Ähnlich spannend wie die 2015er Staffel von IBES: Die Grünpflanze in meinem Büro.
Ich verachte ja Unterschichtenfernsehen, bei dem es meist nur darum geht die Sendezeit durch das Vorführen unzurechnungsfähiger und unmündiger Menschen unterer sozialer Schichten zu füllen. Sowas bedient die niedersten Instinkte des Publikums, dem dadurch auch gesellschaftspolitisch eine Ruhigstellung nach dem Motto „Guck, auf die Deppen im Fernsehen kannst Du runtersehen“ verpasst wird.
„Ich bin ein Star, holt mich hier raus“ (Abgekürzt: Dschungelcamp oder #IBES) ist da anders. Hier sind die Opfer geltungssüchtige Selbstdarsteller, die sich sehenden Auges und weil es IHR BERUF ist vorführen lassen. IBES ist dabei kein schnell hingeschludertes Proletariats-TV, sondern eine sorgfältig geplante, sehr wertig umgesetzte und intelligent erzählte Produktion, die als Show gleich mehrfach funktioniert:
– Exhibitionismus, auf mehreren Ebenen: „Prominente“ begeben sich freiwillig und sehenden Auges in ein Sozialexperiment, bei dem bestenfalls Gefühle und Brüste, Nerven und Hoden blank liegen.
– Schadenfreude: Ebenfalls auf unterschiedlichen Ebenen, vom simplen „Die Tussi fällt ins Wasser“ bis hin zu „Der redet sich gerade um Kopf und Kragen und demontiert sich selbst.
– Genugtuung: Gerade wenn man die „Prominenten“ nicht leiden kann, ist es geradezu kathartisch sie leiden zu sehen . entweder körperlich oder bei Clash mit anderen Teilnehmern.
So richtig funktioniert alles aber nur, wenn sich die Persönlichkeiten aneinander reiben oder, besser noch, kollidieren.
Das die 2015er-Auflage in dieser Hinsicht die vorangegangene Staffel toppen könnte hatte im Vorfeld niemand ernsthaft erwartet. Zu großartig war der Jahrgang 2014, der mit einer Vollverrückten (Larissa Marolt), einem Überpapa (Jochen Bendel), einem Größenwahnsinnigen (derdiedas Wendler) und einem grantelnden Choleriker (Winfried Glatzeder) aufwarten konnte. Star und am Ende verdiente Dschungelköninigin war die Leipzigerin Melanie Müller, die den Pragmatismus und die Cleverness einer Elektrotechnikerin, den Körper eines Pornostars und den Tonfall einer Feldwebelin mitbrachte. Sie beeindruckte mit entwaffnender Ehrlichkeit und Bodenständigkeit und war am Ende die authentischste Person im Camp. Absurd, bedenkt man, dass an der öffentlichen Figur Melanie Müller nichts echt ist, nicht mal die Brüste.
Tatsächlich ist es diese Authentizität und Ehrlichkeit, die der aktuell laufenden Staffel das Genick bricht. Die Sendung ist immer dann am Besten, wenn die Realitätsblasen, die die „Stars“ um sich herum geschaffen haben, mit der Wirklichkeit kollidieren. IBES lebt davon, dass sich die „Stars“ selbst demontieren und bestenfalls sogar ihrer Selbstillusion beraubt werden. In diesem Jahr passiert das nicht. Diesmal sind alle Teilnehmenden ausnahmslos von Beginn an authentisch und größtenteils illusionslos im Camp unterwegs. Walter Freiwald bettelte schon zu Beginn der Staffel öffentlich um einen Job und weiß, dass er ein abgewrackter 60jähriger ohne Karrierechancen ist. Angelina begriff recht früh, dass das Sozialexeperiment nichts für sie ist und flüchtet sich heulend in die Arme von Mutti. Sie nahm aus dem Dschungel die Erkenntnis mit, ein verwöhntes und egoistisches Mädchen zu sein. Ein vermutlich folgenloser Selbstfindungstrip ohne jeglichen Unterhaltungswert.
