonderen Sorte. Im Landkreis Northeim (KFZ-Kürzel: NOM) liegt mein Heimatort, und daher kann ich bestätigen, was alle anderen vermuten: Ein NOM ist die kleinste Einheit fahrerischen Könnens. Der NOM vor mir gehört zu der Sorte, die beim Überholt werden auf´s Gas latscht, bei interessanten Unfällen eine Vollbremsung zum Glotzen einlegt, und der ansonsten gerne mal von der linken zur rechten Leitplanke quer über zwei Fahrbahnen oszilliert. Stets wachsam fahre ich hinter dem NOM her, durch verwaiste Wintersportorte und über weitere Landstraßen.

Glücklicherweise biegt der Kaputte in Spittal ab, und ich komme heil in Villach an. Hier habe ich eine Untgerkunft in einem Gasthof gebucht. Gerne hätte ich im nahen Slowenien übernachtet, aber das schlicht zu teuer – im österreichischen Zonenrandgebiet übernachtet es sich viel günstiger. Der Gasthof Karpfenbacher liegt außerdem zentral, hat einen perfekten Parkplatz für´s Motorrad und verfügt über eine unfassbar kompetente Mitarbeiterin, die routiniert den Hotel- und Restaurantbetrieb schmeißt.

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Die Zimmer sind groß, aber die Austattung ist erkennbar in den frühen 90ern aus diversen Haushalten zusammengewürfelt wurden. Ist mir aber egal, für mich ist´s perfekt. Ich habe genug Platz für mein ganzes Gelumpe, und auch wenn das warme Wasser in der Dusche nicht funktioniert – bei der Hitze ist kalt Duschen eh am Besten. Dass das Zimmer nach Rauch riecht, stört mich schon eher. Kennt man ja gar nicht mehr, sowas. Aber für eine Nacht wird auch das gehen.

Ich mache einen kurzen Ausflug in die nur 500 Meter entfernte Innenstadt, und komme nicht umhin, mich zu fragen, wie schwer Villach in den letzten Kriegen verwüstet wurde. Die Stadt ist nämlich verdammt hässlich. Betonbauten an Betonbauten, wohin das Auge blickt.

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Tatsächlich lese ich später, dass Villach im Krieg eines der wichtigsten Ziele war, weil es den Verkehrsknotenpunkt zur Adriaregion darstellte. Am Ende des zweiten Weltkriegs lagen 85 Prozent der Stadt in Schutt und Asche, und das sieht man ihr heute noch an. Selbst die zentrale Kirche, einst gothisch, erhielt einen hässlichen Betonvorbau. Die Inschrift im Gedenkstein davor ist an Dämlichkeit kaum zu überbieten – „den Gefallenen des ersten Weltkriegs für Ihre Ruhmreichen Taten„. Wenn es im ersten Weltkrieg eines nicht gab, dann war es Ruhm und Ehre.

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Zurück im Karpfenbacher gibt es ein ordentliches Abendessen, das leider zum Großteil aus Fertigskram und tiefgrefrorenem besteht und keine lukullische Enthüllung ist, was aber durch die überaus fixe und gute Bedienung aufgefangen wird. Satt geht es ins Bett. Morgen, Kinder, wird´s was geben.

Morgen… habe ich einen der schwersten Bergpässe Osteuropas vor mir.

Weiter zu Teil 2: Der Mangart

Kategorien: Motorrad, Reisen, Wiesel | 11 Kommentare

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11 Gedanken zu „Motorradreise 2015 (1): Von Walhalla in die Welt der Eisriesen

  1. Einen wunderschönen guten Morgen aus Ballerup (Vorort von Kopenhagen)!
    Sehr schöner Artikel, wie immer 🙂
    Ich hatte beim Teaser schon vermutet, dass du in der Eisriesenwelt warst, und mich ein wenig gewundert, dass du so viel Zeit dafür übrig hattest. Sonst hetzt du ja eher durch Österreich (aber auch wetterbedingt und um Zeit aufzuholen, schon klar).
    Schön, dass du dich diesmal mehr umschauen konntest – ist schon schön bei ‚uns‘.
    (Nord)Slowenien auch, bin gespannt auf die nächsten Berichte!

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  2. ckater

    Es geht endlich wieder los. Das macht Reiselust, hihi.

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  3. In der Piefka Saga sitzt auch einer direkt über dem Abgrund und spielt Ziehharmonika 🙂

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  4. MoinMoin nach Kopenhagen! Oh, in diesem Jahr hatte ich eigentlich vorgehabt 2-3 Tage in Graz und Umgebung zu bleiben, aber ohne Dich schien das einigermaßen sinnlos. Deshalb auch diesmal nur „Durchfahrt“, ein paar Stündchen Eisriesenwelt waren dennoch drin.

    CKater: Ach?

    Rufus: Pefke gibt es als Saga?

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  5. psychoqueen

    Hi hi hi ja das weiß der Kenner!!! Das ist der Autohof in Wörnitz. Oh man ich sachs nicht gern, doch da hab ich echt mal gearbeitet. Und nun steht Sie auf der anderen Seite und ist selber Brummifahrerin.
    So nun sind wir aber mal gespannt wie ein Flitzebogen, was das Wiesel und der Herr Silencer so alles erlebt haben auf ihren Riesen ähm ich meine latürnich Reisen. 😉

    Grüßle aus dem Süden

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  6. Wobei sich das Bild dooferweise reingemogelt hat, wie Herr Peteman anmerkte. Ich war nämlich auf der Rückfahrt in Wörnitz, nicht auf der Hinfahrt. 😦

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  7. psychoqueen

    Na na ist doch alles gut!!!!! Wir haben es erkannt. Ob du nun auf der Heimreise da warst oder vorher, dit is doch ejal. Wer wees wo zu it jut is. 😀

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  8. Achja, und Schlauchschal FTW 🙂

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  9. Das ist die „Erlebnisburg Hohenwerfen“

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  10. rudi rüpel

    Hallo Silencer,
    ich habe in letzter Zeit einige Reiseberichte gelesen und na ja, die meisten waren Berichte halt.
    Doch was du hier ablieferst das sind keine Tagesrapporte, nein ich behaupte jetzt mal es handelt sich um Reise Literatur. Allein schon wie du Menschen beschreibst, kommt mir z.B. so vor als hätte ich schon zig mal beim Schäferwirt übernachtet. Auf die Idee zu kommen ihn so zu beschreiben, als jemand der Worte auf die Goldwaage legt, war goldrichtig und hat echt Stil! Und ich glaube daß du das alles nicht einfach nur so runter schreibst, sondern richtig Zeit investierst. Sollte es anders sein, na da hätte ich noch mehr Achtung vor deiner Leistung. So jetzt habe ich aber genug Honig verschmiert. Ich möchte dir jetzt einfach meinen Dank aussprechen: DANKE, DANKE, DANKE!
    LIEBEn Gruß und gute Fahrt
    rudi rüpel

    Gefällt 2 Personen

  11. Danke Rudi, für das Lob – das freut mich sehr (und ja, es ist relativ viel Arbeit – aber für ein Hobby ist das echt OK, und es bringt mich dazu, mich nochmal ganz anders und intensiver mit dem Erlebten auseinanderzusetzen) 🙂

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