Das das Camp keine starken Charaktere hat ließe sich vielleicht noch verkraften, wenn die Personen wenigstens im Wettstreit um den Titel des Dschungelkönigs oder der Dschungelkönigin stünden. Melanie Müller war, bei aller Bodenständigkeit, ehrgeizig und vom festen Vorsatz beseelt die Show zu gewinnen. Die jetzige Besatzung legt keinen Funken Ehrgeiz an den Tag. Das Gewinnen interessiert die Beteiligten, mit Ausnahme von Walter, schlicht nicht. Aurelio hat keinen Bock dafür was zu tun, weil der erste Platz mit nichts anderem dotiert ist als Ruhm und Ehre.
Bei den anderen ist es ähnlich – die sitzen einfach bloß ihre Zeit ab, um am Ende die ausgehandelte Gage und die Screentime mitzunehmen. Um nichts anderes geht es den Insassen – irgendwie die Zeit rumkriegen, sich dabei möglichst wenig gegenseitig auf den Sack gehen und dann heim zu Mutti, Frauchen oder Männe. Kein Essen, weil zu doof die Prüfung anzutreten? Ach, was soll´s. Walter pöbelt rum? Egal, fünf Minuten später entschuldigt er sich. Selbst die im Vorfeld als Favoritin gehandelte Sarah Kulka hielt sich so sehr zurück, dass sie nur als „die andere Blonde, der man am liebsten den Mund mit Seife auswaschen wollte“ in Erinnerung bleiben wird.
Die Campteilnehmer sabotieren damit die Show. Nun kann man es auf einer Metaebene gut finden, wenn die bestellten Tanzaffen halt nicht nach der Pfeife der Regie ihre Nummer bringen, sondern das Konzept der Sendung ins Wanken bringen. Sie tun es aber leider nicht durch aktive Rebellion, durch das Rütteln an Gitterstäben, sondern schlicht, in dem sie sich gottergeben dem System fügen. Sie machen halt das Nötigste, wenn etwas von ihnen verlangt wird, aber bloß keinen Handschlag mehr. Sie wursteln sich so durch, wollen aber eigentlich nur ihre Ruhe und ihr Auskommen.
Exakt so lebt die Mehrzahl der Menschen ihr alltägliches Leben, und bei dieser Art langweiliger Durchwurstelei ohne Unterhaltungswert würde auch keiner freiwillig zugucken, geschweige denn eine Fernsehsendung daraus machen. Auf ihre Art sind die „Stars“ 2015 so unaufregend wie der Nachbar aus dem Reihenhaus, dem man beim Ansparen seines Bausparvertrags zusieht. Dabei sind sie aber unterschwellig noch unsympathischer als z.B. der Wendler, Georgina Fleur oder Helmut Berger. Die leben halt in ihrer eigenen Welt lebt, in der sie die Größten sind und es verdienen, mit Ruhm und Glanz im Rampenlicht zu stehen. In Aurelios Welt geht es nur darum, miesepetrig guckend Zeit abzusitzen, um von der Gage eine Kampfhundfarm eröffnen zu können. Würg.
Mit Walter verliess nun der einzige das Camp, der in der ganzen Staffel zumindest interessante Ansätze in Punkto grassierendem Wahn und Ambition gezeigt hat. Die verbliebenen Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind nun so egal, dass es schlicht keine Rolle mehr spielt in welcher Reihenfolge sie rausfliegen bis Maren Gilzer Dschungelkönigin wird (In schlechten Staffeln hat das Publikum ein Herz für alte Damen, ich nenne das den „Van Bergen-Bonus“).
Von daher sollte man die 2015er Staffel als egal abhaken und sich auf 2016 freuen, auf das hoffentlich wieder ehrgeizige Selbstdarsteller mit großen Egos und noch größeren Illusionen gecastet werden. Bis dahin kann man sich Staffel 8 noch einmal ansehen und die Erkenntnis mitnehmen, dass geerdete Typen in Massen dem Dschungelcamp einfach nicht bekommen.
Für Frau Zimtapfel
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